EinFilmVieleBlogger
lautet die Devise, unter der uns die hochgeschätzten Kollegen des unbedingt
empfehlenswerten Blogs schoener-denken.de
aufgefordert haben, ein britisches Thriller-Drama der etwas anderen Art unter die Lupe
zu nehmen.
In TAGEBUCH EINES SKANDALS kollidieren mit Judi Dench und
Cate Blanchett zwei der absoluten Topstars des aktuellen Kinos, und während es
leicht fiele, die zwei Dauerkartenbesitzerinnen für eine Oscarnominierung darstellerisch zu
unterfordern, dürfen sie hier die volle Bandbreite ihres Könnens aufbieten.
Am Ende ist es der Film selbst, der unter den Forderungen seiner Geschichte ein wenig einknickt.
TAGEBUCH EINES SKANDALS ist ein verhältnismäßig kleiner
britischer Film, der vermutlich zehn Jahre zu spät, und zwei Nummern zu
realistisch daherkommt, um großes Aufsehen zu erregen, und so entwickelt er
sich eher zum Geheimtipp für Cineasten und Oscarfans (beide Darstellerinnen, und das
Drehbuch, erhalten eine Oscarnominierung).
TAGEBUCH EINES SKANDALS erzählt von der alternden, kurz vor
der Pensionierung stehenden Geschichtslehrerin Barbara Covett, die an einer eher
unterdurchschnittlichen Londoner Schule mit Strenge und Respekt die Kinder im
Zaum zu halten weiß.
Als eines Tages die junge, lebenslustige und außerordentlich
attraktive Sheba Hart das Kollegium ergänzt, bringt diese ordentlich frischen
Wind in die Schule.
Barbara ist fasziniert von der jungen Frau, von ihrem
Charisma und ihrer Anziehungskraft, und beginnt, eine Freundschaft aufzubauen.
Schon bald entdeckt Barbara allerdings, dass Sheba ein
Geheimnis hat, welches ihr ganzes Leben ruinieren könnte – und die einsame alte Frau erkennt darin ihre
Chance. Sie behält den potentiellen Skandal für sich, fordert dafür aber Shebas
ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuneigung. Als Sheba sich zwischen ihrer
einnehmenden Freundin und ihrer Familie entscheiden muss, eskaliert die Lage
...
© Twentieth Century Fox Home Entertainment |
Die drei Themen des Films
Filmpaarungen sind in der Regel in drei Sorten aufgeteilt: Liebespaare, Familien und Freunde. Die letzte Kategorie ist tatsächlich die unterentwickelste, was einen simplen Grund hat: Liebespaare werden vor allem dann interessant, wenn sie zusammenkommen oder sich trennen, wenn sie also aus einer Unterschiedlichkeit in eine Gemeinsamkeit finden oder andersherum.
Filme mit Familienkonstellationen sind am ergiebigsten, denn
seine Familie sucht man sich nicht aus, und hier kann man buchstäblich von
Geburt an an jemanden geraten, mit dem man nicht klarkommt.
Beide Konstellationen bergen daher ungeheures
Konfliktpotential in sich, dem Stoff also, aus dem Geschichten sind.
Freunde hingegen sucht man sich aus, und man wählt für
gewöhnlich die Personen in seinen Freundeskreis, bei denen ein möglichst geringes Konfliktpotential besteht.
Freundschaften sind daher denkbar schlechter Stoff für Geschichten.
So ist es auch kein Wunder, dass die meisten Filme und
Bücher über Freundschaft davon erzählen, wie die Freunde gemeinsam einen Konflikt bewältigen, der sie alle betrifft. Filme
wie STAND BY ME, THELMA & LOUISE oder, ebenfalls von King ersonnen, THE SHAWSHANK REDEMPTION
sind dafür etwa herausragende Beispiele.
Manchmal verlagert ein Autor eine Freundschaft auch in den familiären Bereich, und entwickelt daraus im Kern familiäre Konflikte. Die Mär der uralten „Freunde, die wie Brüder sind“, und sich bis aufs Blut zerstreiten, ist eine immer wieder fesselnde und macht Meisterwerke wie BLOOD IN BLOOD OUT, kleine Perlen wie KLEINE MORDE UNTER FREUNDEN und selbst aktuelle Filme wie VICTORIA so intensiv.
Manchmal verlagert ein Autor eine Freundschaft auch in den familiären Bereich, und entwickelt daraus im Kern familiäre Konflikte. Die Mär der uralten „Freunde, die wie Brüder sind“, und sich bis aufs Blut zerstreiten, ist eine immer wieder fesselnde und macht Meisterwerke wie BLOOD IN BLOOD OUT, kleine Perlen wie KLEINE MORDE UNTER FREUNDEN und selbst aktuelle Filme wie VICTORIA so intensiv.
