02.06.15

Porträt: Angelina Jolie – Hollywoods getriebene Diva wird 40

Nachwuchsstar, Sexsymbol, Junkie, Skandalqueen, Ehebrecherin, Actionstar, Oscargewinnerin, Matriarchin, Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin, Produzentin, Stilikone, Sonderbotschafterin und leuchtendes Vorbild für den Feminismus – in einem Alter, in dem andere Schauspielerinnen allmählich in der Versenkung verschwinden, beginnt Angelina Jolie, sich mehr und mehr zu festigen.
Mittlerweile gilt Jolie als eine der mächtigsten Frauen Hollywoods, als eine der wenigen kompletten Allrounderinnen des Kinos, und könnte sich als eine der größten Hoffnungen erweisen, die Stellung der Frauen im männlich beherrschten Hollywood dauerhaft zu festigen.
Angelina Jolie ist eine der letzten großen Diven unserer Zeit.
Quelle: Blu Ray "Der fremde Sohn" © Universal Pictures Home Entertainment

Biancas Blick:

Angelina Jolie selbst sagt von sich einmal: „Ich fühle mich getrieben. Egal wie viel ich tue, ich habe immer das Gefühl, ich müsse noch mehr schaffen.“ Einer der Gründe dafür ist womöglich der lange Leidensweg ihrer Mutter, der Jolie die Kürze und Bedeutung des Lebens klar macht.
Dabei braucht sie lange, um ihren eigenen Platz im Leben zu finden, und die ersten Jahre sind nicht nur holperig, sondern geradezu stürmisch. Lange glaubt niemand, dass aus dem wilden, unbändigen Starlett jemals mehr werden könne als irgendeine tragische Schlagzeile in den Gazetten. Doch Jolie wird – mit Talent und beiden Beinen fest im Leben – alle Spötter und alle Fans überraschen.

Das Schauspiel-Gen im Blut


Jolie wird am 4. Juni 1975 in Los Angeles geboren und hatte vermutlich nie eine andere Wahl, als Schauspielerin zu werden.
Ihr Vater ist der Schauspieler Jon Voight, der mit ASPHALT COWBOY und CATCH 22 einer der berühmtesten Vertreter des „New Hollywood“ war und bis heute gut im Geschäft ist.
Jolies Mutter, Marcia Lynne „Marcheline“ Bertrand, war ebenfalls Schauspielerin, lernte im Lee Strasberg Institute, schaffte es aber nie, sich zu etablieren und gab ihre Karriere später zu Gunsten der Kinder auf.
Jon Voight und Marcheline Bertrand lassen sich 1978 nach nur sieben Jahren scheiden. Voight soll Bertrand mehrfach betrogen haben. Angelina Jolies Verhältnis zu ihrem Vater ist seitdem nachhaltig gestört. Jahrelang meidet sie den Kontakt, zu sehr schmerzen sie die Verletzungen, die ihr Vater ihrer Mutter zugefügt hat. Sie weigert sich auch, sich mit dem erfolgreichen Namen „Voight“ leichteren Zutritt zu Hollywood zu verschaffen und beschränkt ihren Namen auf das „Jolie“ (deutsch: hübsch).
Quelle: DVD "Hackers" © MGM Home Entertainment
Erst auf Drängen ihres dritten Ehemanns Brad Pitt lässt sich Jolie nach dem Tod ihrer Mutter zu einer Versöhnung mit ihrem Vater überreden.
Der Tod ihrer Mutter – sie stirbt 2007 an Eierstock- und Brustkrebs – und der damit einhergehende Kampf ums Überleben prägen Angelina Jolie zutiefst. Die Erfahrung wird sie später zu drastischen Schritten verleiten und eine Diskussion über Selbstbestimmung hervorrufen, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat.


