Oscar. Dieser sagenumwobene Name steht für den begehrtesten
Filmpreis der Welt.
Doch was macht die Faszination dieser kleinen Goldstatuette
aus? Was ist ihr Mehrwert, und hat sie überhaupt einen? Für jeden
Filmschaffenden steht der Gewinn eines „Oscars“ als großer Traum am Horizont.
Aber nutzt der Preis seinen Gewinnern wirklich etwas? Sind es wirklich nur
„Trends“ und „Fehlentscheidungen“, die die Oscarvergabe bestimmen? Und gibt es
ihn am Ende doch, den vielgerühmten „Oscarfluch“?
Biancas Blick:
Nachdem wir letztes Mal denjenigen, die den Oscar vergeben,
unter den Rock geschaut haben (Teil 1: Hollywoods Elite-Club – Die Academy),
betrachten wir heute die Licht- und Schattenseiten, die der Preis selbst
mitbringt.
Was geschieht mit all den Stars, nachdem sie ihre Dankesrede
gehalten und von der Presse im Backstagebereich wieder entlassen wurden?
Warum eifern vor allem Schauspieler dem Oscar nach? Was
macht ihn so begehrenswert?
Der vergoldete Marktwert
Zum einen krönt der Oscar eine schauspielerisch hochwertige
Leistung. Mit dem Oscar erklären die Schauspieler der Academy einen der Ihren
zum Besten – wenigstens symbolisch und für den Moment.
Zum anderen steigert die Trophäe, ja schon eine Nominierung, den Marktwert des betroffenen Künstlers.
Zum anderen steigert die Trophäe, ja schon eine Nominierung, den Marktwert des betroffenen Künstlers.
Julia Roberts erhält beispielsweise für ihren Erstling PIZZA,
PIZZA 50.000 Dollar, zwei Jahre später, mit ihrer zweiten Oscarnominierung für PRETTY
WOMAN auf dem Konto, erhält sie 1 Million Dollar Gage! Das 20-fache!
Meryl Streep steigert ihren Marktwert nach KRAMER GEGEN
KRAMER immerhin um das Dreifache auf fast 400.000 Dollar. Inzwischen pendelt
sie zwischen 2 und 7 Millionen Euro Gage, je nach Produktion.
Den Vogel aber schießt Hilary Swank ab! Für die Low
Budget-Produktion BOYS DON'T CRY wird der fast unbekannte Fernsehstar mit 3000
Dollar entlohnt. Zwei Jahre und einen Oscar später ist es das 1000-fache!
Natürlich gibt es auch Stars, die ohne einen Oscar allein
mit Box-Office Erfolgen ihren Marktwert steigern. Reese Witherspoon streicht bereits
vor ihrem Oscar in WALK THE LINE 15 Millionen Dollar pro Film ein. Ähnliches
gilt für die noch völlig oscarunbeleckte Scarlett Johannsson. Dennoch ist der
Oscar eine gute Möglichkeit, sich künstlerisch zu beweisen und aus der
Masse herauszuragen.
Jared Leto, jahrelang abgestempelt als „Schönling“, kann mit
seiner Rolle als aidskranker Transvestit Rayon zeigen, dass er mehr kann, als
nur gut aussehen. Für ihn ist der Oscargewinn ein künstlerischer
Befreiungsschlag! Anschließend zieht er sich für drei Jahre aus dem
Filmgeschäft zurück, widmet sich humanitären Vereinen und seiner Band und kehrt
erst 2016 mit SUICIDE SQUAD auf die Leinwand zurück.
Ebenso ergeht es seinem Filmpartner Matthew McConaughey, der
jahrelang als Mr. RomCom verspottet wird, und in DALLAS BUYERS CLUB ebenfalls
einen Imagewandel hinlegt. Schon vor seinem Oscar ist er ein Star, der mehrere
Millionen Dollar pro Film einstreicht. Seit seinem Preis gilt er allerdings als
vielseitiger, dramatischer Schauspieler.
