07.04.15

Flammendes Inferno (USA 1974) - Der Höhepunkt des Katastrophenfilms

Ein guter Film braucht einen guten Bösewicht – diese Binsenweisheit ist so alt wie die Kunst des Erzählens.
Doch immer wieder gelingt es findigen Erzählern, ganz ohne Finsterling ein packendes Drama zu inszenieren – statt Gangstern und eifersüchtigen Neidern müssen die Helden mit den größten aller Gegner auskommen: Mutter Natur und Vater Technik. Plötzlich kämpfen sie gegen Erdbeben, Meteore, Flugzeugunglücke und sinkende Schiffe. In den Siebzigern erlebt der „Katastrophenfilm“ seine erste Blütezeit – und erreicht seinen Höhepunkt mit FLAMMENDES INFERNO.
© Warner Home Video
Jetzt auf Blu Ray und DVD
Marcos Blick:

Die Inspiration für FLAMMENDES INFERNO sind die 1973 neueröffneten Riesentower des New Yorker World Trade Centers. Die letzte Klappe der Dreharbeiten fällt ausgerechnet am 11. September 1974 – siebenundzwanzig Jahre später wird vieles, was der Film fiktiv schildert, für Hunderte von Menschen grausame Realität: Sie werden auf den oberen Etagen des World Trade Centers eingeschlossen, während unter ihnen ein Feuer tobt, das immer näher kommt. Der Unterschied: im Kino gibt es ein Happy End!


Die Faszination des Chaos‘


Diese tragische Episode zeigt treffend den Kern dessen, was die Faszination von Katastrophenfilmen ausmacht: Hier schmiegen sich Chaos, Tod und Verderben direkt an die Lebenserfahrung der Zuschauer.
Während Mörder, Gangster, Entführungen und Psychopathen für gewöhnlich weit außerhalb des eigenen Erfahrungshorizonts liegen und daher „sicher“ sind, sprechen Katastrophenfilme unsere allgegenwärtigen Urängste an: Unsere Wehrlosigkeit gegenüber der Natur und der alltäglichen Technik, die uns umgibt, besonders dann, wenn diese der „Hybris“ unterliegt, also für sich in Anspruch nimmt, der „gottgegebenen“ Ordnung zu trotzen: Je größer, unfehlbarer und widernatürlicher die Technik ist, desto eher eignet sie sich für einen guten, angsteinflößenden Film.
Menschen sehnen sich nach Kontrolle, auch und vor allem der Natur gegenüber, und jedes bildgewaltige Drama, das uns vor Augen führt, wie illusorisch dieses Kontrollgefühl ist, bringt in jedem von uns eine mächtige Saite zum Schwingen.

So ist es kein Wunder, dass Unglücke und Katastrophen schon immer guter Filmstoff waren. Zerstörung und Verwüstung, das kurze Abtauchen in den schlimmstmöglichen Fall, bereiten uns vor allem aus der Sicherheit des Kinosessels heraus viel Vergnügen. Schon 1901 inszeniert der Engländer James Williamson den „Film“ FIRE!, in dem Feuerwehrmänner die Bewohner eines brennenden Hauses retten. Mit vier Minuten Laufzeit ist das Werk seinerzeit erstaunlich lang und bringt einige nie gesehene Stilmittel ein, um Spannung zu erzeugen. So kennt der Zuschauer die verheerende Größe des Feuers vor den Feuerwehrmännern, was ihn umso mehr um die Helden bangen lässt.
© Warner Home Video
Der Untergang der Titanic inspiriert mit IN NACHT UND EIS (einem deutschen Film) bereits 1912, dem Jahr der Katastrophe selbst, und ein Jahr später mit dem dänischen ATLANTIS ganz unmittelbar zwei Filme.
Als erster klassischer Katastrophenfilm wird allerdings SAN FRANCISCO von 1936 angesehen, in dem Clark Gable, Jeanette MacDonald und Spencer Tracy unter der Regie von Altmeister D.W. Griffith das verheerende Erdbeben von 1906 durchleiden müssen.