Gegen die Wand und durch sie hindurch


Jolie distanziert sich schnell von der Annahme, dass ihr Vater und sein Oscar für SIE KEHREN HEIM sie zur Schauspielerei gebracht hätten. Es sei ihre Mutter gewesen, die Angelina Jolie und ihren Bruder regelmäßig mit ins Kino nahm.
Als ihre Mutter nach Los Angeles zieht und Jolie dort die Grundschule besucht, muss sie sich oft für ihre wohlhabende Herkunft rechtfertigen. Jolie beginnt, bestimmte Verhaltensweisen zu entwickeln, die sie noch jahrelang verfolgen werden: Sie geht in den Angriff – gegen andere und gegen sich selbst. Sie kauft sich Second-Hand-Klamotten, um ein Statement zu setzen und beginnt darüber hinaus, sich selbst zu verletzen. Später sagt sie zu jener Phase: „Ich sammelte Messer und hatte immer bestimmte Dinge um mich. Aus irgendeinem Grund war das Ritual, mich selbst zu schneiden und die Schmerzen zu spüren, vielleicht sich lebendig zu fühlen und ein Gefühl der Befreiung zu verspüren, irgendwie therapeutisch für mich.“

Nach der Highschool beginnt Jolie, am Lee Strasberg Institute zu lernen und verschreibt sich dem Method Acting. Sie wirkt in kleineren Bühnenproduktionen mit und arbeitet als Modell.
Als sie den Fernsehfilm GIA angeboten bekommt, zweifelt Jolie aufgrund der Rolle stark.
Sie kennt sich selbst zu gut und erkennt die Gefahr, sich bei ihrem Method Acting in der Rolle des drogenabhängigen Modells Gia zu verlieren. Sie fürchtet, selbst in den Abgrund zu stürzen, denn Jolie tut alles, was sie macht, mit vollem Einsatz, bringt sich immer voll und ganz, mit Herz und Seele, ein. Das zeichnet sie künstlerisch zwar aus, gefährdet sie aber auch für lange Zeit.

Die Kinoelfen sterben aus


1993 beginnt die Filmkarriere der Angelina Jolie, zunächst mit zwei kleinen Kurzfilmen. In CYBORG 2, WITHOUT EVIDENCE und vor allem dem seinerzeit extrem populären Cyberthriller HACKERS spielt sie jeweils größere Rollen, schafft es auch dank ihres Aussehens aufs Cover, und macht sich so einen ersten Namen. Vor allem die sinnliche Schönheit der knapp Zwanzigjährigen bleibt in Erinnerung.

Bei den Dreharbeiten für HACKERS lernt Jolie auch den Briten Jonny Lee Miller kennen und meint, in ihm eine verwandte Seele gefunden zu haben. Die beiden heiraten, und es sagt viel über die junge Angelina Jolie aus, dass sie bei der Heirat schwarze Lederhosen trägt und ein weißes T-Shirt, auf dessen Rückseite sie mit ihrem eigenen Blut Jonnys Namen geschrieben hat.
Quelle: DVD "Hackers" © MGM Home Entertainment
Doch die Ehe scheitert nach drei Jahren. Sie muss scheitern, denn Jolie ist auf der Suche nach etwas, von dem sie selbst nicht genau weiß, was es ist, und das Lee Miller ihr nicht geben kann.

Dafür nimmt ihre Karriere langsam Fahrt auf. Nach FOXFIRE, LIEBE UND ANDERE... und PLAYING GOD spielt sie in dem Fernsehfilm WALLACE und heimst einen Golden Globe ein. Mit ihrer fantastischen Darstellung in GIA – PREIS DER SCHÖNHEIT, den sie trotz aller Selbstzweifel dreht, wiederholt sie das Kunststück ein Jahr später. Nun kann Hollywood nicht mehr wegschauen – denn Jolie, unangepasst und provozierend wie sie sich gibt, ist vor allem eins: Eine unglaublich talentierte Schauspielerin, die in ihren Rollen alles gibt und bis zur Selbstaufgabe spielt. Und sie beherrscht die Klaviatur von Drama über Komödien bis zu Action.