Einen ähnlich großen Wandel legt Tom Hanks hin, der in den
Achtzigern einer der erfolgreichsten Komiker Hollywoods ist und für BIG im Jahr
1989 sogar seine erste Oscarnominierung erhält. Seit Hanks 1993 und ‘94 zweimal
in Folge den Oscar als bester Hauptdarsteller einheimst, was vor ihm nur Luise Rainer, Spencer Tracy und Katherine Hepburn gelang, gilt er als einer der
stärksten Charakterdarsteller der Welt.
Sein Debüt feiert Tom Hanks 1984 in SPLASH - JUNGFRAU AM HAKEN. Schnell wird er einer der erfolgreichsten Komiker der Welt, erhält für BIG 1989 sogar seine erste Oscarnominierung. Ein Wechsel ins seriöse Fach bleibt ihm aber verwehrt. Bis er für PHILADELPHIA und FORREST GUMP zweimal in Folge mit dem Oscar ausgezeichnet wird, und zu Hollywoods führendem Charakterdarsteller aufsteigt. 5 Mal wird er als bester Hauptdarsteller nominiert, zuletzt 2001 in CAST AWAY. Quelle: Blu Ray "Philadelphia" © Sony Pictures Home Entertainment |
Das ist schon im frühen Hollywood problematisch, besonders
für Frauen. Ehemalige Stars und Oscarpreisträgerinnen wie Bette Davis oder Joan
Crawford müssen zum Ende ihrer Karriere nicht nur für sehr viel weniger Gage
arbeiten, sondern werden sogar aufgefordert, erneut Probeaufnahmen zu machen – damals
undenkbar für alteingesessene Stars!
Ich will ihn, den Rekord!
Trotzdem ist der kleine goldene Schwertträger schon damals
Objekt der Begierde. Selbst als die erste Oscar-Verleihung gerade einmal zehn
Jahre zurückliegt und die Zeremonie noch nicht mit dem heute üblichen Tam-Tam
durchgeführt wird, weiß Bette Davis genau, dass sie ihren dritten Oscar will! Schon früh gilt der Oscar als
makellose Auszeichnung des Könnens.
Davis, erhält die Trophäe 1936 für DANGEROUS und 1939 für
JEZEBEL. Letzterer ist für Davis eine Genugtuung! Sie hat die begehrte Rolle der Scarlett O’Hara
nicht bekommen, trotz intensivster Bemühungen, und nimmt stattdessen die Rolle
der Südstaaten-Schönheit Jezebel an, charakterlich ähnlich angelegt wie
Scarlett O’Hara, und wird prompt mit dem Oscar geehrt, ein Jahr vor Vivien
Leigh!
Von da an will Bette Davis ihren Rekord und als erste
Aktrice einen dritten Oscar. Neben ihr haben noch andere Stars bereits zwei
Statuetten zu Hause stehen: Luise Rainer und Spencer Tracy - beide haben sogar in Folge gewonnen. Davis bleibt nur die Hoffnung auf eine dritte Trophäe als Rekord!
Sie spielt, was das Zeug hält und erhält noch
weitere sieben Nominierungen. Trotz ihrer trashigen, aber grandiosen Leistung
in WAS GESCHAH WIRKLICH MIT BABY JANE, für die sie 1963 letztmalig
vorgeschlagen wird, bleibt ihr Traum bloß ein Traum.
Katherine Hepburn bleibt die Oscar-Queen! Vier Hauptrollen-Oscars erhält sie, bei 12 Nominierungen. Kein männlicher Kollege schafft so viele. Den letzten Oscar bekommt sie 1982 für ihre rührende Rolle in AM GOLDENEN SEE. Nur eine Frau kann Hepburns Oscar Rekord schlagen: Edith Head wird 35 Mal nominiert und ganze acht Mal ausgezeichnet! Quelle: DVD "Am Goldenen See" © Universal Pictures Home Entertainment |
Ihren dritten Oscar muss Hepburn sich noch mit Barbra
Streisand teilen (einzigartig in der Historie der Academy Awards). Bette Davis kommentiert das in der ihr eigenen Nonchalance: “Ich wollte die Erste sein, die drei Oscars erhält. Nun hat es
Mrs. Hepburn geschafft. Aber Mrs. Hepburn hat nur einen halben Oscar gewonnen. Sollten
sie mir je einen halben Oscar geben, werfe ich ihn ihnen vor die Füße! Ich bin schließlich
Widder, ich verliere nicht!“
Ebenfalls drei Oscars
erhält die schwedische Schauspielerin Ingrid Bergman, wobei ihr dritter „nur“
ein Nebenrollenoscar ist.
