24.02.14

12 Years a Slave (GB 2013)

Solomon schaut in die Ferne. Sein Blick scheint etwas zu suchen und nicht zu finden.
Dann dreht sich sein Kopf langsam in unsere Richtung und schaut uns an. Er verharrt dort.
Sekunden, Minuten und schaut uns einfach an.
Fragend? Verzweifelt? Hilflos? Anklagend?
Sind wir Voyeure seines Schicksals?
© TOBIS Film
- Spoilerwarnung - 
Dieser Beitrag kann Details zur Handlung enthalten

Biancas Blick:

Diese Szene gilt als eine der Schlüsselszenen in 12 YEARS A SLAVE, hebt sie doch die Distanz des Zuschauers auf, bindet ihn mit ein.
Dieser Moment berührt mich als Zuschauer und ist einer der stärksten und emotionalsten des Films.

Kaum ein Film wurde im Vorfeld so angepriesen und hochgelobt wie dieser.
Die Kritiken überschlugen sich in Superlativen.

Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) führt im New York des Jahres 1841 ein gut situiertes, privilegiertes Leben. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Als er Opfer von Menschenhändlern wird und als Sklave auf dem Sklavenmarkt erwacht, verändert sich sein ganzes Leben. Er durchläuft zwei Herrenhäuser, erlebt Folter und Erniedrigung, wird gezwungen, seine Bildung zu verheimlichen und zu verleugnen, bis er schließlich nach 12 Jahren mit Hilfe eines Kanadiers zu seiner Familie zurückkehrt.

Vorschusslorbeeren zu recht?


Es ist ein sehr engagiertes und wichtiges Sklavendrama, das eine bisher selten in dieser Form abgebildete Grausamkeit zeigt.
Diese aneinandergereihten Momente der Gewalt werden so routiniert in Szene gesetzt, dass sie mich seltsam kalt gelassen haben. Erst am Ende des Films, als die Gewalt in einer Auspeitschszene kulminiert, brachen auch bei mir die Tränen aus.
Aber muss man die Gewalt so inszenieren, um Emotionen hervorzurufen?
Wenn man bedenkt, dass mit Steve McQueen ein schwarzer Engländer(!) ein ur-amerikanisches Thema filmisch bearbeitet, ist es möglicherweise notwendig, dieses in der Vergangenheit weichgespülte Thema so drastisch zu zeigen. Der gleichzeitig angelaufene Film THE BUTLER zeigt gut, dass das Thema Rassendiskriminierung auch oberflächlich und wenig pointiert umgesetzt werden kann.
Demnach kann ich diese Herangehensweise nachvollziehen, wenngleich der Film für mich dadurch an Understatement verloren hat.
© TOBIS Film
Die schauspielerischen Leistungen sind allesamt hervorragend, am meisten ist sicherlich Lupita Nyong'o als Patsey hervorzuheben. Es ist ihr Kinodebut! Ihre Darstellung rührt zutiefst, mehr noch als die von Chiwetel Ejiofor, da seine Figur wenig Entwicklung zeigt.
Michael Fassbender ist wie schon in den vorangegangenen Filmen von Steve McQueen (HUNGER und SHAME) brillant und exzessiv, doch bleibt auch seine Figur wenig ausgeleuchtet.

Das Thema Menschenhandel wird zu Beginn nur angerissen, was schade ist, liefert es doch eine weitere Dimension im Thema Sklaverei.

Die undankbarste Rolle hat aber sicherlich Brad Pitt: als liberaler Kanadier hat er einen 5–Minuten–Auftritt und erst durch sein Handeln gewinnt Salomon seine Freiheit zurück, führt in wenigen Sätzen einige Grundgedanken der abolitionistischen Bewegung an.

Der Abolitionismus


Die abolitionistische Bewegung bleibt also nur kurz erwähnt, was schade ist.
Leider opfert der Film hier seine Möglichkeiten eines historischen Abrisses dem persönlichen Drama.
Northups gleichnamige Autobiografie, 1853 erschienen und mittlerweile Gemeingut, stellt nämlich neben Harriet Beecher Stowes 1852er Roman „Onkel Toms Hütte“ das erfolgreichste Buch der Abolitionismusbewegung in den amerikanischen Nordstaaten dar. Gemeinsam halfen sie enorm, die Stimmung gegen die Sklavenhaltung anzuheizen was schließlich, über Umwege, zum Bürgerkrieg führte.
Nun sind wir mittlerweile 160 Jahre weiter und der Film erzählt seine Geschichte so detailgetreu, als würde er noch immer zu einem Nordstaatler aus damaliger Zeit sprechen. Damit verschenkt er einiges an Potential. Anstatt stur und in sich geschlossen Solomons Geschichte nachzuerzählen, hätte der Film subtile Parallelen zur heutigen Zeit einbauen können. Oder er hätte die damaligen Strömungen im Abolitionismus pointierter herausarbeiten können, als historisches Zeugnis. So entsteht zwar ein packendes Drama und ein bewegendes Einzelschicksal. Ein wirklicher, möglicherweise historischer, Mehrwert für seine Zuschauer des 21. Jahrhunderts fehlt jedoch.
Zwar gibt es auch heute leider noch viele Menschen, in deren Augen Schwarzafrikaner „Untermenschen“ darstellen, und deren Ansichten mögen deutlich in der damaligen Zeit festhängen. Aber ob die Geschichte deshalb heute noch die umstürzlerische Wirkung besitzt wie 1853? Um das zu erreichen, hätte er einfach anders und moderner erzählt werden müssen. Anstatt eine Geschichte für die Menschen von 1853 zu erzählen, hätte er sich an die Menschen von 2013 wenden müssen. Die aber erreicht er nur über den Umweg der Gewaltdarstellung!