Endlich kommen die großen Rollen: LEBEN UND LIEBEN IN L.A., DER KNOCHENJÄGER und natürlich ihr erster künstlerischer Durchbruch in DURCHGEKNALLT.
Dieser ist die beinahe perfekte Verkörperung des Paradigmenwechsels in Hollywood: Jolies Partnerin, die Produzentin und (eigentliche) Hauptdarstellerin Winona Ryder, der gigantische Star der späten 80er und 90er Jahre, kommt mit ihrer zarten, elfenhaften Darstellung nicht gegen die kraftvoll, drastisch und überragend aufspielende Jolie an.
Jolie spielt die vom Wahnsinn getriebene „Irre“ eindrucksvoll und schafft es, ihrer im Kern unsympathischen und gefährlichen Figur am Ende Herz und Verzweiflung angedeihen zu lassen. Die Zeit der Elfen in Hollywood ist vorbei. DURCHGEKNALLT wird Ryders letzte große Rolle, Jolie hingegen erhält zu Recht den Oscar und endlich die goldene Eintrittskarte nach Hollywood. Und sie tauscht sie gegen einen Testosteron-Rausch ein!
Quelle: DVD "Durchgeknallt - Girl, interrupted" © Sony Pictures Home Entertainment

Auf die Action, fertig los...


Jolie nutzt ihre hart erarbeitete Anerkennung, um sich als Actionstar zu etablieren.

Zunächst testet sie sich bei Action-Superproduzent Jerry Bruckheimer aus und tritt in dem Nicolas Cage-Vehikel NUR 60 SEKUNDEN auf. Doch mit ihrem nächsten Film wird sie endgültig zum Superstar, verkörpert sie, die stets von den Männern für ihren Blick und ihre sinnlichen Lippen bewunderte Schauspielerin, eine der ersten großen weiblichen Videospiele-Starlets: Lara Croft! In TOMB RAIDER bietet sie dem Publikum, vor allem dem männlichen, gleich den doppelten feuchten Traum und schafft mit Bravour, was kaum einer für möglich gehalten hätte: Sie kreiert einen weiblichen Actionhelden, sexy und stark, selbstbestimmt, brutal und dennoch menschlich. Sie trainiert für diese Rolle hart, denn Lara Croft muss sich vor allem glaubhaft in Stunts und Actionsequenzen zur Wehr setzen.
Zu Beginn des neuen Jahrtausend ist Angelina Jolie der Star Hollywoods, noch dazu der einzig weibliche, der nicht auf Liebeskomödien oder junge Geliebte abonniert ist, sondern sich auf Augenhöhe mit den Männern messen lassen darf, sowohl auf der Leinwand als auch dahinter.
Quelle: Blu Ray "Lara Croft: Tomb Raider" © Concorde Video
Nur privat strauchelt sie weiter. Während sie mit TOMB RAIDER die Welt erobert, ist sie in zweiter Ehe mit Billy Bob Thornton verheiratet, doch sie wiederholt den Fehler ihrer ersten Ehe. Thornton ist ein ähnlich Getriebener wie sie selbst, und das Paar wird zum gefundenen Fressen der Gazetten. Jeder der beiden trägt einen Anhänger um den Hals, in dem er einen Tropfen Blut des anderen aufbewahrt, und ihr ganzes Leben wird in all seiner Extremität äußerst offen ausgetragen: Wilde Sexgeschichten, wilder Drogenkonsum, ein wildes Partyleben. Jolie und Thornton leben das, was 90er Filme wie TRUE ROMANCE oder NATURAL BORN KILLERS immer als wildes freies Leben propagiert haben. Gemeinsam probieren beide alles aus, jagen auf der Überholspur des Lebens dahin und geradewegs auf eine Mauer zu.