Mittlerweile ist, wenn auch eher unfreiwillig, Meryl Streep dem Rekord von Katherine
Hepburn dicht auf den Fersen. Was die Anzahl an Nominierungen betrifft,
hat sie Hepburns Rekord schon vor Jahren eingestellt: aktuell sind es 19!
Erhalten hat Streep die Trophäe bisher drei Mal. Mittlerweile gilt eine
Streep-Nominierung beinahe als Tradition bei den Oscars. Vielleicht sehen die
Kollegen der Academy dies einfach als Ehrung der wahrscheinlich besten
Schauspielerin ihrer Zeit.
Dass Streep die vielen Nominierungen und Preise unangenehm
sind, zeigt sie in ihrer verschmitzten Dankesrede beim Gewinn ihres dritten
Oscars 2012 für DIE EISERNE LADY: „O mein Gott, kommt schon! Na gut! Vielen,
vielen Dank. Als sie meinen Namen riefen, fühlte ich die Hälfte der Amerikaner aufstöhnen:
‚Ach nö, echt jetzt, die schon wieder?‘“
Unter den Herren der Leinwand führt Daniel Day-Lewis die
Rekordliste an, seit er für LINCOLN
als erster männlicher Schauspieler seinen dritten Hauptrollenoscar erhält. (In
seiner Dankesrede verneigt er sich galant und humorvoll vor der in diesem Jahr
nicht nominierten Meryl Streep, als er bekundet, sie hätte ihm diesen Erfolg
ermöglicht, indem sie die Rolle des Lincoln ausgeschlagen habe. Ja, die Großen
nehmen es mittlerweile mit Humor.) Ihm folgen Jack Nicholson und Walter
Brennan, die zwar auch jeder drei Oscars besitzen, darunter allerdings auch Preise als
Bester Nebendarsteller. Jack Nicholson führt bei den Herren übrigens die Liste
der meisten Nominierungen an: Er hat bisher 12!
„Oskar“ - Deutschland im Goldrausch
Einen Hauch von Nationalstolz durchweht immer dann die
deutschen Medien, wenn „einer von uns“ den Oscar erhält. Man freut sich
sogar schon für Österreicher wie Christoph Waltz oder Schweizer wie Maximilian
Schell.
Dabei liegen die Deutschen recht weit vorne in der Liste der
Länder mit Oscarpreisträgern (natürlich immer noch hinter den USA und England),
gestreut über alle Kategorien.
Emil Jannings und Luise Rainer sind zwei der deutschen
Schauspieler, die einen Oscar erhalten, Jannings als erster Schauspieler
überhaupt und Rainer sogar in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, ein Rekord, den
keine Schauspielerin bisher eingeholt hat!
Auch die deutschen Kameramänner, Drehbuchautoren,
Filmkomponisten und Regisseure werden mehrfach geehrt. Katja von Garnier,
Volker Schöndorff, Florian Henckel von Donnersmarck, Ernst Lubitsch, Franz
Wachsmann oder Hans Zimmer etwa, um nur einige zu nennen.
Der deutsche Musiker Hans Zimmer startet als Keyboarder in schwarzer Lederjacke im Video der Band The Buggles durch und besingt 1979 noch fröhlich das Ende der Radioära durch die Videos. Bald startet er als Hollywoodkomponist voll durch. Seine erste Oscarnominierung erhält er 1989 für den eingängigen Soundtrack zu RAIN MAN. Doch erst für Disneys DER KÖNIG DER LÖWEN wird er 1995 ausgezeichnet. Obwohl er einer der eingängigsten Komponisten Hollywoods ist, bleibt es sein bisher einziger Preis. Dabei wird Hans Zimmer stellenweise jährlich nominiert. Bisher ganze neun Mal! Quelle: Blu Ray "Der König der Löwen" © Walt Disney Pictures |
Erich Kästner beispielsweise (nicht verwandt!) erhält als
Chefentwickler bei Arri für die Weiterentwicklung der Arriflex 35 zwei Mal den Forschungs-
und Entwicklungs-Oscar, und darüber hinaus einen Ehrenoscar in dieser Kategorie.
