22.06.14

Haie der Großstadt (USA 1961)

Sarah: "Gib es mir wieder, Eddie!"
Eddie: "Was heißt das? (starrt auf das Schreiben) Was willst du damit sagen? 'Wir haben einen Vertrag geschlossen, für Whiskey und Liebe. Wir brauchen nur die Vorhänge zuzuziehen.' ... Denk dir 'ne andere Geschichte aus!"
Sarah: "Warum denn? Ich schreibe nur die Wahrheit! Wir unterhalten uns doch nie über irgend etwas. Wir hocken hier in diesem Zimmer rum, und trinken und wir lieben uns. Wir kennen uns nicht. Was geschieht wenn der Schnaps und das Geld uns mal ausgehen, Eddie? Du hast zu Charlie gesagt: 'Leg dich hin und stirb!' Wirst du das auch einmal zu mir sagen? Was soll ich dann machen, Eddie?“
Eddie: "Du wirst dir 'nen anderen Vertragspartner suchen." 
Sarah:"Ja, das werd ich, und du hilfst mir bestimmt dabei!“
© 1961 Twentieth Century Fox Home Entertainment, Inc. All Rights Reserved.

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Biancas Blick


Dieser Dialog gibt auf vielfältige Art vieles aus Robert Rossens Meisterwerk HAIE DER GROßSTADT wieder.

Eddie ist ein Billiardspieler und Trinker. Er zieht mit einem billigen Trick andere Billiardspieler über den Tisch, verdient so sein Geld. Eigentlich träumt er jedoch davon, einer der ganz Großen der Branche zu werden. Sein größter Gegner ist Minnesota Fats. An ihm wird er sich messen müssen und nichts will Eddie mehr, als dessen Kapitulation. Gegen ihn zu gewinnen wird für Eddie zur Manie. 
Als er die Trinkerin Sarah kennenlernt, scheint es, als würden sich beide gegenseitig aus dem Sog aus Abhängigkeiten und Obsessionen ziehen. Doch Eddie wird rückfällig und beginnt erneut zu spielen. Angetrieben von Bert Gordon, seinem „Manager“, beginnt Eddie seine vermeintlich letzte Spielertour, auf die ihn Sarah begleitet. Es kommt zu einer Tragödie.

Eine schwere Schwerpunktsetzung


Als Sportlerfilm verpackt, offenbart sich hier ein Film, der sich im Grunde um menschliche Abhängigkeit dreht. Abhängigkeiten nach Ruhm, Geld, Liebe, aber auch nach Alkohol und Isolation.
Es ist eine dichte, bedrückende und sehr gelungene Milieuzeichnung und ein enormer Erfolg bei Zuschauern und Kritikern. Der Film ist neun Mal für den Oscar nominiert, unter anderem Paul Newman als bester Hauptdarsteller, Piper Laurie als beste Hauptdarstellerin und beide Nebendarsteller: George C. Scott und Jackie Gleason. 
Allein das spricht für die Dichte und Intensität des Films.

Bevor Paul Newman die Rolle angeboten bekommt, versucht Frank Sinatra die dem Film zugrunde liegende Novelle für das Kino zu adaptieren, allerdings scheitert der Versuch kläglich. Sinatra, der 1955 die Hauptrolle in Hollywoods erstem Drogenfilm DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM spielt, hätte die Rolle des Eddie gern verkörpert und seinem seit VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT neu aufgebautem Image als dramatischer Darsteller ein weiteres Glanzstück hinzugefügt.

Robert Rossens Tochter Carol, selbst Schauspielerin, macht ihren Vater auf die Novelle aufmerksam. Sie findet sie ausgezeichnet geeignet für eine Drehbuchadaption (und eine mögliche Rolle für sie). Die bisherigen Drehbuchentwürfe legen ihrer Meinung nach aber zuviel Wert auf das Billardspiel und viel zu wenig auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren. Robert Rossen erwirbt nun seinerseits die Buchrechte und findet in Sydney Carroll einen guten, wenn auch noch unbekannten Drehbuchautor. Gemeinsam entwerfen sie ein Drama einzigartiger Qualität. Ihnen sind die Figuren wichtig, das Billard soll lediglich der Untermalung und Verbildlichung dienen.
Der Antiheld "Fast" Eddie Felson entwickelt sich über einen relativ kurzen Zeitraum durch eine menschliche Tragödie zu einem Menschen, der durchdacht, kontrolliert und geläutert handelt und agiert. Letztendlich sind das Billard und das Gewinnen das Nebensächlichste in Eddies Leben.

Rossen ist übrigens selbst Billiardspieler, allerdings – wie er selbst zugibt – kein besonders guter. Aber dieser Umstand reizt ihn, das Buch und die zugrunde liegende Story für den Film zu adaptieren.