Von der Selbstzerfleischung zur Selbstfindung


Jolie wird in der Öffentlichkeit wegen ihrer wilden Unangepasstheit, die weit über jedes „Girlietum“ der 90er Jahre hinausgeht, äußerst kritisch beäugt: Angelina Jolie – das ist die Unersättliche, die mit ihren Filmpartnern Affären beginnt, die Verrückte, die bei der Oscarverleihung ihren Bruder hingebungsvoll und deutlich zu erotisch küsst, die Wahnsinnige, die das Blut ihres Ehemannes um den Hals trägt oder mit Blut bekritzelte T-Shirts ihr Eigen nennt. Sie ist die unangenehme, die unangepasste Action-Frau, die in Filmen Männer verdrischt und so gar nicht weiblich-verletzlich auftreten mag.
Frauen lehnen sie ab, Männer hingegen fühlen sich zu dieser Frau, die sich stets so stark und selbstbestimmt gibt, enorm hingezogen. Angelina Jolie ist attraktiv, sinnlich, und nimmt sich, was sie will – ohne Rücksicht auf Verluste. So scheint es zumindest.
Quelle: Blu Ray "Lara Croft: Tomb Raider" © Concorde Video
Allerdings bringt ihr der Dreh zu TOMB RAIDER auch persönliche Erleuchtung, und sie macht eine Erfahrung, die ihr Leben grundlegend verändern wird. Der Film wird zu großen Teilen im bitterarmen Kambodscha gedreht, wo Jolie am Rande des Sets mit den Ärmsten der Armen konfrontiert wird. Ähnlich wie Jahrzehnte zuvor Audrey Hepburn bei ihrem Dreh zu GESCHICHTE EINER NONNE in Afrika, ist Jolie, die sich als Teenager immer für ihren Reichtum geschämt hat, entsetzt von dem was sie dort sieht, und es lässt sie nicht mehr los. Angelina Jolie hat ihre Bestimmung gefunden: Sie verschreibt sich dem humanitären Engagement und adoptiert 2002 ein mit Maddox ein kambodschanises Waisenkind - ihre erste von später drei Adoptionen.

2001 unternimmt sie eine 18-tägige Reise durch Kambodscha, Pakistan und Afghanistan und begutachtet die Bedingungen der Flüchtlingslager vor Ort. Sie besteht in diesem Zusammenhang darauf, alle für diese Reise anfallenden Kosten selbst zu übernehmen und ist erschüttert über das Elend und die Lebensbedingungen der Menschen! Jolie spendet eine Million Dollar Soforthilfe und lässt sich bei den Helfern unterbringen, teilt mit ihnen Unterkunft und Essen – fernab aller Hotels und jeglichen Komforts.

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR zeigt sich bei der Genfer Konferenz von ihrem Einsatz so beeindruckt, dass es Jolie im August 2001 zur Sonderbotschafterin erklärt. Jolie sagt in diesem Rahmen:
Wir können uns nicht vor Informationen verschließen und die Tatsache ignorieren, dass es Millionen von Menschen auf der Welt gibt, die leiden. Ich möchte helfen. Ich glaube nicht, dass ich mich dabei von anderen Menschen unterscheide. Ich denke, wir wünschen uns alle Gerechtigkeit und Gleichheit, eine Chance für ein Leben mit Bedeutung. Wir alle würden gerne daran glauben, dass uns jemand beistünde, sollten wir einmal in eine schlechte Situation geraten.“
Es scheint fast so, als würde Jolie ihre inneren Wunden nach außen kehren und heilen lassen wollen – wenn sie sich selbst nicht helfen kann, ist sie bemüht, anderen zu helfen.
Quelle: DVD "Gia" © HBO Studios
2003 lassen Thornton und Jolie sich völlig unerwartet scheiden. Dazu befragt sagt Jolie: „Es hat mich selbst überrascht, fast über Nacht änderten wir uns völlig. Ich denke, irgendwann hatten wir einfach nichts mehr gemeinsam. Es ist unheimlich, aber … ich denke, dass so etwas geschehen kann, wenn man sich aufeinander einlässt und sich selbst noch nicht kennt.“

