22.03.19

Der Junge muss an die frische Luft (D 2018) – Dat is’ wat ganz Besonderes!

Es ist Februar 2019 und noch immer beherrscht ein deutscher Film die Kinocharts – seit Dezember 2018!
DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT, der zu dem Zeitpunkt gerade die magische Drei-Millionen-Besucher-Schallmauer durchbrach, ist ein wahrer Glücksfall, nicht nur für das deutsche Kino, sondern für das Kino im Allgemeinen. Obwohl der Film erst am 25. Dezember 2018 in den Kinos startete, erreicht er den 3. Platz der Kino-Jahrescharts 2018 (und sichert sich einen guten Platz unter unseren raren Jahreshighlights 2018)!
Und Mitte März läuft der Streifen, der Carolines Link größten Erfolg darstellt, noch immer zur besten Zeit in den großen Kinos des Landes.
Und ja, auch wir sind begeistert!
© Warner Bros. Pictures Germany
Biancas Blick:

Hape Kerkeling, einer der populärsten Fernsehmacher Deutschlands und so etwas wie der Schutzpatron des Films, sagt über die witzig-traurige Dramödie: „Ich sehe den Film als Appell an Familien zusammenzuhalten. Bedingungslos.“

Und vielleicht ist das das Geheimnis des Films. Denn DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT ist viel weniger ein Film über Hape Kerkeling, sondern ein Film, der  in jeder einzelnen Szene das Wesen der Familie und Gemeinschaft in den Mittelpunkt rückt und dort seinen emotionalen Schwerpunkt setzt.


Worum geht’s?


DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT basiert auf der gleichnamigen, 2014 erschienenen Biografie von Hape Kerkeling.

Wir befinden uns im Recklinghausen der frühen 70er Jahre und begleiten den kleinen Hans Peter (alias Hape Kerkeling) auf seinem Weg zum Erwachsenwerden. Hans Peter (beeindruckend: Julius Weckauf) und seine Familie ziehen zu den mütterlichen Großeltern ins städtische Recklinghausen. Besonders zu seiner Oma Änne pflegt der Junge einen innigen Kontakt.
© Warner Bros. Pictures Germany
Das Zusammenleben der drei Generationen verläuft nicht reibungslos, ist aber stets von Wärme und Zusammenhalt geprägt.
Durch den Tante-Emma-Laden seiner Großmutter lernt Hans Peter all den Tratsch und Klatsch der Kleinstadt kennen und nimmt kreativ daran teil. Er beginnt, die schillernden Figuren seines Alltags mit all ihren liebenswerten Eigenschaften und Marotten zu kopieren und sich zu eigen zu machen.

Doch Hans Peters Kindheit ist von Verlust geprägt: Zuerst verstirbt seine geliebte Oma Änne nach langer Krankheit, was seine Mutter in schwere Depressionen stürzt. Sein Vater, der als Außendienstler viel unterwegs ist, kann den Jungen nicht auffangen und das nahende Unglück nicht verhindern, sondern verschärft die Situation, indem er seine Frau sich selbst überlässt. Und so nimmt Hans Peter sich der Aufgabe an, seine Mutter wieder zum Lachen zu bringen und zurück ins Licht zu führen. Er perfektioniert die Figuren, die ihn später als Hape Kerkeling berühmt machen werden, immer mit dem Ziel, seiner Mutter ein fröhliches Leben zu bescheren.
Doch er kann die „Schwermut“ seiner Mutter nicht verbannen und kämpft einen aussichtslosen Kampf, den er nicht gewinnen kann. Es geschieht das Unvermeidbare.
© Warner Bros. Pictures Germany
Der Selbstmord seiner Mutter und die damit verbundenen Schuldgefühle des Jungen rufen die gesamte Familie auf den Plan.
„Emotional besonders mitgenommen hat mich die Geschichte meiner Oma Bertha. Wie Sie als 72-Jährige nach dem Tod meiner Mutter einfach ihr Bündel schnürt, um völlig selbstverständlich, ohne zu klagen, meine Erziehung zu übernehmen und zu uns in die Stadt zu ziehen. Das hat mich umgehauen. Vielleicht ist das auch die Botschaft des Films: Kinder, reißt euch zusammen und haltet zusammen!“
© Warner Bros. Pictures Germany
Der zutiefst traurige Film gewinnt in den Familienszenen so viel Herzenswärme und Geborgenheit, und durch Weckaufs Spiel so viel Humor und Schalk, dass man als Zuschauer ein Strahlen im Herzen spürt und die zugrundeliegende Traurigkeit ein ums andere Mal vergisst.


