23.04.15

Citizen Kane (USA 1941) Teil 1: Der Mogul

CITIZEN KANE ragt wie ein Gebirge aus der Filmlandschaft heraus.
Weit sichtbar überstrahlt er hundert Jahre Filmgeschichte, von jedem Punkt des cineastischen Universums aus zu sehen. CITIZEN KANE ist ein Titan, ein weithin strahlendes Leuchtfeuer der Kunst – aber auch ein in die Wolken ragendes Mahnmal.
Denn CITIZEN KANE ist auch ein Grabstein, der trutzige Zeuge einer Schlacht, die den Boden erbeben ließ. Der Ort, an dem die fleischgewordene Hybris, der Kampf zweier Götter, oder solcher, die sich dafür hielten, ihre Opfer forderte.
Wer nun meint, diese Einführung sei vielleicht ein wenig zu dramatisch, der kennt nicht den Kampf, der hinter den Kulissen um CITIZEN KANE tobte. Hier rangen, buchstäblich, zwei der größten Egos der amerikanischen Öffentlichkeit miteinander - unerbittlich. Ausgelöst durch ein 24-jähriges Wunderkind, das sich in seiner Selbstüberschätzung mit dem einst mächtigsten Mann der Welt anlegte: dem Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst.
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Marcos Blick:

Hearst ist eine Legende. Knapp ein halbes Jahrhundert lang hat er eine Position nahezu uneingeschränkter Macht inne. Mit Ehrgeiz, Fleiß, mit einer Vision – aber auch mit Skrupellosigkeit und gnadenloser Selbstsucht verfolgt er ohne Rücksicht auf Verluste seine Ziele – und geht dabei buchstäblich über Leichen. Er zettelt Kriege an, vernichtet Karrieren, ringt ganze Wirtschaftszweige nieder. Hearst hat möglicherweise mehr Blut an den Händen als viele seiner Zeitgenossen. Selbst einen Präsidentenmord scheint er zu verantworten zu haben.

Visionär ohne Furcht


Hearst ist ein Visionär, ein Egomane, der sein Medium beherrscht wie kein anderer. Und er nutzt diese Gabe. Er wird zu einer jener gefährlichen Persönlichkeiten, vor denen die meisten Personen der Öffentlichkeit lieber unbemerkt bleiben möchten. Unter deren Radar sie zu bleiben versuchen. Denn wer einmal in sein Fadenkreuz gerät, ist in der Regel verloren.
Bis der gerade einmal 24-jährige Theaterregisseur Orson Welles sich aufmacht, genau diesem Mann den Kampf zu erklären. Und er macht nicht eher Halt, bevor Hearst den Kampf aufnimmt!
Ist es der Mut der Jugend? Oder ist es die gnadenlose Selbstüberschätzung eines jungen, erfolgsverwöhnten Talents, das bisher alles, was er angefasst hatte, in Gold verwandelte? Der selbst einst von sich meinte: „Von dem Moment an, wo ich hören konnte, sagten die Leute mir, wie großartig ich sei.“

Genau wie Hearst ist auch Orson Welles ein Visionär, ein Egomane, ein Genie, das sein Medium beherrscht wie kein anderer. Auch das ist ein Grund für den Kampf, in dem die beiden sich 1941 wiederfinden – im Kern ähneln sie einander erschreckend.
Orson Welles ist für die Bühne geboren. Mit neun Jahren inszeniert er Shakespeares „König Lear“ als Ein-Personen Stück, in der Highschool stellt er innerhalb von fünf  Jahren wenigstens 30 Theaterstücke auf die Beine. Mit sechzehn geht der früh zur Waise gewordene Junge nach Irland und London, mit neunzehn erobert er den Broadway, wo er einige revolutionäre Stücke inszeniert. (Für nähere Infos siehe unser - bald folgendes - Porträt)
In New York erobert Welles mit seinen unverbrauchten Bühnenbildern, mit inszenatorischen Ideen, die nie zuvor auch nur angedacht wurden, innerhalb von zwei Jahren die amerikanische Theaterwelt.
Gleichzeitig arbeitet der Autor und Regisseur immer wieder auch als Schauspieler – und im Radio. Dort soll er seinen ersten überregionalen Megaerfolg feiern – seine legendäre Inszenierung von  „Krieg der Welten“, mit der er 1938, gerade 23-jährig, Amerikas Ostküste in Angst und Schrecken versetzt. Am nächsten Tag kennt das ganze Land seinen Namen, und ruft ihn bis nach Hollywood.

Die RKO-Radio Pictures statten das gefeierte Bühnen- und Radiogenie mit einer Blankovollmacht aus. Er erhält, erstmalig in der Geschichte, volle kreative Freiheit. Übernimmt Drehbuch, Regie, Produktion und Hauptrolle und erhält das Recht auf den Final Cut. Nie zuvor – und erst viele Jahre später wieder – gewährt man einem einzelnen Filmemacher derart weitreichende Kontrolle über sein Werk.
Welles braucht eine Weile, bis er seinen Stoff gefunden hat. Zunächst konzipiert er zwei Filmideen, welche die RKO jedoch ablehnt. Erst sein drittes Werk, damals noch unter dem Titel THE AMERICAN, erhält grünes Licht: CITIZEN KANE wird das Meisterwerk des Ausnahmekünstlers. Noch 1939 beginnt er mit der Arbeit.
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Dabei ist der Konflikt vom ersten Augenblick an abzusehen. Zwar bekundet Welles sein Leben lang, sich von einer Reihe reicher und mächtiger Amerikaner inspiriert haben zu lassen, darunter Howard Hughes, – doch die Parallelen seiner Filmfigur Charles Foster Kane zum alternden Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst sind unübersehbar.