Flug ins Unglück, Flug in den Erfolg


In all diesen Jahrzehnten laufen immer wieder ähnliche Filme, ohne viel Aufsehen zu erregen – bis 1970 etwas Seltsames geschieht. Mit AIRPORT erscheint die kostengünstig runtergedrehte Romanverfilmung über einen Flughafen und ein Flugzeug in Not. Der Film schlägt ein wie kein Katastrophenfilm zuvor. Er spielt allein in den USA über 100 Millionen Dollar ein, erweist sich weltweit als Hit, und steht heute noch auf Platz 42 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.

Vielleicht ist es die wachsende Technikangst, die AIRPORT so erfolgreich macht. Vielleicht auch seine neuartige, hochbrisante Mischung: Nicht nur ist der Film starbesetzt, sondern er kombiniert auch schweres (oder auch „Soap-artiges“) zwischenmenschliches Drama mit spektakulärem, visuell beeindruckendem Abenteuer. Frei nach dem dramaturgischen Motto „Was ist besser als zwei Männer, die versuchen, sich umzubringen? Zwei Männer, die sich in einem brennenden Flugzeug versuchen umzubringen!“ werden etliche Konfliktbeladene Figuren aufeinander losgelassen, während der „Held“ im Cockpit um ihr aller Leben kämpft.
Der Erfolg von AIRPORT legt die Schablone für ein Genre fest: In den Siebzigern erscheinen etliche Filme nach dem immer gleichen Strickmuster: Hohe Dichte an Stars, die knapp über ihren Zenit sind, mehr als ein halbes Dutzend konfliktbeladener Storylines zwischen den Figuren und eine dramatische, lebensbedrohliche, visuell aufreizende Katastrophe, die all das wie in einem Dampfkochtopf vereint.
© Warner Home Video
Während der Urvater AIRPORT bis 1979 noch drei Fortsetzungen nach diesem Strickmuster erfährt, emanzipieren sich besonders DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON (1972, ein Kreuzfahrtschiff kentert nach einer Monsterwelle, diverse Überlebende suchen verzweifelt einen Ausweg aus dem sinkenden Koloss) und ERDBEBEN, der 1974 in „Sensurround“ in die Kinos kommt: Eigens entwickelte Bass-Lautsprecher geben das Grollen der Erde, die Los Angeles verschluckt, besonders gefühlsecht ans Publikum weiter. Dieselbe Technik findet 1977 auch in ACHTERBAHN Verwendung.
Ebenfalls 1974 erlebt das Genre bereits seinen Zenit – und kein anderer Katastrophenfilm ist so sensationell wie FLAMMENDES INFERNO.

Zu zweit in den Zenit – nebeneinander und diagonal


Wie etliche andere Katastrophenfilme hat FLAMMENDES INFERNO die Hybris zum Thema: Das höchste Gebäude der Welt, mit einem unfehlbaren Sicherheitssystem – welches durch menschliches Versagen bei der Eröffnung doch noch fehlerhaft ist. Während eine illustre Gesellschaft voller Millionäre und Bürgermeister im 137. Stock, dicht unterm Dach, feiert, bricht im 81. Stock durch einen elektrischen Fehler ein Feuer aus.
Die folgende Rettung der Eingeschlossenen erweist sich als spannende Herausforderung.
© Warner Home Video
Dabei wird FLAMMENDES INFERNO ist ein absolutes Novum in Hollywood!
Der Erfolg von AIRPORT bringt es mit sich, dass die Produzenten der Traumfabrik gierig alle Romane aufkaufen, die sich irgendwie als Katastrophenfilm verwirklichen lassen. Als 1973 das World Trade Center in New York fertiggestellt wird, inspiriert das gleich zwei Romane: Anfang des Jahres wird Richard Martin Sterns Buch „The Tower“ veröffentlicht, für das sich die Warner Bros. die Rechte sichert. Kurz darauf erscheint „The Glass Inferno“ von Thomas N. Scortia und Frank M. Robinson, dessen Rechte fast augenblicklich bei Twentieth Century Fox landen.
Beide Studios sehen sich plötzlich einer ganz eigenen Katastrophe gegenüber: Zwei ähnliche Filme, die in den Kinosälen einander Konkurrenz machen und sich Zuschauer stehlen. Und so gehen sie einen nie zuvor beschrittenen Weg: Zum ersten Mal in der Geschichte arbeiten zwei Filmstudios zusammen. Das Drehbuch, bis hin zum Titel, verwendet Elemente aus beiden Romanen, die Studios teilen sich die Kosten, und während die Twentieth Century Fox die Einnahmen vom heimischen Markt behalten darf, gehen die weltweiten Einnahmen an Warner.

