1945 erobern Familiendramen wie MILDRED PIERCE oder
Schmachtfetzen wie DIE GLOCKEN VON ST. MARIEN und NATIONAL VELVET die Leinwand.
Doch es ist auch das Jahr, in dem ein österreichischer
Regisseur Hollywood einen ganz neuen Filmschwerpunkt schenkt. Mit DAS VERLORENE WOCHENDE liefert Billy Wilder Hollywoods erstes Alkoholikerdrama ab, das
- bedauerlicherweise - noch heute, 70 Jahre nach Erscheinen, außergewöhnlich nuanciert und
detailgetreu daherkommt.
Wie kam Billy Wilder ausgerechnet in einer Zeit, in der
Screwballkomödien und Tanzfilme die Kinosäle füllten, auf so ein schweres Thema?
Wie schwierig waren die Drehbedingungen und was hat sich aus diesem Genre bis
heute entwickelt?
Wilder zerstört das Frauenbild
Es ist heute schwer zu glauben, dass ausgerechnet der
Regisseur, der uns einige der berühmtesten und besten Komödien aller Zeiten
schenkte (SABRINA, MANCHE MÖGENS HEIß und EINS, ZWEI, DREI) in seiner frühen
Schaffenszeit mit althergebrachten Konventionen bricht und Hollywood verändert.
Wilder pfeift auf filmische Traditionen und versucht, den
Realismus auf die Leinwand zu bringen.
Schon vor DAS VERLORENE WOCHENENDE krempelt Wilder alte Sehgewohnheiten um. 1944 dreht der nach Amerika emigrierte Österreicher mit FRAU
OHNE GEWISSEN einen Thriller, der erstmalig (wie der deutsche Titel schon sagt)
eine gewissenlose Frau zeigt und in den Mittelpunkt stellt. In einer Zeit, in der Frauen in der Regel gut und gütig waren, oder im Falle einer Femme Fatale zumindest überirdisch und durchaus innerlich zerrissen, inszeniert Wilder eine durch und durch bösartige Frau. Der Thriller wird
ein Meisterwerk und macht die Femme Fatale mehr als jeder andere Film zu einem
Inbegriff der Zerstörung.
Doch Wilder stößt in der Produktionsphase auf Widerstand. Es
ist schwer, Studios zu finden, die einen Film finanziell und organisatorisch unterstützen,
der eine Frau als kaltblütige Mörderin und Intrigantin zeigt. Noch schwerer wird es für Wilder, eine Schauspielerin von dieser Rolle zu überzeugen. Alle großen
Stars lehnen dankend ab, fürchten zu sehr, ihr Image nachhaltig zu zerstören.
Barabara Stanwyck ist die einzige, die das Risiko letztendlich nicht scheut und
nach langem Abwägen in die Rolle der Phyllis Dietrichson schlüpft und damit
Kinogeschichte schreibt. Sie lässt im Vorfeld ihren Zweifeln freien Lauf: „Ich
mag das Buch und ich mag Sie, aber ich habe ganz schön Angst, nachdem ich all
diese Heldinnen gespielt habe, jetzt auf einmal eine kaltblütige Mörderin zu sein“, woraufhin Wilder lakonisch antwortet: „Sind Sie eine Schauspielerin
oder eine Maus?“ Stanwyck antwortet: „Ich hoffe eine Schauspielerin“ und
unterschreibt den Vertrag.
© Universal Pictures Home Entertainment |
Der Film wird kritisch aufgenommen, zu sehr bricht Wilder
mit den Figurkonstellationen, doch das Publikum zeigt sich begeistert. Der Film
wird ein Erfolg, und fordert doch ein Opfer: Stanwyck ist im Folgenden auf die Rolle der
Unsympathin festgelegt.
Wilder gelingt mit einer Szene im Film zudem, den Zuschauer
zum Komplizen zu machen, und die Zuschauer um das Mörderpaar bangen zu lassen (etwas, das Hitchcock
später perfektionieren wird, so etwa die Szene, in der Norman
Bates das Auto eines Opfers im Moor versenken will und es im Versinken
plötzlich steckenbleibt ...).
Als Phyllis das Auto starten muss, um den Mord auszuführen, springt es drei Mal nicht an und der Zuschauer ertappt sich, mitzufiebern und zu hoffen, dass der Plan gelingen möge.