Welles muss sich sehr sicher gefühlt haben, es mit Hearst aufnehmen zu können, der bereits 77 Jahre alt ist und seinen Zenit längst überschritten hat. Es wird eine folgenschwere Fehleinschätzung für Welles.
Denn der junge Regisseur begeht den größten denkbaren Fehler und greift Hearst an dessen empfindlichster Stelle an: einer jungen, von Hearst vergötterten Schauspielerin namens Marion Davies. Mit dieser Provokation reizt er den erfahrenen Kämpfer Hearst bis aufs Blut. Der Mann, der einst ganz Amerika im Würgegriff von Angst, Gewalt, Erpressung und Korruption hielt, schlägt mit aller Macht zurück. 


Aus dem Schlamm erwachsen


Um Hearsts Wesen zu verstehen, und den Feind, den Welles sich machte, muss man noch einmal gut hundert Jahre vor CITIZEN KANE ansetzen und schauen, aus welchem Umfeld Hearst stammt.

1848/49 treibt der Goldrausch unzählige Arme und Verzweifelte in die kargen Berge der Sierra Nevada. Die „49ers“ genannten Glücksritter brauchen Ausrüstung. Und einen Hauch von Verpflegung. So entstehen bald, am Fuße der Berge, dicht am schneidenden Küstenwind des Nordpazifiks, ein paar grob gehauene Bretterbuden, verbunden durch Trampelpfade im Schlamm. Sie verkaufen Campingzeug, Schürfwerkzeug, und hier und da nehmen Händler das gefundene Gold in Zahlung.

Doch wo Wild äst, kommen schon bald die Raubtiere.
Während die „ehrlichen Häute“ in den Bergen schuften, sammeln sich unten am Meer die Gestalten, die mit weniger Eifer, aber deutlich mehr Skrupellosigkeit an das Gold kommen wollen. Die Verzweiflung der Goldsucher ruft hinterlistige Warenhändler auf den Plan, die Ausrüstung aufkaufen, und teuer an die Goldschürfer weiterverkaufen. Es kommen Geldverleiher, die zu Wucherzinsen Kredite für Ausrüstung geben, die sie selbst verkaufen. Es entstehen Spielhöllen, Bordelle, Scharlatane und Betrüger. Innerhalb von knapp drei Jahren ist aus der der kleinen, zweihundert Seelen fassenden Siedlung im Schlamm eine Stadt mit über 50.000 Einwohnern geworden: San Francisco. Und es gibt auf der Welt kein härteres Pflaster als dieses.

Verbrecherbanden teilen die Stadt unter sich auf, Presse, Gerichte und Polizei sind bis auf die Knochen korrupt. Hier setzen sich nur die Skrupellosesten durch, und einer der Männer, die brutal und rau genug sind, sich bis ganz nach oben zu kämpfen, ist George Hearst. Er macht mit geschickten Spekulationen ein Vermögen, besitzt neben diversen Minen vor allem das, was hier am wertvollsten ist: Land! Er arbeitet eng mit den ebenfalls über Leichen gehenden Eisenbahngesellschaften zusammen, heiratet in eine einfussreiche Familie ein und erpresst sich schließlich sogar direkten Einfluss in Washington.
Nach seinem Tod geht sein Reichtum an seine Witwe, doch verwenden tut es sein Sohn: William Randolph Hearst!

Visionär ohne Gnade


W.R. Hearst, geboren 1863, steht seinem Vater in Sachen Skrupellosigkeit und Geschäftssinn in nichts nach, erkennt jedoch schon früh, dass längst eine neue, elegantere, und deutlich mächtigere Waffe für die erpresserischen Gangstermethoden seines Vaters zur Verfügung steht: Mit der Industrialisierung ist auch das Zeitungswesen aufgekommen!

In New York erfindet gerade ein anderes Zeitungsgenie das Medium völlig neu: Joseph Pulitzer, heute Sinnbild für Qualitätsjournalismus, erfindet 1880 die Boulevardpresse: Statt wie andere Zeitungen nur auf die Bildungselite und die Wohlstandsbürger zu zielen, schreibt er für die arbeitende Masse, die oft ungebildet ist. Pulitzer nutzt ihre Themen, ihre Sprache: reißerisch, dramatisch, unterhaltsam. Als erste Zeitung verkauft er über eine Million Exemplare seines Blatts – pro Tag!

