18.12.17

Porträt: Brad Pitt – Teil 1: Vom Greenhorn zum Superstar

Wenn man jemanden kennenlernt, konzentriert man sich dann nur auf sein Aussehen? Das ist nur der erste Eindruck. Und dann gibt es Menschen, die einem nicht sofort ins Auge springen, aber wenn man sich mit ihnen unterhält, werden sie zur schönsten Sache der Welt. Die großartigsten Schauspieler sind nicht das, was man ein wunderschönes Sexsymbol nennt. Ich verrate Ihnen, wer meine liebste Schauspielerin ist: Dianne Wiest, und die ist nicht gerade ein Sexsymbol. Aber für mich ist Dianne Wiest die schönste Frau der Leinwand.
– Brad Pitt
Quelle: Blu Ray „Thelma & Louise“ © Twentieth Century Fox
Biancas Blick:

1991 geschieht etwas in der Filmwelt, das sehr selten ist: Ein Spontan-Phänomen. Und zwar eines, das bleiben wird.
Wenige Jahre zuvor betritt ein junger Typ die Medienwelt. Sein Auftritt in einem Werbespot lässt vor allem die Damenwelt seufzen (ich oute mich an dieser Stelle als eine der seufzenden Damen!). Ein junger Mann, der eine so telegene Aura hat, dass man nicht umhin kommt, zwei Mal hinzuschauen, oder auch dreimal.
Ein Jahr später festigt dieser junge Mann seinen Status als Upcoming-Star mit seinem Auftritt als charmanter und rebellischer (was sonst!) Ganove J.D. in Ridley Scotts Drama THELMA & LOUISE. Obwohl er nur knapp sieben Minuten in dem Megaerfolg zu sehen ist (und berichten zufolge nur 6.000 Dollar Gage erhält), stiehlt er allen anderen die Show und wird zum heimlichen Star des grandiosen Roadmovies.
Und schon dieser kurze Erfolg wird das Selbstverständnis des Jungstars verändern.
Der Name des Newcomers ist Brad Pitt!

Fortan will er mehr sein, als einfach nur schön. In weniger als zehn Jahren wird er sein Ziel erreicht haben, und einer der einflussreichsten Stars Hollywoods werden ...
Aber der Reihe nach.

Aller Anfang ist fönfrisurig und schwer ...


Brad Pitt wird am 18. 12. 1963 in Shawnee geboren, einer Kleinstadt im ländlichen Oklahoma, und durchläuft mit seinen beiden jüngeren Geschwistern eine unauffällige Kindheit. Nach seiner schulischen Ausbildung beginnt er ein Journalismus-Studium, das er aber 1985 unmittelbar vor seinem Abschluss abbricht, um in Los Angeles sein Glück als Schauspieler zu versuchen. Als Fahrer für Stripperinnen(!) lernt Pitt schließlich Roy London kennen, einen der renommiertesten Schauspiellehrer seiner Zeit, der ihm Unterricht gibt und zu einigen Fernsehauftritten verhilft, u.a. als Randy in DALLAS, als Bobby in der Sitcom UNSER LAUTES HEIM (die schon Leonardo DiCaprio zu Ruhm verhalf) oder in 21 JUMP STREET.
Quelle: DVD „Cool World“ © Twentieth Century Fox
Auch in Filmen kann Pitt Rollen ergattern, so etwa in der jugoslawisch-amerikanischen Co-Produktion THE DARK SIDE OF THE SUN, die aber erst 1997, nachdem Brad Pitt weltberühmt ist, veröffentlicht wird, oder in TODESPARTY II – alles eher mittelmäßige Werke. In RIVALEN bekleidet er 1990 erstmals eine Hauptrolle und fällt den Kritikern in einem ansonsten eher unterdurchschnittlichen Jugenddrama positiv auf! Erwähnenswert ist in dieser frühen Ära noch der Fernsehfilm ZUM STERBEN VIEL ZU JUNG, ebenfalls ein Jugenddrama, in dem er an der Seite der jungen Juliette Lewis spielt, mit der er in den darauffolgenden Jahren liiert ist. 

