23.02.14

Dallas Buyers Club (USA 2013)

Rayon sitzt auf seinem Bett. Er ist high. Ein schwerer Junkie. Und er hat AIDS. Erträgt das eigene Leid nur noch im Dämmerzustand. Sein Körper ist mit Flecken übersät, ausgemergelt, dürr, gebrochen. Er wirkt wie ein Skelett. Ein buntes Tuch schmückt seinen Kopf, die Schminke ist unbeholfen aufgetragen. Er ist schwach. Er hustet. Spuckt Blut. Sein Lebensgefährte nähert sich ihm und möchte ihn ins Krankenhaus bringen. Er hat Angst, dass Rayon stirbt. Er fleht und bittet. Rayon fürchtet, nicht aus dem Krankenhaus zurückzukehren. Er greift die Hand seines Lebensgefährten und seine Augen füllen sich mit Tränen. Dann bricht es heraus: „Ich will noch nicht sterben, ich will noch nicht sterben“. Dennoch erhebt er sich. Gestützt auf seinen Lebensgefährten wagt er sich ins Krankenhaus.
© 2014 Ascot Elite Filmverleih GmbH
- Spoilerwarnung -
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Biancas Blick: 

Ron Woodruff ist ein homophober, koksender Säufer und Frauenheld, ja, ein richtiges Arschloch im Jahr 1985. Nach einem Arbeitsunfall landet er im Krankenhaus und wird mit der Diagnose AIDS konfrontiert. Ein Todesurteil. Er bekommt das Medikament AZT verabreicht und verliert immer mehr an Lebenssubstanz, denn sein Immunsystem bricht aufgrund der immensen Nebenwirkungen zusehends zusammen. Alternative, aber noch nicht freigegebene (später als illegal bezeichnete) Medikamente werden von ihm aus Japan, Mexiko, Amsterdam und Jerusalem eingeführt und unter dem Decknamen „Dallas Buyers Club“ an andere Erkrankte verkauft. Es beginnt der Wandel vom egoistischen Macho zum Kämpfer, der sich gegen die Pharmaindustrie auflehnt und den Sterbenden zu einem selbstbestimmten Leben und einer selbstbestimmten Behandlung verhelfen will.
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Ein unverfilmbares Drehbuch?


DALLAS BUYERS CLUB basiert auf der wahren Geschichte des AIDS-Patienten Ron Woodruff, der in der 80er Jahren nicht genehmigte Medikamente von Mexiko nach Texas schmuggelt.
1992 erscheint ein langer Artikel über Woodruff in The Dallas Morning News. Drehbuchautor Craig Borton liest den Artikel und nimmt Kontakt zu Woodruff auf, unterbreitet ihm die Idee, aus seiner Geschichte ein Drehbuch zu verfassen, um sie auf die Leinwand zu bringen. Es folgen viele Stunden Interview und Borton verfasst wenigstens zehn Drehbuchfassungen. Woodruff erlebt die Beendigung der Drehbücher nicht mehr. Er stirbt Ende 1992.
Der Film soll Mitte der 90er gedreht werden, mit Dennis Hopper auf dem Regiestuhl und Woody Harrelson in der Rolle des Ron Woodruff. Jared Leto bekommt bereits zu diesem Zeitpunkt die Rolle der Rayon angeboten, liest das ihm zugesandte Script allerdings nie. Da die Finanzierung nicht gesichert werden kann, kommt das Projekt zu diesem Zeitpunkt nicht zustande.
Ende der 90er soll Marc Forster schließlich Brad Pitt in der Rolle des Woodruff inszenieren, doch aufgrund anderer Verpflichtungen kommt auch dieses Gespann nicht zusammen.
Bevor schließlich Jean-Marc Vallée und Matthew McConaughey als Regisseur und Hauptdarsteller feststehen, nehmen noch Craig Gillespie und Ryan Gosling Verhandlungen auf, denn beide sind nach LARS UND DIE FRAUEN an einem weiteren gemeinsamen Projekt interessiert. Allerdings erhalten sie nicht den Zuschlag für das Projekt.
 
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Die Vorproduktion des ergreifenden Dramas beginnt bereits in den Jahren 2008 und 2009, die tatsächlichen Dreharbeiten beginnen erst 2012 und dauern nur 25 Tage.
Da gilt das Drehbuch, welches inzwischen 20 Jahre unverfilmt von Hand zu Hand wandert, als eines der am längsten „noch unverfilmten“ Skripte Hollywoods.

