Solomon schaut in die
Ferne. Sein Blick scheint etwas zu suchen und nicht zu finden.
Dann dreht sich sein
Kopf langsam in unsere Richtung und schaut uns an. Er verharrt dort.
Sekunden, Minuten und
schaut uns einfach an.
Fragend? Verzweifelt?
Hilflos? Anklagend?
- Spoilerwarnung -
Dieser Beitrag kann Details zur Handlung enthalten
Biancas Blick:
Diese Szene gilt als eine der Schlüsselszenen in 12 YEARS A
SLAVE, hebt sie doch die Distanz des Zuschauers auf, bindet ihn mit ein.
Dieser Moment berührt mich als Zuschauer und ist einer der
stärksten und emotionalsten des Films.
Kaum ein Film wurde im Vorfeld so angepriesen und hochgelobt
wie dieser.
Die Kritiken überschlugen sich in Superlativen.
Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) führt im New York des
Jahres 1841 ein gut situiertes, privilegiertes Leben. Er ist verheiratet und
Vater zweier Kinder. Als er Opfer von Menschenhändlern wird und als Sklave auf
dem Sklavenmarkt erwacht, verändert sich sein ganzes Leben. Er durchläuft zwei
Herrenhäuser, erlebt Folter und Erniedrigung, wird gezwungen, seine Bildung zu
verheimlichen und zu verleugnen, bis er schließlich nach 12 Jahren mit Hilfe
eines Kanadiers zu seiner Familie zurückkehrt.
Vorschusslorbeeren zu recht?
Es ist ein sehr engagiertes und wichtiges Sklavendrama, das
eine bisher selten in dieser Form abgebildete Grausamkeit zeigt.
Diese aneinandergereihten Momente der Gewalt werden so
routiniert in Szene gesetzt, dass sie mich seltsam kalt gelassen haben. Erst am
Ende des Films, als die Gewalt in einer Auspeitschszene kulminiert, brachen
auch bei mir die Tränen aus.
Aber muss man die Gewalt so inszenieren, um Emotionen
hervorzurufen?
Wenn man bedenkt, dass mit Steve McQueen ein schwarzer Engländer(!)
ein ur-amerikanisches Thema filmisch bearbeitet, ist es möglicherweise notwendig,
dieses in der Vergangenheit weichgespülte Thema so drastisch zu zeigen. Der
gleichzeitig angelaufene Film THE BUTLER zeigt gut, dass das Thema
Rassendiskriminierung auch oberflächlich und wenig pointiert umgesetzt werden
kann.
Demnach kann ich diese Herangehensweise nachvollziehen,
wenngleich der Film für mich dadurch an Understatement verloren hat.
© TOBIS Film |
Die schauspielerischen Leistungen sind allesamt hervorragend,
am meisten ist sicherlich Lupita Nyong'o als Patsey hervorzuheben. Es ist ihr Kinodebut! Ihre
Darstellung rührt zutiefst, mehr noch als die von Chiwetel Ejiofor, da
seine Figur wenig Entwicklung zeigt.
Michael Fassbender ist wie schon in den vorangegangenen
Filmen von Steve McQueen (HUNGER und SHAME) brillant und exzessiv, doch bleibt
auch seine Figur wenig ausgeleuchtet.
Das Thema Menschenhandel wird zu Beginn nur angerissen, was
schade ist, liefert es doch eine weitere Dimension im Thema Sklaverei.
Die undankbarste Rolle hat aber sicherlich Brad Pitt: als
liberaler Kanadier hat er einen 5–Minuten–Auftritt und erst durch sein Handeln
gewinnt Salomon seine Freiheit zurück, führt in wenigen Sätzen einige
Grundgedanken der abolitionistischen Bewegung an.
Der Abolitionismus
Die abolitionistische Bewegung bleibt also nur kurz erwähnt,
was schade ist.
Leider opfert der Film hier seine Möglichkeiten eines
historischen Abrisses dem persönlichen Drama.
Northups gleichnamige Autobiografie, 1853 erschienen und
mittlerweile Gemeingut, stellt nämlich neben Harriet Beecher Stowes 1852er
Roman „Onkel Toms Hütte“ das erfolgreichste Buch der Abolitionismusbewegung in
den amerikanischen Nordstaaten dar. Gemeinsam halfen sie enorm, die Stimmung
gegen die Sklavenhaltung anzuheizen was schließlich, über Umwege, zum
Bürgerkrieg führte.
Nun sind wir mittlerweile 160 Jahre weiter und der Film
erzählt seine Geschichte so detailgetreu, als würde er noch immer zu einem
Nordstaatler aus damaliger Zeit sprechen. Damit verschenkt er einiges an
Potential. Anstatt stur und in sich geschlossen Solomons Geschichte
nachzuerzählen, hätte der Film subtile Parallelen zur heutigen Zeit einbauen
können. Oder er hätte die damaligen Strömungen im Abolitionismus pointierter
herausarbeiten können, als historisches Zeugnis. So entsteht zwar ein packendes
Drama und ein bewegendes Einzelschicksal. Ein wirklicher, möglicherweise
historischer, Mehrwert für seine Zuschauer des 21. Jahrhunderts fehlt jedoch.