Der andere Zweikampf, der sich am Set von FLAMMENDES INFERNO abspielt, verläuft deutlich weniger harmonisch. Bei Beginn der Produktion soll eigentlich noch William Holden der Star und zugkräftige Name des Films werden, zumindest sagt der Megastar der Sechziger unter diesen Bedingungen zu. Doch Holdens beste Zeiten sind bereits vorbei, seine letzten Filme haben an Zugkraft verloren oder waren nicht mehr auf ihn fokusiert, und bald erscheint ein deutlich angesagterer Name auf der Liste der engagierten Stars: Steve McQueen ist auf dem Zenit seiner Karriere, hat gerade für PAPILLON eine Golden Globe Nominierung eingeheimst und soll den vom Schicksal geplagten Architekten des Gebäudes spielen.

Doch McQueen, ganz Macho und cleverer Filmschaffender, weiß, dass es noch eine bessere Rolle im Drehbuch gibt: „Wenn ein Star meines Kalibers gut genug für den Architekten ist“, soll er gesagt haben, „ist er auch gut genug für den Feuerwehrchef!“ Denn der erweist sich als eigentlicher Held des Films, der am Ende das Kommando übernimmt und den Tag rettet.
Die Studios sagen zu, McQueen darf den Feuerwehrchef spielen, und als Architekt kommt ein anderer Star auf der Höhe seines Ruhms an Bord: Paul Newman, er gerade erst mit DER CLOU einen Megahit gelandet hat.

McQueen ist aber weiterhin unzufrieden, denn der Architekt ist deutlich öfter zu sehen, und hat mehr Dialog als der Feuerwehrchef – und der King of Cool hat nicht vor, sich von Newman den Rang ablaufen zu lassen.
© Warner Home Video
Das Ergebnis sind schwere Kämpfe mit harten Bandagen, die McQueen schließlich für sich entscheidet. Nicht nur erhalten er und Newman auf den Cent die gleiche Gage – knapp eine Million und gut 8 % des Einspielergebnisses, sondern McQueen lässt auch das Drehbuch ändern. Da Newmans Architekt mehr Dialogzeilen hat, muss nachgebessert werden, bis Architekt und Feuerwehrchef die exakt gleiche Anzahl an Zeilen sprechen. Beide Darsteller versuchen, möglichst viele ihrer Stunts selbst zu machen, was in einigen Fällen nicht risikolos ist. Auch hier hat McQueen als ehemaliger Stuntman allerdings die Nase vorn, und bewahrt seine Coolness: Als der zu dieser Zeit frisch mit Ali McGraw verheiratete Star sich an einen besonders riskanten Stunt in der klimaktischen Sequenz auf der Aussichtspattform wagt, stellt er klar: „Wenn mir was geschieht, kriegt Ali meinen Pick Up Truck.“ McQueen zögert auch nicht einzugreifen, als am Set ein echtes Feuer ausbricht. Offenbar noch ganz in seiner Rolle, stürzt er sich an der Seite der echten Feuerwehrleute in den Kampf gegen die Flammen. Als der Feuerwehrmann, der McQueen nicht erkennt, den Brand am Set eines brennenden Gebäudes mit „Das glaubt meine Frau mir nie“ kommentiert, erwidert McQueen lässig: „Meine auch nicht.“

