01.09.16

Kinokritik: The Shallows (USA 2016)

Mit THE SHALLOWS läuft aktuell nicht nur einer der besten Thriller des Jahres im Kino, sondern nach langer Zeit mal wieder ein Hai-Film, den man ernst nehmen kann. Nachdem sich das Genre qualitätsbedingt seit mehr als zehn Jahren ein „Direct-to-Video“-Abonnement erarbeitet hat, wird THE SHALLOWS nahezu durchweg mit dem Übergott des Hai-Thrillers in einem Atemzug genannt: DER WEIßE HAI.
Wieso dieser Vergleich unfair ist, mit welchen Schwierigkeiten das „Shark-Genre“ kämpft, was THE SHALLOWS so sehenswert macht, und wie realistisch der Film eigentlich ist, erfahrt ihr in unserer heutigen Kinokritik.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Marcos Blick:

Freunde von Survivalthrillern kommen dieses Jahr um THE SHALLOWS nicht herum. Und Freunde des mittlerweile ausufernden Genres des „Shark-Thrillers“ erst recht nicht. Denn auch wenn der Vergleich mit DER WEIßE HAI danebengreift und beiden Filmen nicht gerecht wird (bis auf einige visuelle Anleihen und den Einsatz einer Boje finden sich keine großen Gemeinsamkeiten), erwartet einen in THE SHALLOWS cleveres Spannungskino mit etlichen neuen Ideen und ungewöhnlichen Strukturentscheidungen.

Zumindest die Story ist seicht


Wir haben THE SHALLOWS das erste Mal im Spanienurlaub gesehen, wo er den klingenden Verleihtitel „Die blaue Hölle“ trägt, und es sagt viel über den Film aus, dass wir ihm auch ohne große Spanischkenntnisse nahezu lückenlos folgen konnte.
Die Geschichte ist dabei nämlich, so viel muss der Film sich gefallen lassen, weder besonders neu, noch besonders anspruchsvoll.

Die junge Medizinstudentin Nancy kann den Krebstod ihrer Mutter nicht verwinden. Mit dem Schicksal und der medizinischen Zunft am hadern, sucht sie die Nähe zu ihrem verstorbenen Familienmitglied an einem abgelegenen Geheimstrand irgendwo in Mexiko, wo ihre Mutter einst die Wellen geritten ist.
Der Film beginnt mit großartig fotografierten Surfaufnahmen und reichlich Klischees: Die blonde, etwas naiv wirkende Amerikanerin, die sich abseits der Zivilisation in die Fluten stürzt.
Als der Tag sich dem Ende neigt, entdeckt sie auf einmal etwas im Wasser – den Kadaver eines gerissenen Buckelwals. Nancy schaltet schnell, dass sie unvermittelt ins Fressrevier eines Hais geraten sein muss. Eilig dreht sie um und versucht das Ufer zu erreichen – doch es ist zu spät. Nach einer unangenehmen Kontaktaufnahme mit dem auffallend groß geratenen Raubtier landet sie verletzt auf einem winzigen, aus der Ebbe ragenden Felskuppe. Das rettende Ufer, Trinkwasser und ihr Handy sind kaum hundertfünfzig Meter entfernt, doch der mehr als aggressive Hai greift jeden Eindringling gnadenlos an. Und natürlich naht die Flut und droht, den Felsen zu überschwemmen …

