26.02.14

The Wolf of Wall Street (USA 2013)

Jordan Belfort telefoniert mit seinem Kompagnon, mit dem er kurz zuvor die Droge Lemmon 714 geschmissen hat, deren Wirkung aber auf sich warten lässt. Und jetzt, plötzlich, setzt sie ein. Umso stärker. Er beginnt zu schwitzen, die Beine knicken ihm weg. Er fällt, kann sich nicht mehr gezielt bewegen. Weder die Beine noch die Arme. Sprechen geht auch nicht mehr. Er rollt, robbt, kriecht. Richtung Treppe. Sind es fünf Stufen? Fünfzig Stufen? Hundert? Er rollt sie hinab. Richtung Auto. Wie kann er es öffnen? Er hebt sein Becken und schiebt sie unbeholfen mit den Füßen auf. Er wuchtet sich hinein und fährt los. Irgendwie.
Quelle: DVD & Blu-ray „The Wold of Wall Street” (Universal Pictures)
- Spoilerwarnung -
Dieser Beitrag kann Details zur Handlung enthalten

Biancas Blick:
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Nach dieser Szene muss Leonardo DiCaprio (Unser Porträt) zum Chiropraktiker. Der Dreh dauert einige Tage, findet für DiCaprio überwiegend auf dem Fußboden statt und belastet seine Rückenmuskulatur stark. Die Idee, die Fahrertür mit den Füßen zu öffnen stammt von DiCaprio selbst und wurde in Improvisationen entwickelt.

Um die Auswirkungen der Quaaludes exakt zu spielen, bekommt er im Vorfeld ein detailliertes Coaching vom realen Broker Jordan Belfort, dessen Geschichte THE WOLF OF WALL STREET erzählt.

Aus einfachen Verhältnissen stammend und gierig nach Erfolg und Geld erlangt er in nur wenigen Jahren mit Aktienspekulationen unfassbaren Reichtum und verliert sich in Drogen- und Alkoholexzessen.
Wegen Geldwäsche und Aktienbetrugs muss er ins Gefängnis, bleibt seinen Verkaufs- und Manipulationsstrategien aber bis zuletzt treu.

Martin Scorsese inszeniert seine erste Komödie


Hollywoodlegende Martin Scorsese musste nicht lange überlegen, wem er die Hauptrolle übergibt, zumal DiCaprio selbst ihn von dem Projekt überzeugte.
DiCaprio las Belforts Buch 2007 und erkannte sofort, wie viel Potenzial es in sich trug. Seither hoffte er, es irgendwann filmisch umsetzen zu können.
Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio hatten zuvor bereits vier erfolgreiche Projekte miteinander beendet, GANGS OF NEW YORK (2002), THE AVIATOR (2004), SHUTTER ISLAND (2010) und das oscarprämierte  Drama THE DEPARTED (2006).

Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures)
Diesmal wagt sich Scorsese an eine Komödie, die im Vorfeld des Bankencrashs von 2007 spielt.  Und genau da gelingt ihm ein Kunstgriff: Er überzeichnet und überspitzt die Handlung derart, dass eine direkte Kritik am Banken- und Immobiliensystem überflüssig wird. Sie ist in der Absurdität der Figuren impliziert.
DiCaprio spielt wie entfesselt seine vielleicht physischste Rolle. Selbst den erniedrigendsten Drogenrausch spielt er grazil und pointiert. Über die Dauer von (zugegebenermaßen sehr langen) drei Stunden schreit, sabbert, tobt, kokst, hurt und säuft er, spielt mit den Körpern von Kleinwüchsigen Dart, benutzt Frauen als Sexobjekte und verachtet die Oberschicht, in die er dennoch hineinstrebt. Trotzdem bleibt sein Charakter interessant, vor allem durch DiCaprios vieldeutiges Spiel.
Matthew McConaughey brilliert in einem 10-Minuten-Auftritt. Seine melodisch gesummte Einweisung an Belfort, an deren Ende ein „UUHH!“ steht, ist genau DAS Ritual, das McConaughey durchführt, um sich zu lockern, bevor er vor die Kamera tritt. DiCaprio überzeugte Scorsese, dieses Ritual in den Film einzubauen. Und es entstand ein wunderbarer Kurzauftritt, der oft rezitiert werden wird.