Als Phyllis das Auto starten muss, um den Mord auszuführen, springt es drei Mal nicht an und der Zuschauer ertappt sich, mitzufiebern und zu hoffen, dass der Plan gelingen möge.
Hitchcock sieht FRAU OHNE GEWISSEN in einer Voraufführung
und telegraphiert Wilder sofort: „Seit DOUBLE INDEMNITY (Originaltitel) sind
die beiden wichtigsten Wörter im Kino Billy Wilder.“
Wilder selbst sagt Jahre später über seinen Meilenstein gewohnt schlicht:
„Ich wollte einen Film machen, in dem zwei Stars Mörder spielen und der weniger
als eine Million Dollar kostet.“
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Wilder bricht das Alkoholikerbild
Als Wilder 1944 im Zug sitzt, liest er ein Buch mit dem
Titel „The Lost Weekend“ und ist sofort begeistert. „Mich hat diese
schonungslose Genauigkeit fasziniert, mit der der Autor zeigt, wohin Alkohol
einen Alkoholiker bringt – es war für mich eine Krankenstudie, die Geschichte
eines rapiden Verfalls ohne Beschönigungen.“
Wie aber sah das Kino Betrunkene und Alkoholiker zu jener Zeit? Etwa so, wie heutzutage Youtube: Sie waren etwas
Lächerliches, ein beliebter und häufig verwendeter Vorwand für Komik. Oft
slapstickhaft und komisch in Szene gesetzt. Berühmte Vetreter sind natürlich
Charlie Chaplin in EIN UHR NACHTS/DIE DURCHFEIERTE NACHToder auch die gefeierte Screwball-Komödie DIE NACHT VOR DER HOCHZEIT, in der
sich Katherine Hepburn betrinkt und mit ihrem Ex-Mann anbändelt.
Wilder, der bereits in DIE FRAU OHNE GEWISSEN mit
Traditionen gebrochen hat und das auch noch bestätigend und erfolgreich, will etwas anderes schaffen und mit der
Verfilmung des Stoffes den Alkoholismus als Krankheit porträtieren, nicht als
Vorwand für Komik. Er will einen Kranken zeigen, keinen
Über-die-Stränge-Schlagenden Torkelnden, über den man sich kaputtlacht. Die Verfilmung des Romans bietet ihm die
Möglichkeit hierzu.
Kaum dem Zug entstiegen, ruft Wilder seinen Kollegen Charles
Brackett an, und die beiden setzen sich ans Drehbuch.
Die Paramount zögert allerdings, den Film zu finanzieren. Es herrscht Krieg, und die Bosse sind unschlüssig, das Publikum mit solch einem destruktiven
und neuartigen Stoff zu konfrontieren. Darüber hinaus sind die Diskussionen um die Prohibition noch frisch in den Köpfen der Leute, und man will sie nicht erneut lostreten.
Auf der anderen Seite hat Wilder bewiesen, dass er ein
sensibles Händchen für realistische und neuartige Stoffe hat.
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Die Paramount stimmt schließlich zu, denn Wilder schildert
den Verantwortlichen die im Film skizzierte Liebesgeschichte und verspricht ein
Happy End (natürlich weiß jeder, dass das Ende ein scheinbares ist, denn
Rückfälle gibt es bei Suchtkranken häufig).
Die Sucht braucht Realismus
Wilders Film wird gedreht. Im Zentrum steht der
Schriftsteller Don Birman, der alkoholkrank ist und hoffnungslos verloren
scheint. Er lebt bei seinem Bruder, der ihn zu retten versucht. Unter einem
Vorwand lässt Birman den gemeinsam geplanten Wochenend-Trip sausen, verspricht, nüchtern
zu bleiben, plant aber bereits seinen nächsten Exzess. Ihm zur Seite steht
Helen, die ihn liebt und ihn in der Abstinenz zu unterstützen versucht.
Das Sujet ist 1945 absolut neuartig, doch auch die filmische
Umsetzung wartet mit bis dahin nie gesehenen Mitteln auf.
Die Themen des Filmes wirken heute althergebracht und durch
die Küchenpsychologie bekannt – Alkoholismus, Ko-Abhängigkeit, kalter Entzug,
Rückfälle, Halluzinationen, Beteuerungen, leere Versprechungen, Erniedrigung und
Hoffnungslosigkeit – doch 1945 sind sie unbekannte Tabuthemen.
