Godzilla! Wer den Namen liest, muss für gewöhnlich schmunzeln. Nach
nahezu 30 Filmen hat man schnell Bilder von Gummimonstern im Kopf, die sich in
Miniaturstädten die Birne platt hauen.
Sicherlich ist Japans größter Exportschlager mittlerweile
ein Kinderprodukt und wird auch so wahrgenommen. Das täuscht aber darüber
hinweg, dass seine Geburt das Ergebnis endlosen Leids, Schmerzes und eines der
größten Verbrechen an der Menschlichkeit zu Kriegszeiten ist. Geboren aus zwei
Atombomben, die 1945 den zweiten Weltkrieg beenden, ist GODZILLA ein düsteres
Drama, mit dem sich ein ganzes Land die Angst vor der atomaren Vernichtung aus
der Seele schrie!
- Spoilerwarnung -
Dieser Beitrag enthält Hinweise zur Handlung
Marcos Blick:
Japan – ein Land, das aus westlicher Sicht immer wieder für eine mysteriöse, rätselhafte, und undurchschaubare Kultur steht. „Der Japaner“, so scheint es, lässt sich nicht in die Karten schauen und macht seine emotionalen Zustände mit sich und in sich aus. Das ist nicht einmal falsch. Womöglich wirkt es deshalb beinahe plump, mit welcher Offenheit das japanische Kino im Jahr 1954 sein größtes Trauma verarbeitet: Die Atombombenabwürfe von Nagasaki und Hiroshima.
Wer dem Film auch nur mit einem Hauch von Aufmerksamkeit folgt, wird sofort erkennen, dass es hier nicht um ein Spektakel, ein Monster oder Abenteuer geht. GODZILLA ist eine unverhohlene Metapher auf die Atomkraft, die neun Jahre vorher ihren blutigen Einzug in unsere Welt hielt. Godzilla ist kein Monster. Es ist nicht mal eine Naturgewalt. Es ist die personifizierte Natur, eine scharfzahnige Gaia, die gegen die atomaren Untaten der Menschen zurückschlägt.
GODZILLA erzählt davon, wie atomare Tests im Pazifik zwei Erdplatten spalten, in welchen ein zwei Millionen alter Dinosaurier geruht hat. (Man sieht, wie rudimentär das paläontologische Wissen der Autoren war!) Nun mit atomaren Kräften ausgestattet, zieht das Riesenmonster eine Spur der Verwüstung die japanische Küste entlang und fällt schließlich über die Megametropole Tokio her. Die Bilder von Notlazaretten, Verwundeten und radioaktiv Verstrahlten, die der Film aufbringt, sind direkte Kopien der Bilder, die den unglaublichen Angriff der Amerikaner in Nagaski und Hiroshima hervorgerufen hat.
Endlich wieder Abenteuer
Auch der Weg auf die Leinwand war für GODZILLA nicht leicht. Dabei entstammte er dem unbedingten Wunsch der Japaner, endlich wieder große, leidenschaftliche Abenteuergeschichten zu erzählen. Die Japanische Kultur war seit jeher eine Kultur der epischen Erzählung. Nach Auffassung einiger Literaturwissenschaftler entstand der weltweit erste Roman der Welt in Japan: Das sogenannte „Genji Monogatari“, also „Die Geschichte des Prinzen Genji“ war eine romanartig niedergeschriebene Erzählung, die etwa um das Jahr 1000 verfasst wurde. Vermutlich von der Hofdame Murasaki Shikibu. Auch hier streiten die Gelehrten seit Jahrhunderten.
Die Japaner besaßen keine historischen Chronisten wie es bei uns etwa üblich war. Häufig sind erzählte Geschichten, Romane, Literatur, alles, was man an Quellen über die japanische Geschichte hat. Abenteuer und Fabeln von klugen Samurai, listigen Bäuerinnen, und immer wieder, wie im europäischen Märchen, ein alter Mann und eine alte Frau die im Wald oder an einem Berg leben. Die japanische Geschichte ist vor allem eine erzählte Geschichte, die historische Fakten mit dramaturgischen Mitteln und Magie würzt. Und für die Japaner ist das auch vollkommen in Ordnung. Das fantastische Erzählen liegt der japanischen Kultur so sehr wie kaum einer anderen.
Umso schlimmer muss es gewesen sein, in diesem Bereich beschnitten zu werden!
Der zweite Weltkrieg lief nicht gut, weshalb auf kaiserlichen Erlass nur noch Propagandafilme in die Kinos kamen: Durchhalteparolen, Siegesgewissheit und ein Hauch von „Kamikaze“ bestimmten das japanische Kino der Vierziger.