Zwar gibt es auch heute leider noch viele Menschen, in deren
Augen Schwarzafrikaner „Untermenschen“ darstellen, und deren Ansichten mögen
deutlich in der damaligen Zeit festhängen. Aber ob die Geschichte deshalb heute
noch die umstürzlerische Wirkung besitzt wie 1853? Um das zu erreichen, hätte
er einfach anders und moderner erzählt werden müssen. Anstatt eine Geschichte
für die Menschen von 1853 zu erzählen, hätte er sich an die Menschen von 2013
wenden müssen. Die aber erreicht er nur über den Umweg der Gewaltdarstellung!
Ein insgesamt sehr gelungenes Plädoyer, das für mich dennoch
deutliche Schwächen offenbart.
© TOBIS Film |
Meinungsdialog:
Marco:
Es ist schade, dass ein so packender Film, mit
einer so dramatischen Prämisse am Ende eigentlich nur eines zurücklässt: Bilder
von Gewalt! Die ist zwar in Solomons Leben allgegenwärtig, aber eben auch im
Film. Das ist schade und in meinen Augen nicht notwendig. So ist man doch nur
schockiert, weil den Menschen dort soviel Gewalt angetan wird. Deshalb rührt
mich Patseys Schicksal auch mehr an – ihr wird vor allem psychische Gewalt
angetan, ihre Lage ist spürbar verzweifelt. Bei Solomon bleibt nur die
körperliche Gewalt hängen. Im Kern geht’s ihm psychisch ja noch vergleichsweise
gut.
Spannend fand ich hingegen, WIE die Gewalt inszeniert war.
Obwohl die Gewalt im Film allgegenwärtig ist, gibt es nur eine blutige Szene.
Die Kamera schafft es sehr schön, die Gewalt weniger als Bild, und mehr in der
Vorstellung der Zuschauer stattfinden zu lassen. Klar sieht man die Schläge –
die WUCHT erkennt man aber nicht an Blut, Narben und gebrochenen Knochen,
sondern schlicht am Zersplittern des Prügels. Das Aufknüpfen wirkt so intensiv,
weil man so deutlich die nach Halt suchenden Zehenspitzen im Schlamm gezeigt
bekommt. Und selbst die Peitschszene, die ja wirklich lang ist, zeigt vor allem
den Mann mit der Peitsche. Erst am Ende wird, völlig unvermittelt, und um so
schockierender, die verheerende Wirkung der Peitsche in blutigen Bildern
gezeigt.
Ich fand diese zwar deutliche, aber eben nur angedeutete
Gewalt ein tolles Stilmittel. Kalt gelassen hat sie mich aber nicht. Sie war
nur weniger eindringlich als die seelische Gewalt, die Patsey erlebt.
Bianca:
Ich hingegen empfand die Gewalt als drastisch in Szene
gesetzt. Und deshalb hat es mich verwundert, dass es mich relativ unberührt
gelassen hat. Vielleicht weil die Gewalt so unverhofft und schon alltäglich
daherkam. Es war eben nicht ein entsetzlicher Moment, der mit schwerer Musik
untermalt ist, sondern stetig inszenierte Gewalt mit einem Zimmer-Soundtrack.,
der angenehm dezent integriert ist.
Angedeutet ist die Gewalt nicht, denn bis auf die
Vergewaltigungsszenen dauern die Gewaltszenen schmerzlich lang an und werden
nicht ausgeblendet (Aschenbecherwurf, Hängen von Salomon, Hängen anderer
Sklaven, Auspeitschszene, Prügel, Folter...).
Mich berühren Szenen der psychischen Qual umso mehr, deshalb
habe ich auch um Patsey und der an ihr ausgeübten psychischen und physischen
Gewalt weinen müssen. Als Salomon am Ende seine Familie wiedersieht und ihm,
seiner Familie und mir deutlich wird, wie viel Zeit vergangen ist, trifft es
unvermittelt. Qual und Schmerz zeichnen sich in den Gesichtern ab, das berührt.
Aber insgesamt war es mir zu viel Gewalt und diese wurde zu
distanziert inszeniert.
Ein Kunstgriff ist es vielleicht, den direkten Blick in die
blutende Wunde zu vermeiden, aber hätte ich mehr von den psychischen
Konsequenzen erfahren, gespürt, wäre es für mich sicherlich berührender,
griffiger gewesen.
Arch Stanton's Grab:
The Good:
Solomon Northups tragische Geschichte wurde schon einmal
verfilmt. 1984 entstand der Fernsehfilm SOLOMON NORTHUP’S ODYSSEY, in welchem
Avery Brooks den verschleppten Zimmermann spielte.
The Bad:
Das Buch ist zwar seit ziemlich langer Zeit Gemeingut,
unterliegt also keinen Urheberrechten mehr, wurde aber bisher nie ins Deutsche
übersetzt. Nun ist die amerikanische Sklavengeschichte nicht das wichtigste
Thema auf dem deutschen Buchmarkt, trotzdem wäre es eine interessante Quelle
gewesen.
Allerdings hat sich nun wohl aufgrund des Filmerfolgs der
Piper-Verlag der Autobiografie angenommen und veröffentlicht sie als Film Tie-in.
The Ugly:
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