Peter Denz gewinnt für seine flackerfreie Videokamera. Erich Fitz, Gründer des Technikausrüsters
Panther, erhält 1990 den Oscar für die Entwicklung des ersten
elektromechanischen Kameradollys. Zuletzt wird Johannes Saam 2014 für das Deep
Image Compositing ausgezeichnet.
Die Studentenoscars, sowie die Oscars für den Besten
Kurzfilm (etwa SCHWARZFAHRER, QUIERO SER oder SPIELZEUGLAND) und den Besten Animierten
Kurzfilm (BALANCE und QUEST), gehen sehr häufig nach Deutschland, Nominierungen sind beinahe schon Standard!
Die Auszeichnung des Besten Studentenfilms gibt es seit 1975,
und Deutschland wird immer wieder ausgezeichnet: DIE ROTE JACKE (an dem übrigens die
männliche Hälfte der Duoscope-Redaktion beteiligt war), SCHWARZFAHRER, AUSREISSER,
ABGESCHMINKT!, BALANCE oder KLEINGELD "holen das Ding nach Deutschland", um auch hier einige Werke zu nennen.
Komponist Franz Waxmann gewinnt 1951 und 1952 zweimal in
Folge, Bernhard Grzimek gewinnt 1960 für seinen Dokumentarfilm SERENGETI DARF
NICHT STERBEN. (In dieser Kategorie sind Wim Wenders und Werner Herzog
ebenfalls immer wieder in den Nominierungslisten zu finden.)
Kurz: Deutschland ist nahezu jährlich bei den Oscars vertreten!
Heißt Oscar gleich „Klassiker“?
Alle paar Jahre erscheint ein „Abräumer“ auf der Oscarbühne.
Einer jener Filme, der in fast allen wichtigen Kategorien bedacht wird und auch
die meisten, oder sogar alle Preise abräumt. Für Einzelstars erweisen sich
„gehäufte Oscars“ nur bedingt als Klassikerbasis. Aber wie ist das bei Filmen? Bringt
der Oscarregen einem Werk einen „Mehrwert“? Macht er die Filme zu Klassikern?
BEN-HUR, TITANIC, WEST SIDE STORY, DER LETZTE KAISER, AMADEUS, VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT, LAWRENCE VON ARABIEN, VOM WINDE VERWEHT, DER MIT DEM WOLF TANZT, DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS, GANDHI oder SCHINDLERS LISTE – all die großen Filme, die uns noch heute staunen lassen, begeistern und berühren, waren die großen Oscargewinner ihres Jahres. Und sie alle gewannen darüber hinaus die Königsdisziplin: Sie wurden als Bester Film ausgezeichnet.
Aber macht es einen Film wirklich „besser“ oder
nachhaltiger, wenn er mit einem Oscarreigen und als Bester Film geehrt wird?
BEN-HUR, TITANIC, WEST SIDE STORY, DER LETZTE KAISER, AMADEUS, VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT, LAWRENCE VON ARABIEN, VOM WINDE VERWEHT, DER MIT DEM WOLF TANZT, DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS, GANDHI oder SCHINDLERS LISTE – all die großen Filme, die uns noch heute staunen lassen, begeistern und berühren, waren die großen Oscargewinner ihres Jahres. Und sie alle gewannen darüber hinaus die Königsdisziplin: Sie wurden als Bester Film ausgezeichnet.
Jein.
Natürlich gibt es eine Beziehung zwischen Oscars und
Qualität. Filme, die viele Oscars einheimsen, besonders in den „großen“ Kategorien
wie Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Schnitt oder Beste Darsteller,
sind oft gelungene Gesamtpakete. Es sind Filme, die thematisch und
inszenatorisch innovativ und neuartig sind, die Maßstäbe in der Technik oder
Schauspielkunst setzen oder einfach in allen Kategorien Höchstleistungen
vollbringen.