Und es wurde nach dem Krieg nicht besser. Denn jetzt war das Land von den Amerikanern besetzt. Und die waren eine äußerst unbeliebte Macht in diesem so stolzen Land. Die Amerikaner drückten den in ihren Augen rückständigen Japanern ihren Stempel auf! Sie mischten sich in Kultur und Schriftsystem ein, vereinfachten die Sprache – und duldeten nur Propagandafilme im Kino, die ihre eigene Rolle in rosiges Licht tauchten.
Erst nach dem Ende der Besatzung (und einer bis heute andauernden ausgeprägten Amerikanisierung des Landes) waren die Japaner endlich wieder selbstbestimmt in dem, was sie in die Kinos bringen wollten. Und endlich konnten sie auch die Traumata von Nagasaki und Hiroshima aufarbeiten!
Gorillawal in New York
Inspiriert wurde GODZILLA von einem tragischen Zwischenfall im Pazifik: Die Besatzung des Fischerbootes „Daigo Fukuryu Maru“ wurde am 1. März durch den amerikanischen Atomtest „Castle Bravo“ radioaktiv verstrahlt. Etwa zu der Zeit, so die Legende, saß der Produzent Tanaka Tomuyuki von der Tōhō Company in einem Flugzeug über dem Meer und fragte sich, was wäre, wenn mit einem Mal ein gigantisches Monster aus diesen Fluten auftauchen würde.
Godzilla war geboren.
Beziehungsweise „Gojira“, wie der Koloss in Japan heißt. Der Name ist ein Kofferwort aus den Begriffen „Gorira“, was Gorilla bedeutet, und “Kujira“, was Wal bedeutet. Dieser Go-jira sollte ersten Ideen zufolge eine Mischung aus einem Gorilla und einem Wal werden.
Doch ein Film verändert dieses Konzept grundlegend: PANIK IN NEW YORK ist 1953 der erste Film, in dem Ray Harryhausen allein für die Spezialeffekte verantwortlich zeichnet. Die Geschichte eines fiktiven Dinosauriers, genauer eines Rhedosaurus‘, der aufgrund von Atomtests in der Antarktis aus dem Eis erwacht und die Küste entlang eine Schneise der Verwüstung zieht, um schließlich über die Megametropole New York herzufallen, nimmt viel von GODZILLAS Geschichte vorweg. Tatsächlich könnte man Japans Monster beinahe als Remake betrachten. (Ein Gag, den Roland Emmerich in seinem GODZILLA 1998 aufgreift, in dem er einige Ausschnitte aus PANIK IN NEW YORK auf einem Fernseher laufen lässt.)
Das Problem der Tōhō Company liegt darin, dass es in japanischen Filmen so gut wie nie irgendwelche Spezialeffekte gibt und niemand im Land auch nur annähernd die Möglichkeiten besitzt, ein aufwendiges Stop-Motion Verfahren umzusetzen – darüber hinaus wäre es viel zu teuer geworden. Überhaupt sind Trickaufnahmen nichts, womit sich irgendwer in Japan besonders auskennt. Ein Effektfilm wie GODZILLA überfordert das Studio komplett. Doch man will auch keine Amerikaner an Bord holen und stemmt die Arbeit alleine.
Dabei macht man es sich zu Beginn noch besonders schwer: Anders als in den Fortsetzungen, bestehen die Stadtminiaturen hier nicht aus Pappe, sondern werden mühevoll aus kleinsten Modellteilen gefertigt. Die Storyboards sehen zunächst auch äußerst krude aus. Da das Monster noch überhaupt nicht designt wurde, zeichnet jeder Künstler Godzilla ein wenig anders.
Schließlich entscheidet man sich aber für die bis heute populäre Technik des Mannes im Gummianzug – in diesem Falle Nakajima Haruo, der als erster Darsteller Godzillas zur Legende wird und bis 1972 in dem Kostüm steckt. Heute ist diese Technik als "Suitmation" bekannt.
Der Film ist der bis dato teuerste japanische Film überhaupt und treibt die Tōhō Company beinahe in den Ruin. Denn im selben Jahr produziert das kleine Studio ein weiteres Schwergewicht des japanischen Kinos: Akira Kurosawas Meisterwerk DIE SIEBEN SAMURAI.
Wir nehmen den Film – aber sagt es keinem
Als GODZILLA schließlich in die Kinos kommt, ist er ein überragender Erfolg. Eine spaßige Anekdote erzählt, dass die Besucher des Tōhō Kinos fluchtartig den Saal verlassen, als sie auf der Leinwand sehen, wie Godzilla eben dieses Kino zerstört.
