10.09.15

... denn sie wissen nicht was sie tun (USA 1955) – Hollywood und der Generationen-Konflikt

Den diesjährigen September widmen wir James Dean und seiner Bedeutung, die - bei einem so kleinen Werk verständlich - weit über die Leinwand hinausgeht. Den Anfang macht sein vermutlich einflussreichster Kinofilm!

"Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn daselbst und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
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Biancas Blick

… DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN ist einer jener Klassiker, deren „Magie“ bereits beim etwas rätselhaften deutschen Verleihtitel beginnt. Wer den Film kennt, weiß, dass der Originaltitel REBEL WITHOUT A CAUSE den Kern der Geschichte wesentlich besser trifft. Weshalb wich man dann davon ab und nannte ihn nicht etwa „Rebell ohne Anlass“ oder noch schmissiger: „Grundloser Rebell“?
Schuld ist, wie nahezu immer in diesen Fällen, das deutsche Marketing. Als der Film im März 1956 in die deutschen Kinos kommt, meint man, dass man mit einem Bibelzitat bessere Chancen habe. Also einigt man sich – vermutlich auf das Lukas-Evangelium, Kapitel 23, Vers 34, in dem Jesus seine Peiniger vor seinem göttlichen Vater in Schutz nimmt.

Ein bisschen passt er ja auch, der deutsche Titel, denn beiden Titeln ist die scheinbare Sinnlosigkeit gemeinsam, die den gesellschaftlichen Ausbruch dreier Jugendlicher im Film bezeichnet. Sinnlosigkeit deshalb, weil die Jugendlichen Jim, Judy und „Plato“, um die es geht, objektiv betrachtet doch alles Wertvolle im Leben zu haben scheinen: Bildung, eine Familie und vor allem: Wohlstand.

Das Abbild der Jugend


1955 ist ein entscheidendes Kino-Jahr, denn Hollywood entdeckt ein neues Genre: das Jugend-Drama.
Im Zentrum dieser Entdeckung steht ein junger Schauspieler, der noch vor der Premiere des Films zu einem der größten Mythen der Filmgeschichte werden wird, und der mit seinen Rollen der verzweifelten und sich unverstanden fühlenden Jugend eine Stimme gibt wie kein Schauspieler vor ihm. 1955 starten mit JENSEITS VON EDEN und ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN die zwei Filme, die ihn unsterblich und zum Sprachrohr einer ganzen Generation werden lassen.
James Dean wird zum Inbegriff des jugendlichen und hochsensiblen Rebellen, der nur eines will: geliebt und verstanden werden.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN begleitet über 24 Stunden drei Jugendliche aus besserem Hause, zeigt ihre Lebensumstände und die Verzweiflung, die sie miteinander verbindet. Alle drei wurden in die gehobene Mittelschicht hineingeboren, werden von ihren Eltern nicht verstanden und fühlen sich im Stich gelassen oder vernachlässigt.
Jim Stark, dargestellt von James Dean, versucht alles, um sich an seiner neuen Schule zu integrieren und Freunde zu finden. Sein Vater ist in Jims Augen kein „richtiger Mann“ – niemals bezieht er Stellung, er putzt, in Schürze, das Haus und lässt sich herumschubsen. Jim fehlt, nach eigener Ansicht, die Orientierung, eine Identifikationsfigur. Um sich einer Gruppe „Halbstarker“ anzuschließen (von denen ein immer wieder auftauchendes Mitglied von Dennis Hopper in seinem Kinodebüt gespielt wird!), nimmt er sogar an einem „Hasenfußrennen“ teil, bei dem derjenige verliert, der als erster aus dem Auto springt, das er auf einen tiefen Abgrund zusteuert.
Es kommt gezwungenermaßen zu einem Unglück und Jim, Judy, ein Mädchen aus der Gang, das sich für Jim interessiert, sowie der sensible „Plato“, der Jim ebenfalls anhimmelt, flüchten in eine leerstehende Villa in den Hügeln vor der Stadt. Ihnen auf den Fersen sind die Polizei und Mitglieder der Gang. In der Villa spielen die drei für kurze Zeit „Heile Familie“, bevor sie aufgespürt werden, und die Nacht einen verhängnisvollen Verlauf nimmt.
Die Zuschauer werden Teil dieser Gemeinschaft dreier Jugendlicher und beginnen, die Jugendlichen und ihr Leid zu verstehen und das Lebensgefühl ihrer Elterngeneration in Frage zu stellen.
Ein Jugenddrama mit Generationenkonflikt der ersten Stunde.