Vielleicht liegt es an Jolies neuer Aufgabe, ihrem neuen Lebensinhalt, der sich so drastisch von dem zuvor gelebten Leben unterscheidet. Vielleicht brauchte sie das wilde Leben nicht mehr, um sich wertvoll zu fühlen
In jener Zeit verschlechtert sich das Verhältnis zu ihrem Vater drastisch. Jolie lässt den Namen „Voight“ aus allen offiziellen Unterlagen streichen, und heißt nun offiziell auch bürgerlich „Jolie“. Ihr Vater unterstellt ihr daraufhin ernsthafte emotionale Schwierigkeiten. Mit dieser Annahme liegt er gar nicht so falsch, denn Jolie sucht sich noch immer. Sie ist getrieben, will etwas erschaffen, verarbeiten, verzeihen, helfen, und verwickelt sich dabei zusehends.
Quelle: Blu Ray "Salt" © Sony Pictures Home Entertainment
2004 sagt Jolie dazu, sie sei nicht länger an einer Beziehung zu ihrem Vater interessiert. „Mein Vater und ich sprechen nicht miteinander. Ich ärgere mich nicht über ihn. Ich glaube nicht daran, dass man als Familie blutsverwandt sein muss, denn mein Sohn ist adoptiert, und eine Familie muss man sich verdienen.“ Sie gibt an, dass sie die genauen Gründe für die Entfremdung von ihrem Vater nicht öffentlich machen wolle, aber sie glaube, es sei schädlich für sie, sich weiterhin mit ihrem Vater einzulassen, da sie gerade ihren Sohn adoptiert habe.

Ins Abseits katapultiert


Für Jolie ist es eine Zeit des Umbruchs, und wie jeder gute, jeder nachhaltige Umbruch wird es die vermutlich stürmischste Zeit ihres Lebens.
2004 beginnt sie, sich selbst mehr und mehr zu finden, entgleitet sich dabei aber auch zusehends. Sie bleibt zwar einer der Top-Stars Hollywoods, immer für Schlagzeilen gut, jetzt Mutter eines Kindes und weitet ihr humanitäres Engagement immer weiter aus, als etwas passiert, das sie zum ersten Mal in ihrem Leben in der Öffentlichkeit schlecht dastehen lässt: Sie verliebt sich. Und wie!
Quelle: Blu Ray "Mr. & Mrs. Smith" © STUDIOCANAL
Doch es ist nicht irgendjemand, der ihr Leben betritt, sondern einer der begehrtesten Jungs Hollywoods, einer der coolsten, angesagtesten, bestaussehendsten männlichen Schauspieler überhaupt, der noch dazu verheiratet ist, mit einer der berühmtesten und beliebtesten Comedy-Stars der Welt. Die Ehe zwischen Brad Pitt und Jennifer Aniston gilt als Musterehe, als geradezu unschuldig rein und absolut harmonisch. Die beiden verkörpern für die Amerikaner das, was einer Prinzenehe wie bei den Royals noch am nächsten kommt, Amerika vergöttert ihre Brad und Jennifer!

Und in diese populäre Sauberehe drängt sich ausgerechnet der Wildfang Angelina Jolie. Die Munkeleien beginnen bereits früh. Pitt und Jolie stehen für die Action-Komödie MR. & MRS. SMITH vor der Kamera und die Gerüchteküche brodelt. Haben sie oder haben sie nicht?
Ja, sie haben!

Kurz darauf wird bekannt, dass Pitt seine Frau verlässt, und ab sofort mit Angelina Jolie zusammen ist. Das Chaos ist perfekt. Die Ehe zwischen Pitt und Aniston wird geschieden und ein weltweiter Sturm der Entrüstung ergießt sich über Angelina Jolie. Ehezerstörerin, Schlampe, Egomanin, Geisteskranke ... Es gibt keine Beleidigung, die nicht neben ihrem Namen zu finden wäre. Ihr Image ist vollkommen zerstört. Was Drogen und wilde Ausschweifungen nicht geschafft haben, hat ihre Liebe erreicht: Man hasst Angelina Jolie. Auch die Beteuerungen Brad Pitts, seine Ehe mit Aniston sei bereits schwer angeschlagen gewesen, helfen nicht.