... doch die Schwere währt nur kurz


Bemerkenswert ist, dass Brad Pitt sich innerhalb von nur vier Jahren nach seinem Leinwanddebüt zu einem der hoffnungsvollsten Jungstars mausert, und seinen Status als einer der größten Stars Hollywoods über zwanzig Jahre halten wird! Er kämpft sich also nur kurz durch die Schicht der mittelmäßigen bis schlechten Film- und Fernsehwerke. Es scheint, als hätte die Filmwelt auf einen wie ihn gewartet. Zwar hat er mit anderen Jungstars wie Christian Slater oder Keanu Reeves harte Konkurrenz an der Spitze,  doch denen fehlen die so wichtigen und erhofften Erfolge an den Kinokassen. Einzig Tom Cruise – der seit den frühen 80ern in großen Schritten die Karriereleiter emporflitzt und sich 1986 mit TOP GUN an die Spitze der erfolgreichen Jungstars setzt, bündelt Attraktivität und Erfolg in einer Person und erreicht einen ähnlich hohen und ebenso andauernden Ruhm wie Pitt – 30 Jahre später sind sie beide die einzigen Stars ihrer Generation, die ununterbrochen immer noch Erfolg und Namen haben. Mit einer Ausnahme, die jedoch zehn Jahre jünger ist, und daher noch etwas Zeit zum Aufholen braucht: Leonardo DiCaprio.

Nach Brad Pitts Auftritt in THELMA & LOUISE kann er sich vor Angeboten kaum retten. Doch die Rollen des ewigen „Rebel without a cause“ reizen ihn nicht; viel schärfer ist er auf die Rollen, die ihm nicht hinterhergeworfen werden! Pitt ist einer der wenigen Stars, die bereits direkt nach ihrem Durchbruch einen Imagewandel versuchen. Weg vom attraktiven Schönling, hin  zum ambitionierten Schauspieler!
1992 übernimmt er neben Kim Basinger die Hauptrolle in der Actionkomödie COOL WORLD, einem damals sehr populären Film, der im Fahrwasser von FALSCHES SPIEL MIT ROGER RABBIT Aufnahmen aus der realen Welt mit Zeichentrickaufnahmen verbindet. Noch im selben Jahr bewirbt er sich für eine Hauptrolle in Robert Redfords AUS DER MITTE ENTSPRINGT EIN FLUSS. Redford ist zu Beginn alles andere als begeistert. „Er trug ziemlich dick auf, was mich eher abstieß“, bekundet er später. Dennoch besetzt er Pitt, der dem jungen Redford wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Und Pitt dankt ihm sein Vertrauen mit seinem bis dato besten Auftritt!
Quelle: Blu Ray „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ © Universum Film GmbH
Der Film basiert auf den Memoiren von Norman McLean, der in seiner Novelle keine Dialoge verarbeitet. Redford erarbeitet daraus einen Drehbuchentwurf und schafft es, den als scheu bekannten McLean von seiner Verfilmung zu überzeugen. Brad Pitt spielt Paul McLean, Normans Bruder, der alkoholkrank und spielsüchtig seinem rechtschaffenen Bruder gegenübersteht und am Leben scheitern wird. Er spielt Paul nuanciert und überzeugend und macht den Film dadurch zu einem Kleinod. Die Szenen zwischen dem Vater und seinen Söhnen wirken womöglich deshalb so fein gezeichnet und sensibel geführt, weil Redfords Vater in der Vorproduktion an Alzheimer verstirbt.  Die Zusammenarbeit der beiden Stars Redford und Pitt verläuft sehr harmonisch. Einige Jahre später werden sie sich als ebenbürtigen Schauspieler in SPY GAME wieder gegenüberstehen.