Und Pulitzers Zeit ist wie geeignet für diese Form von Journalismus: Die Industrialisierung hat einen tiefen Graben durch Amerika gezogen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten haben eine Handvoll Supermillionäre das Land unter sich aufgeteilt. Vanderbilt, Rockefeller, John Jacob Astor und andere haben mit Weitsicht und Skrupellosigkeit kleine und kleinste Betriebe aufgekauft und beherrschen das Land in einer Reihe von Monopolen: das Fleischmonopol, das Eisanbahnmonopol, das Ölmonopol, das Stahlmonopol. In sämtlichen Bereichen ist der Konkurrenzkampf quasi ausgeschaltet. Und über all den Superreichen thront ihr König J.P. Morgan, der mit seiner Bank die unüberschaubaren Milliarden verwaltet, die bei ihm zusammenfließen.
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Die Leidtragenden dieser „Goldenen Ära“ des Frühindustriellen Kapitalismus finden sich am anderen Ende des Spektrums. Die Monopolisten lassen ihr „Arbeitsvieh“ zu den unwürdigsten Bedingungen schuften – Nachschub an neuen Kräften gibt es schließlich reichlich. Jeden Tag spülen die Schiffe sie an die Küste, wo jährlich Hunderttausende Flüchtlinge aus Europa die Ostküste betreten, auf der Suche nach dem „gelobten Land“.
Die Arbeit ist hart und schlecht bezahlt, Absicherungen gibt es keine. Gewerkschaftler schweben in ständiger Gefahr, ermordet oder eingesperrt zu werden – die Polizei arbeitet in der Regel für diejenigen, die ihnen das Geld in die ausgestreckte Hand legen. Streiks werden einfach blutig niedergeschlagen und totgeschwiegen.
Im Fokus dieses unmenschlichen Superkapitalismus‘ steht New York, jene zwei Millionen Metropole, in der die meisten Einwanderer ihre ersten Schritte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tun.

Die Einzigen, die in der Hackordnung noch tiefer stehen als diese Arbeiterschaft, sind jene Einwanderer, die nicht einmal in eine Gewerkschaft kommen, weil sie als mögliche Streikbrecher oder Lohndrücker angesehen werden. Sie hausen in den schlimmste Ghettos der Geschichte – bis zu drei Familien, die keine gemeinsame Sprache kennen, teilen sich zwei Zimmer. Wer Arbeit findet, steht für 2 Cent am Tag vierzehn Stunden zwischen Gasen und Maschinen in sogenannten „Sweatshops“. Und arbeiten muss jeder, ob Greis oder Kind, Frau oder krank. Junge Mädchen müssen damit rechnen, auf dem Arbeitsweg von Polizisten oder Zuhältern gleichermaßen ausgeraubt, missbraucht und im schlimmsten Fall aufs Polizeirevier gebracht zu werden. Andere fallen auf der Arbeit einfach tot um – oft bedeutet das auch den Tod der Familie, die nun nicht mehr ausreichend versorgt ist.

Es ist dieser Sumpf der am tiefsten Lebenden, der Hoffnungslosen, in die zunächst Joseph Pulitzer, und später William Randolph Hearst die Wurzeln ihres Imperiums treiben!
Denn Hearst ist begeistert von Pulitzers neuer Form der medialen Kontrolle. Er weiß, dass er die unzufriedenen Massen damit zu seinem Vorteil manipulieren kann. Er kopiert Pulitzers Konzept für seine eigene Zeitung in San Francisco, geht dabei aber noch viel weiter und deutlich skrupelloser vor. Er biedert sich zwar der armen Bevölkerung an und wettert gegen die Reichen und Mächtigen im Land – benutzt dieses Werkzeug aber nur als Druckmittel gegen die Reichen und Mächtigen. Wer sich Hearsts Forderungen widersetzt, wird zum Ziel gnadenloser Hetze aus Hearsts Zeitungen. Und die haben keine Konkurrenz mehr in San Francisco, denn die hat Hearst längst mit harten Bandagen aus dem Geschäft gedrängt oder einfach übernommen.
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Hearst erkennt, viel besser als Pulitzer, die Macht, die er in Händen hält, und ehrgeizig wie er ist, will er sich diese Macht zunutze machen. Dafür sitzt er jedoch am falschen Ende des Landes. Und so beschließt er, die direkte Konfrontation zu suchen – er geht nach New York, um Boulevard-König Joseph Pulitzer zu vernichten und sich selbst an die Spitze zu setzen. Und das ist nur eine von vielen Stationen aus Hearst Leben, die deutlich in CITIZEN KANE wiederzuerkennen sind.

Schmelztiegel New York


Hearst und seine brutalen Wildwest Methoden fallen in New York ein wie eine Naturgewalt. Hier, wo selbst die Skrupellosen noch nach einem gewissen Ehrenkodex arbeiten, findet der nach keinerlei Regeln spielende, nur auf sich bezogene Hearst leichte Opfer. Sein erstes wird Pulitzer selbst.
Hearst erwirbt günstig Pulitzers Konkurrenzblatt, das täglich erscheinende New York Journal und verlegt seine Redaktion ins selbe Gebäude wie Pulitzers New York World.

Hearst, noch immer millionenschwerer Großgrund- und Minenbesitzer, wirbt Pulitzers beste Redaktionsteams mit unglaublichen Summen ab. Bedarf hat er nur an den erfahrenen Chefredakteuren, denn er will verhindern, dass Pulitzer in irgendeiner Form wieder Fuß fassen kann. Nach wenigen Monaten entlässt er die überflüssigen Leute oder kommandiert sie, falls sie nicht gehen wollen, zu niederen Arbeiten ab. So kann ein Reporter sich einen cleveren Vertrag angeln, der ihm ein Jahr lang monatlich 500 Dollar sichert. Als er sich weigert zu gehen, lässt Hearst ihn die restlichen Monate als Toilettenmann arbeiten.
Vor Pulitzer kennt er keine Gnade: Er lässt Maulwürfe ganze Artikel und Meldungen aus seinen Räumen stehlen oder abfangen, und veröffentlicht sie selbst.