Problematisch erweist sich schließlich die Promotion des Films, denn jeder der beiden Stars will als erster genannt werden. Das Ergebnis ist – kreativ! Die Grafiker lassen die Namen der beiden diagonal versetzt drucken. So entscheidet die Lesrichtung darüber, wer „zuerst“ genannt wird. Liest man das Poster von links nach rechts, kommt McQueens Name zuerst, liest man von oben nach unten, kommt Newman zuerst.
William Holden ist in beiden Richtungen auf den undankbaren dritten Platz abgerutscht.
Trotzdem bleibt McQueen Sieger. Da sein Feuerwehrchef erst nach 43 Minuten im Film auftaucht, hat Newman zu dieser Zeit bereits die Hälfte seiner Zeilen verbraucht. Außerdem hat McQueens Figur die Kontrolle, als die Katastrophe erst einmal hereinbricht, er hat Befehlsgewalt über Newmans Figur, und bleibt den Zuschauern generell besser im Gedächtnis.
Newman ärgert sich noch Jahre später darüber, den Film unter diesen Bedingungen gedreht zu haben. Er habe sich vom Geld blenden und abspeisen lassen, was ihm nie wieder geschehen würde. Dennoch wird er später, neben William Holden, noch einmal für Produzent Irwin Allen in dessen Vulkan-Katastrophenfilm auftreten: DER TAG, AN DEM DIE WELT UNTERGING ist nach Aussage Newmans der einzige Film, den er jemals für Geld gemacht habe. (Der Legende nach gründet er von dieser Gage seine gemeinnützige Salatdressing-Firma. „Newman’s Own“ spendet alle Profite an wohltätige Organisationen und hat seit 1982 über 260 Millionen Dollar gesammelt!)

Der abenteuerliche Sci-Fi Master of Disaster


Überhaupt ist FLAMMENDES INFERNO vor allem das Kind von Irwin Allen, und sein größter Triumph im Kino.
Irwin Allen, Autor, Produzent und Regisseur, bleibt selten mehr als ein Jahrzehnt in einem Genre. In den Fünfzigern inszeniert und produziert er Abenteuerfilme, die sich an KING KONG und REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE orientieren. In den Sechzigern schreibt er neben Rod Serling und Gene Roddenberry Fernsehgeschichte und kreiert als Produzent und Autor mit TIME TUNNEL, LOST IN SPACE und VOYAGE TO THE BOTTOM OF THE SEA einige der größten Sci-Fi Hits ihrer Zeit. Allen weiß also, wie er spannende Spektakel produzieren muss. Auch deshalb gelingt ihm mit DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON einer der ganz großen Würfe seiner Karriere, und ein Film, der die Leidenschaft für Katastrophenfilme, die AIRPORT entzündet hatte, ins Unermessliche steigert. Nach dem Erfolg der POSEIDON hat Allen sein neues Genre gefunden. In den Siebzigern erarbeitet er sich ganz flugs den Beinamen „Master of Disaster“.

Insgesamt produziert er mit der POSEIDON, FLAMMENDES INFERNO, DIE FLUT BRICHT LOS, HORIZONT IN FLAMMEN, DER TÖDLICHE SCHWARM, SEILBAHN DES SCHRECKENS, JAGD AUF DIE POSEIDON (Fortsetzung des Klassikers!), DER TAG, AN DEM DIE WELT UNTERGING, DIE NACHT, ALS DIE BRÜCKE EINSTÜRZTE und CAVE IN! nicht weniger als zehn Katastrophenfilme in ebensovielen Jahren, wenn auch einige davon fürs Fernsehen!