Und ewig lockt das Monster


Brad Pitt wird im Laufe seiner Karriere immer wieder Rollen spielen, in denen er alles andere als charmant, schön oder begehrenswert ist. Hier kann er zeigen, was er kann und muss sich nicht auf sein Äußeres reduzieren lassen.
Damals jedoch kommt der Wandel völlig unerwartet und wie ein Schock. Nach Auftritten in Seifenopern, Werbespots, dem Oben-Ohne-Tanz in THELMA & LOUISE, und dem zerbrechlichen Spiel in AUS DER MITTE ENTSPRINGT EIN FLUSS sichert er sich 1993 plötzlich die Rolle als ekelhafter Redneck im generell dreckigen (wenn auch grandiosen!) Thriller KALIFORNIA – eine Rollenwahl, die für Furore sorgt! Pitts Manager schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, befürchtet, niemand wolle einen fetten, ungepflegten, rülpsenden Pitt mit schlechten Zähnen und schmierigen Haaren sehen, der als psychopathischer Serienmörder Early Grayce neun unschuldige Menschen ermordet und seine berührend kindlich-naive Freundin (erneut meisterhaft an seiner Seite: Juliette Lewis) sowie das Yuppi-Pärchen drangsaliert, das mit ihm durch Amerika reist.
Quelle: Blu Ray „Kalifornia“ © Twentieth Century Fox
Und es kommt, wie vorausgesehen: KALIFORNIA kostet neun Millionen Dollar und spielt nur 2,5 Millionen ein. Ein früher Flop, wenngleich man dafür nicht allein Pitt die Schuld geben kann – der Film ist sperrig und wenig zugänglich und generell keine fröhliche Unterhaltung. Unter Kennern, und spätestens heute, jedoch gilt KALIFORNIA als einer von Pitts besten Auftritten und hat sich weltweit zum Kultfilm gemausert. Tatsächlich wird man Mühe haben, eine bessere und intensivere Rolle in Pitts Filmografie zu finden.

Und Pitt scheint Geschmack an den unattraktiven Außenseitern gefunden zu haben. Denn auch seine nächste Rolle ist unerwartet: In Tony Scotts TRUE ROMANCE (kein Geringerer als Quentin Tarantino schreibt das Drehbuch!) spielt Brad Pitt den nuschelnden, ungepflegten Kiffer Floyd, mit zottelig-langen Haaren und null Peilung, dem genau das am Ende das Leben rettet. Eine kleine Rolle nur, die aber im Gedächtnis bleibt. TRUE ROMANCE mit Christian Slater und Patricia Arquette in den Hauptrollen gehört zu einer kleinen Gruppe markanter und einflussreicher Filme der frühen 90er. Pitt spielt, was ihn reizt, herausfordert, unabhängig vom Geheiß seiner Manager und Berater. Schon früh beweist er dadurch eine immense Bandbreite, die er in den folgenden Jahren ausdifferenziert und verfeinert! 
Doch der Ruhm ist nicht fei von Risiken. Als Conan O’Brien ihn fragt, wie er die Rolle des Kiffers Floyd angelegt habe, erklärt Pitt kurz und knapp: „Ich bin ein Method Actor!“ Dass diese Antwort mehr als ein flapsiger Witz ist, zeigt sich 23 Jahre später, als der als Saubermann geltende Pitt zugibt, seit den frühen 90ern dauer-stoned und schwerer Alkoholiker gewesen zu sein. (Spannend ist hierbei übrigens die Aussage von Pitts zweiter Ehefrau Angelina Jolie, die die Rolle der heroinsüchtigen Gia Carangi in GIA zunächst nicht annehmen wollte, da sie als Method Actor die Gefahr sieht, dadurch zu tief in den Drogensumpf zu rutschen – auch diese Angst erweist sich am Ende als gut begründet.)

Back to Beauty


Die beiden nächsten Projekte setzen Pitt wieder in ein optisch sehr harmonisches Licht: INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR ist die gelungene Literaturverfilmung von Anne Rice‘ ursprünglich erstem Teil ihrer Vampir-Chroniken. Pitt spielt den sensiblen Vampir Louis, der an seinem Vampirdasein und der damit verbundenen Unsterblichkeit sowie dem Zwang zum Morden zerbricht.
Quelle: Blu Ray „Interview mit einem Vampir“ © Warner Home Video
Selten wurde Pitt so schön fotografiert. Außerdem beweist er, mit welcher Souveränität er mittlerweile auch in großen Filmen die Hauptrolle stemmen kann. Obwohl er den Film am Ende nicht gänzlich alleine stemmen muss. Zwar hat er offiziell die Hauptrolle inne, doch stiehlt ihm ein anderer Star die Show, der generell nicht gern die zweite Geige spielt: Tom Cruise als Lestat liefert eine ähnliche aufsehenerregende Rollenwahl ab wie Pitt zuvor in KALIFORNIA, spielt jedoch sämtliche Kollegen (darunter Antonio Banderas, Christian Slater, der für den verstorbenen River Phoenix einspringt, und Kirsten Dunst, die hier ein fulminantes Debüt hinlegt) mühelos an die Wand. Sein hagerer, narzisstischer, egozentrischer, gelangweilter, diabolischer Lestat lässt nicht nur Anne Rice' Zweifel an seiner Besetzung in Rauch aufgehen, sondern lässt auch die Zuschauer und Kritiker jubeln.