Hearst krempelt sein Blatt völlig um und richtet es auf die untersten Schichten der Leserschaft aus: riesige, kurze Überschriften, reißerische Wortwahl, und vor allem: Die aufregendsten Geschichten veröffentlicht er nicht am Stück, sondern Häppchenweise, über Tage, manchmal Wochen und Monate hinweg, wirft seinen sensationsgierigen Lesern täglich einen weiteren skandalösen Brocken vor.
Einen Politikteil gibt es nicht! Trotzdem ist jedes Wort, jede Zeile, politisch aufgeladen. Immer geht es um „die da oben“ und „wir hier unten“, immer ist es Hearsts vorrangiges Ziel, Empörung in den unteren Bevölkerungsschichten zu entfachen, immer vermittelt Hearst seinen unterpriviligierten Lesern das Gefühl, er würde für sie und in ihrem Namen sprechen.
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Mit dieser Illusion presst Hearst ihnen noch die letzten Pence aus den leeren Taschen und verleibt sie seinem eigenen Vermögen ein. Er gehört längst zu der schlimmsten Sorte von "die da oben", erpresst und erwirbt immer mehr Macht. Bald hat sein Blatt die Auflage von Pulitzer weit abgehängt und reicht seine Zeitungskette - und damit sein Einfluss auf alle Reichen und Mächtigen - von Küste zu Küste.
Wie visionär Hearsts Konzept ist, zeigt sich daran, dass der Boulevardjournalismus noch heute, 120 Jahre später, in unserer völlig veränderten Welt, genau auf diese Art funktioniert. In Deutschland gelang es dem Verleger Axel Springer, Hearsts Konzept bis ins Detail zu kopieren und ebenso erfolgreich umzusetzen.

Hearst macht Schlagzeilen


Dazu gehört auch Eigeninitiative: Hearst erfindet Skandale, bauscht kleine Meldungen mit glatten Lügen und Falschdarstellungen zu Sensationen auf. Alles was sich berauschend in eine Schlagzeile mit vier Wörtern pressen lässt, verkauft Zeitungen!
Bald stellt er keine Journalisten mehr ein, sondern Schauspieler. Diese geben sich als Polizisten, als Behördenmitarbeiter oder Ärzte aus, überfallen Menschen in ihren Wohnungen, verhaften sie, halten sie in fiktiven Polizeirevieren fest, führen sie fiktiven Richtern vor. Alles, um ihnen irgendeine Information, einen Skandal, eine Geschichte, eine Schlagzeile zu entlocken. Als eine Leiche im Fluss gefunden wird, lässt Hearst seine Leute nach den Tätern suchen - erfolgreich. Er sperrt ganze Wohnblocks ab, setzte die Täter fest und unter Druck. Niemand, nicht mal die Polizei, lässt er zu den Tätern, bevor die Pressen laufen.
Aus Angst, ein anderer Zeitungsmann könnte ebenso skrupellos verfahren wie er selbst, lässt Hearst seine Lieferwagen an diesem Tag von bewaffneten Schlägern bewachen, die jeden angreifen, der den Wagen zu nahe kommt. Er selbst, sonst keiner, darf die Meldung als Erster bringen!

Selbst auf Amerikas höchste Politik nimmt Hearst Einfluss, erweist sich als Wegbereiter für Amerikas imperialistische Außenpolitik, die bis heute wirkt. Hearst ist im tiefsten Herzen Imperialist, der die amerikanische Oberschicht über die Welt herrschen sehen will. Seine Medienmaschine feuert unermüdlich gegen Präsident McKinley. Dessen Kurs ist Hearst zu zahm und zu englandfreundlich. Immer wieder fährt er messerscharfe Kampagnen gegen den Präsidenten, der keinerlei imperialistische Bestrebungen verfolgt.

Als es über Kuba zu Spannungen mit Spanien kommt, heizt Hearst die Stimmung immer weiter an. Auf dem Höhepunkt, so der Verdacht, soll er ein amerikanisches Kanonenboot in Kubas Hafen sprengen lassen. 260 Amerikaner sterben, es ist der Beginn des Spanisch-Amerikanischen Kriegs.
Am Ende hat Hearst seinen Willen: Amerika gewinnt neues Land auf Kuba, Guam, auf den Phillippinen und Puerto Rico.

Als die Neugründung Panamas um den neugebauten Kanal herum vorsieht, dass kein Staat dort eine Militärpräsenz aufbauen dürfe, glühen erneut die Hearstschen Leitartikel: Er verunglimpft die Abmachung als antiamerikanisch, die zuständigen Abgeordneten als Landesverräter, und erwirkt schließlich, dass der 1903 geschlossene Vertrag erst akzeptiert wird, nachdem die Zone um den Kanal den USA unterstellt wird. Erst 1999 fällt das Gebiet an Panama zurück! Hearsts Aktionen beeinflussen die Politik der USA also bis ins neue Jahrtausend hinein.

Mord und Abstieg


Den Bogen überspannt Hearst, als er nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg weiter mit voller Wucht gegen Präsident McKinley vorgeht. Sein Ton wird dabei immer schärfer – bis hin zu recht unverkleideten Texte und Gedichte, die offen dazu aufrufen, den Präsidenten umzubringen. Am 6. September 1901 endlich erhört jemand die Rufe und feuert eine Kugel auf den Präsidenten ab. Acht Tage später erliegt McKinley seiner Verletzung.
Damit erlangte Roosevelt, mittlerweile Vizepräsident, das höchste politische Amt des Landes. Er und Hearst sind seit langem eng verbunden.