Der Film gründet gleich diverse Genres. So etwa das Tokusatsu-Genre. Damit sind effektlastige Fantasy- und Science Fiction Geschichten gemeint, die sich bis heute gerade in Japan großer Beliebtheit erfreuen und in Filme und Serien wie POWER RANGERS, GAMERA oder THE ULTRAMAN münden. Aus den einstigen Amateuren ist mittlerweile eine Nation der weltweit beachteten Profis geworden.
Auch das Kaiju-, oder genauer das Dai-Kaiju-Genre wurde mit GODZILLA begründet. Noch immer erfreut sich dieses Genre, bei dem es um Turmhohe Monster und Roboter in Neonmetropolen geht, großer Beliebtheit. So wurde etwa PACIFIC RIM im Jahr 2013 ein nicht zu unterschätzender Erfolg, wenngleich er aus Amerika kam.
Doch natürlich sind auch die Amerikaner begeistert von der Riesenechse. Weniger begeistert sind sie allerdings davon, dass es ein japanischer Film ist. Auch 1956, als der Film für den amerikanischen Markt aufbereitet wird, gelten die Japaner noch als Kriegsgegner und werden wenig geschätzt. Also versucht man, den Film amerikanisch aussehen zu lassen. Dafür schneidet man einige besonders kritische Szenen heraus, die zu tief in die japanische Kultur dringen und verpflichtet für einen Tag Raymond Burr. Dieser steht an einer Fensterattrappe, starrt besorgt zur Studiodecke hinauf, und verliest einen Text, mit dem er den Angriff des Monsters auf Tokio kommentiert. Fertig war die Illusion, dass das gute alte Hollywood den Film gedreht hatte – auch wenn alle anderen Szenen auf Japanisch mit englischen Untertiteln laufen.
In Italien bekommt der Film 1977 dank des Filmemachers Luigi Cozzi eine, mittlerweile als "COZILLA" bekannte, erfolgreiche Neuaufführung. Die stark umgeschnittene und mit brutalen Nachrichtenbildern auf 105 Minuten verlängerte Fassung der amerikanischen Version (Wer kommt noch mit?) wird coloriert und mit einem besonderen Gimmick ins Kino gebracht: Die Kinosessel sind mit einem Mechanismus ausgestattet, der sie bei jedem Schritt erzittern lässt!
Entgegen anderslautender Gerüchte sindes übrigens nicht die Amerikaner, die aus „Gojira“ Godzilla machen, um einen leichter auszusprechenden Namen zu haben. Die Idee kommt dem Auslandsvertrieb der Tōhō Company selbst, der lediglich die ursprünglichen Lesungen der Silben Go-ji-ra verwendet, was Go-dzi-la hervorbringt. Der Name „Godzilla“ findet sich bereits 1955 im englischsprachigen Katalog der Tōhō Company, ein Jahr bevor sich überhaupt ein amerikanischer Verleih interessiert.
Godzillas weltweiter Siegeszug ist nicht aufzuhalten. Trotzdem verflachen Handlung und Anspruch der Figur im Laufe der Jahrzehnte deutlich. Aus dem wütenden, alles verstrahlenden Monster wird nach und nach ein Freund der Menschen, ein Beschützer, der sie gegen andere Monster verteidigt.
Zwiespältiger Frieden mit dem Fortschritt
Auch darin lässt sich etwas erkennen, was bereits in GODZILLA angesprochen wird. Denn natürlich geht es dem Film nicht nur um die Zerstörung des Menschen durch die Atomkraft. Es geht auch darum, wie der Mensch zurückschlägt! Am Ende ist es ein Wissenschaftler, der schafft, woran die Armee scheitert! Eine gut erkennbare Parabel auf den zweiten Weltkrieg, in dem die Amerikaner militärisch den Japanern nicht das Wasser reichen können und damit die Wissenschaftler eine Lösung erzwingen müssen. Und da auch im Film die Armee gegen Godzilla machtlos ist, ist es am Ende Dr. Serizawa, der eine Lösung entwickelt: Mit einer Massenvernichtungswaffe!
Mit dem fiktiven und etwas infantilen „Sauerstoffzerstörer“ kann alles Leben in einem Flecken Ozean vernichtet werden. Dr. Serizawa weigert sich, die Waffe freizugeben. Nicht, solange er kein Gegenmittel kennt, denn zu mächtig ist diese Waffe – zu unberechenbar der Versuch, sie in die Welt zu lassen.
Es spiegelt die japanische Seele wunderbar wieder, wie hier eine Parabel auf die Erfindung der Atombombe im Manhattan-Projekt gezogen wird und die Opfer sich in die Lage der Täter versetzen. Auch in Amerika hatten die Forscher Zweifel. Doch wie anders sollten sie das Morden stoppen, als mit der Bombe?