Allen ist ein erfahrener, und begeisterter Regisseur, der in seiner Fernseharbeit eine eigene „Kameraeinstellung“ kreiert hatte: Das „Irwin Allen Rock-and-Roll“ bezeichnet den Kameratrick, die Kamera wild herumwackeln und kippen zu lassen, während die Darsteller panisch von einer Seite des Sets zum anderen stürzen. So simuliert er ein Raumschiff, U-Boot oder ähnliches, das wild herumgeworfen wird.

Obwohl FLAMMENDES INFERNO mit dem Drama-erfahrenen John Guillermin einen eigenen Regisseur hat, übernimmt Allen, ohne namentliche Erwähnung, die Regie der spektakulären Actionsequenzen. Und dabei greift er schonmal zu kreativen Mitteln: Als er in einer Szene aus seinen Schauspielern einfach keine erschrockene Reaktion hervorlocken kann, feuert er einfach eine scharfe Waffe in die Decke des Sets ab. Schreck und Überraschung der Darsteller sind endlich im Kasten.
Auch der Ausdruck des Schreckens in Fred Astaires Gesicht zum Ende des Films ist nicht gespielt; der Tänzer und Altstar fürchtet sich vor den Explosionen, die das Team inszeniert, tatsächlich zu Tode.
© Warner Home Video
Am Ende erhält Astaire allerdings als einziger Darsteller eine Oscarnominierung – denn auch hier erweisen sich die Katastrophenfilme Jahr für Jahr als vielversprechend. Zwischen 5 und 11 Nominierungen räumen die großen Katastrophenfilme ihrer Zeit immer wieder ab, die meisten gewinnen allerdings nur einen in einer technischen Disziplin und einen Ehrenoscar für die Effekte (die damals noch keine eigenständige Kategorie sind). Mit drei Trophäen ist FLAMMENDES INFERNO auch hier Spitzenreiter.
Für Irwin Allen bleibt es sein Höhepunkt. Eine geplante Fortsetzung 1980 scheitert an Steve McQueens Weigerung, mitzuspielen. Im selben Jahr stirbt der Star.

1976 darf FLAMMENDES INFERNO dafür noch einmal richtig auftrumpfen, wenn auch auf ungewohntem Terrain: In einer Szene des Films sieht man die Diskothek des Gebäudes in Flammen aufgehen. Diese Szene inspiriert die leidlich erfolgreiche Disco-Band The Trammps zu ihrem größten Hit, der zu einem absoluten Klassiker der Disco-Ära wird: „Disco Inferno“! Burn, Baby, Burn! Besonders mit dem Soundtrack zu SATURDAY NIGHT FEVER wird der Track unsterblich.

Die Katastrophe versinkt in Parodie und Wochenende


Bald aber hat sich das Genre der Katastrophenfilme erschöpft. Die gigantischen Erfolge zwischen 1970 und 1974 führen zu einer monströsen Flut thematisch ähnlicher Filme, und es folgt, was folgen muss: Die Konkurrenz steigt, die Budgets sinken. Immer schlechtere Effekte werden mit immer hanebücheneren zwischenmenschlichen „Dramen“ ausgeglichen, und bald finden sich doch wieder Entführer und Massenmörder unter den Eingeschlossenen, Verschütteten, in Not Geratenen. Jedes nur denkbare Katastrophenszenario wird, nicht nur von Irwin Allen, herangezogen, und mit der Qualität schwinden auch die Zuschauerzahlen.

Ende der Siebziger ist der Hype weit über seinen Gipfel und in seinen letzten Zügen. Immerhin bietet es damit Nährboden für ein ganz anderes Genre: Die „Spoof-Comedy“. 1980 bringt das Team Zucker, Abrahams, Zucker mit DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN FLUGZEUG die beste Parodie auf das Genre, der mit DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN RAUMSCHIFF noch eine Fortsetzung folgt. (Eine erste Parodie von 1976, die später DIE HAARSTRÄUBENDE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN BUS betitelt wird, fällt dagegen enorm ab.)
© Warner Home Video
In den Achtzigern erleben die Filme, besonders in Deutschland, eine ganz besondere Blüte: Als das Privatfernsehen aufkommt, muss mit einem Mal deutlich mehr Sendezeit gefüllt werden, als mit den vorher gut fünf öffentlich rechtlichen Programmen. Besonders das Wochenende ist immer auf der Suche nach günstigen, unterhaltsamen Filmen. Neben etlichen Schinken der Fünfziger und Sechziger landen so mehrere Dutzend noch halbwegs aktueller Katastrophenfilme im Nachmittagsprogramm einer ganzen Nation. In Dauerschleife werden die dramatischen, oft billig produzierten Schinken runtergesendet, in den USA werden die Katastrophenfilme ebenfalls bald so allgegenwärtig, dass niemand sie mehr erträgt.