Überraschende Untiefen


Trotz der simplen Prämisse und des erwartbaren Verlaufs – denn natürlich arbeitet Nancy während ihrer Tortur ihr Familientrauma auf und findet ihre Art von Frieden – wartet der Film mit einigen Überraschungen auf. So involviert er eine Go-Pro Kamera, die zu Beginn des Films einige noch vage Hinweise darauf liefert, was geschehen wird, damit aber auch deutlich macht, dass der Ausgang des Films ganz und gar nicht feststeht.
Angenehm ist außerdem, dass der Film das zu Beginn aufgebaute Klischee der blonden, naiven Amerikanerin bricht – Nancy erweist sich im Verlauf des Films nämlich als außerordentlich clevere Protagonistin, die das Herz am rechten Fleck hat, und mit einer gehörigen Portion Kampfgeist aufwartet.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Überhaupt ist die Figurenzeichnung, aber auch Blake Livelys Spiel – die Kalifornierin haucht ihrer Figur so viel Leben und Sympathie ein, dass sie einem in Rekordzeit ans Herz wächst – überaus gelungen. (Die passionierte Surferin spielt einen Großteil der Surfszenen übrigens selbst.) Womit auch erklärt wäre, wieso der Film trotz seiner nicht direkt neuartigen Handlung für so viel Freude sorgt, denn er legt den Fokus dorthin, wo andere Hai-Filme keinerlei Mühe mehr auf sich nehmen: In die Figurenzeichnung. In einem Genre, das sein Heil in immer tieferen Trashpfründen sucht, ist das eine unerwartete, aber erfreuliche Neuausrichtung.
Denn, und da gibt es nichts zu beschönigen: Hai-Filme haben ein Problem, das selbst der dickste Megasharktopussaurier nicht verputzen könnte.

Sharks with frickin' Laser beams attached to their heads!


Hai-Thriller leiden, mehr noch als jedes andere Genre, an einem akuten Problem: Kreativität.
Denn seit dem alles überragenden Erfolg von DER WEIßE HAI (und der lief immerhin schon 1975!) erfreuen sich Filme mit, über und von Haien einer derart großen Popularität im Subgenre des Monsterhorrors, dass die Filmemacher an ihre Grenzen stoßen, was neue Impulse angeht.
Die Popularität ist dabei vermutlich schnell erklärt: Haie sind die nahezu perfekten Filmmonster. Quasi ein Torpedo mit Zähnen.Was den Hai dabei hervorhebt, ist die Tatsache, dass er, anders als die meisten anderen Filmmonster, real existiert.

Das bringt allerdings auch ein Problem mit sich. Denn diese reale Existenz setzt den Filmemachern Grenzen: Haie leben nunmal im Meer und kommen, wie alle Fische, selten an Land.
Ein jeder Hai-Film steht also vor dem Problem, dass er im Grunde nur die ewig gleiche Geschichte erzählen kann: Eine Anzahl Protagonisten bewegt sich aufs Meer, und gerät dort mit einem Hai aneinander.
Das ist, selbst für Horrormaßstäbe, eine extrem einschränkende Prämisse.

Und so nimmt es kein Wunder, dass die Filmemacher heute, wo das Publikum mehr und mehr Hai-Filme wünscht, immer kreativer werden müssen, um ihre Prämisse irgendwie kreativ zu gestalten und die Zuschauer zu überraschen.
Ursprünglich sah das – übrigens bereits in DER WEIßE HAI – noch so aus, dass man die Tiere größer machte, aggressiver und intelligenter. Denn auch wenn Haie keine dummen Tiere sind, sind sie im Endeffekt relativ langweilige Zeitgenossen: schwimmen im Meer herum und fressen alle paar Tage eine Robbe oder irgendwas Achtarmiges. Spannende Filmszenen gibt das nicht her.

Bedauerlicherweise reicht das mittlerweile kaum noch aus, um das Publikum zu fesseln, und so begannen die Filmemacher, sich immer einen Schritt weiter von der Realität zu entfernen, bis ... ja, bis irgendjemand einen Schritt zu weit tat und das Genre elegant ins Subgenre des Trash-Horrors entführte.

Spätestens mit Titeln wie SANDSHARKS oder SNOWSHARKS, in denen die Tiere nicht mal mehr ans Wasser gebunden waren, verschwindet diese Grenze auch mehr und mehr am Horizont.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Mittlerweile ist das Genre des Hai-Horrors bei skurrilen Mischwesen wie dem SHARKTOPUS angekommen, bei GHOSTSHARK und ZOMBIESHARK. Und als König des Bodensatzes erweist sich die unermüdlich dahintrashende Reihe SHARKNADO, die sich nicht scheut, Haie durchs Weltall fliegen zu lassen. Für 2017 ist auch ein deutscher Beitrag geplant: In SKY SHARKS fliegen Zombie-Nazis auf Luftkampfhaien ihre Angriffe gegen uns …

Kurz: Dr. Evils einst ironischer Traum von Haien mit Laserkanonen auf dem Kopf  scheint mittlerweile eine glaubhafte Filmprämisse geworden zu sein. In seiner Verzweiflung rettet der Hai-Horror sich in die buntesten Untiefen des Trashfilms – und das äußerst erfolgreich.