Pitts Leistung gerät in der öffentlichen Wahrnehmung völlig in den Hintergrund. Es ist Cruises erste Rolle als ultimativer (wenn auch sehr charismatischer) Bösewicht, nachdem der Star bisher ausschließlich auf strahlende, meist wunderschöne und gutgelaunte Helden abonniert war. Und für diese Rolle muss er hart mit Management und Anne Rice kämpfen; die einen fürchten einen Imageschaden, die andere, dass der Schönling mit dem Tausend-Watt-Grinsen mit der Rolle überfordert sei und der Marke „Lestat“ schaden könne.
Doch INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR gerät zum gelungenen Duell zweier Figuren, die an unterschiedlichen Enden der Skala von Moral und Überleben stehen, dargestellt von zwei „Sexsymbolen“, denen man solche Figuren gar nicht zutraut.
Quelle: Blu Ray „Interview mit einem Vampir“ © Warner Home Video
Pitt empfindet die Dreharbeiten als nervenaufreibend. Seine Rolle, aber auch der Kleinkrieg mit Tom Cruise, eigentlich ein Nebendarsteller, der um seinen Status als Topstar bangt, kosten ihn viel Kraft. „Eines Tages hat es mich zerbrochen … Ich rief David Geffen an, unseren Produzenten. Ich sagte: 'David, ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Wie viel kostet es, dass ich aus dem Film aussteige?' Und er antwortet, ganz ruhig: 'Vierzig Millionen Dollar.'” Pitt dreht den Film zu Ende.
Dafür wird der Streifen einer der erfolgreichsten des Jahres. Und Pitt nun einer der lukrativsten und begehrtesten Stars Hollywood. Sein Aufstieg scheint unaufhaltsam. 

Die Familien-Saga LEGENDEN DER LEIDENSCHAFT bietet ihm im selben Jahr die Möglichkeit, diesen Status zu zementieren. Als Tristan (wie passend!) Ludlow spielt er den suchenden, einzelgängerischen, mittleren von drei Brüdern, der seinem älteren zu gefallen, und seinen jüngeren zu beschützen versucht. Angesiedelt von den Wirren des ersten Weltkriegs bis zur Prohibition durchläuft die Saga familiäre Dramen aus Hass, Eifersucht, Verlust und Tod. Heute eines der eher mittelmäßigen Epen seiner Zeit, trifft die Schmonzette Mitte der 90er genau den Nerv der Zuschauer und wird Pitts zweiter großer Erfolg des Jahres. (Pitt hat 1994 zwei Filme in den Top-20 des Jahres. Nur ein Star kann das toppen: Jim Carrey, der drei Mal vertreten ist!) Julia Ormond gelingt ein kurzer Durchbruch und Anthony Hopkins adelt den Film durch sein Spiel als Vater Ludlow. Doch Pitts Figur steht im Zentrum der Handlung und auch hier liefert er eine sehenswerte Leistung als depressiver Handlungsträger ab.
Quelle: Blu Ray „Legenden der Leidenschaft“ © Sony Pictures Home Entertainment
Innerhalb eines Jahres ist Pitt in die Reihen der Blockbusterkönige und Kassenmagneten aufgestiegen, was er ebenso beherrscht wie kleine Indie-Perlen. Sein Talent, beides zu verschmelzen, und aus kleineren Filmen, die kaum Blockbuster-Potential haben, echte Kassenknüller zu machen, lässt ihn schließlich zu dem Topstar der 90er werden.

