Dass man auf einem Konservatorium nicht den Spaß seines
Lebens findet, sollte einem der Name bereits sagen. Was der junge Schlagzeuger
Andrew dort allerdings durchlebt, erweist sich als eines der sehenswertesten,
straffsten und mitreißendsten Psychoduelle seit langer Zeit. WHIPLASH reißt
seine Zuschauer in die Tiefen des menschlichen Ehrgeizes, in einen packenden
Kampf um die Menschlichkeit und die bedingungslose Liebe zum Jazz.
Marcos Blick:
Als ich 2002 Curtis Hansons 8 MILE sah, habe ich den Film
dafür bewundert, wie es ihm gelang, mir innerhalb seiner recht kurzen Spielzeit
die „Regeln“ des Wettkampfes (in diesem Fall der Rap-Battles) so vertraut zu
machen, dass ich dem Finale folgen konnte wie einem spannenden Fußballfinale.
Eine ähnliche Meisterleistung gelingt Damien Chazelles Film
WHIPLASH, der sich auf die Fahne schreiben kann, eines der packendsten und
besten Finals der Filmgeschichte. Spätestens hier erhebt sich die Musik zum
Star des Films, knallen die Hauptfiguren ein letztes Mal aneinander und offenbaren
allein mit Gestik, Mimik und einer sensationellen Kamerarbeit die letzte Entwicklung
ihrer Figuren. Zehn Minuten für die Filmgeschichte!
Konservativ am Konservatorium
Der Weg dahin ist nicht weniger packend, wenngleich in ein
etwas konservatives Korsett gezwängt. WHIPLASH erzählt keine besonders smarte
Geschichte, auch keine besonders originelle. Er erzählt von dem 19jährigen
Andrew, der als Schlagzeuger am renommierten Shaffer Konservatorium in New York
angenommen wird. Dort leitet der ebenso renommierte Lehrer Fletcher die
sogenannte „Studio Band“, eine der besten Jazz-Bands des Landes. Der Lehrer
wittert in dem jungen Andrew ein herausragendes Talent, holt ihn in seine Band
– und schreckt vor keinem Mittel zurück, Andrew an seine Grenzen zu treiben.
Das Folgende hat man in seiner grundsätzlichen Konstellation
des erbitterten Schleifers und des mehr und mehr zerbrechenden Schülers schon
öfter gesehen. Schon das Filmmusical 42nd STREET nimmt sich des Topos‘ an, und
Kubricks FULL METAL JACKET gilt bis heute als Meisterwerk des Schleiferfilms.
Mit Letzterem darf WHIPLASH gerne in eine Reihe gestellt
werden, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass es hier „nur“ um Musik
geht. Allerdings spielt der Film seine Karten nahezu perfekt aus! Dem Drehbuch
gelingt es, die Liebe zur Jazzmusik derart intensiv darzustellen, dass man den
Figuren glaubt, dass ihre Welt sich nur darum dreht. So wird glaubhaft, dass
der perfekte Rhythmus, um den die Protagonisten hier ringen, zum Sinninhalt ihres
Lebens wird – der Probenraum wird zum Bootcamp der Musikwelt, das Überleben im
Jazz-Band-Wettbewerb zum Überleben überhaupt.
© Sony Pictures |
Schnitt im Probenraum-Porno
WHIPLASH inszeniert diesen Überlebens- und Willenskampf als
Kammerspiel, was einerseits seine große Stärke ist, andererseits aber auch
seine einzige nennenswerte Schwäche.
Innerhalb weniger Minuten gerät WHIPLASH zum
Probenraum-Porno! Die Szenen, in denen Schüler und Lehrer aneinandergeraten,
sind die stärksten im ganzen Film des Films, und man merkt deutlich, dass Autor
und Regisseur Damien Chazelle genau hier sein Herz hat!
Wenn Andrew und Fletcher im Probenraum aneinandergeraten
lebt und atmet WHIPLASH! Die Szenen sind großartig geschrieben. Die Darsteller
agieren in einem irrsinnigen Psychoduell, und obwohl Miles Teller als
ehrgeiziger Drummer eine herausragende Leistung abliefert, kommt er nicht an
gegen J.K. Simmons, der die Rolle des noch ehrgeizigeren Lehrers derart intensiv
und sehenswert spielt, dass es körperlich spürbar ist. Das meiste Leben haucht
diesen Szenen allerdings die Kamera-Arbeit ein, und vor allem der Schnitt, der
schlicht makellos ist. Die Kamera erweitert den engen Probenraum zur ganzen
Welt, der Schnitt harmoniert perfekt mit den Rhythmen der Musik, und fängt das
Duell der beiden Künstler ideal ein.
Tatsächlich sind diese Sequenzen derart überragend, dass
alle anderen Szenen des Films dagegen extrem abfallen. Natürlich ist einem als
Zuschauer bewusst, dass der Film zur Charakterentwicklung auch Szenen außerhalb
des Probenraums benötigt, und die Szenen erfüllen diesen Zweck gut. Dennoch erweisen
sie sich schnell als zähes Beiwerk, das man am liebsten vorspulen möchte, um
Fletcher wieder in Aktion zu erleben.