Erschwerend kommt hinzu, dass es quasi unmöglich ist, mit echten Haien zu drehen, da die Tiere sich nicht dressieren lassen. (Ehrlich: Haie sind die Katzen der Meere.) Wer also nicht in den Genuss kommt, Naturaufnahmen geschickt in seinen Film einzumontieren, muss auf Effekte zurückgreifen, und damit wahlweise auf hydraulische Modelle oder eben auf CGI-Standard. Die geringen Budgets vieler Hai-Filme lassen jedoch keine wirklich überzeugenden Effekte zu, und nicht jeder ist ein Steven Spielberg, der aus der Not eine Tugend macht und mal eben den Suspense neu erfindet.

Zwei Kategorien von Achtung Hai!


Vermutlich war es also unumgänglich, dass das Genre, bei der Anzahl produzierter Titel, im Trash landen musste. Es ist eine echte Herausforderung, einen „normalen“ Hai-Film zu produzieren, noch dazu einen guten. Dennoch gibt es einige nennenswerten Vertreter, die ohne Chief Brody auskommen.

Im Endeffekt lassen sich Hai-Thriller – zumindest die annähernd realistische Variante – in zwei Kategorien einteilen.

Die erste Kategorie macht den Hai zu einer gesellschaftlichen Gefahr, die danach verlangt, dass eine Gruppe von Menschen sich aufmacht, um die Gesellschaft vor der Bedrohung des Hais zu schützen, wofür sie in den Lebensraum des Hais eindringt und ihn gezielt jagt.

Die zweite Kategorie – die weit häufiger anzutreffen ist – macht eine Gruppe von Menschen zu mehr oder weniger zufälligen Opfern des Hais. Hier geraten die Figuren nur versehentlich in den Wirkungsbereich des Tieres und müssen ihm entkommen, um in die Sicherheit der Gesellschaft zurückkehren zu können.

Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil sie einem der größten Missverständnisse der Filmgeschichte zugrunde liegt: dass DER WEIßE HAI der einzig gute Hai-Film wäre.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Tatsache ist, dass DER WEIßE HAI der beste Hai-Film der ersten Kategorie ist. Was auch daran liegt, dass es nur äußerst wenige Vertreter dieser Kategorie gibt. Diese sind keine Horrorfilme im klassischen Sinn, sondern viel eher mit dem Katastrophenfilm vergleichbar: Der Hai kommt als Naturkatastrophe über die Menschheit, und eine Gruppe mutiger Helden muss sich der Gefahr stellen, um Unschuldige zu retten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass DER WEIßE HAI ausgerechnet in den Siebzigern erschien, in der Hochphase des Katastrophenfilms.

Ganz anders die zweite Kategorie, die sich deutlich stärker an der Horrorfilm-Tradition orientiert: Eine Gruppe von Teenagern verzieht sich in ein abgelegenes Waldhaus, wird dort von der Außenwelt abgeschnitten und fortan von einem irren Metzelmörder gejagt und einer nach dem anderen in Streifen geschnetzelt – tauscht man das einsame Haus gegen ein kleines Stück Eiland auf See und verpasst dem Metzelmörder eine Rückenflosse, hat man bereits den perfekten Hai-Horror.

Diese beiden Formen von Filmen sind also schon strukturell nicht zu vergleichen – weshalb es unsinnig ist, etwa einem DEEP BLUE SEA vorwerfen zu wollen, er sei nicht so gut wie DER WEIßE HAI.