Kartons, Glasaugen und Regeln: Die Kultfilme


THELMA & LOUISE, KALIFORNIA und TRUE ROMANCE haben aus heutiger Sicht zwar einen gewissen Kultcharakter und sollten jedem Filmfan bekannt sein, doch ab 1995 legt Pitt eine Reihe cineastischer Meisterwerke vor, die so wegweisend, bahnbrechend und ikonisch sind, wie wenig andere Filme ihrer Zeit. So gilt Pitts nächster Film bis heute als einer der besten Psychothriller überhaupt, der, ebenfalls bis heute, zur Stilvorlage für ein ganzes Genre gerät. Und ja, es ist ein Meisterwerk: SIEBEN!
Quelle: Blu Ray „Sieben“ © Warner Home Video
David Finchers erster Ausflug ins Serienkillergenre (dem mit ZODIAC und MINDHUNTER weitere Meisterwerke folgen) lässt 1995 die Leinwände erbeben und mutet dem Publikum eine visuelle und narrative Wucht zu, die es in dieser Form noch nicht zu sehen gab. Er kleidet die Arbeit seines Ermittlerduos in derartig schmutzige, triste Bilder voller Nihilimus, dass man sich direkt in den Wahnsinn des psychopathischen Mörders hineingesogen fühlt. Der namenlose Killer wählt seine Opfer aus, weil diese in seinen Augen einer der sieben Todsünden gefrönt haben.
Gwyneth Paltrow und Morgan Freeman bilden mit Pitt das Darstellertrio, welches das Publikum in den Abgrund führt. Pitt spielt dabei den zu Beginn leidenschaftlichen, stürmischen und idealistischen Polizisten Mills, der sich aus einer Kleinstadt nach New York versetzen lässt, um endlich etwas verändern zu können. Ihm gegenüber steht der zynische, desillusionierte, erfahrene Detective Somerset, dessen bevorstehende Pensionierung hier weniger Klischee, und eher narratives Element ist. Somerset ist das Elend und den Schmerz leid, die er beruflich verarbeiten muss, und er kann den Ruhestand kaum noch erwarten. Abgeklärt und amtsmüde, entfremdet vom normalen Alltag der meisten Menschen, kann er die Ungestümtheit seines jungen Kollegen kaum nachvollziehen. (Er muss ja unbedingt wissen, was im Karton ist ...)

In einem kleinen, aber alles entscheidenden Auftritt erklimmt Kevin Spacey hier eine weitere Stufe bei seinem Aufstieg zum charismatischen Schurkendarsteller und Weltstar (beides davon erlebte dieses Jahr einen tiefen Sturz), und Paltrow, die Mills Ehefrau spielt und das funkelnde, strahlende Gute des Films symbolisiert, gelingt hier der Aufstieg  in die A-Liga Hollywoods – und in Pitts Herz. Denn der Star scheint ein Faible dafür zu haben, mit seinen Leinwandpartnerinnen Affären oder Beziehungen einzugehen.
SIEBENs visionäre Meisterhaftigkeit hebt ihn noch heute ab, und der Streifen gilt als einer der meistzitierten Filme überhaupt! 

Auch Pitts nächster Film, ebenfalls von 1995, ist visionär, visuell mutig und ein cleverer Kultfilm der 90er! Zwar hat Pitt in Terry Gilliams' 12 MONKEYS, ein dystopischer Zeitreisethriller, nur eine kleine Nebenrolle als durchgeknallter Psychiatriepatient mit Glasauge, doch wie schon in THELMA & LOUISE reißt er mit seinem Kurzauftritt jede Menge Aufmerksamkeit auf sich.
Seine Darstellung ist so überzeugend, dass er dafür seinen ersten Golden Globe einheimst und zudem seine erste Oscarnominierung erhält – als Bester Nebendarsteller. Und das zu Recht.
Quelle: Blu Ray „12 Monkeys“ © Concorde Video
1999 kommen Brad Pitt und Regisseuer David Fincher erneut zusammen, um nach SIEBEN ein zweites Mal Kinogeschichte zu schreiben. Und einen weiteren Kulthit zu landen: In FIGHT CLUB starten Pitt und Edward Norton einen Club für gelangweilte Arbeitsdrohnen, die sich auf die Glocke geben, um mal wieder was zu spüren. Doch damit beginnt erst ein Drama, das in landesweiter Anarchie und einer (seinerzeit) überraschenden Wendung der Ereignisse mündet.