Dem Sturm folgt die Ruhe


Kaum hat sich der Sturm ein wenig gelegt, folgt der nächste, wenn auch in aller Stille. 2007 stirbt Jolies Mutter an Krebs, was sie weit zurückwirft. Alte Verhaltensweisen treten wieder auf: Selbstverletzung, Selbstzerstörung und Selbstvorwürfe. Jolie magert ab, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Mit Hilfe und auf Drängen ihres neuen Partners (den sie erst nach zehn Jahren Ende 2014 heiratet!) sucht Jolie endlich wieder den Kontakt zu ihrem Vater und findet ihre Lebensmitte. Voight und Jolie sprechen zwar seither wieder miteinander, eine Hochzeitseinladung erhält der Vater 2014 aber immer noch nicht.
Quelle: Blu Ray "Mr. & Mrs. Smith" © STUDIOCANAL
Trotz, oder vielleicht gerade wegen der Medienhetze wird MR. & MRS. SMITH bis heute Jolies kommerziell erfolgreichster Film. Ihr weit gestreutes Engagement lässt ihre Karriere ein wenig straucheln, und es folgen etliche eher mittelmäßige Filme wie ALEXANDER, TAKING LIVES oder FEVER.
In WANTED und SALT (ein zweiter Teil ist angekündigt) wird sie in den darauffolgenden Jahren erneut die Actionfahne hissen. Doch sie ist, trotz aller Skandale, im Hollywoodolymp angekommen. Rollen wie in Eastwoods Meisterwerk DER FREMDE SOHN bringen Jolie nicht nur erneut eine Oscarnominierung ein, sondern zeigen ihre enorme künstlerische Bandbreite.
2014 spielt sie in MALEFICENT eine verstoßene und hasserfüllte Elfe und begeistert damit Groß und Klein - wenn auch nicht unbedingt am Set, wie eine hinreißende Anekdote belegt.
Nachdem alle Kinder, die zum Casting für den Part der jungen Prinzessin erschienen sind, vor Angst schreiend die Flucht vor der maskierten Jolie ergreifen (Sie selbst hatte darauf bestanden, so bedrohlich zu wirken wie die Zeichentrick-Vorlage), erhält ihre kleine Tochter Vivienne die Rolle, denn sie erkennt ihre Mutter trotz der Maske und will sofort mit ihr spielen, statt vor ihr wegzulaufen.

Schauspielerisch ist Angelina Jolie da angekommen, wo sie hinwollte: Sie kann sich trotz ihres Alters ihre Rollen auswählen und kann schlicht alles spielen. Sie bekommt Dramen, aber auch Actionfilme und gelegentlich eine Komödie angeboten. Dabei ist sie längst nicht mehr auf die Arbeit angewiesen, kann sich aussuchen, wofür sie ihre Energien aufwendet (Woraufhin sie nur noch alle paar Jahre etwas dreht), verdient dabei Millionengagen, die ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie sichern, sowie ihr weiterhin die Möglichkeit geben, hohe Spenden zu zahlen.
Quelle: Blu Ray "Maleficent" © Walt Disney Home Entertainment
In Brad Pitt, dem jahrelang der Nimbus als Jolies „Opfer“ anhaftete, hat sie einen kongenialen Partner gefunden. Er unterstützt sie und ihr humanitäres Werk mit vollen Händen, mit Beistand und ebenfalls Millionengeldern.
Gemeinsam haben sie mittlerweile sechs Kinder, drei adoptierte und drei eigene, und auch wenn die Presse sich über die angeblich „katastrophalen“ und „chaotischen“ Bedingungen im Hause Jolie-Pitt aufregt und lustig macht, scheinen die zwei ihr Leben gut zu meistern und sich gegenseitig künstlerisch und emotional stetig zu befruchten.