Den Horror überleben


Mittlerweile hat sich in der zweiten Kategorie eine ebenfalls interessante Unterform herausgebildet: Der Hai-Film als Überlebensthriller.
Diese Vertreter sind in der Regel am stärksten um Realismus bemüht – oft auch um Minimalismus. Sie können ihn sich auch am ehesten leisten, da der Hai keine übernatürlichen Jagdmanöver ausführen muss. Statt einer gezielten Jagd geht es in diesen Filmen vornehmlich darum, eine Situation zu überleben, in der man sich dem Hai nicht aus eigener Kraft entziehen kann. Das kann durchaus sehr passiv ablaufen. OPEN WATER gilt als Meisterwerk dieser Kategorie, wenngleich auch THE REEF diese Form des Survival-Thrillers herausragend bedient. Beide glänzen mit einer erstaunlich realistischen Darstellung von Haien, und stellen darin etwa den so hochgelobten DER WEIßE Hai weit in den Schatten.

Was THE SHALLOWS nun so ungewöhnlich und absolut sehenswert macht, ist die gekonnte Verknüpfungvon Elementen des Survival- und Horrorthriller-Haifilms.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Im Kern handelt es sich bei THE SHALLOWS um einen Überlebensthriller, denn die junge Nancy landet nur zufällig im Revier des Hais, strandet auf einem winzigen Felsen und versucht dort, verzweifelt in Hitze, Hunger, Durst und tödlicher Verwundung auszuharren, bis Rettung kommt. Damit ähnelt der Film eher anderen, auf wenig Raum und wenig Personen zugeschnittenen Survival-Thrillern wie CAST AWAY, GRAVITY oder 127 STUNDEN.

Doch im Laufe der Handlung geschieht etwas Ungewöhnliches: Es entwickelt sich eine Beziehung zwischen Nancy und dem sie festsetzenden Hai. Ganz heimlich still und leise wandelt sich der Überlebensthriller zu einem Horrorthriller: Während Nancy beschließt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und sich aus eigener Kraft aus ihrer misslichen Lage zu befreien, scheint der Hai zu beschließen, nicht mehr länger nur zufällig in der Nähe seine Runden zu drehen, sondern gezielt Jagd auf Nancy zu machen. Während Nancy also an ihrem Entkommen arbeitet, wandelt sich der Film von einem passiven Survivalthriller zu einem klassischen Horrorfilm, in dem der Hai sein Opfer gnadenlos durch das abgelegene Waldhäuschen jagt.

Dieser Wechsel vollzieht sich so schleichend, dass er kaum auffällt – wodurch zum Abspann lediglich das unbestimmte Gefühl bleibt, dass das Ende des Films nicht so recht zum Anfang passen will. Wohl auch, weil es einen derartigen Hybriden bisher in dieser radikalen Form noch nicht zu sehen gab.

Messerscharfes Script


THE SHALLOWS ist dadurch gelungenes Spannungskino in seiner reinsten Form, der einige clevere Schachzüge vollführt.
Zum einen sorgt der als Survivalthriller beginnende Plot dafür, dass man sich schnell mit Nancy verbunden fühlt. Dank des dem Genre entspringenden gehobenen Realismus zu Beginn des Films fühlt man sich schnell in die Figur ein, leidet mit ihr, und wünscht ihr, dass sie heil aus ihrer misslichen Lage entkommt. So hat man, anders als in üblichen Horrorthrillern, eine gut funktionierende emotionale Bindung zur Hauptfigur aufgebaut, wenn der Wettlauf mit dem Psychoschlitzer schließlich beginnt (und der Realismus in den Sonnenuntergang segelt). Das erhöht den emotionalen Einsatz und damit die Spannung.