Umstrittende Rollenvorbereitung


Matthew McConaughey nimmt für seine Rolle 21 Kilo ab und wiegt bei Drehbeginn nur noch 61 (!) Kilo.
Leto verliert etwas weniger Gewicht, nur 14 Kilo, landet allerdings bei einem Gesamtgewicht von nur noch 53 Kilo! Um schneller abzunehmen, hört Leto einfach auf zu essen.
McConaughey zieht sich zur Vorbereitung in sein Haus in Texas zurück und vermeidet es, soziale Kontakte zu pflegen. Er will sich sozial so ausgegrenzt fühlen wie seine Rollenfigur. Darüber hinaus entwickelt er Möglichkeiten, sich selbst zu unterhalten und zu beschäftigen, wie es auch Woodruff hat tun müssen. Zusätzlich unterwirft er sich einer strikten Diät. Diese kulminiert am Ende in einer Verschlechterung der Augen – seine Sicht lässt nach.
Diese drastische Diät der beiden Hauptdarsteller wird in der Presse vielerorts angegriffen, sicherlich nicht zu unrecht, denn gerade Leto zelebriert sein Untergewicht und twittert schockierende Bilder, auf denen er aussieht wie ein Skelett.

Auseinandersetzung mit dem Tod


Für McConaughey ist es das Schwierigste, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen und sich ihr zu stellen.
Im Film gibt es eine Stelle, in der er sich eine Pistole an den Kopf hält und kurz davor steht, sich das Leben zu nehmen. Auf die Frage, woran er in diesem Moment gedacht habe, sagt er: „Woran ich gedacht habe? An die vielen Dinge, für die ich lebe. An meinen verstorbenen Vater. An meine Kinder. Wie es wäre, sie zu verlieren.“
An einer anderen Stelle im Film verlangt er von seiner Ärztin die Aushändigung des lebensnotwendigen Medikaments, worauf sie ihm eine Selbsthilfegruppe empfiehlt. Hier fallen das erste Mal Woodruffs Worte I’m Dying, was McConaughey sehr schwer gefallen ist auszusprechen. „Wir mussten das mehrfach drehen, weil ich dieses Wort nicht über meine Lippen gebracht habe: D-Y-I-N-G. Am Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit bin ich in diesem Moment zerbrochen.“
McConaughey schreibt Tagebuch, um sich im Nachhinein an bestimmte Drehtage, Situationen oder Schwierigkeiten zu erinnern, um noch einmal rekapitulieren zu können, wie er eine Szene gemeistert hat und womit.
Unterstützend schreibt er Gedichte, um Stimmungen und die Atmosphäre einfangen zu können. An diesen Drehtagen, die ihm psychisch so zusetzen, schreibt er ein Gedicht über den Regen. „Es hatte zwei Tage lang geregnet. Und ich habe versucht zu erfassen, wie freundlich der Regen sein kann, dass er sogar dein Freund sein kann. Du verlierst den Ehrgeiz, die Ambitionen, das Streben. Die Welt fühlt sich klein an, sehr klein.“
Zu seiner Wandlung vom RomCom-Darsteller zum Charakterdarsteller gebrochener Figuren sagt er: „Ich war unfertig, ich bin noch immer unfertig. Mein Image war: Rom-Com-Guy, läuft ohne Shirt am Strand rum. Ich hatte deswegen keine Krise, aber die Marke McConaughey hatte schon eine sehr enge Definition. Also sagte ich mir: Vielleicht magst du dich ein bisschen weniger in dieser Ecke tummeln.“
McConaughey etablierte sein Image als „ernsthafter“ Schauspieler 2012 mit DER MANDANT. Nach DALLAS BUYERS CLUB folgte die Rolle des gebrochenen Polizisten Rust Cole an der Seite von Woody Harrelson in der hochgelobten Serie TRUE DETECTIVE.
2014 erhält er für seine Rolle des Ron Woodruff verdient den Oscar.