Erste Gehversuche


Natürlich ist ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN nicht das erste Jugenddrama, das auf die Leinwand kommt.
Bereits zwanzig Jahre zuvor erscheinen erste Filme, die die Belange von Jugendlichen in den Vordergrund rücken.

1932 etwa spielt Spencer Tracey in YOUNG AMERICA einen Apotheker, in dessen Drugstore eingebrochen wird. Doch statt den Jugendlichen Täter anzuzeigen, stellt er sich auf dessen Seite, da eine Besserungsanstalt die Kriminalitätsbereitschaft womöglich nur verstärken würde.
 In YOUNG AMERICA bleibt die Betrachtung allerdings noch auf einen einzelnen Jugendlichen gerichtet – zwar detailliert und nachvollziehbar, aber noch findet sich hier kein Plädoyer für eine ganze Generation. Auch die Kritik am Gesellschaftssystem und dessen Umgang mit jugendlichen Straftätern bleibt rudimentär.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
1938 zeigt BOYS TOWN die (wahre) Geschichte von Vater Flanagan, einem Priester, der 1917 in Nebraska ein Heim für obdachlose und verwahrloste Jugendliche errichtet und die Belange dieser Gruppe in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Mickey Rooney und, erneut, Spencer Tracey brillieren in diesem Drama um gewaltgefährdete Jugendliche, die verstanden und geliebt werden wollen. Wieder steht die Frage im Vordergrund, wie mit gewaltbereiten Jugendlichen umzugehen ist, peripher wird die Frage nach dem „Warum“ immerhin angerissen. Die Frage nach der Verantwortung wird hierbei etwas weiter ausgeführt, denn die Frage, wer sich den Jugendlichen annimmt, wie er es tut, und wie sie resozialisiert werden können, bildet einen der zentralen Punkte des Dramas.
BOYS TOWN ist in seiner Bedeutung als Versuch eines differenzierten Jugenddramas nicht wegzudenken.

In DER WILDE terrorisiert 1953 schließlich Marlon Brando eine Kleinstadt mit seiner Motorradgang. Hier positioniert sich erstmals eine Gruppe „Halbstarker“ gegen rivalisierende Jugendgruppen und die Obrigkeit. Marlon Brando wird mit Lederjacke und auf dem Motorrad sitzend zum Inbegriff des aufbegehrenden Jugendlichen und zum klaren Vorbild einer Generation.
Der Konflikt entbrennt dabei unter den Jugendbanden, die Polizei gerät hier nur zufällig zwischen die Fronten.
Der Film bringt aber eine neue Projektionsfläche auf, die in den folgenden Jahren Amerikas Jugendkultur erobern wird: Die Halbstarken!

Wie entsteht ein Klassiker?


1944 erscheint das Buch “Rebel Without a Cause: The Hypnoanalysis of a Criminal Psychopath” von Robert M. Lindner. Zwar behandelt das Buch das Thema Jugendkriminalität und deren Ursachen, hat aber außer der groben Thematik nichts mit dem gleichnamigen Film zu tun.
Warner Bros. kauft die Filmrechte schon kurz nach Erscheinen des Buches, dreht aber nur eine fünfminütige Szene mit dem damaligen Superstar Marlon Brando. Anschließend liegt der Film jahrelang brach. Man bekommt das Thema nicht sauber in den Griff.