Dennoch gibt es widersprüchliche Sieger! Und nicht alle Abräumer
sind Klassiker – SHAKESPEARE IN LOVE (7 Oscars aus 13 Nominierungen) oder CHICAGO
(6 Oscars aus 13 Nominierungen) sind nun wirklich kein Filmstoff für die
Ewigkeit. Filme wie DER ENGLISCHE PATIENT (9 Oscars aus 12 Nominierungen)
treffen den Nerv ihrer Zeit, wirken aber schnell veraltet.
Auf der anderen Seite gibt es die zeitlosen Meisterwerke, die
„Perlen“ der Filmgeschichte, die von der Academy völlig übergangen werden und sich
dennoch zu Klassikern entwickeln. Und sie sind zahlreich! NINOTSCHKA, IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN?, PSYCHO, CHINATOWN, ALIEN, BROKEBACK MOUNTAIN, WIE EIN
WILDER STIER, TAXI DRIVER oder PULP FICTION etwa, um nur eine kleine Auswahl zu
nennen. Und natürlich der König der „Oscar-Snubs“, Opfer des ihn umgebenden
politischen Kampfes: CITIZEN KANE!
Was ist er also wert, der Oscar?
Ein Oscar macht die Filme, die ihn gewinnen, weder besser
noch schlechter. Er adelt allerdings, unter Umständen, ein gelungenes
Gesamtpaket. Er „macht“ keine Klassiker, er kann sie aber kennzeichnen. Sie
zeichnen sich durch Nachhaltigkeit aus und dadurch, dass sie oft zitiert
werden.
Ein Oscar bereichert einen Film also und bietet durchaus eine
Orientierungshilfe im Bereich „Film“, aber den Kultstatus erreichen Filme durch
die Zuschauer und den Einfluss, den sie auf andere Künstler nehmen.
Ihr seid alle verdammt! – der „Oscarfluch“
Schon in der Frage, was der „Oscarfluch“ eigentlich sei,
herrscht Uneinigkeit. Für die einen ist er das Ende der Ehe oder
Beziehung, das einige Stars nach dem Gewinn des Oscars zu verkraften haben: Reese
Witherspoon, Sandra Bullock, Hillary Swank, Kate Winslet, Jean Dujardin etwa
stehen kurz nach der Dankesrede wieder solo da. Ob die Beziehungen auch ohne
den Oscargewinn gescheitert wären, sei dahingestellt.
Für die anderen ist es der Umstand, dass Oscargewinner, besonders die Schauspieler, innerhalb
weniger Jahre nach einer oscarprämierten Rolle einen Flop und/oder künstlerisch
weit unterdurchschnittlichen Film hinlegen.
So wie bei Halle Berry, die nach MONSTER‘S BALL den
bodenlosen CATWOMAN folgen lässt und sich damit mehr oder weniger ins Aus
schießt. Oder Kevin Costner, der nach DER MIT DEM WOLF TANZT in Eigenregie WATERWORLD
versenkt und mit THE POSTMAN die Post und seine Karriere ins Nirvana
befördert.
Cuba Gooding, Jr. dreht seit seinem Oscar als Bester
Nebendarsteller in JERRY MAGUIRE nur noch mittelmäßige Filme. An die Rollenauswahl
und Reputation von vorher kann er nie wieder anschließen. Whoopi Goldberg, die
zu Recht den Oscar für ihre Darstellung in GHOST – NACHRICHT VON SAM erhält,
kann ebenfalls nie wieder an alte Erfolge anknüpfen.
Nicole Kidman, gerade erst mit dem Oscar für die Beste
Falsche Nase ... äh, Beste Weibliche Hauptrolle in THE HOURS ausgezeichnet, blamiert
sich direkt mit BEWITCHED. Gwyneth Paltrow klamaukt sich kurz nach SHAKESPEARE
IN LOVE durch SCHWER VERLIEBT. Und Charlize Theron, oscarprämiert mit falschen
Zähnen in MONSTER, legt kurz darauf in AEON FLUX einen Karriere-Limbo hin. Weitere
Beispiele gibt es zuhauf.