30 Seconds to Oscar


Leto, der für seine Rolle der Rayon den Oscar für die beste Nebenrolle erhält, hat den fertigen Film bis heute nicht gesehen. Es sei eine solch intensive Rolle gewesen, dass es besser sei, sie zunächst ruhen zu lassen.
Ähnlich wie McConaughey hatte Leto mit seinem Image in Hollywood zu kämpfen. Der Schönling bekam entweder in seinen Filmen ordentlich die Fresse poliert (FIGHT CLUB, PANIC ROOM, ALEXANDER) oder war trotz hevorragender schauspielerischer Leistungen gänzlich unterbewertet (REQUIEM FOR A DREAM, MR. NOBODY). Ernst genommen hat ihn, der nach ambitionierten Rollen gierte, niemand. Länger als McConaughey bastelte und versuchte er sich an einem Imagewechsel, was ihm kaum jemand zutraute. Nachdem seine Schauspielkarriere ins Stocken geriet, nahm er sich eine 5-jährige Pause und konzentrierte sich auf seine Indie-Rock-Band 30 Seconds to Mars. Hier konnte er größere Erfolge erzielen, wenngleich ihm viele Kritiker die Rolle des Rockstars bis heute nicht abnehmen.
Zudem stand er für Dokumentarfilme, Musikvideos und Werbung oft hinter der Kamera, hat Konzepte entwickelt und Regie geführt.

Nach fünf Jahren, in denen er viel über seine Zukunft als Schauspieler nachdenkt und viel Selbstvertrauen aus seinem musikalischen Erfolg ziehen kann, kommt erneut das Drehbuch für DALLAS BUYERS CLUB: „Irgendwann habe ich hineingeguckt und mich in die Rolle verliebt. Ich habe zwar fünf Jahre lang keinen Film gemacht – aber ich habe nie aufgehört, das Filmen zu lieben. Ich liebe alles, was mit dem Filmemachen zusammenhängt, so sehr, dass ich dachte, vielleicht sei ich es mir schuldig, es noch einmal zu probieren. Dallas Buyers Club war in mancher Hinsicht ein Test für mich. Aber die Gelegenheit, diese Figur zum Leben zu erwecken, war so verführerisch, dass ich nicht Nein sagen konnte.“
Er blieb, auch außerhalb der Dreharbeiten, in seiner Rolle der Rayon, bereitete sich also ebenso akribisch auf die täglich zu spielende Rolle vor, wie McConaughey es tat.

Übrigens wird der Film angegriffen, weil Fakten nicht stimmen. So soll der angeblich homophobe Ron Woodruff selbst bisexuell gewesen sein, was dem Film eine ganz andere dramtische Richtung gegeben hätte.
Darüberhinaus gab es die Figur der Rayon in der Realität gar nicht. Ebenso wenig wie die Figur der Ärztin, die im Film von Jennifer Garner verkörpert wird. Ursprünglich sollte Hilary Swank diese Rolle übernehmen, was allerdings an vertraglichen Konflikten scheiterte.

Dabei herrschte zwischen Marco und mir, obwohl wir den Film beide mochten, ein wenig Uneinigkeit, ob und in welchem Maße er dennoch ein paar erzählerische Schwächen aufweist.

Meinungsdialog:

Marco:
Mir hat der Film gut gefallen. Ich fand ihn toll gespielt. Trotzdem haben mir zwei Punkte wenig gefallen.
Ich kann Jared Letos Abmagerung noch mit der Figur vereinbaren. Ein schlanker Körper macht ihn femininer. Zudem ist er Junkie. Aber weshalb muss McConaughey so dürr sein? Er wird doch als Weiberheld gezeichnet. Und dann sitzt ihm die 34er Jeans wie eine klobige Windel am Hintern!
Außerdem bin mir unsicher, ob mir der Fokus gefällt. Wir haben zwei wunderbar tragische Figuren: den Supermacho, der sich zum Schwulenfreund wandelt, und die Transsexuelle mit tödlicher Krankheit. Auch die Nebenfiguren fand ich berührend, etwa das ältere, distinguierte Pärchen. Stattdessen konzentriert sich der Film in der zweiten Hälfte fast komplett auf die Kritik am amerikanischen Pharma-Konzept jener Zeit. Manchmal wusste ich nicht, ob der Film ein persönliches Drama oder eine Anklage der Pharmaindustrie sein will.
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Bianca:
Ich empfand den Fokus der Entwicklung zum selbstbestimmten Sterbenden (später im Kampf gegen die Pharmaindustrie) wichtig! Denn erst seine Entscheidung, selbst für die medikamentöse Behandlung zu sorgen, bringt seine Wandlung in den Vordergrund. Er glaubt ja zu Beginn, Schwule seien verabscheuungswürdig (er kommt aus dem streng republikanischen, homophoben Texas) und nur Schwule hätten AIDS. Er braucht Letos Figur, deren Kontakt zur Schwulenszene, um Medikamente zu verkaufen. Es sind zwei parallele Stränge, die sich gegenseitig in Bewegung bringen und halten, sich gegenseitig bedingen, wenn man so will. Es bleiben Figuren auf der Strecke. Besonders die von Jennifer Garner dargestellte Ärztin kommt blass daher, ohne Fundament und Background. Anderen Betroffenen (u.a. Rayons letztem Lebenspartner) bleibt eine tiefere Betrachtung ebenso versagt. Der Film konzentriert sich auf zwei Figuren, deren Verbindung und Wachsen zueinander, beginnend im Kampf um Liberalität und Selbstbestimmung.