Auf der anderen Seite gelingt Autor Anthony Jaswinski ein kleines Meisterwerk der Konfliktgestaltung, da er sich an ein Konzept hält, das Autoren gerne mit dem Begriff „Maximalkapazität“ bezeichnen.
Kurz gesagt: Die Hauptfigur Nancy macht den ganzen Film über immer wieder alles richtig. In jeder Szene wählt sie aus allen Handlungsalternativen stets die schlaueste, cleverste und erfolgversprechendste, noch dazu immer wieder die moralisch wertvollste und selbstloseste. Kein einziges Mal begeht sie einen Fehler, handelt moralisch verwerflich oder tut sonst etwas, dass man als Zuschauer gerne mit einem „Mann, ist die dämlich!“ kommentieren würde. Sie nutzt ihre Fähigkeiten perfekt aus, ebenso ihre Umgebung und die geringe Habe, die sie bei sich trägt.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Sie leistet also immer das potentielle Maximum dessen, was ihre Figur leisten könnte, und bewegt sich damit an der „Maximalkapazität“ ihrer Fähigkeiten.
Und dennoch rutscht sie immer tiefer in die Bredouille! Denn der Film agiert so clever, dass er ihr ein Missgeschick nach dem nächsten in den Weg legt und so dafür sorgt, dass Nancy trotz ihrer cleveren Entscheidungen immer stärker in Gefahr gerät. Daran ist allerdings kein einziges Mal sie selbst schuld, sondern immer wieder sind es die Umstände, an denen sie scheitert.

Das Script zu THE SHALLOWS stellt damit ein Musterbeispiel in Sachen Spannungsfilm dar: sauberer und makelloser kann man einen Spannungskonflikt nicht zeichnen, und der Film sollte diesbezüglich Studienobjekt für alle Spannungsautoren werden.

Fazit 


So bleibt THE SHALLOWS am Ende ein Fest vor allem für Freunde des Spannungskinos. Der Genrewechsel im dritten Akt und der damit einhergehende Bruch im Realitätsgebaren des Hais fallen auf, werden aber durch eine bis zum Schluss spannenden Dramaturgie ausgeglichen.
Im Genre des Hai-Thrillers ordnet sich THE SHALLOWS hingegen weit an der Spitze ein. Ein Vergleich mit DER WEIßE HAI ist und bleibt unfair – zu unterschiedlich sind die Absichten und Inhalte der Filme. So kommt es auch, dass THE SHALLOWS in einigen Aspekten dem großen Vorbild durchaus überlegen ist – er ist beispielsweise deutlich knackiger inszeniert und spart sich soziale oder gesellschaftliche Kommentare, die in DER WEIßE HAI den Großteil des Films ausmachen.

THE SHALLOWS beweist aber vor allem, dass es keine kreativeren Haie braucht, um das Genre mit Leben zu füllen – weder Sharktopusse, noch Geister-Sharks oder Weltraum-Sharknados – ja, nicht einmal Haie mit frickin' Laserstrahlen auf dem Kopf. Ein cleveres Script und sympathische Figuren sind, wie in allen guten Thrillern, auch hier die alles entscheidende Zutat. Das schmeckt nicht nur dem Hai, sondern auch dem Zuschauer.


Biancas Blick:

Hai-Filme haben immer wieder mit dem Problem und dem Vorwurf zu kämpfen, die Tiere seien unrealistisch, verhielten sich unnatürlich oder seien nicht glaubwürdig. Manche Filme, etwa DEEP BLUE SEA, machen sich die Mühe, diese Abweichungen zu erklären. Für die meisten Filme aber beschränkt sich die Erklärung auf eine simple Formel: Haie sind halt perfekte, hirnlose Fressmaschinen. Punkt.
© Sony Pictures Releasing GmbH
Haiforscher beklagen bis heute, dass DER WEIßE HAI den im Endeffekt harmlosen Tieren einen irreparablen Imageschaden zugefügt habe. Gestärkt wird dieser durch Aufnahmen, in denen echte Haie – um möglichst spektakuläre Bilder zu bekommen gereizt werden, in einen Blutrausch versetzt, und anschließend beim Reißen von Beute in dramatischen Zeitlupenaufnahmen abgefilmt werden.
Natürlich ist die Jagd ein nicht unbedeutender Bestandteil im Leben eines Hais, aber eben auch nur ein verhältnismäßig kleiner und für gewöhnlich gut organisierter. Haie sind keine „Fressmaschinen“, die alles zerfetzen, was ihnen in die Zähne kommt. Und Menschenfleisch steht nicht einmal auf ihrer Speisekarte.
Nur wenige Dokus machen sich die Mühe, Haie in ihrem normalen Umfeld zu zeigen, außerhalb der Jagd – und wenn es einmal jemand tut, kreiert er damit wunderschöne und außergewöhnlich ruhige Bilder.