Spannend ist nicht nur der Film selbst, bei dem Fincher erneut auf wanddurchschneidende Kamerafahrten, furiose Nahaufnahmen und schmutzig-nihilistische Visualität setzt, sondern auch einer der Jungstars an Pitts Seite, der wie er versucht, mehr zu sein als nur „schön“, und der dafür bis an seine Grenzen geht: Jared Leto. Der setzt ein deutliches Zeichen, wenn er einen Schönling spielt, dem bei einem dieser Faustkämpfe jegliche Schönheit aus dem Gesicht geprügelt wird.
Der Film löst eine weltweite Debatte über Gewaltverherrlichung aus (und tatsächlich kommt es im Lauf der Jahre zu unschönen Gewaltdelikten, bei denen die Täter den Film als Inspiration angeben), und zieht mit Zitaten wie: „Die erste Regel des Fight Clubs: Ihr werdet nicht über den Fight Club reden. Die zweite Regel des Fight Clubs: Ihr werdet NICHT über den Fight Club reden“, in die Popkultur ein!
Quelle: Blu Ray „Fight Club“ © Twentieth Century Fox
Alle drei Filme gehören, obwohl sie extreme Randfilme darstellen, mit Themen, die für das Massenpublikum ungeeignet sind, und den üblichen Sehgewohnheiten zuwider laufen, zu den erfolgreichsten Filmen ihrer Zeit – und Pitts Spiel ist in jedem davon einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg.

Ein bisschen Massenware darf auch mal sein!


Doch Pitt dreht zwischen 1996 und 1999 zwar viele erfolgreiche, aber nicht immer gute Filme.
Das Drama SLEEPERS nach dem Roman von Lorenzo Carcaterra ist sicherlich einer der besseren Filme jener Jahre, wenn auch kein allzu erfolgreicher. Angeblich auf wahre Begebenheiten beruhend – was nie eindeutig bewiesen werden konnte – erzählt Carcaterra seine Erfahrungen in einem Jugendgefängnis: Vier Freunde kommen wegen einer Bagatelle im New York der 1960er Jahre in eine Jugendstrafanstalt und werden dort von dem sadistischen Wärter Nokes (grandios eklig und abstoßend: Kevin Bacon) misshandelt und missbraucht. Als zwei von ihnen, die aufgrund der Ereignisse auf die schiefe Bahn geraten und Gangmitglieder werden, Jahrzehnte später zufällig auf Nokes treffen und ihn kurzerhand erschießen, führt ausgerechnet ihr dritter Freund (Pitt) für die Staatsanwaltschaft die Anklage.
Doch der Plan ist nicht, seine Freunde in den Knast zu bringen, sondern den Prozess zu nutzen um Nokes' Greueltaten zu entlarven und ans Licht zu bringen. Regisseur Barry Levinson gelingt ein mitreißender Gerichtsthriller, der die gebrochenen Seelen von vier Kindern seziert und fühlbar macht. Der Cast ist beeindruckend: Brad Pitt, Robert De Niro, Dustin Hoffman, Jason Patric, Kevin Bacon, Minnie Driver, Ron Eldard und Billy Crudup spielen sich die Seele aus dem Leib und machen dieses düstere, schwere Missbrauchsdrama sehenswert.

VERTRAUTER FEIND hingegen gerät zum Desaster vor und hinter der Kamera und zum Duell zweier Hollywoodstars, die sich so sehr in die Haare bekommen, dass das Projekt beinahe kippt. Harrison Ford und Brad Pitt liefern sich nicht nur vor der Kamera ein Psychoduell, sondern streiten auch dahinter um ihren Starstatus, darum, wessen Name zuerst im Vorspann und auf Plakaten erscheint. Beide beschimpfen sich öffentlich, nennen sich „talentlos“ und „Dinosaurier“.
Quelle: Blu Ray „Vertrauter Feind“ © Sony Pictures Home Entertainment
Dabei ist der Film all das Drama gar nicht wert. Der Thriller, der in den 80er Jahren angesiedelt ist und den IRA-Konflikt thematisiert, ist nicht unspannend, aber auch wenig nachhaltig. Dafür kommt er zu konventionell daher. Zwar sitzt mit Alan J. Pakula eine wahre Regiegröße hinter der Kamera, aber so richtig zünden tut das Psychoduell nicht.
Im Nachhinein beichtet Pitt, dass es auch Querelen mit dem Studio über das Script gegeben habe: „Wir hatten kein Drehbuch. Nun, wir hatten ein fantastisches Drehbuch, aber das wurde aus verschiedenen Gründen verworfen. Und sich was auszudenken, während man schon dreht – Himmel, was für ein Druck. Es war lächerlich. Es waren die unverantwortlichsten Dreharbeiten – wenn man sie denn überhaupt so nennen kann –, die ich je erlebt habe. Der Film fiel dem scheidenden Studioboss (Mark Canton) zum Opfer, der sagte: 'Ist mir egal. Wir machen ihn. Ist mir egal, was ihr habt. Dreht irgendwas.'”