Oftmals dienen Freundschaften auch schlicht als Motivation oder Rückhalt, ein Drama durchzustehen. Sie geben einzelnen Protagonisten Kraft, ohne dass man direkt gemeinsam
die Gefahr angeht. Viele „Frauenfilme“ wie GRÜNE TOMATEN, MAGNOLIEN AUS STAHL
oder NOW & THEN fallen in diese Kategorie, aber auch allgemeine Dramen wie
DIE FARBE LILA werden durch eine eher im Off stattfindende Freundschaft
zusammengehalten.
Konflikte innerhalb des Freundeskreis' selbst funktionieren
vornehmlich dann gut, wenn sie humoristisch aufgearbeitet werden. Die Sitcom
FRIENDS füllte neun Staffeln mit den kleinen Kabbeleien unter Freunden, an
deren Ende sich doch alle wieder lieb haben, und wer sich umschaut, wird
herausfinden, dass Geschichten über einander „bekämpfende“ Freunde fast immer die Grundlage für Freundschaftskomödien ausmachen, von BRAUTALARM oder HANGOVER bis
hin zu DUMM UND DÜMMER oder CIRCLE OF FRIENDS - hier ist die Auswahl beinahe endlos.
Mein bester Feind
Echte, dramatische Filme über vollkommen dysfunktionale
Freundschaften hingegen sind selten. Auch hier wurde früher vor allem das komische Potential ausgeschöpft, wohl in keinem Film besser als in dem unübertroffenen Meisterwerk EIN SELTSAMES PAAR, in dem Jack Lemmon als pedantischer Sauberkeitsneurotiker und Walter Matthau als schnodderiger Halb-Messi in einer Zwangs-WG leben.
Das dramatische Potential zerstörerischer Freundschaften wurde erst spät angezapft. Eines der ersten Meisterwerke dieser Sparte ist HEATHERS, der nebenher den Highschool-Film revolutionierte und in den Neunzigern eine ganze Reihe von Kopien hervorbrachte (von DER HEXENCLUB bis hin zu JAWBREAKER) die erst mit MEAN GIRLS ein vorläufiges Ende fanden.
Zwei weitere Meisterwerke, die zerstörerische, dysfunktionale Freundschaften allerdings als Thriller oder Drama
inszenieren, sind einerseits WEIBLICH, LEDIG, JUNG SUCHT ... und vor allem HEAVENLY
CREATURES.
Das dramatische Potential zerstörerischer Freundschaften wurde erst spät angezapft. Eines der ersten Meisterwerke dieser Sparte ist HEATHERS, der nebenher den Highschool-Film revolutionierte und in den Neunzigern eine ganze Reihe von Kopien hervorbrachte (von DER HEXENCLUB bis hin zu JAWBREAKER) die erst mit MEAN GIRLS ein vorläufiges Ende fanden.
© Twentieth Century Fox Home Entertainment |
Ein weiterer, extrem auffälliger Vertreter, allerdings kein
besonders guter, ist CABLE GUY, der das Topos des klammernden Freundes mit
einer Mischung aus Horror, Thriller, Komik und Jim Carreys Gesichtsolympiade zu
erweitern versucht.
Tagebuch der fehlenden Gradlinigkeit
In diese breite Geschichte von Filmen über Freundschaft
reiht sich TAGEBUCH EINES SKANDALS hervorragend ein, und schafft es, eine durch
und durch dysfunktionale Freundschaft als Mischung aus Drama und Thriller zu
inszenieren. Die ungewöhnliche Mischung fällt in jedem Fall auf, bricht mit
Sehgewohnheiten, und irritiert den Zuschauer stellenweise enorm.
Man merkt dem Film an, dass die Autorin der Romanvorlage
versucht, Englands Begeisterung für Skandale in den Gazetten dramatisch zu verarbeiten.
Zoë Heller schreibt ihren gleichnamigen Roman auf Grundlage eines ähnlichen Skandals, der
sich Mitte der Neunziger tatsächlich in England abspielt, erweitert ihn jedoch
um die vereinnahmende Barbara.
Was TAGEBUCH EINES SKANDALS einerseits auszeichnet, andererseits
aber auch Probleme mit sich bringt, ist seine Unentschlossenheit, und seine
Vielschichtigkeit. Auf der einen Seite ist das ein enormer Vorteil, denn der
Film erlaubt viele Deutungsfacetten.