Wilder hält sich an die literarische Vorlage und versucht, in
der drastischen Suchtbeschreibung nichts zu beschönigen.
Wilders Genie (und Ehrlichkeit) zeigt sich bereits in der ersten Einstellung. Die Kamera
fährt auf einen New Yorker Häuserblock zu, auf ein Fenster, und schwenkt dabei über eine aus dem Fenster hängende Whiskey-Flasche. Birman hält sie hier versteckt. Nach der
kurzen Abschiedssequenz zwischen den Brüdern (die Flasche wird
selbstverständlich entdeckt) ist die Situation für den Zuschauer deutlich skizziert: Er ist mit der Hauptfigur und ihrem Problem bestens bekannt gemacht.
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Die Ringe, die ein Whiskyglas auf einer Theke hinterlässt
werden zu einem wiederkehrenden Element, verdeutlichen die Zeitspanne, die
Birmann in den Bars verbringt. „Nicht wegwischen, Nat, lassen Sie mir meinen
kleinen Teufelskreis“, bittet Birman den Barmann, um auszuführen, dass die
Ringe eine geometrische Figur bilden, ohne Anfang und ohne Ende - wie die Tage
eines Trinkers assoziiert der Zuschauer.
Um die Sucht bildhaft zu machen, verwendet Wilder
Verzerrungen, sich drehende Bilder, geigenähnlich anmutende, zitterndernde Musik, mit der er das Driften in den Entzug greifbar zu machen versucht. Die „weißen Mäuse“ wirken
heute natürlich etwas klischeebeladen, zeigen aber, wie lange und schwer die
Sucht bei Birman bereits vorhanden ist (und entwickelten sich erst später zum Klischee - 1945 ist die Vorstellung derartiger Halluzinationen absolut furchteinflößend).
Eine weitere grandiose Szene zeigt Birman, der verzweifelt sein Zimmer auseinandernimmt, um die von ihm selbst versteckte Flasche Whiskey zu finden. Er legt sich nieder und schaut an die Decke. Im Schein der Deckenlampe sieht er den Schatten der Flasche, die er in die Deckenschale gelegt hatte - woran er sich schon gar nicht mehr erinnert.
Eine weitere grandiose Szene zeigt Birman, der verzweifelt sein Zimmer auseinandernimmt, um die von ihm selbst versteckte Flasche Whiskey zu finden. Er legt sich nieder und schaut an die Decke. Im Schein der Deckenlampe sieht er den Schatten der Flasche, die er in die Deckenschale gelegt hatte - woran er sich schon gar nicht mehr erinnert.
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Wilder schafft es gekonnt, Birman nicht als negativen
Charakter zu zeigen, sondern als einen von der Sucht Getriebenen, der zwischen
Kampf und Hingabe hin und hergerissen ist.
Die Verhaltensweisen der Angehörigen, das wutentbrannte
Abwenden, so wie das angstvolle Zugegensein und Beschützen gibt die Ko-Abhängigkeit
der Umlebenden nuanciert wieder.
Als einer der ersten Regisseure in Hollywood dreht Wilder
nicht nur im Studio, sondern besteht darauf, an Originalschauplätzen zu drehen,
so zum Beispiel auf der 3rd Avenue, wo Birman heruntergekommen und im
ungewollten Entzug seine Schreibmaschine gegen Alkohol zu verhökern sucht (wobei Schauspieler Ray Milland von Passanten erkannt und ob seines heruntergekommenden
Aussehens ermahnt wird).
Die Szenen auf der Alkoholiker-Station
des Bellevue-Krankenhauses haben zur Folge, dass das Krankenhaus nie wieder ein
Filmteam in seine Räume lässt, denn die Bilder dieser Station sind unmenschlich und
ungeschönt. Sie zeigen in großen Sälen unbetreut im Delirium liegende Patienten, die
keine väterlichen Ärzte und aufopfernden Schwestern neben sich sitzen
haben, wie man es aus bisherigen Filmen kennt. Sie offenbaren den alltäglichen Wahnsinn, der
Pflegern und Pflegerinnen nur noch Zynismus entlocken kann - sehr zum Unwillen
der Krankenhaus-Leitung.