Stewart Stern schreibt 1954 für Regisseur Nicholas Ray ein Drehbuch und flechtet darin eigene Erfahrungen aus seiner Jugend ein. Und er geht einen konsequenten Schritt weiter, denn er beleuchtet den Konflikt der Jugendlichen und ihrer Elterngeneration noch differenzierter.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
Der Film ist zunächst als B-Movie geplant und wird in Schwarzweiß gedreht. Nach Meinung des Studios sind die Belange der Jugendlichen „in Wirklichkeit“ ganz anders. Warner Bros. hat wenig Vertrauen in das Projekt.
Doch bei Sichtung der ersten Muster erkennt Jack Warner das Starpotential von James Dean, dessen erster Film JENSEITS VON EDEN gerade angelaufen ist und bereits lange Warteschlangen vor den Kinos entstehen lässt. Er ordnet einen Neudreh in Cinemascope an, also in Farbe. Das Drama landet plötzlich ganz oben auf der Prioritätenliste. Der Rest ist Geschichte.
... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN wird einer der erfolgreichsten Filme der 50er Jahre und bis heute einer der bedeutendsten Filme überhaupt – ein enorm wichtiges Zeitdokument und Gesellschaftsporträt des Amerikas der 50er Jahre – stetig verbunden mit dem Namen James Dean.

Woher all die Wut?


Der Film und seine Geschichte treffen einen Nerv, und die Jugend direkt ins Zentrum ihrer Hilflosigkeit. Aber wie kann das sein, wo doch die Figuren vermeintlich alles haben, vor allem Wohlstand?
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich in den USA (wie auch in anderen Teilen der Welt) eine breite gehobene Mittelschicht, die reich genug ist, ihren Kindern eigene Autos und Motorräder zu spendieren, die infolgedessen als Statussymbole der Jugendlichen fungieren. Ebenso sind die Eltern dieser Familien reich genug, sich Liebe und Respekt zu erkaufen, neue Standards zu setzen und sich ihrer Verantwortung somit stetig zu entziehen.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
Hin und hergerissen zwischen der Abscheu vor den Eltern, die durch den Krieg reich geworden sind, und sei es nur durch den wirtschaftlichen Aufschwung, der folgte, oder die einfach reich geblieben sind, weil sie sich den Folgen des Krieges erfolgreich entziehen konnten auf der einen Seite und dem Wunsch, Anerkennung bei Gleichaltrigen zu finden auf der anderen, formieren sich die orientierungslosen Jugendlichen zur Gruppe der sogenannten „Halbstarken“.

Noch keine Männer oder Frauen, doch auch keine Kinder mehr, sondern ein Entwicklungsschritt dazwischen, versuchen sie in gesellschaftsunkonformem Verhaltensweisen die Aufmerksamkeit der Elterngeneration auf sich zu lenken. Trinken, Prügeln, Vandalismus und laut dröhnende Motorräder oder Autos, Zeichen von emotionaler Hilflosigkeit, bringen die Eltern hingegen zur Verzweiflung.
Zwei unverstandene Fronten prallen aufeinander und sorgen weltweit für Aufsehen und Schlagzeilen.

Was ist 1955 neu?


In diesem Umfeld nun erscheint ...DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN und versucht erstmals, die Belange und Gefühle der Jugendlichen verständnisvoll in den Vordergrund zu rücken, die Elterngeneration hingegen kritisch zu hinterfragen. Nie zuvor hat sich jemand so für die Jugend eingesetzt.
In Nicholas Rays Werk sind die drei Jugendlichen Jim, Judy und Plato nicht per se kriminell, sondern lediglich unverstandene, nach Vorbildern und Liebe suchende junge Menschen, die in einer sie nicht auffangenden Welt Orientierung suchen.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
Der Film ist dabei bemüht, die volle Bandbreite möglicher Probleme zu erfassen:
Jim sucht nach einer Identifikationsfigur, er möchte nach dem Vorbild eines Vaters leben und sein eigenes danach gestalten. Doch Jims Vater hängt im Joch seiner Frau (hier bemerkt man deutlich die patriarchalischen 50er Jahre und die damit verbundenen gesellschaftlichen Rollen – der Mann ist schwach, da er sich der Frau unterordnet) und agiert nicht als verantwortungsvoller Vater, der sich für seinen Sohn gegen seine Frau durchsetzt. So begehrt Jim in seinem Verhalten immer mehr gegen die Schwäche seines Vaters auf und macht durch Trunkenheit und Gewalttätigkeit auf sich aufmerksam. Seine Eltern wollen den dahinterliegenden Grund nicht sehen (oder können es schlichtweg nicht) und ziehen stattdessen immer wieder mit ihrem Sohn um oder versuchen, ihn durch teure Geschenke ruhigzustellen. Orientierungslos und ohne Identifikationsfläche spiegelt Deans Figur die Haltung vieler Jugendlicher der damaligen Zeit wider.