Hearst aber muss damit leben, dass ihm relativ offen die Schuld für den Anschlag in die Schuhe geschoben wird. Die restlichen Millionärsclans distanzieren sich endgültig von dem Enfant Terrible der Superreichen.
Hearst sieht darin nur die Bestätigung, dass er noch mehr Macht braucht, um mit wirklich allem durchzukommen – und bemüht sich um ein hohes politisches Amt.

Es ist, wie in CITIZEN KANE, das einzige Mal, dass Kane/Hearst wirklich scheitert. Da er ebenso brachial in die Politik einbricht wie in die New Yorker Verlagswelt – mit Druck, Erpressung, Morddrohungen und Bestechung – scheitert er immer wieder. Seine völlige Missachtung etablierter politischer Regeln bringt am Ende sogar die Helfer gegen ihn auf, die er dafür bezahlt, ihm ein Amt zu besorgen – sie bündeln ihre Macht lieber, um ihm einen sicheren Sieg zu stehlen, indem sie die Wahlurnen in den East River kippen und mit Stimmzetteln für den Gegenkandidaten füllen. Ob als Abgeordneter in New York, als Bürgermeister, als Gouverneur (ein Wahlkampf, in dem er sogar die mächtigen Vanderbilt und J.P. Morgan angreift – beide schlagen mit voller Härte zurück und kosten ihn beinahe seine Existenz) oder schließlich als Präsidentschaftskandidat der Demokraten – keine Wahl gewinnt er.
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Ein Sieg misslingt ihm auch in den Zeitungskriegen von Chicago. Mit seinem mittlerweile American Journal getauften Blatt will er um 1911 den Markt in Chicago erobern. Dort ist die Chicago Tribune der Platzhirsch, der sich Hearsts Standardmethode ausgesetzt sieht: Hearsts Schlägertrupps stehlen die Tribune einfach von Zeitschriftenständen oder gängeln Kunden zu einem American Journal Kauf. Doch diesmal hat Hearst clevere Gegner – die seine Trupps einfach abwerben.
Hearst schlägt zornig zurück: Er heuert landesweit sämtliche Schläger, Halunken, Streikbrecher und Krawallmacher an, die er finden kann, und lässt sie nach Chicago kommen.
Vier Jahre lang prügeln, schießen und bedrängen sich die Männer von Hearst und der Chicago Tribune erst gegenseitig und kämpfen schließlich gegen die Gewerkschafter der Zeitungsindustrie, als diesen die Opfer (Zeitungsjungen und –käufer werden immer wieder Opfer der Schießereien) zu viel werden und sie die beiden Blätter in ihren eigenen Publikationen offen dafür angreifen.
Zu dieser Zeit erblickt, nur wenige Meilen von Chicago entfernt, Orson Welles das Licht der Welt.
Schließlich stellen Hearst und die Tribune ihre Feindseligkeiten ein. Aber viele der von Hearst nach Chicago gelockten Gauner werden später noch große Namen werden – als in Zeiten des Al Capone Chicago zur Mobster-Metropole wird.

Hearsts Stern sinkt. Er hat mittlerweile Feinde in allen Lagern, der Industrie und Politik. Zudem wird er politisch immer radikaler: Hearst ist überzeugter Faschist, der sich für Amerika eine klar dominante, diktatorische Führung wünscht, so wie er selbst sie in seinen Goldminen in Argentinien und South Dakota etabliert hat.
So ist es kein Wunder, dass Hearst seine neuen Freunde bald in Deutschland findet! Hearst wird die Nazis immer offen unterstützen – und ein gern gesehener Gast in Hitlerdeutschland, in dessen Blättern immer Platz ist für Artikel aus Goebbels' Schreibmaschine.

Auch wird er immer sonderbarer – sein unermesslicher Reichtum sorgt für allerlei exzentrische Auswüchse. So besitzt er in Kalifornien ein riesiges Landstück, größer als die Stadt Berlin, auf dem er sich ein Schloss baut, private Zoos, Pferdezuchten, und Gärten und andere Anlagen, die er mit Kunst und Antiquitäten aus aller Welt füllt. (Heute ist das Anwesen ein sehenswerter Anlaufpunkt für Touristen.) George Bernard Shaw soll über das Anwesen gesagt haben: "Das ist der Sitz, den Gott sich gebaut hätte - wenn er genügend Geld besäße."
Sein liebstes Hobby bleibt dabei wohl Marion Davies: die 34 Jahre jüngere Schauspielerin wird zu seiner Mätresse und Partnerin, die er fördert, wo er nur kann. Er gründet für sie eine Produktionsfirma, kleidet sie in edelste Kostüme, kauft für sie ein Theater, das er teuer umbauen und nach ihr benennen lässt, um sie in wuchtigen, historischen Stücken und Filmen zu präsentieren. Hearsts Zeitungen und Nachrichtensendungen verfolgen Davies‘ Leben aufs genaueste, er baut ihr ein Strandhaus, von dem Colleen Moore gesagt haben soll: „Sie hat das größte Haus am Strand. Am Strand zwischen San Diego und Vancouver.“
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Davies, die ihr Talent eher in leichten Komödien sieht, hat von Hearsts Bemühungen eher Nachteile, ihr Ruf leidet beträchtlich. Trotzdem ist sie äußerst beliebt, ihre Parties sind der wichtigste Anlaufpunkt für Hollywood, und sie ist durchaus erfolgreich. Als Hearsts Imperium unter der Weltwirtschaftskrise 1929 beinahe vollständig zusammenbricht ist sie es, die ihren Mäzen schließlich finanziell fördert.