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Die Basis ist gelegt
Wilders Suchtdrama findet sein Publikum und auch die
Kritiker sind begeistert. DAS VERLORENE WOCHENENDE heimst zu Recht alle vier
Hauptoscars ein: Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller und Bestes
adaptiertes Drehbuch, und ebnet dem Genre Sucht den Weg in Hollywood.
Zehn Jahre später schafft es ein anderer Film, eine Sucht
ins Zentrum einer Charakterstudie zu stellen und filmisches Neuland zu
betreten: DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM von Otto Preminger zeigt Frank Sinatra
in der Rolle des Frankie Machine, der gegen seine Heroinsucht ankämpft, in
ebenso drastischen Bildern, wie es zehn Jahre zuvor Billy Wilder getan hat.
Sinatra sieht in dieser Rolle die Chance, seinen Status als
dramatischer Schauspieler, den er mit VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT aufgebaut hat, zu
festigen. Er spielt sich die Seele aus dem Leib, besonders in den Entzugsszenen und wird zurecht oscarnominiert.
Dass Alkohol zerstörerisch wirkt, zeigen Hollywoodfilme nach
DAS VERLORENE WOCHENENDE immer wieder. So zum Beispiel das gelungene Drama EIN NEUER STERN AM HIMMEL von 1954, bei dem der Schauspieler Norman Mailer, dargestellt von
James Mason, sich selbst hoffnungslos zerstört, das Happy End bleibt hier aus. Der
Paradigmenwechsel ist in vollen Zügen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch
die Drogensucht realistisch skizziert wird.
Die Erben des Genres
Inzwischen sind Sucht-Filme aus dem Kino nicht mehr
wegzudenken.
Sie bieten schauspielerisch große Möglichkeiten, aber auch
inszenatorisch, manchmal durch Kreuzung mit einem anderen Genre, fern einer
reinen Milieustudie.
Und was auffällt: Die Academy liebt ihre Trinker. Viele große Alkoholikerrollen werden mit dem Oscar geehrt oder zumindest nominiert.
In HAIE DER GROßSTADT etwa spielt Piper Laurie 1961 an der Seite von Paul Newman eine schwere Alkoholikerin, realistisch und ungeschönt, kämpfend und nach Glück suchend.
Solche Darstellungen wären ohne Wilders Film gar nicht, oder erst sehr viel später möglich gewesen. Laurie wird oscarnominiert und zieht sich nach diesem intensiven Dreh für mehrere Jahre aus dem Filmgeschäft zurück.
John Cassavetes schafft mit DIE ERSTE VORSTELLUNG eine erschütternde Milieustudie, angesiedelt in Theaterkreisen. Eine alternde Schauspielerin wird durch den auf ihr lastenden Erfolgsdruck in den Alkohol getrieben. Eine Paraderolle für Gena Rowlands - natürlich oscarnominiert!
© Universal Pictures Home Entertainment |
Solche Darstellungen wären ohne Wilders Film gar nicht, oder erst sehr viel später möglich gewesen. Laurie wird oscarnominiert und zieht sich nach diesem intensiven Dreh für mehrere Jahre aus dem Filmgeschäft zurück.
John Cassavetes schafft mit DIE ERSTE VORSTELLUNG eine erschütternde Milieustudie, angesiedelt in Theaterkreisen. Eine alternde Schauspielerin wird durch den auf ihr lastenden Erfolgsdruck in den Alkohol getrieben. Eine Paraderolle für Gena Rowlands - natürlich oscarnominiert!
In DER MORGEN DANACH von Sidney Lumet versucht die Trinkerin
Alexandra Sternbergen sich aus dem Sumpf zu befreien, in den sie rutscht, als
sie am Morgen nach einer Zechtour neben einer Leiche erwacht. Ein gelungenes
Cross-Over zweier Genres: Suchtstudie und Thriller. Die Sucht-Komponente
erweist sich für Jane Fonda als reiches Sujet, sie spielt nuanciert und wird zu
Recht oscarnominiert.
Ein Jahr später kommt mit BARFLY von Barbet Schroeder eine
ungewöhnlich destruktive Milieustudie in die Kinos, die Charles Bukowskis
„Alter Ego“ Henri Chinaski beim Gang durch die Suchthölle zeigt. An seiner
Seite steht die Trinkerin Wanda Wilcox, die ebenso in die Suchtspirale fällt wie ihr Gegenüber. Faye Dunaway erhält den Golden Globe.