Der Faktencheck


Also ist es nur natürlich, dass ein Film wie THE SHALLOWS die Frage aufwirft: Was ist an dem gezeigten Verhalten des Tiers überhaupt realistisch? Kann das alles so passieren? Oder ist das alles frei erfunden?
Grund genug, sich die Meinung der Fachleute zu einigen der wichtigsten Szenen des Films anzuschauen – mit teilweise überraschenden Ergebnissen.

– Achtung, Spoilergefahr –
Die folgenden Punkte können Hinweise über Verlauf und Ende des Films THE SHALLOWS geben. Wer sich überraschen lassen will, dreht seine Runden erst im Kino und kommt anschließend für den finalen Angriff noch einmal hier vorbeigeschwommen

1) Kann ein Weißer Hai überhaupt so groß werden?

Der Hai im Film misst etwa sechs Meter Länge und ist ein Weibchen. (Hier müssen wir an der Kontinuität des Films etwas Kritik üben, denn in der letzten Einstellung scheint der Hai die überzogene 10-Meter-Marke zu knacken ...)
Weiße Haie, eine der größten bekannten Hai-Arten, werden in der Regel um die vier Meter groß, können aber vereinzelt eine Größe von knapp sieben Metern erreichen. So machen 2015 Aufnahmen von „Deep Blue“ vor der Küste Mexikos Schlagzeilen, ein trächtiges Weibchen, das an die sieben Meter misst und somit der größte je gefilmte Weiße Hai ist.
Faktencheck: Ja, es kommen vereinzelt solch große Exemplare vor.

2) Wir realistisch sind die Angriffsszenen?

Einige der Angriffsszenen im Film sind äußerst wuchtig und eindrucksvoll inszeniert. Der Weiße Hai im Film attackiert die Surfer von unten und stößt mit enormer Kraft durch die Wasseroberfläche. Er greift sich den Surfer, um wieder mit ihm abzutauchen, lässt ihn kurz in Ruhe, um erneut anzugreifen.
Angriffe weißer Haie sind außerordentlich gut dokumentiert und sehen, wenn sie an der Oberfläche stattfinden, häufig vergleichbar aus. Weiße Haie greifen von unten an, aus der Dunkelheit, beschleunigen, und stoßen so kraftvoll durch die Oberfläche, dass es gar Bilder „fliegender“ Haie gibt. Eine gewisse Grundtiefe ist dafür allerdings notwendig; ob diese in derartiger Ufernähe gegeben wie im Film ist, bleibt damit unklar.
Auch der visuell ungewöhnliche horizontale Angriff eines Surfers in einer „Tube“, einer brechenden Welle, ist in der Realität bereits beobachtet worden. Er ist sehr viel seltener, passt aber ebenfalls zum Verhaltensspektrum des Weißen Hais.
Faktencheck: Die Angriffsszenen sind glaubhaft, wenn auch dramatisiert, wiedergegeben.

3) Gibt es „zerteilte“ Beute?

Das menschliche Opfer, das am Strand verendet, ist in zwei Hälften zerteilt, was von Experten als eher unrealistisch angesehen wird. (Auch hier erntet der Film Abzüge in der B-Note der Kontinuität, denn plötzlich verschwindet die zerteilte Leiche – wahrscheinlich zugunsten des auftretenden Kindes – ins Nichts und wird durch die eines scheinbar unverletzten Surfers ausgetauscht ...)
© Sony Pictures Releasing GmbH
Werden Menschen einmal angegriffen, werden sie meist „angeknabbert“ (Haie testen fremde Beute auf Geschmack und Nahrhaftigkeit) und entkommen dann mit enormen Bisswunden oder sterben schlimmstenfalls im Meer an den manchmal extrem tiefen Bisswunden. Dass ein Mensch in zwei Hälften gebissen wird – und der Hai eine Hälfte wieder ausspuckt -, ist bisher noch nicht dokumentiert.
Faktencheck: Reine Fantasie und gleichermaßen unpraktisch wie unglaubwürdig – aber spannende Bilder.