Die Schlacht


Das ist der Mann, mit dem Orson Welles sich anlegt, als er CITIZEN KANE auf den Weg bringt.
Ein Mann wie Hearst ist Spott und Kritik gewohnt, und vermutlich hätte er sich nicht einmal von Welles‘ kleinem Filmchen aus der Ruhe bringen lassen. Hearst weiß zwar um die Macht des Kinos, sieht seine eigenen Zeitungen aber als mächtiger an. Auf die Frage, weshalb er nicht stärker in den Film investiere, sagt er einst: „Weil ich mit Zeitungen Menschen vernichten kann. Mit Film nicht.“ Er hätte vermutlich getan, was er immer tat: Den Film medial totgeschwiegen und dem Vergessen überlassen.
Doch Welles verunglimpft nicht nur Hearst – sondern auch Marion Davies, die er im Film als untalentierte Sängerin darstellt, die dem Unbill eines alternden, verbitterten Mannes ausgeliefert ist. Welles selbst sagt später, sein Porträt von Marion Davies sei „unfair“ gewesen.
Hearst, der sein Leben auf dem Leid, der Missachtung, und der Not anderer aufgebaut hatte, der nach der alten Maxime lebte: "Nachrichten sind, was irgendjemand irgendwo nicht gedruckt sehen will, alles andere ist nur Werbung!", konnte nicht damit leben, nun selbst die Behandlung zu erfahren, die für ihn selbst so natürlich wie atmen war.

Und so gerät die Schlacht um CITIZEN KANE zur Schlacht um die Ehre einer Frau. Eine Frau beginnt auch die Schlacht: Bei einer Vorpremiere des Films sind die geladenen Pressevertreter begeistert. Mit einer Ausnahme – Im Publikum sitzt Hedda Hopper, von Welles persönlich eingeladen, aus Furcht, er könne sie sonst verärgern.

Die Klatschkolumnistin ist eine der mächtigsten und gefürchtesten Figuren Hollywoods, die den Stars über Jahrzehnte das Leben schwer macht, die Kommunistenjägern fröhlich Namen von ihr unliebsamen Personen nennt, und Charlie Chaplin bis ins Schweizer Exil treibt. Auch sie kennt die Macht der Presse und ist eine große Bewunderin der Legende William Randolph Hearst. Sie hasst CITIZEN KANE, nennt ihn einen „bösartigen, unverantwortlichen Angriff auf einen großen Mann“ und informiert Hearst überhaupt erst, welcher Streifen da in den Startlöchern steht. Auch Hoppers schärfste Konkurrentin, Kolumnistin Louella Parsons, sprüht ihr Gift – sie arbeitet für Hearsts Zeitung.

Hearst hat genügend Beziehungen, den Film in einer Privatvorstellung mit Marion zu sehen. Wie mag er sich gefühlt haben? Die Bilder, in denen beide gelangweilt in ihrem Schloss auf San Simeon die Tage verstreichen lassen, Kane vor dem haushohen Kamin, während seine Susan gelangweilt an einem Puzzle sitzt? Kane, der einsam und verlassen in seinem riesigen Schloss stirbt, ohne Freunde, ohne dass man sich seiner erinnert außer als verschrobenen, gescheiterten machthungrigen Despoten?
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Hearst ist außer sich und gibt nicht nur Order, den Film in seinen Blättern totzuschweigen, sondern lässt jegliche Erwähnung irgendeines RKO Radio Pictures Produkts verschwinden. Er  setzt alle Hebel in Bewegung, eine Veröffentlichung des Films zu verhindern. Und er nutzt jeden Trick in seinem Repertoire!
Einer der ältesten ist die Erpressung. Hearst droht zum einen, die RKO komplett zu ignorieren, bis der Film vernichtet wird, aber er sammelt zum anderen schon seit Jahrzehnten belastendes Material gegen alles und jeden. Hearst feuert aus allen Rohren gegen ganz Hollywood: Er klagt sämtliche Studios an, zuviele Ausländer zu beschäftigen, die anständigen Amerikanern die Jobs wegnähmen. Zwischen den Zeilen droht er aber deutlich damit, pikante private und geschäftliche Details der Studiobosse öffentlich zu machen. Louis B. Mayer, der große Boss Hollywoods, erhält einen Anruf von Louella Parsons, die ihm bestätigt, dass Hearst seine Drohungen ernst meint. Mayer versucht mit einigen anderen Produzenten und Bossen verzweifelt, das Filmnegativ zu erwerben, aus privater Tasche, inklusive eines Gewinns für die RKO, damit sie es vernichten können.
Gleichzeitig scheren Hearsts Männer aus und setzen die Kinos unter Druck. Mit dreckigen Geschichten, FBI Ermittlungen und finanziellen Drohungen sollen sie dazu gebracht werden, den Film gar nicht erst zu zeigen.