Lachen? Weinen? Beides!


DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT ist eine Tragikomödie. Das bedeutet, der Grundton ist grundsätzlich sehr ernst, enthält aber auch heitere Sequenzen. Diese Szenen vermitteln dem Zuschauer das Gefühl, dass die Geschichte trotz aller Schwierigkeiten letztlich einen positiven Verlauf nimmt. Zu einem glücklichen Ende kommt es bei einer Tragikomödie nur selten. Sie endet aber auch meist nicht so extrem wie eine Tragödie, also mit dem Tod des Hauptcharakters. So bieten viele Geschichten auch einen Hoffnungsschimmer.
DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT ist daher ein Paradebeispiel für eine Tragikomödie, denn der Film zeigt ideal eine Komödie, die aus einer Tragödie erwächst und diese überwindet, ohne sie zu vergessen.
© Warner Bros. Pictures Germany
So schmunzelt der Zuschauer, als Hans Peter verkleidet versucht, seine Mutter zum Lachen zu bringen und diese ihn herzlich umarmt, nur um kurz darauf wieder in Schwermut zu versinken, wenn das Schicksal erneut zuschlägt. Man ist hin- und hergerissen zwischen Lachen, Hoffen und Weinen – dieses Wechselbad der Gefühle durchzieht den gesamten Film.

Humorvolle, fröhliche Szenen wie Hans Peters erster Ritt auf einem Pferd wechseln sich ab mit Szenen der todkranken Großmutter, glückliche Augenblicke im Tante-Emma-Laden mit Momenten des Abschiednehmens und der Einsamkeit.

Regisseurin Caroline Link gelingt der Spagat über das Werk hinaus.
Denn DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT hallt nach. In Resümees changiert man zwischen der Erinnerung an humorvolle, zum Lachen bringenden, und zutiefst anrührenden, traurigen Szenen.
Und dem Film gelingt es, voller Liebe und Herzenswärme die Freude, spürbar zu machen, mit der der kleine Hans Peter in seine Rollen schlüpft.
Ja, der Film hallt nach. So hatten wir weit über das Kinoerleben hinaus viele intensive Momente mit und durch den Film.


Und wo isser nu, der Hans Peter?


Das Highlight des Films ist uneingeschränkt Julius Weckauf als Hans Peter. Wir wollen die Leistung des insgesamt grandiosen Ensembles in keiner Weise schmälern, denn alle agieren durchweg hervorragend, aber Julius Weckauf trägt die Hauptlast des Films – und das mit Bravour!
Es ist die erste Rolle überhaupt für den 11-Jährigen.
© Warner Bros. Pictures Germany
„Der Julius! Er ist ein kleines Wunder. Wie der das Heitere und das Drama einfach so weggespielt hat. Bewundernswert. Man spürt auch, dass er aus einer ganz starken, gesunden Familie kommt“, so ein begeisterter Hape Kerkeling.

Die Entdeckung von Julius mutet selbst einer unglaublichen Geschichte an: Seine Eltern betreiben eine Schreibwaren- und Buchhandlung, in der sich Julius oft aufhält. Eines Tages kommt ein Kunde in den Laden und erzählt von dem Casting zu DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT und der gesuchten Rolle mit der Bemerkung, dass diese doch gut zu Julius passen würde. Beim Casting muss Julius Sketche vorführen und kommt Runde um Runde weiter, bis er schließlich den Zuschlag erhält. Und wie Hape selbst, muss auch Julius reiten lernen, nach drei Wochen kann er dann gut genug reiten, um es im Film (gewollt unsicher und unelegant) vorzuführen.

Auf die Begeisterung angesprochen, die er mit seinem Auftritt auslöst, antwortet Julius: „Da krieg ich ja rote Ohren. Ich find das gar nicht so besonders, was ich mache. Das ist oft ein bisschen zu großes Lob. Ich hab das gespielt und mag den Film auch sehr. Aber ich fand mich jetzt nicht so gut wie Leute in anderen Filmen.“ Er und Hape, von dem er gar nicht so viel im Vorfeld wusste, hätten sich auf Anhieb „mega“ verstanden. Julius war umso begeisterter, als er erfuhr, dass Horst Schlämmer keine echte Person ist, sondern eine von Hapes Kunstfiguren. „Und als ich gehört habe, dass das Hape war, fand ich den natürlich noch besser.“
© Warner Bros. Pictures Germany
Doch auch das Zusammenspiel mit seinen anderen Kollegen empfindet Julius als „mega“. „Ich hab mich mit allen super verstanden. Ich kannte jeden Namen am Set. Das wollte ich auch. Ich habe drum gebeten, dass alle so einen Klebezettel mit ihrem Namen tragen. Und dann hab ich das schnell gelernt.“
Diese Harmonie im Team merkt man dem Film an.

