Jordan Belfort
telefoniert mit seinem Kompagnon, mit dem er kurz zuvor die Droge Lemmon 714
geschmissen hat, deren Wirkung aber auf sich warten lässt. Und jetzt,
plötzlich, setzt sie ein. Umso stärker. Er beginnt zu schwitzen, die Beine
knicken ihm weg. Er fällt, kann sich nicht mehr gezielt bewegen. Weder die
Beine noch die Arme. Sprechen geht auch nicht mehr. Er rollt, robbt, kriecht.
Richtung Treppe. Sind es fünf Stufen? Fünfzig Stufen? Hundert? Er rollt sie
hinab. Richtung Auto. Wie kann er es öffnen? Er hebt sein Becken und schiebt
sie unbeholfen mit den Füßen auf. Er wuchtet sich hinein und fährt los. Irgendwie.
Quelle: DVD & Blu-ray „The Wold of Wall Street” (Universal Pictures) |
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Nach dieser Szene muss Leonardo DiCaprio (Unser Porträt) zum Chiropraktiker. Der Dreh dauert einige Tage, findet für DiCaprio überwiegend auf dem Fußboden statt und belastet seine Rückenmuskulatur stark.
Um die Auswirkungen der Quaaludes exakt zu spielen, bekommt
er im Vorfeld ein detailliertes Coaching vom realen Broker Jordan Belfort,
dessen Geschichte THE WOLF OF WALL STREET erzählt.
Aus
einfachen Verhältnissen stammend und gierig nach Erfolg und Geld erlangt er in
nur wenigen Jahren mit Aktienspekulationen unfassbaren Reichtum und verliert
sich in Drogen- und Alkoholexzessen.
Wegen
Geldwäsche und Aktienbetrugs muss er ins Gefängnis, bleibt seinen Verkaufs- und
Manipulationsstrategien aber bis zuletzt treu.
Martin Scorsese inszeniert seine erste Komödie
Hollywoodlegende Martin Scorsese musste nicht lange überlegen, wem er die Hauptrolle übergibt, zumal DiCaprio selbst ihn von dem Projekt überzeugte.
DiCaprio
las Belforts Buch 2007 und erkannte sofort, wie viel Potenzial es in sich trug.
Seither hoffte er, es irgendwann filmisch umsetzen zu können.
Martin
Scorsese und Leonardo DiCaprio hatten zuvor bereits vier erfolgreiche Projekte
miteinander beendet, GANGS OF NEW YORK (2002), THE AVIATOR (2004), SHUTTER
ISLAND (2010) und das oscarprämierte
Drama THE DEPARTED (2006).
Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures) |
DiCaprio
spielt wie entfesselt seine vielleicht physischste Rolle. Selbst den
erniedrigendsten Drogenrausch spielt er grazil und pointiert. Über die Dauer
von (zugegebenermaßen sehr langen) drei Stunden schreit, sabbert, tobt,
kokst, hurt und säuft er, spielt mit den Körpern von Kleinwüchsigen Dart,
benutzt Frauen als Sexobjekte und verachtet die Oberschicht, in die er dennoch hineinstrebt.
Trotzdem bleibt sein Charakter interessant, vor allem durch DiCaprios vieldeutiges
Spiel.
Matthew
McConaughey brilliert in einem 10-Minuten-Auftritt. Seine melodisch gesummte
Einweisung an Belfort, an deren Ende ein „UUHH!“ steht, ist genau DAS Ritual,
das McConaughey durchführt, um sich zu lockern, bevor er vor die Kamera tritt.
DiCaprio überzeugte Scorsese, dieses Ritual in den Film einzubauen. Und es
entstand ein wunderbarer Kurzauftritt, der oft rezitiert werden wird.
Überhaupt
ist das Ensemble gut aufgelegt und bis in die Nebenrollen toll besetzt.