Natürlich haut fast jeder Star mal mit einem Film daneben,
aber müssen es dann gleich solche Gurken sein?
Auch dieses Jahr könnte der Oscarfluch wieder zuschlagen!
Noch ist Julianne Moore für STILL ALICE nicht ausgezeichnet, da steht mit THE
SEVENTH SON schon die folgende, gerade in den USA abgesoffene Gurke in den
Startlöchern.
Voll hip, ey! Die „Oscartrends“
Wenn man sich die Geschichte des Oscars über die Jahrzehnte hinweg
ansieht, stellt man fest, dass deutliche Trends erkennbar sind, was
ausgezeichnete Filme betrifft.
Die 30er Jahre, das erste Jahrzehnt der Oscars, sind dabei
noch relativ frei von Trends. Von Screwball-Komödien über Musicals bis hin zu
gigantischen Schmachtfetzen findet sich hier alles, was Aufsehen erregte:
WINGS, DER GROßE ZIEGFELD, MENSCHEN IM HOTEL, ES GESCHAH IN EINER NACHT,
MEUTEREI AUF DER BOUNTY und natürlich VOM WINDE VERWEHT.
In den 40er und 50er Jahren
sind es die Dramen, in denen sich der Mensch tiefgreifenden Veränderungen
ausgesetzt sieht: REBECCA, MRS. MINIVER, DAS VERLORENE WOCHENENDE, DIE BESTEN
JAHRE UNSERES LEBENS, ALLES ÜBER EVA, DIE FAUST IM NACKEN, VERDAMMT IN ALLE
EWIGKEIT und MARTY – Menschen im Kreuzfeuer des Schicksals locken die Oscars an. (Der heute noch geliebte Klassiker IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN? erhält bei fünf Nominierungen keine einzige Trophäe. Oscarabräumer des Jahres wird DIE BESTEN JAHRE UNSERES LEBENS. Das heute kaum noch bekannte Drama über Kriegsheimkehrer trifft 1947 voll den Nerv der Academy!)
Die 60er entdecken den Gigantismus für sich. Epische
Gefühle, Geschichten und Settings – erstmals fühlt der Oscar sich dort wohl, wo
geklotzt wird. Dabei ist das Genre mehr oder weniger unerheblich: BEN-HUR , EIN
AMERIKANER IN PARIS, GIGI, aber auch WEST SIDE STORY, LAWRENCE VON ARABIEN, MY
FAIR LADY und MEINE LIEDER – MEINE TRÄUME, eben alles, was die Leinwand
sprengt, wird ausgezeichnet.
Ende der 60er Jahre beginnt der Aufstieg des „New Hollywood“:
Filme lösen sich von ihren überlensgroßen Geschichten. Jetzt sind realistische
Filme angesagt, die reduziert in Szene gesetzt sind, und zu Meilensteinen
werden: IN DER HITZE DER NACHT, ASPHALT-COWBOY, ROCKY, PATTON, FRENCH
CONNECTION, EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST, KRAMER GEGEN KRAMER oder EINE GANZ
NORMALE FAMILIE sind Filme, die den Dialog, den Außenseiter und das
Alltagsdrama in den Mittelpunkt stellen und sich dem großen Drumherum
weitestgehend entziehen.
In den 80ern schwingt das Pendel zurück ins Überlebensgroße, Epische: GANDHI, ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT, AMADEUS, JENSEITS VON AFRIKA, DER
LETZTE KAISER, RAIN MAN oder MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR. Dieser Trend hält in
den 90er Jahren weiter an, findet aber hier einen Wandel ins historisch
verbuchte, durchaus kritische Epos: DER MIT DEM WOLF TANZT, ERBARMUNGSLOS, BRAVEHEART,
FORREST GUMP, SCHINDLERS LISTE, TITANIC, DER ENGLISCHE PATIENT oder SHAKESPEARE IN LOVE verbinden große Gefühle, lange Laufzeiten und (meistens) reale, historische Geschehnisse. Wie in den
60ern vereinen in dieser Zeit auch, bisher letztmalig, einzelne Filme ganze
Mengen von Oscars auf sich.