Als die Dinosaurier die Erde zerstörten


Spätestens Mitte der Achtziger ist das Genre endgültig tot – doch es soll seine Renaissance erleben!
1993 verändert JURASSIC PARK die Effektlandschaft für immer, und macht CGI-Effekte zum neuen Standard. Und mit einem Mal – ist alles möglich!
Die Neunziger bringen das große Revival der Katastrophenfilme mit sich, mit dem Unterschied, dass die Starbesetzungen und die menschlichen Dramen gegen Schauwerte ersetzt werden. Es geht um möglichst spektakuläre Effekte. Meistens zumindest.
Meteoriten, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme, Fluten, Eiszeiten – die Welt ist vor nichts mehr sicher, und alles sieht packend aus. Dann und wann stellt sich die Frage, ob eine Katastrophe eher psychologisch oder nach alter Irwin Allen Manier als reines Spektakel inszeniert wird. So buhlen 1997 mit DANTE’S PEAK (psychologisch) und VOLCANO (Spektakel) gleich zwei Vulkanfilme um die Gunst der Zuschauer, während 1998 mit DEEP IMPACT (psychologisch) und ARMAGEDDON (Spektakel) gleich zwei Mal ein Komet die Erde zu zerstören droht.

Ebenfalls 1997 wird mit TITANIC (eindeutig Spektakel!) ein Katastrophenfilm sogar zum erfolgreichsten Film aller Zeiten und einem der größten Hypes der Geschichte. Schon 1996 kommt das Genre mit DAYLIGHT, TWISTER und INDEPENDENCE DAY ganz groß raus. Mit letzterem betritt auch so etwas wie der neue Irwin Allen die große Bühne, denn auch Roland Emmerich gilt bald als „Master of Disaster“.
© Warner Home Video
Der Schwabe, der nach eigener Aussage meint, dass die Leinwand beben müsse, sonst liefe etwas falsch, wird zum neuen Experten, wenn es um Katastrophen und Weltuntergänge geht! Tatsächlich zielt Emmerich höher als alle seine Vorgänger: Wo zuvor einzelne Gebäudeß, Flugzeuge, oder einmal eine Stadt in Gefahr geraten, sucht Emmerich stets die globale Katastrophe! Nachdem in INDEPENDENCE DAY Aliens die Erde zerstört haben, lässt er, zunächst noch mal etwas kleiner, GODZILLA auf New York los. In THE DAY AFTER TOMORROW bricht bereits eine neue Eiszeit über die gesamte Nordhalbkugel herein, bevor er mit 2012 den ultimativen Katastrophenfilm erschafft: Erdbeben, Supervulkane, Megafluten, die das Himalayagebirge wegfegen – wenn unter Emmerichs Regie die Erdkruste einstürzt, bleibt weltweit kein Stein auf dem anderen.
Zwar gelobt Emmerich, dass nach 2012 nichts mehr zu zerstören bliebe, und liefert mit ANONYMOUS einen erstaunlich kleinen Film ab, doch mittlerweile ist er zurück – und arbeitet an INDEPENDENCE DAY 2 und 3.