Die RKO ruft in New York eine Krisensitzung ein. Ihre Anwälte bestätigen, dass der Film rechtlich sauber sei, doch Hearst übt enormen Druck auf die gesamte Westküste aus. Welles kämpft für seinen Film, beteuert öffentlich, der Film handle nicht von Hearst, weist sogar auf die klaren Unterschiede hin und darauf, dass Hearst im Film als Vorbild für Charles Foster Kane namentlich genannt werde.
Schließlich stimmt er einigen kleineren Änderungen zu, um wenigstens die beleidigendsten Aspekte des Films abzumildern. So erreicht er immerhin, dass Hearst seinen RKO-Bann aufhebt. (Das Hays-Büro, das den Film hätte zensieren können, hielt sich, aus Furcht, zwischen die Fronten zu geraten, komplett aus der Debatte heraus.)

Hearst zweite große Waffe ist die Verunglimpfung – und hier zeigt sich seine wahre Macht! Welles wird in Hearsts landesweiter Zeitungskette zur Persona non grata, zu einem Aussätzigen. Hedda Hopper veröffentlicht eine sechsteilige Biografie über Welles, die den jungen Künstler in den Schmutz zieht. Hearst selbst erweitert seine Schmutzkampagne gegen jedes Aufsichtsratmitglied bei RKO und andere, maßgeblich an dem Film beteiligte Personen. Doch die Hauptwucht seines Schlags trifft Welles. Wie so oft in seiner Karriere hat Hearst das Ziel, einen unliebsamen Gegner mit seinen Zeitungen zu vernichten.

Und Welles macht es Hearst leicht! Denn Welles‘ Ruhm fußt auf Provokation, auf Skandal, auf Konflikt: Seine zwei erfolgreichsten Broadwayproduktionen, Julius Cäsar und der sogenannte „Voodoo“ Macbeth erhitzen die Gemüter, Ersteres, weil es eine unverkleidete Metapher auf Nazideutschland ist, Zweiteres, weil Welles erstmals ein rein schwarzes Theaterensemble an den Broadway holt. Und auch seine Inszenierung von „Krieg der Welten“ entwickelt soviel Skandal und Streitstoff, dass es bis heute legendär ist: Welles ließ die Studiotüren verriegeln, als man verzweifelt versuchte, die herrschende Massenpanik einzudämmen, und ihn dazu zu bringen, der völlig verängstigten Bevölkerung mitzuteilen, dass es sich hier nur um ein Hörspiel handele.
Ja, Welles ist eine stolze, streitbare Figur, die den Skandal schürt. Und er hat zeitlebens seine Verachtung für Hollywood offen ausgesprochen. Es gehört zu seinem sorgfältig inszenierten Image, der unnachgiebige, arrogante Rebell zu sein – für Hearst ist diese Scheinidentität des jungen Mannes die Munition, die er nun gegen ihn verwendet.

Fast zwei Monate tobt die Schlacht um CITIZEN KANE bereits, der Start wird immer wieder verschoben, ganze Kinoketten springen ab. Doch Welles will nicht klein beigeben – und droht nun seinerseits der RKO mit einer Klage, wenn sie den Film nicht bald veröffentlichen. Er bietet sogar an, den Film zu kaufen und selbst zu vertreiben, doch die RKO lehnt ab. Im April, drei Monate nach geplantem Filmstart, verschärft Hearst den Ton in seinen Angriffen auf Welles.
Er stellt Welles als Kommunisten dar und spricht offen die Frage an, wieso der gerade einmal 26-jährige Mann nicht in Europa sei, um für die Freiheit der Welt zu kämpfen.
Doch die Stimmung kippt. Die Zeitungswelt wird der Angriffe gegen CITIZEN KANE, Welles und die RKO müde, Louella Parsons Kolumne wird von anderen Blättern nicht mehr angekauft, weil sie so einseitig berichtet, und langsam ebbt die Aufregung ab.

CITIZEN KANE erlebt seine Premiere am 1. Mai 1941, fünf Tage vor Welles‘ 26. Geburtstag. Doch der Film kommt nicht in Gang. Er läuft halbwegs gut in größeren Städten, auf dem Lande hingegen weigern sich weiterhin viele Kinos, den Film überhaupt zu zeigen.
Die Kritiker sind begeistert – sie erkennen CITIZEN KANE augenblicklich als das visionäre Meisterwerk, das er ist. Das Publikum hingegen weiß kaum, dass der Film existiert – Hearsts Embargo funktioniert weiterhin, noch immer liest beinahe ein Drittel der Bevölkerung Hearst-Blätter.

Als der Rauch sich legt, bleiben zwei besiegte Sieger zurück.
CITIZEN KANE wird ein finanzieller Flop. Kaum jemand sieht den Film. Welles‘ Ruf ist derartig angeschlagen, dass er sich nie wieder erholt. Bei der Oscarverleihung 1942 geht CITIZEN KANE mit neun Nominierungen als Topfavorit ins Rennen, und Orson Welles wird als erster Filmemacher überhaupt als Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller für denselben Film nominiert (das gelingt erst Warren Beatty wieder im Jahre 1979). Doch in Hollywood sind Welles, und die Skandale, die er ausgelöst hat, noch in bester Erinnerung, Hearst, Parsons und Hopper haben ganze Arbeit geleistet: Wann immer CITIZEN KANE auf der Verleihung genannt wird, hagelt es Buhrufe und Schmähungen aus dem Publikum. Am Ende erhält der Film lediglich einen Oscar fürs Drehbuch, und sorgt für einen echten Oscarskandal. Die RKO vergräbt den Film tief in ihrem Archiv.
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Welles hat den Kampf gegen Hearst und seinen Pyrrhussieg mit seiner Karriere bezahlt.
Denn auch Hearst hat verloren. Der Film kommt in die Kinos, und der Mann, der sein Leben damit zugebracht hat, ein Imperium zu errichten, wird vor allem für die Schlacht um einen Film in Erinnerung bleiben, und Charles Foster Kane wird fortan das Bild bestimmen, das die Menschen sich von ihm machen. So hoch der Preis auch war – es ist Welles gelungen, den Mogul zu stürzen.
Hearst stirbt 1951, 88-jährig, tatsächlich beinahe so vergessen wie Charles Foster Kane im Film.