Viele
Dialoge entstehen in Improvisationen, was den
Schauspielern die Möglichkeit gibt, ihre Figuren eigenständig zu entwickeln und reifen zu lassen.
Ein oberflächlicher Machofilm?
Viele
werfen dem Film vor, er sei repetitiv und oberflächlich, eine einzige
Machoorgie.
Damit haben
sie gar nicht so unrecht. Hier stimme ich zu.
Nur darf
man hier nicht vergessen, dass Scorsese in seinen andere Epen ebenso vorgeht: Er
erzählt von durch Männer beherrschten Welten (auch CASINO und GOODFELLAS), in
denen Menschen unsagbar reich werden und sich alles kaufen können, was sie
wollen: Sex, Drogen, Autos, Häuser. Doch sicherlich tat er es bisher noch nie so konsequent wie in diesem Film.
Menschen im
näheren Umfeld bleiben (oft zu unrecht) Vertrauenspersonen, alle anderen werden
benutzt.
Frauen
werden geliebt, aber besessen.
Deshalb
wird THE WOLF OF WALL STREET oft mit GOODFELLAS, Scorseses beeindruckendem
Gangsterepos, verglichen und kann dem bei Weitem nicht standhalten.
Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures) |
Scorsese
selbst sagt über THE WOLF OF WALL STREET, dass er bewusst keine sympathischen
Figuren in Szene gesetzt habe, um der Buchvorlage treu zu bleiben. Er setzte auf
das Publikum und glaubte, dass es den Figuren folgen würde.
Das tat es. THE WOLF OF WALL STREET ist in Deutschland Scorseses erfolgreichster Film. Und der umstrittendste.
Und wo bleibt die Moral?
Angeblich feiere der Film das Verhalten der Protagonisten eher, als es
in Frage zu stellen.
Auch da
stimme ich zu und habe mich gefragt, ob – und wenn ja wie – so eine Kritik hätte aussehen können. Denn es ist an eine Vorlage gebunden, die Scorsese bewusst nicht abändern
wollte und an deren Ende Jordan Belfort relativ unbeschadet dasteht (bis auf
Scheidung und verlorenes Sorgerecht, ein kurze Haftstrafe und den Verlust einer
höheren Geldsumme), seinen Prämissen sogar gewinnbringend treu bleibt. Als er
letztlich ins Gefängnis muss, um eine 22-monatige Haftstrafe abzusitzen, hofft
der Zuschauer auf den moralischen Zeigefinger. Aber dieser bleibt aus. Belfort
lässt uns wissen, dass er sich mit dem Geld, über das er noch in Unmengen verfügt,
ein eigentlich recht angenehmes Leben dort machen kann.
Vielleicht
hätte Scorsese nach der Verhaftung ausblenden, uns an dem Comeback des Jordan
Belfort nicht teilhaben lassen sollen. Möglicherweise hätten Einblendungen
gereicht und uns als Zuschauer mehr das Gefühl gegeben, dass es am Ende doch
eine Moral gibt.
Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures) |
Hinzu
kommt, dass die Figuren, die Scorsese auf die Leinwand bringt, nie an der
gesellschaftlichen Moral scheitern, sondern nur an sich selbst, ihrer Gier und
ihrem falschen Vertrauen Freunden oder Verwandten gegenüber. Sie werden
belogen, betrogen, Freunde werden gekauft und bringen die Hauptfiguren zu Fall - zumindest in den Gangsterepen. So hält es Scorsese auch diesmal.
Möglicherweise
stören wir uns diesmal so sehr an der nur unterschwellig gezeigten Moral, weil
die Krise, die auf all das folgt, uns auch hier in Deutschland getroffen hat.
Es
folgte eine globale Finanzkatastrophe, keine rein amerikanische.
Jordan
Belfort hat seine Geschichte aufgeschrieben, beide Bücher millionenfach
verkauft und arbeitet heute als erfolgreicher Motivationscoach.
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