Regisseurin mit sozialem Gewissen


2007 erfüllt Jolie sich einen lange gehegten Wunsch: Sie realisiert ihren ersten eigenen Film. Die Dokumentation A PLACE IN TIME beschreibt das Geschehen an 27 verschiedenen Orten der Welt innerhalb einer Woche. Colin Farrell, Hilary Swank, Jonny Lee Miller und Jude Law spielen darin mit.

2010 beginnen dann die Dreharbeiten zu Jolies erstem Film als Regisseurin: IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY schildert die Liebesgeschichte einer Bosnierin und eines Serben in den Zeiten des Bosnienkrieges 1992 – 1995. Jolie schreibt das Drehbuch und inszeniert große Sequenzen vor Ort, besetzt das Drama mit serbischen, bosnischen und kroatischen Schauspielern, die den Krieg selbst noch erlebt haben. Als die Thematik des Films die Runde macht (fälschlicherweise wird der Serbe als Vergewaltiger der Bosnierin genannt), wird Jolie vorübergehend die Drehgenehmigung entzogen, so dass sie nach Budapest ausweichen muss. Nachdem der Irrtum allerdings aufgeklärt ist, wird der Dreh in Serbien fortgesetzt.
Im April 2012 ernennt die bosnische Hauptstadt Sarajevo Jolie zur Ehrenbürgerin. In der Begründung heißt es, sie habe mit ihrem Regiedebüt IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY dazu beigetragen, ein Stück Geschichte zu wahren und „die Prinzipien der Menschlichkeit, Demokratie, ebenso wie die Toleranz und die Solidarität von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religion und kulturellem Hintergrund zu schützen.“
Quelle: Blu Ray "In the Land of Blood and Honey" © Universum Film
Tatsächlich ist der Film ein wuchtiges, emotional aufrührendes Drama, das in äußerst drastischen Bildern die Kälte des Krieges aufzeigt. Man spürt, dass Jolie auch hier mit jeder Faser Herz und Verstand bei der Sache war. Sie nimmt in ihrem Film keine Stellung, verurteilt nicht, zeigt nur die Opfer an Menschlichkeit in einem vierjährigen, grausamen Krieg, der keine Sieger kennt.

2012 erhält der Film eine Golden Globe Nominierung als Bester nicht-englischsprachiger Film.
Angelina Jolie findet sich. Mehr und mehr. Der Sturm in ihr legt sich.

Am 16. November 2013 erhält Jolie, mittlerweile weltweit hochgeachtete Menschenrechtlerin, bei den Governors Awards in Los Angeles den Jean Hersholt Humanitarian Award („Ehrenoscar“), der ihr humanitäres Engagement u. a. als Sondergesandte des UN-Flüchtlingshochkommissariats auszeichnet.