Überhaupt ist das Ensemble gut aufgelegt und bis in die Nebenrollen toll besetzt.

Viele Dialoge entstehen in Improvisationen, was den Schauspielern die Möglichkeit gibt, ihre Figuren eigenständig zu entwickeln und reifen zu lassen.

Ein oberflächlicher Machofilm?


Viele werfen dem Film vor, er sei repetitiv und oberflächlich, eine einzige Machoorgie.
Damit haben sie gar nicht so unrecht. Hier stimme ich zu.
Nur darf man hier nicht vergessen, dass Scorsese in seinen andere Epen ebenso vorgeht: Er erzählt von durch Männer beherrschten Welten (auch CASINO und GOODFELLAS), in denen Menschen unsagbar reich werden und sich alles kaufen können, was sie wollen: Sex, Drogen, Autos, Häuser. Doch sicherlich tat er es bisher noch nie so konsequent wie in diesem Film. 
Menschen im näheren Umfeld bleiben (oft zu unrecht) Vertrauenspersonen, alle anderen werden benutzt.
Frauen werden geliebt, aber besessen.

Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures)
Deshalb wird THE WOLF OF WALL STREET oft mit GOODFELLAS, Scorseses beeindruckendem Gangsterepos, verglichen und kann dem bei Weitem nicht standhalten.
Scorsese selbst sagt über THE WOLF OF WALL STREET, dass er bewusst keine sympathischen Figuren in Szene gesetzt habe, um der Buchvorlage treu zu bleiben. Er setzte auf das Publikum und glaubte, dass es den Figuren folgen würde.
Das tat es. THE WOLF OF WALL STREET ist in Deutschland Scorseses erfolgreichster Film. Und der umstrittendste.

Und wo bleibt die Moral?


Angeblich feiere der Film das Verhalten der Protagonisten eher, als es in Frage zu stellen.
Auch da stimme ich zu und habe mich gefragt, ob – und wenn ja wie – so eine Kritik hätte aussehen können. Denn es ist an eine Vorlage gebunden, die Scorsese bewusst nicht abändern wollte und an deren Ende Jordan Belfort relativ unbeschadet dasteht (bis auf Scheidung und verlorenes Sorgerecht, ein kurze Haftstrafe und den Verlust einer höheren Geldsumme), seinen Prämissen sogar gewinnbringend treu bleibt. Als er letztlich ins Gefängnis muss, um eine 22-monatige Haftstrafe abzusitzen, hofft der Zuschauer auf den moralischen Zeigefinger. Aber dieser bleibt aus. Belfort lässt uns wissen, dass er sich mit dem Geld, über das er noch in Unmengen verfügt, ein eigentlich recht angenehmes Leben dort machen kann.
Vielleicht hätte Scorsese nach der Verhaftung ausblenden, uns an dem Comeback des Jordan Belfort nicht teilhaben lassen sollen. Möglicherweise hätten Einblendungen gereicht und uns als Zuschauer mehr das Gefühl gegeben, dass es am Ende doch eine Moral gibt.


Quelle: DVD & Blu-ray „The Wolf of Wall Street” (Universal Pictures)
Hinzu kommt, dass die Figuren, die Scorsese auf die Leinwand bringt, nie an der gesellschaftlichen Moral scheitern, sondern nur an sich selbst, ihrer Gier und ihrem falschen Vertrauen Freunden oder Verwandten gegenüber. Sie werden belogen, betrogen, Freunde werden gekauft und bringen die Hauptfiguren zu Fall - zumindest in den Gangsterepen. So hält es Scorsese auch diesmal.
Möglicherweise stören wir uns diesmal so sehr an der nur unterschwellig gezeigten Moral, weil die Krise, die auf all das folgt, uns auch hier in Deutschland getroffen hat.
Es folgte eine globale Finanzkatastrophe, keine rein amerikanische.

Jordan Belfort hat seine Geschichte aufgeschrieben, beide Bücher millionenfach verkauft und arbeitet heute als erfolgreicher Motivationscoach.

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