Das bisher letzte breit ausgezeichnete Epos bleibt DIE RÜCKKEHR DES
KÖNIGS. Seither schwingt die Liebe der Academy wieder zurück ins kleinere Fach,
diesmal allerdings in die atmosphärische Milieu- oder Zeitstudie: L.A. CRASH,
THE DEPARTED, SLUMDOG MILLIONÄR, NO
COUNTRY FOR OLD MEN oder THE HURT LOCKER – kein Genre wird bevorzugt. Auffällig ist auch,
dass aktuell vor allem der kleine Independentfilm ausgezeichnet wird: THE
KING’S SPEECH, ARGO, THE ARTIST und zuletzt 12 YEARS A SLAVE sind kleine sehr
themenspezifische Filme, die geehrt werden.
Dann geben wir ihm halt den Ehrenoscar
Vermutlich kann sich niemand besser aus der Affäre ziehen
als die Academy, wenn es darum geht, Jahrzehnte der Schmähung zu vertuschen. Dafür
hat sie schließlich den Ehrenoscar!
Noch heute ist unvorstellbar, dass wegweisende, das Kino
revolutionierende Künstler wie Alfred Hitchcock, Orson Welles oder Charles
Chaplin niemals in ihrer aktiven Zeit auch nur einen einzigen Oscar erhalten haben! Auch Clint Eastwood erhält seine Academy-Liebe erst in hohem Alter und nach seinem Ehrenoscar!
Die Gründe für diese Schmähungen mögen in einem Academy Giftschrank liegen.
Wir können nur raten.
Am deutlichsten ist das Problem bei Orson Welles, der mit
CITIZEN KANE einen Meilenstein kreiert, sich allerdings für den Film mit dem
Zeitungsmogul William Randolph Hearst anlegt. Unter Hearsts Einfluss stellt sich die gesamte Filmwelt gegen Welles, auch die Academy.
Alfred Hitchcock befremdet das Publikum und die Kritiker immer
wieder mit Themen, die ihrer Zeit weit voraus sind, ebenso wie Charles
Chaplin, dem seine Affären mit minderjährigen Mädchen und seine sturen Ansichten
gegen alle zeitgenössischen Konventionen die Chancen verbauen.
Selbst cineastische Genies wie Quentin Tarantino, der mit PULP FICTION
das Erzählkino revolutioniert, wird der Oscar bisher verwehrt. Aber auch die
Oscarlosigkeit von Größen wie Richard Burton, Greta Garbo, Peter O’Toole, Robert Altman oder Donald
Sutherland, der bisher noch nicht einmal nominiert wurde, sind und bleiben
Mysterien.
Eine weitere Legende rankt sich um Leonardo DiCaprio, der seine Nicht-Nominierung für TITANIC gerüchteweise damit
kommentiert, dass ihm der Oscar egal sei. Ob er die Academy damit gegen sich
aufgebracht hat? Fest steht, dass er trotz fünf Nominierungen als Schauspieler und brillanter Leistungen
bis heute oscarlos ist. Dieses Jahr nun scheint sich das Blatt zu wenden, denn er gilt mit seiner Leistung in THE REVENANT erstmals als Topfavorit und räumte bisher alle Preise ab, die es filmisch zu holen gibt.
Eben diesen Stars wird, meist in ihren letzten Lebensjahren,
der Ehrenoscar verliehen, der einen ambivalenten Eindruck hinterlässt.
Natürlich ist er gerechtfertigt, immerhin ist das Schaffen dieser Künstler
nicht hoch genug einzuschätzen. Dennoch wünschte man sich eben auch den Mut,
ein Werk direkt auszuzeichnen, statt sich mit einem Ehrenoscar am Ende eines
Künstlerlebens aus der Affäre zu ziehen.