1995 zerrt Mike Figgis das Thema an seine Grenzen. LEAVING LAS VEGAS ist ein
Trinker-Drama, das an Destruktivität nicht mehr zu toppen sein wird.
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Ringen in den Alkoholikerfilmen zuvor die Protagonisten noch mit ihrer Sucht und sind dem Leben zugewandt, widmet sich Figgis' Drama ein Trinker dem Ziel, sich in Las Vegas
totzutrinken. Der Zuschauer darf ihn zwei Stunden lang auf diesem Weg begleiten. Der einzige, winzige Hoffnungsschimmer, der den Film durchzieht, ist die zum Scheitern
verurteilte Liebe zweier gebrochener Existenzen.
Was den Film problematisch macht, ist auch die
Herangehensweise von Schauspieler Nicolas Cage als Trinker Ben Sanderson.
Nachdem Crewmitglieder später berichteten, dass Cage, der für sein intensives Spiel berüchtigt ist, fast durchgängig betrunken
beim Dreh auftaucht, wiegelt dieser in Interviews ab und erläutert, er habe sich
selbst auf die Rolle vorbereitet, indem er sich betrank, um seine sich
verändernde Sprache zu beobachten. Beim Dreh selbst sei er aber stets nüchtern
gewesen.
LEAVING LAS VEGAS wird gefeiert und gilt als einer der besten Suchtfilme der Filmgeschichte. Cages Darstellung mit
einem Oscar prämiert - es bleibt sein bisher einziger.
Die Rolle des Trinkers ist immer wieder eine Chance für Schauspieler, sich zu beweisen.
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Die Trinker als Garant für Konflikte
Den Grundstein, den Wilder mit DAS VERLORENE WOCHENENDE gelegt hat, scheint heute abgenutzt zu sein. Das Sujet ist begrenzt, und so ist aus den einst prachtvollen Milieustudien mittlerweile ein Klischee geworden, häufig sogar ein oder weniger "billiger" Stoff für Konflikte.
Aktuelle Werke schildern den Alkoholiker (oder die Alkoholikerin!) gerne als labilen Geschäfts- oder Lebenspartner, der für gefährliche oder dramatische Wendungen zu sorgen hat. Getreu dem Motto: Wir bauen einen trinkenden Ehe- oder Geschäftspartner ein, der wird dann rückfällig und bringt die heile Welt mächtig ins Wanken, ein Geschäft zu Fall oder eine Verhandlung zur Niederlage.
Besonders im Fernsehen wird die Stilfigur bis zur Neige ausgereizt - taucht eine Figur auf, die erklärt "Ich trinke nicht, ich bin trocken!", ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Kampf mit dem Alkohol zum entscheidenden Drama der Figur wird. Dr. Abby Lockhart aus ER - EMERGENCY ROOM etwa, Mister Garibaldi aus BABYLON 5, Jack Shepard aus LOST, Freddy Rumsen in MAD MEN, Hershel Greene in THE WALKING DEAD, Doug Stamper (und zuvor bereits Peter Russo) in HOUSE OF CARDS sind nur einige Beispiele.
Nur selten, leider viel zu selten, wird der (ehemalige) Alkoholismus einer Figur schlicht als Hintergrund genommen statt als potentielles Drama, etwa für Sam Malone in der Sitcom CHEERS, und ebenso selten ist der (aktive) Alkoholismus einfach nur ein gar nicht direkt behandelter Aspekt einer Serienfigur, wie etwa Don Draper in MAD MEN (wobei in MAD MEN nahezu jede Figur mit dem Alkohol kämpft), Jimmy McNulty in THE WIRE, Tommy Gavin in RESCUE ME oder selbst Cersei Lannister in GAME OF THRONES.
Auch wenn die Debatte darüber anhält, was genau Alkoholismus nun ist (einige betrachten Alkoholismus als Sucht, andere, besonders die Amerikaner, als Krankheit), ist eines klar: Es ist eines der am häufigsten auftretenden sozialen und gesundheitlichen Probleme unserer westlichen Gesellschaft. Kaum ein Mensch wird nicht von Alkohol und der Sucht danach beeinflusst oder geprägt. Und nur wenige Dinge auf unserem Planeten fordern mehr Todesopfer.