Mit SIEBEN JAHRE IN TIBET unter der Regie von Jean Jaques Annaud gelingt Pitt eine nuancierte Charakterstudie. Gezeichnet wird die Freundschaft zwischen dem österreichischen Bergsteiger-Idol der Nazizeit, Heinrich Harrer, und dem später im Exil lebenden jungen Dalai Lama. Sehr fein skizziert Annaud diese aufkeimende Freundschaft und zeigt Harrers Wandlung vom Egoisten zum Altruisten glaubhaft nach. Aus heutiger Sicht punktet der Film weniger mit der Darstellung des Buddhismus und seiner Inhalte als vielmehr durch die Visualisierung der Reise zweier Männer zu ihren Wurzeln. An Pitts Seite spielt David Thewlis, einer der spannendsten und wandlungsreichsten Schauspieler Englands, der Pitt zeitweise locker an die Wand spielt.
Quelle: Blu Ray „Sieben Jahre in Tibet“ © Sony Pictures Home Entertainment
In Interviews zu seiner Karriere in jener Zeit sagt Pitt: “Eine Menge Anziehungskraft vor meinem Durchbruch bestand aus dem Ruhm, dem Lebensstil … jetzt war meine Motivation eher ein: 'Ich will gut sein!'” Und das spürt man. Es scheint, als spiele Pitt, worauf er Lust hat, was ihn reizt und eine Herausforderung verspricht. Ein festes Image hat er nicht. Er bespielt nahezu alle Genres (außer RomComs) und weist ein enormes Rollenspektrum auf. Zwar tut er das schon seit Jahren, ist jedoch erst seit fünf Jahren sowas wie ein „Star“, was seine breite Rollenwahl wieder zu einer echten Seltenheit macht.

1998, ein Jahr vor dem grandiosen FIGHT CLUB, muss Brad Pitt seinen ersten großen Flop verkraften, künstlerisch wie auch finanziell: RENDEZVOUS MIT JOE BLACK ist bis heute einer der langweiligsten 3-Stünder der Filmgeschichte. Obwohl Pitt (mit blondierten Strähnchen) den Tod und dessen Entdeckung der Welt putzig und tatsächlich knuffig spielt (besonders die Szene, in welcher er Erdnussbutter entdeckt), wirkt das Drama um Vorsehung, Liebe und Verlust unheimlich dröge und nichtssagend. Auch wenn Pitt hier noch zu den Highlights gehört. Das spröde Epos floppt, trotz Stars wie Pitt und Anthony Hopkins, und markiert einen ersten Kratzer in Pitts bis dato makelloser Karriere.
Quelle: Blu Ray „Rendezvous mit Joe Black“ © Universal Pictures Germany GmbH
Pitt schauspielert erst zwölf Jahre, und wirkt doch schon ruhiger und abgeklärter als zu Beginn seiner Karriere. Er besinnt sich immer stärker auf seine Funktion als Schauspieler, der sich nicht mit politischen Ereignissen befassen sollte: „Man sollte sich nicht äußern, wenn man nicht weiß, worüber man spricht. Deshalb fühle ich mich so unwohl in Interviews. Journalisten fragen mich, was China meiner Ansicht nach in der Tibetfrage tun sollte. Wen interessiert es, was China tun sollte? Ich bin ein verfickter Schauspieler! Sie drücken mir ein Drehbuch in die Hand. Ich spiele. Ich bin hier, um die Leute zu unterhalten. Im Grunde, wenn man alles überflüssige wegnimmt, bin ich ein erwachsener Mann, der sich schminkt.“
Mitte der 2000er wird sich diese Einstellung drastisch ändern – Pitt entwickelt ein ausgeprägtes soziales und politisches Gewissen, dem er verstärkt Ausdruck verleiht. 

Bald bin ich mehr als nur ein Schauspieler!