© Twentieth Century Fox Home Entertainment |
Grundsätzlich lotet der Film jede Menge zwischenmenschlicher
Beziehungsmodelle aus, die uns als Zuschauer die Stirn krausziehen lassen, weil sie
wahlweise ungewöhnlich, unerwünscht oder unangenehm sind.
Alternde Männer und junge Frauen, alternde Frauen und minderjährige Jungs, alte Frauen und junge Frauen, Freundschaften, die Priorität vor der Familie haben, Egoismus, der die Bedürfnisse eines Down Kindes übergeht, der offene Wunsch zum Ehebruch und noch einige weitere.
Auf diese Art hält der Film einen als Zuschauer ständig in Anspannung, vermittelt ein durchgehendes Gefühl des Unwohlseins – hier ist jede einzelne geschilderte Beziehung eine Beziehung voller Tabus, voller unmoralischer Komponenten, und weit weg von allem, was gemeinhin als „gesund“ und „wünschenswert“ betrachtet wird.
Alternde Männer und junge Frauen, alternde Frauen und minderjährige Jungs, alte Frauen und junge Frauen, Freundschaften, die Priorität vor der Familie haben, Egoismus, der die Bedürfnisse eines Down Kindes übergeht, der offene Wunsch zum Ehebruch und noch einige weitere.
Auf diese Art hält der Film einen als Zuschauer ständig in Anspannung, vermittelt ein durchgehendes Gefühl des Unwohlseins – hier ist jede einzelne geschilderte Beziehung eine Beziehung voller Tabus, voller unmoralischer Komponenten, und weit weg von allem, was gemeinhin als „gesund“ und „wünschenswert“ betrachtet wird.
Barbaras Fixierung auf Sheba lässt beiden keine Chance, und
es besteht kaum eine Hoffnung, dass eine der Figuren heil aus dem Disaster
herauskommt, in das Barbara sie sehenden Auges hineinsteuert. Eigentlich kann
keine Figur in diesem Film darauf hoffen, unbeschadet aus der Geschichte
herauszukommen, zu dicht webt er das Netz aus „Sodom und Gomorrha“, das in
diesem tristen, farblos inszenierten London herrscht.
Was den Film am Ende andererseits problematisch macht ist, dass er in
diesem Geflecht die Übersicht verliert, und einige Ungereimtheiten nicht mehr
umgehen kann. So wird man als Zuschauer gezwungen, Shebas Naivität bis zum
Schluss hinzunehmen, obwohl sämtliche Figuren um sie herum längst die Wahrheit
erkannt haben – glaubwürdig ist das nicht, aber notwendig für das Finale des
Films.
Auch kommen einige Motivationen zu kurz, vor allem Barbaras
wird wie erwähnt völlig im Dunkeln gelassen. Da der Film sich nicht an gängige Muster hält,
weiß man als Zuschauer auch lange nicht, was man erwarten soll – immer wieder
changiert der Film von Drama zu Thriller und zurück, ohne dass es dafür irgendwelche Anlässe
gäbe, manche Handlungsfäden werden einfach fallengelassen und nicht mehr
aufgenommen oder nur ungenau angedeutet.
Als Ganzes wirkt der Film ein wenig zu offen, nicht kompakt
genug, um wirklich zu befriedigen – das ist die Kehrseite seines Vexierspiels
mit den Genres. Hier wäre eine stärkere Einengung auf eine Genretypisierung
hilfreich gewesen.
© Twentieth Century Fox Home Entertainment |
Blanchett hingegen spielt die liebevolle, etwas naive
Lehrerin mit derselben Intensität wie ihre zynische Neurotikern in BLUE
JASMINE, und wird darüber hinaus derart attraktiv und ansprechend in Szene
gesetzt, dass man sich leicht vorstellen kann, wie sich diverse Figuren in sie
verlieben können – man kommt nicht umhin, ihr ebenfalls zu verfallen.
Beinahe bedauerlich ist denn auch das Ende des Films, das
sich klar vom Romanende abhebt. Denn wo der Roman sich als „Noir“ versteht,
und beide Figuren in ihrer ineinander verkeilten Freundschaft/Liebschaft
verharren lässt, so dass Barbara sich am Ende gegen die emotional deutlich
schwächere Sheba durchsetzen kann, die in Barbaras Netz gefangen bleibt, bastelt sich der Film ein etwas
unglaubwürdiges "Happy End", das er mit einem „das Böse lebt halt doch immer
weiter“-Horrofilm-Abschluss krönt.
Auch hier gilt, wie den ganzen Film über: mehr Konsequenz,
mehr Geradlinigkeit, mehr Biss hätte aus einem interessanten, sehenswerten kleinen Film
ein echtes Meisterwerk machen können, um das kein Weg herumgeführt hätte.
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