4) Kann ein Mensch vor einem Hai davonschwimmen?

Ein Weißer Hai erreicht beim Angriff auf ein Stück Beute Geschwindigkeiten von 25 bis 35 km/h – da sähe selbst Michael Phelps alt aus, der im Sprint immerhin 7,5 km/h schwimmen konnte.
Faktencheck: Keine Chance! Blake Livelys Figur könnte mit keinem Vorsprung der Welt ihrem Jäger davonschwimmen, die Vorstellung dient also eindeutig der Dramatik und Spannung.

5) Verteidigt ein Hai dermaßen seine Beute?

Weiße Haie verteidigen, wenn sie ein großes Stück Beute erlegen, diese in einem recht weiten Areal und durchaus aggressiv. Es konnte sogar schon beobachtet werden, dass sie eine potenzielle Gefahr für ihre Beute ein Stück weit verfolgen um sie zu verjagen. Dass sie derartig hartnäckig und empfindlich ihr Fressen verteidigen wie im Film angedeutet – über Stunden hinweg und in solch aggressiver Art und Weise, dass sie dabei mehrere Menschen töten – konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. 
Faktencheck: Jein. Beuteverteidigung findet statt, jedoch nicht so aggressiv wie im Film, der dieses Verhalten zu Gunsten der Spannung überzeichnet.

6) Können Weiße Haie einen Wal erlegen?

Der Hai im Film verteidigt einen gerissenen Buckelwal vor Blake Lively.
Weiße Haie greifen immer wieder auch große Wale an und töten diese, wenn es ihnen gelingt. So sichern sie sich oft eine tagelange Nahrungsquelle.
Faktencheck: Ja. Absolut realistisch.

7) Sind Quallen eine natürliche Barriere?

Blake Lively rettet sich vor dem Hai in einen Unterwasserwald aus Quallen und gewinnt dadurch genügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Der Hai dreht vor Schmerzen ab und wagt es nicht, den Quallenschwarm zu durchbrechen.
Faktencheck: Wohl eher nicht. Experten bezweifeln, dass ein großer Weißer Hai Quallen fürchtet oder ihre Stacheln ernsthaft spürt. Der Hai würde sich nicht davon abschrecken lassen.

8) Verenden Weiße Haie am Meeresboden?

Der Weiße Hai im Film wird am Ende dadurch getötet, dass er seinem Opfer mit hoher Geschwindigkeit folgt und von am Boden verankerten Eisenstäben aufgespießt wird.
Faktencheck: Nicht auf diese Art. Haie schwimmen gerade im Krankheitsfall oft am Grund des Meeres und verenden dort – jedoch nicht auf solch dramatische Art und Weise, die auch physikalisch nicht ganz glaubhaft ist. Die Form des Filmtodes kann nicht nachgewiesen werden und bildet lediglich ein dramatisches Finale.

Summa sumarum ...


… haben die Hai-Experten Freude am Film, sprechen ihm eine gehörige Portion Realismus zu und erfreuen sich an den Einzelideen. Gleichzeitig bemängeln sie allerdings, dass solch ein Szenario in der Realität eher unwahrscheinlich ist: Haie töten nicht mehr, als sie fressen können, Haie sind nicht auf Rache aus und vor allem ziehen sie ihre Beute nicht aus Booten, von Bojen oder von Felsen.
© Sony Pictures Releasing GmbH

Vor allem wird kritisiert, dass der Film das negative Bild des Weißen Hais wieder verstärkt. Seit DER WEIßE HAI versuchen Haiexperten, dem Jäger das Image des „stumpfen, bösartigen Monsters“ wieder zu nehmen, und ihn als zwar nicht ungefährliches, aber eben auch nicht blutrünstiges Tier vorzustellen. THE SHALLOWS widerspricht diesen Bemühungen nun und zeichnet Haie wieder als tumbe, gewaltgeile Supermonster. Das ist aber dann der größte Kritikpunkt den der Film sich gefallen lassen muss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!