Natürlich ist hier auch Andrews Wahrnehmung wiedergegeben:
Außerhalb des Probenraums wird seine Welt trocken, zäh und trübe. Erst am
Schlagzeug wird er wirklich lebendig.
© Sony Pictures |
And all that Jazz
WHIPLASH ist ein intensives Stück Kino, das fast alles
richtig macht: Es macht den Konflikt seiner Hauptfiguren beinahe körperlich
spürbar, es reißt einen hinein in diese Welt des Konservatoriums, und in die
Schlacht, die zwei Musiker sich hier leisten. Wer darüber hinaus auch nur ein
bisschen was für Jazz erübrigen kann, findet sich in den ausgiebigen
Musikszenen zusätzlich in einen intensiven Sog gespült, der einen mitreißt,
jeden Fehler spürbar macht, und einen vor Schreck erstarren lässt.
Damien Chazelle liefert eine Liebeserklärung an den Jazz ab,
der ihm am Herzen zu liegen scheint: Bereits in seinem Erstling, dem Drama GUY
AND MADELINE ON A PARK BENCH widmet er sich leidenschaftsvoll dem Jazz.
Chazelle, dessen Inspiration für WHIPLASH sein eigener
Musiklehrer ist, vor dem er stets etwas Angst hat, hat erhebliche
Schwierigkeiten, seinen kleinen Film zu realisieren. Obwohl sein Drehbuch auf
der 2012 Black List landet, findet er keine Produktionsgelder.
Schließlich entscheidet er sich für einen cleveren Weg: Zwei
kleine Produktionsstudios geben ihm genügend Geld, wenigstens einen Teil seines
Drehbuchs zu verfilmen. Er bastelt daraus einen 18-Minütigen Kurzfilm namens
WHIPLASH, den er 2013 auf dem Sundance Festival vorführt. Die Ausschnitte
sorgen für Begeisterung! Nun endlich bekommt er genügend Geld für die
Langfassung. Das Dramatische dabei: Zwar kostet der Film nur knapp 3 Millionen
Dollar und spielt das locker wieder ein. Dennoch kann er sich damit brüsten,
dass nie zuvor ein Film mit geringerem Einspielergebnis für den Oscar als
bester Film nominiert wurde.
J.K. Simmons, der bereits in der Kurzfassung den harten
Lehrer spielt, darf die Rolle erneut verkörpern. Andrew wird aber neu besetzt,
mit Miles Teller.
© Sony Pictures |
Die Rolle seines Lebens
Für Simmons ist die Rolle des Fletcher eine Offenbarung.
Nicht nur äußerlich ähnelt dem ehemaligen Ausbilder R. Lee Ermey, der in FULL
METAL JACKET seine Rekruten bereits so grandios niedermachen konnte. Vor allem
in der herausragenden Serie OZ kann Simmons sein Talent für Arschlöcher zeigen.
Vor allem aber erhält Simmons endlich ein wenig längst
überfällige Aufmerksamkeit, denn der Kerl ist ein nimmermüder Schauspieler.
Seit er 1994 neben Kevin Spacey und Denis Leary in NO PANIC – GUTE GEISELN SIND
SELTEN debütieren durfte, ist er aus Kino und Leinwand gar nicht mehr
wegzudenken – und begeistert mit einer nahezu unbegrenzten Bandbreite.
Für den Baseballfilm AUS LIEBE ZUM SPIEL endeckt ihn Sam
Raimi, und besetzt ihn anschließend in jedem seiner Filme. So kommt Simmons an
eine der ikonischsten Rollen die man sich nur denken kann: 2002 darf er in
Raimis SPIDER-MAN den bösartigen Verleger J. Jonah Jameson spielen – ein
weiterer Beweis für Simmons Vielseitigkeit, und ein erstes Mal, dass er einer
breiten Öffentlichkeit bekannt wird.
WHIPLASH liefert ihm nun eine seiner dankbarsten Rollen: Das
Arsch mit – irgendwie – Herz. In jedem Fall darf Simmons hier in knapp 100
Minuten die gesamte Klaviatur der Gefühlswelten hoch und runter spielen, von
fürsorglich zu gerührt, eiskalt, hinterhältig, freundlich, hilfreich bis zu
brutal und sadistisch. Der Lohn, daran besteht aktuell kaum ein Zweifel, wird
der Oscar sein, für den er nominiert wird.
Dabei leistet er aber noch mehr: Er spielt den hyperdisziplinierten
Lehrer nicht nur, er verkörpert ihn auch: extreme Körperspannung,
durchtrainiert, akurater Auftritt. Simmons Spiel macht die Faszination seiner
Schüler glaubwürdig und nachvollziehbar. Trotz seiner Eskapaden, die einen als
Zuschauer zutiefst faszinieren, hasst man ihn nicht. Man möchte nicht sein
Schüler sein, aber irgendwie gelingt es ihm, dass man ihn respektiert.
© Sony Pictures |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!