Judy ist gerade 16 Jahre alt geworden, kein Mädchen mehr, aber auch noch nicht ganz Frau. Sie eckt ihrerseits stets bei ihrem Vater an, der mit der Halbwüchsigkeit seiner attraktiven Tochter nicht umgehen kann und die körperlichen Liebesbekundungen und Streicheleinheiten, die sie noch wenige Monate zuvor erhielt, komplett streicht. Vielleicht aus Angst, vielleicht aus Unbehagen – in jedem Fall ist ihm die erwachsende Weiblichkeit seiner Tochter zutiefst unangenehm. Judy hingegen fühlt sich ungeliebt und verlassen und möchte ihrerseits auf sich aufmerksam machen: sie schließt sich der Gruppe um „Buzz“ an, dem Anführer einer gewaltbereiten Gang, die randalieren, zerstören und einfach vor Nichts und Niemandem Respekt haben. Hier wird sie wahrgenommen und fühlt sich integriert.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
Plato ist ein schmächtiger Junge, der Jim anhimmelt, denn Jim ist der Einzige, der sich mit ihm auseinandersetzt. Eine homosexuelle Neigung wird zwar angedeutet aber nicht weiter ausgeführt. Ein als „Pin-up“ dienendes Bild des Schauspielers Alan Ladd in Platos Spind musste aufgrund des Hays Codes hier reichen. (Eine bereits gedrehte „Kussszene“ zwischen Jim und Plato wird aus dem fertigen Film vor Veröffentlichung noch entfernt.) Jim verkörpert die von Plato so begehrte Vater- und Identifikationsfigur. Sein eigener Vater hat die Familie verlassen, seine „Liebe“ beshränkt sich auf monatliche Unterhaltschecks, und seine Mutter überlässt ihn der Obhut einer Kinderfrau, während sie selbst nahezu dauerhaft von zu Hause fort ist und das Leben befreit von allen Verpflichtungen anderswo verbringt. Er richtet seinen Frust gegen Familien aus dem Tierreich, so erschießt er etwa Hundewelpen – die Erklärung bleibt rudimentär.

Ins Gedächtnis gebrannt


... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN wartet mit großartigen Innovationen und Kniffen auf, die 1955 geradezu revolutionär sind.

Allein die gesamte Eingangssequenz auf der Polizeistation lohnt ein genaues Hinschauen. Denn erst im Verlauf des Films wird deutlich, wie gut sie die Hauptcharaktere, ihre Belange und Verwicklungen einführt. Alle drei Protagonisten befinden sich zeitgleich auf dem Revier, kennen sich aber nicht. Sie sind aufgegriffen worden, weil sie herumgestreunt sind, Tiere erschossen oder sich schlicht betrunken haben. Der Kniff dabei ist, dass sie hier noch völlig aneinander vorbei agieren, sich gegenseitig quasi nur „aus dem Augenwinkel“ wahrnehmen, und auch nur wenig Interesse für den anderen aufbringen – sie sind noch viel zu sehr auf sich selbst konzentriert. Die Kamera wandert gekonnt von einem Verhörzimmer zum nächsten und wieder zurück und erst zum Finale des Films erkennt man, dass hier bereits die Leben der drei Jugendlichen aufgegriffen wird, deren Schicksal sich in den nächsten gut 24 Stunden so eng miteinander verweben wird.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
James Dean zeichnet mit Jim einen zutiefst sensiblen und hochverletzlichen Jungen, dem schon in den ersten Szenen Tränen der Wut und Verzweiflung über das Gesicht strömen. Die Kombination eines coolen Jugendlichen, immerhin der „Held“ des Films und Identifikationsfigur der Zuschauer, und einer Figur, die weint und leidet ist völlig neuartig. Erstmals zeigt ein junger männlicher Schauspieler diese Bandbreite innerhalb einer so kurzen Sequenz wie der auf dem Revier.