Julius Weckauf, der sich privat für Technik interessiert, plant nun, Schauspieler zu werden.
Wir würden uns freuen, ihn bald wieder auf der Leinwand bewundern zu dürfen.


Das ging ja mit Link(s)


„Ja, Caroline ist feinfühlig, hellhörig und eine sehr gute Filmhandwerkerin. Der Film verliert deshalb auch nicht in seinen schwierigsten Momenten diese geheimnisvolle Leichtigkeit. Der Film atmet irgendwie. Ich weiß nicht, wie sie das macht, ich bin noch nicht dahintergekommen“, urteilt Hape Kerkeling.
© Warner Bros. Pictures Germany
Caroline Link gehört zu den bekanntesten Regisseurinnen Deutschland und das nicht erst durch ihren Oscar für den Besten Nicht-Englischsprachigen Film NIRGENDWO IN AFRIKA von 2002.

1984 mit gerade mal 20 Jahren inszeniert sie zwei Folgen der Serie DER FAHNDER.
Nach einem Kurz- und einem Dokumentarfilm führt sie sechs Jahre später bei ihrem ersten Langfilm SOMMERTAGE Regie. 1998 dann erhält ihr zweiter Langfilm Film JENSEITS DER STILLE eine Oscarnominierung und heimst zahlreiche nationale und internationale Preise ein. Sie beginnt sich Geschichten aus Kinderaugen zu erzählen. „Familie ist in meinen Filmen immer wieder ein Thema. Ich denke, wenn man etwas über die Gesellschaft erzählen will, kann man das gut über eine Familie tun. Die Familienbande sind der Ursprung aller unserer Fähigkeiten, uns zu binden, zu lieben, zu hassen. Sozusagen rühren unsere ganzen Komplexe und Traumata aus Kindheitstagen und von Familienkonstellationen her. Als Kern einer Geschichte finde ich das sehr spannend.“
© Warner Bros. Pictures Germany
Nach der erfolgreichen Adaption des Kästner-Klassikers PÜNKTCHEN UND ANTON folgt 2001 das Drama NIRGENDWO IN AFRIKA. Es vergehen sieben Jahre, bevor Link sich wieder auf den Regiestuhl setzt und mit IM WINTER EIN JAHR ein sensibles Drama inszeniert. Fünf Jahre später folgt EXIT TO MARRAKECH, 2018 dann DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT, der erste Film, bei dem sie nicht auch das Drehbuch verfasst.
„Ich suche im Kino nach einer starken Emotion. Das heißt, ich will entweder berührt werden oder viel lachen. Ich bin keine Komödien- und auch keine Suspense-Regisseurin. Ich erzähle am liebsten von Gefühlen, die aber nicht so konstruiert sind wie in den Hollywoodfilmen, sondern die tatsächlich aus einer gewissen Tiefe entstehen. Und so war es bei diesem Drehbuch, bei dem – was selten passiert – großer Schmerz und Leichtigkeit ganz nah nebeneinander liegen. Man kann sich solche Geschichten kaum selbst ausdenken. Diese hier ist die Kindheit von Hape Kerkeling! Ich habe vorher nicht gewusst, dass hinter diesem großen deutschen Entertainer diese Tragödie steckt.“

Sieben Filme in 25 Jahren Regiearbeit, das deutet auf genaue und erlesene Auswahl der Filmstoffe hin.
Ihr nächster Film, ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL, ist für Dezember 2019 angekündigt. Das Drehbuch verfassten übrigens Anna Brüggemann und die 96-jährige Judith Kerr, die die Novelle schrieb, auf der die Verfilmung beruht.


Und was bleibt?


Geborgenheit. Ein warmes Gefühl. Und eine Träne im Auge, sowie ein Lächeln auf den Lippen.
Daher enden wir mit Hape Kerkelings wunderbarem Resümee voll tiefer Dankbarkeit den Menschen gegenüber, die ihn geprägt und zu dem gemacht haben, der er heute ist:

„Und gleichzeitig bin ich auch Tante Lore und die Richtung, in die sie mich im Kinderwagen auf dem Feldweg schiebt. Ich bin die gescheckte Kuh auf der Weide, das gelbe Korn auf dem Feld und der rote Mohn am Wegesrand. Ich bin der schmale Trampelpfad und dessen Ende. Ich bin der wolkenlose Himmel. Ich bin wach.“
© Warner Bros. Pictures Germany

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!