Von der Menschwerdung


Nachdem Jack Lemmon und Tony Curtis Eddies Part abgelehnt haben, will Rossen unbedingt Paul Newman, der aber vertraglich an ein Projekt mit Elizabeth Taylor gebunden ist. Als Taylor allerdings aus dem Vertrag aussteigt, um ausgerechnet CLEOPATRA zu drehen, ist auch Newman frei und sagt sofort zu, ohne das Skript in Gänze gelesen zu haben.

Rossen verändert das Drehbuch im Verlauf des Drehs mehr und mehr zugunsten des Beziehungsgeflechts der Charaktere. 
Anhand der Billiardspiele wird Eddies Wandlung sichtbar. Durch sein Verhalten Minnesota Fats, Bert Gordon und vor allem Sarah gegenüber offenbart sich die Veränderung des jungen Hitzkopfes. Newmans Interaktion, seine Gestik und Mimik variieren auf eine so subtile Art und Weise, dass man erst am Ende die Entwicklungen in Gänze begreift und versteht. 
Wirkt Eddie in seinem ersten Billardspiel noch jungenhaft und gerissen, so verliert er in seinem nächsten Spiel gegen Minnesota Fats alle Beherrschung und Standhaftigkeit, ist unkontrolliert und wird von seiner eigenen Selbstüberschätzung übermannt.
"Dir fehlt Charakter", sagt sein Freund Charlie nach diesem Desaster zu ihm. Und den zu finden wird die eigentliche Aufgabe Eddies in dem Drama das sich fortan entfaltet.
© 1961 Twentieth Century Fox Home Entertainment, Inc. All Rights Reserved.
Rossen selbst sagt dazu: „Eddie möchte nur eins: ein großer Poolplayer werden. Aber eigentlich geht es vielmehr um seine Entwicklung von einem arroganten, sich selbstüberschätzenden Mann hin zu einem Menschen mit Charakter. Erst nach einer Tragödie, die er selbst verursacht hat, findet er zu sich selbst.“

Roger Ebert, einer der bekanntesten Filmkritiker, fügt hinzu: „Es ist einer der wenigen amerikanischen Filme, in denen der Protagonist erkennen muss, dass er die Realität statt der eigenen Träume akzeptieren und annehmen muss.“


Der Realismus etabliert sich



HAIE DER GROßSTADT ist einer jener Filme, die seit Mitte der 50er Jahre die Erzählweise des amerikanischen Kinos verändert und revolutionieren und somit auch eine andere, vielleicht intensivere Beziehung zum Publikum herstellen. 
Gegenüber den großen Farbfilmen, angesiedelt in fernen Ländern, pompös ausgestattet, immer überlebensgroß und zum Eskapismus geeignet, kommen nun vermehrt Milieufilme ins Kino, die langsam erzählt werden und den Schwerpunkt auf die Charaktere und die Dialoge legen. Sie begründen eine Art neuen Realismus im amerikanischen Kino.
Es entsteht eine Art Gegenbewegung zu den Musicals, Tanz- und Gesangsfilmen und zu den wiederaufkeimenden großen Bibel- oder Sandalenepen: CLEOPATRA, BEN HUR, WEST SIDE STORY, DIE GESCHICHTE EINER NONNE, SINGIN‘ IN THE RAIN, DIE 10 GEBOTE, DIE BIBEL.

Nun finden harte, realismus atmende Filme wie DIE FAUST IM NACKEN, TAGE DES WEINES UND DER ROSEN, DAS APPARTEMENT, DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM und eben HAIE DER GROßSTADT ihren Weg ins Kino. 
Sie greifen aktuelle Themen auf, oft in Schwarzweiß gedreht und bestimmt von klaren, realistischen Dialogen. Milieustudien und Charakterzeichnungen im Hier und Jetzt.

Die Dreharbeiten zu HAIE DER GROßSTADT dauern nur knapp sechs Wochen. Die meisten Szenen werden tatsächlich in Billiardhallen gedreht.


Zwei stoßen und eine wartet


Newman, der vor diesem Dreh noch nie einen Billiardqueue in der Hand gehalten hat, stößt alle Kugeln selbst, bis auf den Shot, in dem er zwei Kugeln auf ein Mal in der Tasche versenkt. Dieser Stoß wird vom 14-maligen Weltmeister Willie Mosconi ausgeführt. Ein schöner Zusatz hierzu: Dieser Stoß gelingt Eddie genau zwei Mal im Film - zunächst im ersten, und dann noch einmal im letzten Spiel. Filmisch sind beide Stöße derselbe Schuss, nur aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt.
Zur optimalen Vorbereitung lässt Newman bei sich zu Hause einen Billiardtisch aufbauen und trainiert wie ein Besessener, wodurch er in der Lage ist, so aufzutreten, dass ihm der Zuschauer abnimmt, ein hochtalentierter Spieler zu sein.

Jackie Gleason hingegen, der Minnesota Fats spielt, ist tatsächlich ein guter Poolspieler, so dass er alle Stöße ohne Probleme selbst durchführen kann.
Minnesota Fats Figur basiert auf dem realen Minnesota Fats, Rudolf Wanderone, Jr. Allerdings nennt er sich zu dieser Zeit noch „New York Fats“, übernimmt aber nach dem Filmstart den Namen Minnesota Fats.