Deans Blue Jeans, sein weißes T-Shirt und die knallrote Jacke entwickeln sich zu einem regelrechten Markenzeichen unter Jugendlichen. Sein Outfit wird der Verkaufsschlager der 50er Jahre. Ein Zeichen der Zugehörigkeit und Verbundenheit. Das ikonische Outfit wird zu Beginn des letzten Drittels geradezu nebenbei eingeführt und bleibt doch stark im Gedächtnis haften. Zwar gab es schon vorher Filmkostüme, die sich zu Verkaufsschlagern entwickelten (etwa Elizabeth Taylors weiße Robe, die Edith Head für EIN PLATZ AN DER SONNE entwirft), aber noch nie gelang das mit einem männlichen Kostüm. Bis 1955!
Besonders die rote Jacke hielt sich auf Jahre in den Schaufenstern der Herrenausstatter.

Während die Kampf- und Rebellionsszenen der Jugendlichen untereinander heute eher trivial und angestaubt wirken, sind die Momente zwischen Jim, Plato, Judy und ihren Familien noch heute zutiefst beeindruckend. Mit nur wenigen Strichen wird die Distanz zwischen den Generationen deutlich, die verfahrene Situation zweier verhärteter Fronten, die sich nicht aufeinander zubewegen können. Erstmals portraitiert ein Film hier die Eltern nicht als die Personen, die alles wissen, die über Allmacht verfügen oder wenigstens das letzte Wort. Hier sieht man die Eltern verständnislos, unfähig, mit den Veränderungen zurecht zu kommen, überfordert und in ihren alten Mustern festgefahren. Die Sympathien – und am Ende auch die Kompetenz! – liegen in diesem Film eindeutig auf Seiten der rebellischen Jugend. Ein Novum!
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
Die Schlusssequenz, in der Jim, Plato und Judy in eine alte Villa flüchten (die für den Film SUNSET BOULEVARD von Billy Wilder errichtet worden war) berührt noch heute. Denn in diesem Moment des gegenseitigen Verständnisses werden die wütenden Halbstarken wieder zu kleinen Kindern, spielen Fangen, Verstecken und ja, „Famile“. Wunderbar eingefangene Szenen, und bis heute bestechend. Gerade im Kontrast zur Reviersequenz am Anfang geradezu genial!

Übrigens: In der allerletzten Szene des Films sieht man noch einen Reporter auf das Planetarium zugehen. Dies ist ein Cameo-Auftritt des Regisseurs Nicholas Ray.

Tod eines Idols – Geburt eines Mythos'


Zusammen mit JENSEITS VON EDEN legt James Dean hier den Grundstein für eine Legende, die bis heute fortwährt. GIGANTEN wird 1956 sein dritter und letzter Film und festigt seinen Ruf als „Stimme der Jugend und Rebellion“.
1955 gilt James Dean zusammen mit Marlon Brando als der perfekte Vertreter einer orientierungslosen und unglücklichen Generation. Montgomery Clift, der dieses Bild bereits Ende der 40er bietet, ist zu diesem Zeitpunkt bereits schwer alkoholabhängig und kann niemandem mehr als Vorbild dienen.