Nach dem Erscheinen von IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY beteiligt sich Jolie zusammen mit dem britischen Außenminister William Hague an einer zweijährige Kampagne gegen Vergewaltigung als Kriegstaktik, die im Juni 2014 mit einer Gipfelkonferenz in London abgeschlossen wird. Ziel der Kampagne ist es, die Verdrängung und Banalisierung des Themas zu beenden und die Weltgemeinschaft zum Engagement gegen sexuelle Gewalt in Konflikten aufzurufen.
2014 wird Jolie unter anderem dafür von Queen Elizabeth II. mit dem Ordenszeichen Honorary Dame Commander des Most Distinguished Order of St. Michael and St. George geehrt – sie ist nun „Dame“ Angelina Jolie.
Quelle: Blu Ray "Wanted" © Universal Pictures Home Entertainment
2014 liefert sie mit UNBROKEN ihren zweiten Film ab. Das Budget ist ungleich größer als in ihrem Debüt, und erneut ist ihr Thema äußerst engagiert. Jolie verehrt die Hauptfigur Zamperini, den sie persönlich kennenlernt, zutiefst, was man dem Werk in jeder Szene anmerkt. Leider wird das filmisch zur Schwäche, denn so lässt sie jeden Zweifel und Mehrdimensionalität an der Figur fallen und inszeniert ein etwas verkitschtes Heldenepos, dem Ecken und Kanten fehlen.
Heiß erwartet wird nun ihr anstehendes Ehedrama BY THE SEA, in dem das Paar Jolie-Pitt nach MR. & MRS. SMITH erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera steht. Regie, Produktion, Drehbuch und Hauptrolle: Angelina Jolie. Selten zuvor hatte eine Frau derart viel Einfluss auf einen großen Hollywoodfilm. Auch hinter den Kulissen ist Jolie mittlerweile zur Grand Dame Hollywoods gewachsen
Quelle: Blu Ray "Unbroken" © Universal Pictures Germany

Ich will leben!


Dabei scheut sie auch heute nicht den großen Auftritt und den großen Skandal, wenn sie für ihre Sache eintritt. Das wurde zuletzt mit ihren drastischen, von ihr bewusst in die Öffentlichkeit gezogenen Operationen deutlich.
Angelina Jolies Mutter und Tante sind qualvoll an Krebs gestorben, beides hat Jolie hautnah miterlebt. Sie litten, wie auch Jolie, an einer Genmutation, aufgrund derer das Brustkrebsrisiko bei 50%, das Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken bei über 80% liegt.
2013 sorgt Jolie mit ihrer Entscheidung, sich vorbeugend beide Brüste amputieren zu lassen, um ihr Brustkrebsrisiko zu vermindern, für Furore, zumal sie diese an sich so private Entscheidung öffentlich macht. Dabei steht sie als eine der Ersten für selbstbestimmte medizinische Intervention ein, was nicht hoch genug zu loben ist. Angelina Jolie zeigt auch mit diesem Schritt ein hohes Maß an sozialem Gewissen, fegt Zweifler und Gegner dieser Methode hinfort und erzwingt eine bitter nötige, öffentliche Debatte. Zudem will sie anderen Frauen Mut machen, will für das Thema sensibilisieren und überhaupt ein Forum schaffen. Auch hier unterstützt ihr Mann sie in vollem Umfang.

2015 der nächste Schritt: Angelina Jolie lässt sich vorbeugend die Eierstöcke entfernen, nachdem ihre Entzündungswerte erschreckend in die Höhe gesprungen sind.
„Ich sagte mir selbst, bleib ruhig, sei stark – und dass ich keinen Grund habe, zu fürchten, dass ich meine Kinder nicht aufwachsen sehen, oder meine Enkel nicht mehr kennenlernen würde“, sagt Jolie kurze Zeit später.
Sie will leben!
Quelle: Blu Ray "Wanted" © Universal Pictures Home Entertainment
Angelina Jolie hat sich gefunden. Nach Jahren des Umherirrens, der Suche, der Rückschläge, scheint sie nun endlich dort angekommen zu sein, wo sie immer hinwollte: Sie ist in allen Belangen selbstbestimmt! Sie hat in ihrem Ehemann und in ihren Kindern Stützen gefunden und mindestens sieben gute Gründe, weiterzuleben.
Und sie weigert sich, das, was ihr wichtig ist, für sich zu behalten. Sie will Hoffnungsträgerin für Frauen beim Film sein, und bietet mit ihrem Status als eine der mächtigsten und bestverdienendsten Frauen in Hollywood dafür jede Menge Identifikationsfläche. Sie ist Sonderbotschafterin und soziales Gewissen von Millionen Menschen.
Aber vor allem ist sie eine liebende Mutter und Ehefrau, die weiß, dass sie nur das wirklich besitzt, was sie sich selbst erarbeitet hat.

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