Piper Laurie, die die Rolle erhält, die eigentlich Carol Rossen für sich gedacht hatte, verbringt in der Vorbereitung viele Nächte auf Bahnhöfen und in Bahnhofskneipen, um zu spüren, wie sich eine emotional Heimatlose fühlt. Sie will die Verlorenheit und Isolation spüren und begreifen. Ihr gelingt eine einzigartige und berührende Darstellung, die ihr eine Oscarnominierung einbringt.
Anschließend zieht sie sich 15 Jahre aus dem Filmbusiness zurück, um ihr Privatleben und Muttersein zu genießen. Erst 1976 kehrt sie auf die Leinwand zurück und erhält als CARRIEs wahnsinnige Mutter prompt die nächste Oscarnominierung.

Der Film löst einen wahren Billiardboom aus, jetzt will jeder Billiardspielen wie "Fast" Eddie Felson.

© 1961 Twentieth Century Fox Home Entertainment, Inc. All Rights Reserved.
Eine aufregende Besetzung ist dabei Jackie Gleason als Minnesota Fats.
Gleason ist zu jener Zeit ein Gigant in Amerika und Hollywood, nicht nur weil er ein Mentor für Frank Sinatra ist und ihm das Trinken beigebracht hat. Er ist auch einer der größten Comedians im amerikanischen Fernsehen. Der gelernte Komponist und Komiker hat mit THE JACKIE GLEASON SHOW in den Fünfzigern eine äußerst erfolgreiche Sketchshow, aus der Später die Sitcom THE HONEYMOONERS hervorgeht. THE HONEYMOONERS weist starke Parallelen zur später besonders in Deutschland erfolgreichen Sitcom KING OF QUEENS auf und wird in dieser sogar einmal in einer längeren Traumsequenz zitiert! Auch Fred Feuerstein wurde nach Gleason gestaltet, so wie DIE FAMILIE FEUERSTEIN sich generell an THE HONEYMOONERS orientiert.

Mit HAIE DER GROßSTADT wagt Gleason, der erfahrene Poolspieler, sich für eine kurze Zeit ins dramatische Fach. Im Jahr darauf spielt der ebenso erfahrene Boxer mit Anthony Quinn und Mickey Rooney im Boxerdrama DIE FAUST IM GESICHT.

Schnell kehrt er aber ins Comedyfach zurück. 1986 bekommt Gleason, übrigens der Großvater von Jason Patric, eine Rolle in der Fortsetzung DIE FARBE DES GELDES angeboten, lehnt jedoch ab. Stattdessen spielt er Tom Hanks' Vater im Film NOTHING IN COMMON - es ist Gleasons letzter Film. Und Tom Hanks erster (und vergeblicher) Versuch, sich als erfolgreicher Comedian in einem dramatischeren Film zu etablieren.

Schlechte Verlierer 


George C. Scott zeigt sich als sehr schlechter Oscarverlierer. Er bekommt den Oscar als bester Nebendarsteller in HAIE DER GROßSTADT nicht, dafür George Chakiris für seine Leistung in WEST SIDE STORY (der in diesem Jahr zehn Oscars davonträgt). Anstatt es hinzunehmen, wird er in den folgenden Jahren nicht müde zu behaupten, es wäre eine rein politische Entscheidung der Jury gewesen, keine künstlerische. 
Den Hype um Paul Newman könne er ebensowenig verstehen. Seiner Meinung nach sei das, was Newman in dem Film schauspielerisch zeigt, nichts Besonderes. Bewundernswert sei er aber ein Jahr später in der Rolle des Cowboys Hud Bannon in DER WILDESTE UNTER TAUSEND gewesen, dafür hätte er einen Oscar gewinnen müssen (Newman ist nominiert, gewinnt aber nicht).
Scott wird 1970 entschädigt, als er für seine Rolle in PATTON den Oscar als bester Hauptdarsteller mitnehmen darf.

Newman hingegen ereifert sich, dass er um den Oscar gebracht wurde, weil eine Szene, in der er eine lange und emotionale Rede im Poolraum hält, geschnitten worden sei. Dede Allen, die Cutterin des Films, hatte sich mit Rossen nach langer Diskussion mit den Worten „...die Szene bringt die Story nicht voran“ für diesen Schnitt entschieden.

Doch auch Newman erhält für seine Rolle noch eine späte Entschädigung: 1986 schlüpft er für Martins Scorseses Fortsetzung DIE FARBE DES GELDES erneut in die Figur des "Fast" Eddie Felson, diesmal 25 Jahre älter. Wieder bekommt er eine Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller. Diesmal gewinnt er und nimmt den einzigen Oscar seiner Karriere entgegen.

1 Kommentar:

  1. Paul Newman ist für mich einer der besten " Charakterköpfe " Hollywoods. Seine Aura ist überwältigend.

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