Es dauert lange, doch auch CITIZEN KANE wird sich erheben - und wie! Als die RKO in den Fünfzigern ihre Tore schließen muss, wird der Film ans Fernsehen verkauft, und erhält in den Sechzigern eine Wiederaufführung. Mittlerweile hat Hollywood sich verändert, Hearst ist Geschichte, und Welles inszeniert seinen König Lear am Broadway – und mit einem Mal wird das künstlerische Genie des Films erkannt. Ende der Fünfziger erscheint CITIZEN KANE plötzlich in allen Top Ten Listen der besten Filme aller Zeiten, bis heute wird er immer wieder mal als der Beste Film aller Zeiten vorgestellt. CITIZEN KANE wird zum Mythos, der die Leistungen und Triumphe der Männer, die um ihn stritten, weit überstrahlt und lange überdauert - und bestimmt. Denn sowohl Welles als auch Hearst sind heute beinahe nur noch durch CITIZEN KANE in unserer Erinnerung präsent.

Statt um die Person, und ihren Bezug zum wahren Leben, weckt der Film endlich Gespräche über seine Form. Über die künstlerischen Innovationen, die Meisterlichkeiten, die Welles einsetzt.
Den künstlerischen Aspekt betrachten wir in CITIZEN KANE Teil 2: Das Kunstwerk.

2 Kommentare:

  1. Spannender Artikel, den ich nur um einige wenige Details ergänzen will: Kane ist nicht nur an Hearst angelehnt, so ist z.B. die Figur der Susan Alexander nicht 1:1 Marion Davies sondern vielmehr ist oft auch abgezielt auf die minderbegabte Opernsängerin Mary Garden, die von Ihrem Liebhaber, dem Magnaten Samuel Insull, protegiert wurde, der Ihr in Chicago ein Opernhaus bauen ließ. Ein Foto Insulls, der zu Beginn des Citizen-Kane-Projekts bereits verstorben war, legte Welles seinem Maskenbildner vor, damit dieser den alternden CFK daran ausrichten konnte. Auch Teile des Verlegers Robert R. McCormick (Chicago Tribune) flossen in die Figur mit ein. Welles wollte Hearst auch nie stürzen, hatte seine Ritterlichkeit gegenüber Marion Davies bloß unterschätzt. Sein Autor Mankiewicz hatte ja von Charles Lederer (dem Neffen von Marion Davies, den sie halb groß gezogen hatte und der zu diesem Zeitpunkt bereits Welles' erste Frau Virginia Nicholson geheiratet hatte und quasi der Stiefvater seiner Tochter Chris war) viele intime Details erfahren, u.a. auch, dass Hearst einst wutentbrannt auf hoher See auf Charles Chaplin schoss, weil dieser Davies zu nahe kam, diesen verfehlte und dabei Thomas Ince erschoss, was später dann aber virtuos vertuscht wurde. Diese Szene strich Welles wieder aus Mankiewicz' Script, weil er Kane (der ja in der ganzen Kindheitsepisode auch deutliche Züge von Welles trug) mittlerweile "lieb gewonnen hatte und nicht als Mörder darstellen wollte". Hätte er sie drin gelassen, hätte er womöglich weitaus weniger Ärger bekommen, denn Parsons und Hopper hätten nicht so öffentlich die Parallelen zu Hearst gezogen, weil sonst der Skandal um den Totschlag an Ince ans Licht gekommen wäre, dessen Totenschein man sogar fälschte, als die Yachtgesellschaft wieder an Land war.

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  2. Yay, super, vielen Dank! Ja, wir haben versucht, in drei Artikeln einen möglichst kompletten Überblick zu geben, und uns hier ein wenig auf den hierzulande ja recht unbekannten Hearst konzentriert, von daher sind wir froh über deine Ausführungen, die eine willkommene Ergänzung sind. Man merkt, du steckst tief drin. :D

    Wir hätten noch drei weitere Artikel über den KANE schreiben können. (Vielleicht kommen die zum 80. Geburtstag des Films! :D ) Auch der Streit zwischen Welles und Mankiewicz darüber, wieweit Welles nun wirklich ins Drehbuch involviert war, ist sehr spannend. Und Hearsts Biografie gibt, wie die Thomas Ince Anekdote, die du anführst, auch noch jede Menge Material her. Es ist einfach Wahnsinn, wieviele spannende Verknüpfungen und Verflechtungen mit Welles und Hearst und CITZEN KANE verbunden sind!

    Den Ausrutscher mit dem "stürzen" siehe uns bitte als kleine Dramatisierung nach, ein wirkliches "stürzen" war mit dem durchaus angeschlagenen Hearst ja auch kaum noch möglich. Wir sind uns allerdings sicher, dass der soziale und liberale Welles, der ja am Theater schon den europäischen Faschismus angeprangert hat, Hearst und Seinesgleichen in jedem Fall anprangern und ihren Einfluss treffen wollte. Wir nennen das halt "stürzen"! :D

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