Es ist lobenswert, dass Film und Fernsehen versuchen, diese Problematik anzugehen und sichtbar zu machen, denn tatsächlich ist Alkoholismus noch immer ein Tabu, etwas, worüber niemand gerne redet, am wenigsten die Betroffenen selbst. Und obwohl das Thema filmisch ausgereizt zu sein scheint, ist es noch längst nicht fertig. Die Wege werden noch erweitert, um Alkoholiker als Figuren erkennbar zu machen, nutzbar, als Figuren, die mehr als nur "simplen" Konfliktstoff bieten, aber auch mehr, als nur ein schockierendes Drama.
Es ist ein noch immer nicht abgeschlossener Prozess, der hier stattfindet.
Den Startschuss für diese noch immer ablaufende Entwicklung legte Billy Wilder 1945 mit einem Film, der noch heute bestehen kann.
In gewisser Art ist das erschreckend. Nicht nur, dass wir heute, siebzig Jahre nach DAS VERLORENE WOCHENENDE und all den schillernden Dramen und Entwicklungen doch wieder in der Gefahr stehen, den Alkoholiker als Klischee auf der Leinwand zu erleben, vor allem aber dadurch, dass sich trotz all der Filme und Serien, trotz all der Autoren, Regisseure, Darsteller und Produzenten, die sich seit 70 Jahren bemühen, das gigantischste Monster in unserer Mitte, das wir alle zu ignorieren versuchen, sichtbar zu machen, bis heute nicht das Geringste daran geändert hat.
Das, vielleicht mehr als alles andere, erschreckt einen noch heute, wenn man DAS VERLORENE WOCHENENDE schaut.
© Universal Pictures Home Entertainment |
Nur selten, leider viel zu selten, wird der (ehemalige) Alkoholismus einer Figur schlicht als Hintergrund genommen statt als potentielles Drama, etwa für Sam Malone in der Sitcom CHEERS, und ebenso selten ist der (aktive) Alkoholismus einfach nur ein gar nicht direkt behandelter Aspekt einer Serienfigur, wie etwa Don Draper in MAD MEN (wobei in MAD MEN nahezu jede Figur mit dem Alkohol kämpft), Jimmy McNulty in THE WIRE, Tommy Gavin in RESCUE ME oder selbst Cersei Lannister in GAME OF THRONES.
Opium fürs Volk
Auch wenn die Debatte darüber anhält, was genau Alkoholismus nun ist (einige betrachten Alkoholismus als Sucht, andere, besonders die Amerikaner, als Krankheit), ist eines klar: Es ist eines der am häufigsten auftretenden sozialen und gesundheitlichen Probleme unserer westlichen Gesellschaft. Kaum ein Mensch wird nicht von Alkohol und der Sucht danach beeinflusst oder geprägt. Und nur wenige Dinge auf unserem Planeten fordern mehr Todesopfer.
Es ist lobenswert, dass Film und Fernsehen versuchen, diese Problematik anzugehen und sichtbar zu machen, denn tatsächlich ist Alkoholismus noch immer ein Tabu, etwas, worüber niemand gerne redet, am wenigsten die Betroffenen selbst. Und obwohl das Thema filmisch ausgereizt zu sein scheint, ist es noch längst nicht fertig. Die Wege werden noch erweitert, um Alkoholiker als Figuren erkennbar zu machen, nutzbar, als Figuren, die mehr als nur "simplen" Konfliktstoff bieten, aber auch mehr, als nur ein schockierendes Drama.
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Den Startschuss für diese noch immer ablaufende Entwicklung legte Billy Wilder 1945 mit einem Film, der noch heute bestehen kann.
In gewisser Art ist das erschreckend. Nicht nur, dass wir heute, siebzig Jahre nach DAS VERLORENE WOCHENENDE und all den schillernden Dramen und Entwicklungen doch wieder in der Gefahr stehen, den Alkoholiker als Klischee auf der Leinwand zu erleben, vor allem aber dadurch, dass sich trotz all der Filme und Serien, trotz all der Autoren, Regisseure, Darsteller und Produzenten, die sich seit 70 Jahren bemühen, das gigantischste Monster in unserer Mitte, das wir alle zu ignorieren versuchen, sichtbar zu machen, bis heute nicht das Geringste daran geändert hat.
Das, vielleicht mehr als alles andere, erschreckt einen noch heute, wenn man DAS VERLORENE WOCHENENDE schaut.
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