Mit JENSEITS VON EDEN realisiert Elia Kazan ebenfalls ein frühes Jugenddrama und entdeckt den bereits erprobten Theaterschauspieler Dean für den Film. Und schon in seinem Erstling zeigt Dean unter Kazan seine beste Performance und heimst zu Recht eine Oscarnominierung als Bester Hauptdarsteller ein (verliert aber gegen Ernest Borgnine als MARTY).
Innerhalb von nur anderthalb Jahren dreht Dean drei große Filme, die allesamt zu den Klassikern Hollywoods zählen: JENSEITS VON EDEN, ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN und GIGANTEN.
Noch während des Drehs zu GIGANTEN verunglückt Dean tödlich bei einem Autounfall. Die Filme ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN und GIGANTEN kommen erst nach seinem Tod in die Kinos und hinterlassen verzweifelte Jugendliche, die nicht begreifen, dass ihr Idol, ihre „Stimme“, bereits tot sein soll.

Es dauert nur wenige Monate, bis sich der „Mythos James Dean“ festigt. So intensiv spiegelt er sein Publikum von der Leinwand wider.

Die Beziehung zu Marlon Brando ist dabei vermutlich etwas mehr als nur Zufall. Brando ist seinerzeit eher genervt von Dean. Beide sind Vertreter der noch immer neuen Method Acting Technik (genau wie Clift), und Dean sucht immer wieder Kontakt zu Brando, den er als sein großes Vorbild begreift. Brando sieht in Dean hingegen vor allem einen Nachahmer seines eigenen Spiels. Und nicht ganz unberechtigt. In seiner Autobiografie findet Brando klare Worte: „Ich weiß, es kann schwer für ein problembeladenes Kind wie James Dean sein, dem plötzlichen Ruhm und dem ganzen Trubel gerecht zu werden, die Hollywood um ihn herum hochgezogen hat. Ich hab das bei Marylin Monroe miterlebt, und ich kannte es auch aus eigener Erfahrung. Mit dem Versuch, mich zu imitieren, glaube ich, wollte Jimmy nur einen Weg finden, mit seiner Unsicherheit klar zu kommen, aber ich sagte ihm, das sei ein Fehler.”
Doch als er GIGANTEN sieht, ist auch er zutiefst beeindruckt und bescheinigt Dean, am Ende seinen eigenen Stil gefunden und seine beste Leistung abgegeben zu haben.

Abgesang und Auferstehung


Obwohl … DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN ein enormer Erfolg wird, auch und gerade für die Schauspieler, wird keiner von ihnen glücklich.

James Dean stirbt kurz nach dem Dreh 24-jährig bei einem Autounfall. Natalie Wood, die sich mit ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN als „erwachsene“ Schauspielerin empfiehlt und im Anschluss mit WEST SIDE STORY, DER SCHWARZE FALKE und FIEBER IM BLUT in den 60ern zu einem der größten Stars Hollywoods avanciert, stirbt 1981 mit gerade einmal 43 Jahren bei einem Bootsausflug mit ihrem Mann Robert Wagner (mit dem sie bereits das zweite Mal verheiratet ist). Bis heute ist unklar, was genau in jener Nacht auf dem Meer geschah. Ist sie angetrunken ins Wasser gefallen und ertrunken? War es Mord, Selbstmord, oder ein anderer Unfall?

Sal Mineo, der Plato spielt, stirbt mit nur 37 Jahren. Nach ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN hat er kleine Auftritte in GIGANTEN, EXODUS, CHEYENNE und DIE GRÖßTE GESCHICHTE ALLER ZEITEN, dann wird es ruhiger um ihn. Er outet sich 1972 offen als bisexuell. 1976 hat er mit der Darstellung eines schwulen Einbrechers in der Theaterkomödie P.S. Your Cat Is Dead einen so großen Erfolg, dass das Stück mit ihm verfilmt werden soll. Doch kurz vorher wird Mineo von einem Räuber auf dem Heimweg erstochen. Auch dieser Fall ist nicht eindeutig geklärt.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN ist bis heute einer der am häufigsten zitierten Filme, deren Szenen und Einstellungen tief ins kollektive Gedächtnis eingedrungen sind.
1991 dreht Paula Abdul ihr Musikvideo zu „Rush, Rush“ nach Motiven des Filmklassikers. Der Song beherrscht monatelang die internationalen Charts und sofort ist der Film wieder in aller Munde. Statt James Dean und Natalie Wood spielen Paula Abdul und Keanu Reeves die Hauptcharaktere. Eine wunderbare Liebeserklärung an einen Klassiker! Tom Petty verballhornt den Titel in einer Textzeile seines Charthits „Into the Great Wide Open“ hingegen zu „Rebel without a clue“.