Und so gibt auch Dr. Serizawa am Ende seinen „Sauerstoffzerstörer“ frei – und das Monster kann besiegt werden.
Das alles ist, wie gesagt, nicht sehr subtil, und doch herzzerreißend mit anzusehen. Wieviel tiefer könnte man diesem gedemütigten Volk, dem Opfer der einzigen jemals im Kriegsfall abgeworfenen Atombomben, in die Seele schauen als mit GODZILLA?
Auch wenn sich Godzilla und unsere Wahrnehmung von ihm geändert haben, auch wenn Godzilla nie wieder die rachsüchtige, mordende Verkörperung einer unmenschlichen Kriegsmaschinerie sein wird, ist und bleibt genau das seine Wurzel und sein Ursprung. Wer GODZILLA verstehen will, muss sich mit dem japanischen Trauma von 1945 auseinandersetzen. Von daher ist der Film das ideale, das menschlichste, und auf jeden Fall das größte Denkmal, das diesem dunklen Abschnitt der Geschichte gewidmet werden konnte.
Biancas Blick:
GODZILLA als Kind der Mittsiebziger zu erleben und den Film als Erwachsener erneut zu sehen ist ein gewaltiger Unterschied. Besonders, wenn man sich in der Trickwelt der 2010er Jahre bewegt und ganz andere Vergleiche heranziehen kann. Die Wandlung der Effekte hat mich neugierig gemacht und so habe ich einen der spannendsten Filme meiner Kindheit nach über zwanzig Jahren wieder gesehen, gerade auch zum Zwecke der Recherche.
Schau nicht zurück
Doch manche Dinge sollte man nicht tun. Weder zu Recherchezwecken noch aus Neugier.
Natürlich ist es ein zu Herzen gehender Film, in dem besonders die Choralsequenz, in der eine ganze Nation um die Opfer des Monsters (oder als Analogie um die Opfer der Atombomben) weint und trauert, berührend.
Genauer betrachtet hingegen ist es ein sehr schlecht gealterter Monsterfilm, in dem ein Mann im Gummianzug durch schlecht nachgebaute Kulissen stapft, stets in der Größe wechselt, und in einer Großaufnahme sogar durch nur eine beklebte Hand dargestellt wird. (Putzig wird das Ganze dann 1967, als ein Kind im Gummianzug ohne jegliche Mimik und einem fast zeichentrickähnlichem Gesicht hopsend und tapsig Godzillas Sohn spielt. Berühmt ist die Szene, in der der Kleine beim Spielen Godzilla auf den Schwanz hüpft.)
Naive wissenschaftliche Erklärungen, schlechte, emotional ungelenke Dialoge und unglaubwürdige Handlungsstränge untermauern den schlechten Eindruck zusätzlich.
Der bekannte Soundtrack des Erstlings begleitet die folgenden GODZILLA-Filme noch über Jahrzehnte und ist einer der bekanntesten Soundtracks der Filmgeschichte.
Noch heute wird Godzilla mittels eines Mannes im Gummianzug gespielt. Es ist Trash vom Feinsten und in Japan sehr beliebt. Alle 28 Godzillafilme, die seit dem Erstling in Japan entstanden sind erfreuen sich großer Publikumsströme und verzeichnen gute Erfolge. Noch heute wird Godzilla als „König aller Monster“ bezeichnet. Inzwischen wäre es in Japan undenkbar, Godzilla tricktechnisch zu modernisieren. Das überlässt man der westlichen Welt.
Und dennoch ist GODZILLA von 1954 für die gesamte Filmhistorie ein wichtiger Film, der ein ganzes Genre begründet hat, das noch heute die Kinozuschauer in seinen Bann zieht.
Erst 1957 kam der Film als deutsche Synchronisation in die Kinos, allerdings um zwölf Minuten kürzer. Einige Szenen um die Diskussion bezüglich der atomaren Kraft (und der Einsatz eines Geigerzählers, der die Opfer des Monsters als Strahlenopfer kennzeichnete) fehlen – übrigens auch in der amerikanischen Fassung.
2004 bekam Godzilla zu seinem 50. Geburtstag als bisher einziges Filmmonster der Geschichte einen Stern auf dem amerikanischen Walk of Fame.
Der bisher letzte Godzilla-Film aus Japan erschien 2006: GODZILLA – FINAL WARS, in dem Godzilla nochmal gegen sämtliche Monster kämpfen muss, die er die Jahrzehnte zuvor bereits zum Gegner hatte.
Die Produktionsfirma Tōhō ließ verlauten, dass es für mindestens zehn Jahre keinen weiteren Godzilla-Film geben wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!