Marco:
Zunächst treibt ihn doch sein Überlebenswille an. Von der Gefährlichkeit der Pharmamittel erfährt er doch nur aus Notwendigkeit und Zufall, als er keinen Zugriff mehr auf die Medikamente hat. Ebenso erfährt er durch Zufall, was besser hilft. Seine Zusammenarbeit mit Rayon kommt zustande, weil er Geld verdienen will. Nicht aus Nächstenliebe.
Soweit geb ich dir also recht: Die Zusammenarbeit mit Rayon wird durch die Pharmastudien erzwungen, und das fördert seine Wandlung.
Aber weshalb konzentriert sich der Film dann nicht auf die Wandlung? Weshalb muss sich die zweite Filmhälfte so auf die bösen Pharmakonzerne konzentrieren? Und darauf, dass sie Ron seine ganzen Mittelchen wegnehmen und Steine in den Weg schmeißen wollen? Da ist er doch längst geläutert.
Ich finde das interessant, frage mich aber, ob es nötig war oder ob es dem Film besser getan hätte, wenn er sich stattdessen stärker auf die Figuren konzentriert hätte.

Bianca:
Ich kann deinen Einwand nachvollziehen. Allerdings bleibe ich dabei, dass es durch Woodruffs Geschichte, die dem Film ja zugrunde liegt, notwendig war, diesen Fokus zu setzen. Denn wie er zur Ärztin sagt: Er möchte, dass sein Leben „etwas bedeutet“.
Durch den Kampf, den er führt und den Teilerfolg, den er davonträgt, wird sein Leben für ihn bedeutend.
Im Kern sind da zwei Menschen, die, wenn auch nicht gänzlich in ihren Hintergründen, so doch tiefgreifend beleuchtet und entwickelt werden. Zart. Zurückhaltend. Und mit Bedacht und Ruhe.

Marco:
Das stimmt, einen Sinn für sein restliches Leben sucht und findet er darin, den Erkrankten eine Therapie zu bieten. Das hätten sie gerne noch etwas stärker herausstellen können.
Ganz generell finde ich den Film auch gut. In dem Punkt arbeitet das Drehbuch nach meinem Empfinden aber etwas unsauber. Auch wenn ich auf hohem Niveau jammere.
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Fokus hin – Gewicht her


Der Film hat ein sehr geringes Budget, lediglich 5,5 Millionen Dollar, wahrscheinlich resultieren die nur 25 Drehtage daher. Für das Make-Up Department bleiben am Ende lediglich 250 Dollar übrig. Dennoch gibt es auch in dieser Kategorie einen Oscar! Die Statue hat übrigens einen Materialwert von 300 Dollar.
Der Film spielt ein Vielfaches seiner Produktionskosten ein und bringt McConaughey und Leto je einen Oscar.
Er ist ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben, auch mit dem Tod vor Augen.
Und er zeigt die Wandlung eines zutiefst verbitterten und einsamen Menschen zu einem Menschen mit mehr Weltoffenheit und Verständnis für das Wie und Warum.
Spannend bleibt es, zu beobachten, was die beiden Darsteller aus ihren neu angeschobenen Karrieren machen. McConaughey hat gerade Christopher Nolans heiß erwarteten INTERSTELLAR abgedreht, Jared Leto bleibt der Kamera bisher fern.

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