Realität und Fiktion – die Schrecken der Bilder, die Lust an der Apokalypse


Das Genre der Katastrophenfilme lebt bis heute fort, aber in schwankender Qualität. Mit THE CORE erscheint ein alberner Versuch eines Emmerich-Abklatsches, mit SUNSHINE und CONTAGION hingegen packende, clevere und tiefsinnige Analogien auf das Ende der Welt. 2006 erscheint mit POSEIDON sogar ein Remake des Klassikers, der dessen Faszination aber nicht wiederholen kann – Wolfgang Petersen ist da einfach der falsche Regisseur.

Heute hat sich das Genre gewandelt, was auch am 11. September liegt. Die völlig realen Bilder der Katastrophe und der verzweifelten Menschen, die sich vor dem Feuer in den Tod stürzen, haben ganz neue Ängste urbaner Zerstörung in der westlichen Welt geweckt, und so finden sich heute immer wieder vor allem urbane Katastrophen im Film, stets geht das darum, möglichst viele Häuser und Straßen zerbersten zu sehen – Comedian John Oliver drückt das einmal schön aus: „Sollten Aliens uns je anhand unserer Filme bewerten, werden sie sich fragen, weshalb wir Beton so hassen!“.
© Warner Home Video
Und solche Bilder sind dank CGI heute billig zu haben. Selbst ein Film wie MAN OF STEEL, der den an sich menschenliebenden Superman zum Helden hat, legt ganze Straßenzüge in Schutt und Asche; ein einzigartiger Rausch der Zerstörung. Doch diese Bilder sind seltsam entmenschlicht, die Straßenzüge sind leer. Und hier liegt die große Wandlung zur goldenen Ära der Katastrophenfilme.
Die Katastrophenfilme der Siebziger stellten stets den Mensch im Angesicht der Katastrophe in den Vordergrund. Heute stehen dort die Schauwerte. Es geht um Bilder größtmöglicher Verwüstung und Zerstörung. Statt menschlicher Dramen wollen wir Strukturen zerbersten sehen, ob aus Beton oder Gesellschaft. Menschen und Figuren werden zu Randfiguren und eher Mittel zum Zweck. FLAMMENDES INFERNO zeigt menschliches Leid in einem einstürzenden Turm, heute zeigt man nur noch einstürzende Straßenzüge, in denen die Menschen weitestgehend fehlen.

Vielleicht haben die realen Bilder sterbender Menschen im Angesicht der Katastrophe den Bedarf daran in Filmen obsolet gemacht.
Am Rande aber haben ein Teil des originalen Genres und seiner Faszination überlebt. Noch immer wecken Menschliches Drama im Angesicht einer unüberwindbaren Katastrophe und Helden, die sich in den Kampf schmeißen, um die weniger Starken zu schützen, unsere Gefühle. Heute ist das vor allem der Stoff, aus dem erfolgreiche Serien entstehen. Aktuelle Erfolge wie THE WALKING DEAD oder auch FALLING SKIES haben ihre Wurzeln in den Katastrophenfilmen der Siebziger. Noch immer genießen wir Geschichten Not und Verzweiflung, von extremen Situationen und den Menschen, die damit leben müssen – solange wir dabei sicher in unserem Sessel sitzen dürfen!

Und noch immer werden wir daran erinnert, wie nah die Katastrophe der Realität ist, wie sehr hier unsere Urängste angesprochen werden. 1979 erscheint der letzte Teil der AIRPORT-Reihe, der sich diesmal dem neuen Superflugzeug, der Concorde, widmet. Dem Filmteam steht für seine Aufnahmen eine Original-Concorde zur Verfügung, mit der Kennung F-BTSC. Dieselbe Maschine stürzt im Juli 2000 beim Start bei Paris ab, reißt 113 Menschen in den Tod und beendet die Ära des Überschalfliegers.

McQueens Feuerwehrchef stellt am Ende von FLAMMENDES INFERNO fest: Es sei Glück, dass diesmal „nur“ 200 Menschen gestorben seien. Eines Tages werden es 10.000 seien, wenn nicht für mehr Sicherheit gesorgt werde ...
© Warner Home Video

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!