Die Nachkommen und das Coming-Of-Age-Drama


Jugenddramen haben seit … DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN einen stetigen Aufschwung erlebt.
1960 folgt mit DIE HALBSTARKEN das deutsche Pendant zum amerikanischen Original und Karin Baal und Horst Buchholz avancieren zu deutschen Topstars. Das Bild, das der Film zeichnet, wird in den folgenden Jahren zum festen Topos der 50er und 60er Jahre im Hollywoodkino, die Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen und ihren Eltern rückt dabei aber immer stärker in den Hintergrund.

Erst in den 80er Jahren erlebt die Thematik ein Comeback.
STAND BY ME und THE OUTSIDERS beispielsweise nehmen deutliche Anleihen an das Jugenddrama von 1955. Orientierungslose Jugendliche, oft aus zerrüttetem Familien oder unsicheren Verhältnissen, die nach Liebe und Verständnis suchen, finden sich zusammen, um eine brisante Situation zu bewältigen, um daraus zu wachsen, und sich weiterzuentwickeln.
Der Unterschied hierbei ist, dass es sich nicht, wie 1955, vordergründig um einen Generationenkonflikt handelt, sondern dass die Perspektive sich immer stärker auf die Jugendlichen konzentriert und so das Coming-Of-Age-Drama zu seinen Glanzzeiten führt.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video
James Dean selbst sagte nicht viel zu ... DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN. Einmal jedoch fasst er die Belange des Films treffend zusammen:
Ich denke, die eine Sache, die dieser Film zeigt, und die völlig neu ist, ist die psychologische Unverhältnismäßigkeit dessen, was die Kinder von ihren Eltern verlangen. Klar, die Eltern machen viel falsch, aber auch die Kinder haben eine Menge Arbeit in der gemeinsamen Beziehung zu leisten.” 

Und Roger Ebert, der wohl bekannteste Filmkritiker Amerikas, fügt 2005 hinzu:
“Aufgrund der Art, wie etwas Seltsames, beinahe Unheimliches ganz knapp unter der Oberfläche der melodramatischen Geschichte zu brodeln scheint, aufgrund der Sonderbarkeit von Deans manieriertem Spiel und Mineos narzisstischem Selbstmitleid, aufgrund der Ahnungslosigkeit des Vaters des Helden, aufgrund all dieser offensichtlichen Makel ruft … DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN ein viel größeres Interesse hervor, als wenn er sauberer und kantenfreier inszeniert worden wäre. Man spürt eine Energie, die versucht empor zu brechen, Gefühle, unbeobachtet, aber drängend.”

In jedem Fall ist … DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN bis heute ein Klassiker. Nicht nur, weil er das Bild einer Generation prägt, und mit James Dean einen möglicherweise unsterblichen Mythos schuf, sondern weil die psychologische Tiefe des Films bis heute beeindruckt. Und um so mehr, je bewusster man sich macht, in welcher Zeit er gedreht wurde.
Quelle: DVD "...denn sie wissen nicht was sie tun" © Warner Home Video

1 Kommentar:

  1. Ich persönlich finde den Film hoffnungslos überbewertet. Dean spielt mit einer unheimlichen Präsenz, aber ist doch reichlich zu alt für seine Rolle. Mineo hat seine Momente, überspielt jedoch, wie Wood viel zu häufig. Wie schon erwähnt wirkt einiges auch ziemlich abgestaubt und unlogisch. Auch in den 50ern hat sich kein Mensch 10 Minuten nachdem Tod des Partners, der neuen Liebe hingegeben. Das Dean durch diesen Film zur Ikone wurde ist nachvollziehbar, das der Film zum Klassiker wurde hingegen nicht.

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