In den folgenden sechs Jahren tritt Pitt in unterschiedlichen Filmen auf. SNATCH, THE MEXICAN und SPY GAME – in Letzterem agiert er an der Seite seines einstigen Mentors Robert Redford, der sich von Pitts künstlerischer Entwicklung beeindruckt zeigt. Von allen drei Filmen erweist sich nur SPY GAME als erfolgreich an der Kinokasse. SNATCH, Guy Ritchies Regiedebüt, ist zu böse, bissig und britisch, THE MEXICAN zu trivial und verworren, um zu mehr als einem Insider-Tipp zu werden. THE MEXICAN dreht Pitt nur, weil er schon lange mit seiner guten Freundin Julia Roberts ein Projekt realisieren will. Da kommt ihm dieses ungewöhnliche Roadmovie gerade recht. Durchaus voller Charme geben Roberts und Pitt alles, um sich ihre Rollen zu eigen zu machen – doch so richtig zünden will die Geschichte um einen sagenumwobenen Revolver nicht.

Mit OCEAN'S 11 schließlich kehrt Pitt 2001 unter der Regie von Steven Soderbergh auf die Erfolgsspur zurück (nicht, dass sein Ruhm unter den Flops gelitten hätte), und kreiert mit George Clooney, Julia Roberts, Andy Garcia und Matt Damon ein Kleinod des modernen Heist-Thrillers, dem drei Sequels folgen. Der Film ist brillant fotografiert, voller Freude gespielt und äußerst unterhaltsam. Clooney und Pitt, die enge Freunde werden (was umso ironischer ist, da Pitt Clooney einst die entscheidende Rolle in THELMA & LOUISE weggeschnappt hat ...), tragen den Film mit einer Coolness und Lässigkeit, dass es eine wahre Freude ist! Der Film wird zu einem der finanziell erfolgreichsten in Pitts Karriere.
Quelle: Blu Ray „Ocena's Eleven“ © Warner Home Video
Mit dem neuen Jahrtausend und Pitts 40. Geburtstag stehen einschneidende Änderungen in seiner Karriere bevor. Die Zeit der großen Blockbustererfolge nähert sich ihrem Ende, die Ära des coolen Rebellen sowieso. Und doch stehen Pitt einige seiner interessantesten Filme noch bevor. Und vor allem: Die Karriere als überaus erfolgreicher Produzent! Hinzu kommen sein immenser humanitärer Einsatz, eine öffentlichkeitswirksame, zehn Jahre währende Bilderbuchehe mit sechs Kindern – deren Ende weniger glamourös wird.
Man merkt, dass Pitt nach all seinen Erfolgen neue Herausforderungen sucht – und diese meistern wird.

Dieser zweiten Hälfte in Pitts Karriere widmen wir uns in Teil 2 unseres Porträts. Doch bevor wir das tun, möchten wir noch den vermutlich schlechtesten Film in Brad Pitts Karriere abhaken, ein künstlerischer und kommerzieller Reinfall oberster Güte, den 2004 nicht einmal Pitts Talent retten kann: Wolfgang Petersens TROJA.
Der Streifen, eine Verfilmung von Homers „Ilias“, ist trashig, mies gespielt, unfreiwillig komisch, und historisch derart geschönt und verzerrt, dass einem die Haare zu Berge stehen! Einzig Eric Bana gelingt es, zu zeigen, was er kann, und mit so etwas wie einem Plus aus dem Film herauszukommen, da es keinem anderen Star gelingt, seinen schauspielerischen Vorgaben zu folgen! 
Der Film floppt und wird von Publikum und Kritik regelrecht ausgelacht.
Erst zehn Jahre später gelingt Pitt etwas Ähnliches mit ALLIED. Doch dazu kommen wir noch.

Die Jahre des Suchens und Karriereaufbaus sind vorbei. Brad Pitt ist auf dem Zenit. Mit 41 Jahren hat er in Hollywood als Schauspieler quasi alles erreicht (mit Ausnahme eines Oscars). Was folgt, sind Jahre des Findens und der Erfüllung. Der Ruhe und des inneren Friedens. Und, filmisch betrachtet, Jahre des Durchschnitts, der kunstvollen Flops, und der unsterblichen Klassiker.
Quelle: Blu Ray „Spy Games“ © Universal Pictures Germany GmbH

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