Der Oscar im Mittelpunkt der Welt
Es wird deutlich, welche Faszination der Oscar seit nunmehr 86 Jahren ausstrahlt. Er war der erste Filmpreis in einem Land, das den Film zu
seinem ureigensten Kulturgut machte. Der Oscar diente dem Fortschritt und der
Förderung des Films in mannigfacher Hinsicht und avancierte schnell zu einem
Faszinosum.
Als Judy Garland während der Oscarzeremonie 1955 für EIN
NEUER STERN AM HIMMEL als Beste Hauptdarstellerin nominiert ist, liegt sie im
Krankenhaus: Die Geburt ihres dritten Kindes steht an. Dessen ungeachtet
stürmen Reporter das Hospital. Jeder will das erste Bild der freudestrahlenden
Favoritin schießen, wenn sie gewinnt. Doch der Preis geht an die junge Grace
Kelly für EIN MÄDCHEN VOM LANDE. Die Überraschung ist auf allen Seiten groß.
Die Reporter knipsen nur noch Garlands enttäuschtes Gesicht, bevor sie
davonstürzen, um die Gewinnerin Kelly zu finden. Dieses Ereignis vergisst Garland bis zu ihrem
frühen Tod 1969 nicht. Es verbitterte sie zutiefst.
Auch das ist „Oscar“: Die Jagd nach dem Augenblick des
Glücks!
Aus der einst in kleinem Kreise abgehaltenen Verleihung (die erste 1929 dauert ganze fünfzehn Minuten!) ist
mittlerweile eine gigantische, dreieinhalbstündige Show geworden, die in Amerika 43
Millionen Zuschauer hat. Weltweit sind es über eine Milliarde! Oft haben alle nominierten Filme zusammen weniger Zuschauer.
Und die Beteiligten wollen dem Publikum gefallen. Die
Ehrung, als „Host“ aufzutreten gilt als Ritterschlag. Die meisten Auftritte als
Host hatte Bob Hope, der den Oscar 17 Mal präsentierte, gefolgt von Billy Crystal mit neun Auftritten. Stars planen Monate im Voraus ihr Outfit, hungern sich in ihre
Roben und feilen an ihren Reden – die übrigens nach der 5-Minuten Dankesrede
von Greer Garson 1942 zeitlich begrenzt werden. Heute sind es gerade mal 45
Sekunden, bevor die abwürgende Musik erklingt. Images werden kreiert,
untergraben und bestätigt, Werbeblocks gekauft und verkauft. Es ist eine
riesige vorhersehbare Geldmaschine der Unterhaltungsindustrie geworden.
Dabei bemüht die Academy sich um politische, aber auch um
interne Neutralität auf ihrer monströs weitreichenden Bühne. Politische Statements in den Dankesreden sind unerwünscht,
und seit 1989 heißt es statt „and the winner is...“ nur noch „and the
Oscar goes to...“. Die Oscars sollen die beste Performance ehren, kein Wettbewerb
sein. Sieger sind schließlich alle.
Und so wird die Oscarnacht zur Nacht der Nächte in
Hollywood. Dieser eine Augenblick, in dem sich alles auf die Kunst konzentriert, in
dem Stars gemacht oder gestürzt werden, in dem einige Auserwählte für einen
Moment auf dem Olymp ihrer Zunft ruhen können. In dieser Sekunde ist der Weg
dorthin meistens egal. Die Frage, ob die Academy zu alt, zu weiß oder zu
männlich ist. Ob der Preis ein Kunststück ehrt, oder ein kurzlebiges Gefühl. Ob
die Stars und Sternchen nun in den Olymp einkehren oder bald wieder das
Rampenlicht verlassen.
Der Oscar gleicht dem perfekten Schnappschuss: Für diesen
einen Moment ist alles perfekt, findet sich ein Gewinner, der alles richtig
gemacht hat. Und wie den perfekten Schnappschuss holt man, auch als
Filmkritiker, einen Oscargewinn immer wieder gerne hervor und beruft sich auf
diesen kurzen Augenblick höchster Qualität. Man mag der Wahl nicht immer zustimmen,
aber akzeptieren und würdigen muss man sie.
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