Ein insgesamt sehr gelungenes Plädoyer, das für mich dennoch deutliche Schwächen offenbart.
© TOBIS Film

Meinungsdialog:

Marco:

Es ist schade, dass ein so packender Film, mit einer so dramatischen Prämisse am Ende eigentlich nur eines zurücklässt: Bilder von Gewalt! Die ist zwar in Solomons Leben allgegenwärtig, aber eben auch im Film. Das ist schade und in meinen Augen nicht notwendig. So ist man doch nur schockiert, weil den Menschen dort soviel Gewalt angetan wird. Deshalb rührt mich Patseys Schicksal auch mehr an – ihr wird vor allem psychische Gewalt angetan, ihre Lage ist spürbar verzweifelt. Bei Solomon bleibt nur die körperliche Gewalt hängen. Im Kern geht’s ihm psychisch ja noch vergleichsweise gut.
Spannend fand ich hingegen, WIE die Gewalt inszeniert war. Obwohl die Gewalt im Film allgegenwärtig ist, gibt es nur eine blutige Szene. Die Kamera schafft es sehr schön, die Gewalt weniger als Bild, und mehr in der Vorstellung der Zuschauer stattfinden zu lassen. Klar sieht man die Schläge – die WUCHT erkennt man aber nicht an Blut, Narben und gebrochenen Knochen, sondern schlicht am Zersplittern des Prügels. Das Aufknüpfen wirkt so intensiv, weil man so deutlich die nach Halt suchenden Zehenspitzen im Schlamm gezeigt bekommt. Und selbst die Peitschszene, die ja wirklich lang ist, zeigt vor allem den Mann mit der Peitsche. Erst am Ende wird, völlig unvermittelt, und um so schockierender, die verheerende Wirkung der Peitsche in blutigen Bildern gezeigt.
Ich fand diese zwar deutliche, aber eben nur angedeutete Gewalt ein tolles Stilmittel. Kalt gelassen hat sie mich aber nicht. Sie war nur weniger eindringlich als die seelische Gewalt, die Patsey erlebt.

Bianca:

Ich hingegen empfand die Gewalt als drastisch in Szene gesetzt. Und deshalb hat es mich verwundert, dass es mich relativ unberührt gelassen hat. Vielleicht weil die Gewalt so unverhofft und schon alltäglich daherkam. Es war eben nicht ein entsetzlicher Moment, der mit schwerer Musik untermalt ist, sondern stetig inszenierte Gewalt mit einem Zimmer-Soundtrack., der angenehm dezent integriert ist.
Angedeutet ist die Gewalt nicht, denn bis auf die Vergewaltigungsszenen dauern die Gewaltszenen schmerzlich lang an und werden nicht ausgeblendet (Aschenbecherwurf, Hängen von Salomon, Hängen anderer Sklaven, Auspeitschszene, Prügel, Folter...).
Mich berühren Szenen der psychischen Qual umso mehr, deshalb habe ich auch um Patsey und der an ihr ausgeübten psychischen und physischen Gewalt weinen müssen. Als Salomon am Ende seine Familie wiedersieht und ihm, seiner Familie und mir deutlich wird, wie viel Zeit vergangen ist, trifft es unvermittelt. Qual und Schmerz zeichnen sich in den Gesichtern ab, das berührt.
Aber insgesamt war es mir zu viel Gewalt und diese wurde zu distanziert inszeniert.
Ein Kunstgriff ist es vielleicht, den direkten Blick in die blutende Wunde zu vermeiden, aber hätte ich mehr von den psychischen Konsequenzen erfahren, gespürt, wäre es für mich sicherlich berührender, griffiger gewesen.
© TOBIS Film

Arch Stanton's Grab:


The Good:

Solomon Northups tragische Geschichte wurde schon einmal verfilmt. 1984 entstand der Fernsehfilm SOLOMON NORTHUP’S ODYSSEY, in welchem Avery Brooks den verschleppten Zimmermann spielte.

The Bad:

Das Buch ist zwar seit ziemlich langer Zeit Gemeingut, unterliegt also keinen Urheberrechten mehr, wurde aber bisher nie ins Deutsche übersetzt. Nun ist die amerikanische Sklavengeschichte nicht das wichtigste Thema auf dem deutschen Buchmarkt, trotzdem wäre es eine interessante Quelle gewesen.
Allerdings hat sich nun wohl aufgrund des Filmerfolgs der Piper-Verlag der Autobiografie angenommen und veröffentlicht sie als Film Tie-in.

The Ugly:

Der Erfolg und die Diskussionen um 12 YEARS A SLAVE belegen zu gut, dass Hollywood es weiterhin kaum schafft, die eigene Geschichte würdig aufzuarbeiten. Immer wieder wird angemahnt, dass es einen Engländer brauchte, um einen „ehrlichen“ Sklavenfilm zu drehen. Nun erschien kurz vorher Quentin Tarantinos DJANGO UNCHAINED, welcher ebenfalls das Sklaventum in den Südstaaten thematisierte, wenn auch, wie für Tarantino üblich, als unrealistische Märchengeschichte, so doch deutlich und anklagend. Auch die erste Verfilmung von 1984 kam nur zustande, weil der bekannte Blaxploitation-Regisseur Gordon Parks (bekannt für SHAFT von 1971) sich darum bemühte.

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