25.11.14

Pride (GB 2014) - Von veganen Lesben und schwulen Tanzgöttern

Kaum ein Filmvolk versteht es so gut, ernste Themen der eigenen gesellschaftlichen und geschichtlichen Aufarbeitung so beschwingt in die Kinos zu bringen wie die Engländer. Das sorgt für doppelt feuchte Augen. Denn der feinsinnige Humor ist durchzogen mit zu Herzen gehenden Einzelschicksalen, der Ernst wird nie aus den Augen verloren, das dahinterstehende Drama nie bagatellisiert. Wie kaum ein anderer britischer Film schafft PRIDE den Spagat zwischen luftiger Komödie und schwerem Außenseiterdrama.
© Senator Film GmbH
Biancas Blick:

Bereits mit ihren Meisterwerken GANZ ODER GAR NICHT, BILLY ELLIOT oder zuletzt PHILOMENA zeigten die Engländer, wie man tragische Geschichten anrührend und doch komisch auf die Leinwand bringt. Nun widmet sich PRIDE einem ganz besonderen Thema!

Stolz! Stolz! Und nochmal: Stolz!


Mit PRIDE ist ein Film entstanden, der seinem Titel alle Ehre macht. Denn aus jeder Pore verströmt der Film vor allem eines: STOLZ!
PRIDE ist eine der vieldeutigsten englischen Vokabeln, was der Film sich zu Eigen macht. Im obersten Wortsinne meint „Pride“ den allgemeinen „Stolz“. Das Wort bezeichnet aber auch, „steh zu dem, was du verkörperst“. In seiner negativen Behaftung bedeutet PRIDE aber auch „Hochmut“ oder „Überheblichkeit“. In Verbindung mit Lebewesen ist es auch als „Rudel“ zu übersetzen.
Als „Pride Parades“ werden darüber hinaus die Demonstrationen der Schwulen und Lesben seit den 80er Jahren bezeichnet, die den Film inhaltlich einklammern.
All diese Facetten deckt der Film ab. Mal vordergründig, mal zwischen den Zeilen.

PRIDE spielt 1984 in einem England, in dem Margaret Thatcher die Arbeiterschaft gegen sich aufbringt. Im Norden des Landes sollen diverse Zechen geschlossen werden. Die anschließenden Streiks werden teilweise brutal von der Polizei niedergeknüppelt.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Joe, der eher zufällig in die Gruppe um den schwulen Mark Ashton rutscht. Mark, ein junger, überaus ambitionierter Menschenrechtsaktivist, erkennt, dass die Bergarbeiter den Staatshass erleiden, den er und andere Homosexuelle sonst erdulden müssen. Er motiviert eine kleine Gruppe von Schwulen und eine Lesbe, den unterdrückten Bergarbeitern zu helfen – und gründet eine Spendengruppe.

Das gelingt so famos, dass es unweigerlich zum Aufeinandertreffen der beiden Gruppen kommt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Denn die „harten“ Bergarbeiter finden die Hilfe durch Schwule alles andere als erstrebenswert. Im Gegenteil! Sie meinen, es würde sie schwach und bemitleidenswert erscheinen lassen und der Lächerlichkeit preisgeben.
Erst im Laufe der Zeit nähern sich die beiden konträren Gruppierungen an, beginnen ihren Stolz zu überwinden und Kraft daraus zu ziehen, gemeinsam für das zu kämpfen, was ihr Leben ausmacht.
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Genau hier setzt PRIDE seinen Schwerpunkt: in der Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden, dem, das Angst macht. Und zwar auf beiden Seiten!
Denn beide Gruppen fürchten die jeweils andere. In den Bergarbeiterkreisen werden die Schwulen und Lesben als etwas Gefährliches betrachtet. Die Yellow Press schürt diese Angst, wirft den Homosexuellen vor, den integeren, richtigen Lebenswandel zu unterwandern.
Einzelne Situationen zeigen aber immer wieder: Die Schwulen sind nicht die, die gewaltbereit und somit gefährlich handeln! Es ist die Gesellschaft, die Schwule ablehnt, teilweise mit Gewalt, und sich selbst als Maß aller Dinge nimmt und einen als Zuschauer erzittern lässt.
Stolz überwinden, seinen Stolz finden, zu sich selbst stehen, Hochmut erkennen und abstreifen und Stärke in der Gemeinschaft finden – jeder Protagonist des Films muss einen Schritt in Richtung Selbsterkennung gehen.

So durchwebt der Titel den gesamten Film, Szene für Szene – und das ohne viel Gerede oder es zu dick aufzutragen.

Der eiserne Streik


Anfang März 1984 beginnt der längste Streik in der britischen Geschichte. Begonnen wird er durch die Berg- und Kohlearbeiter Großbritanniens, die gegen die Schließung der Zechen, bzw. drohende Privatisierung auf die Straße gehen und die Arbeit niederlegen.
Im Endeffekt wird der Streik trotz seiner Vehemenz verloren. Die britischen Gewerkschaften büßen massiv an Einfluss in England ein, allen voran die bislang maßgebliche Gewerkschaft der Berg- und Minenarbeiter. Thatchers eiserner, gegen die Gewerkschaften gerichteter Regierungskurs wird hingegen bestätigt.

Dafür sorgt auch Thatchers gute Vorbereitung.
Bereits Ende der 70er Jahre ist klar, dass es – im Falle der Regierungsübernahme durch Thatchers Conservative Party – zu Streiks in den gewerkschaftsgeführten Branchen kommen wird. Zu sehr ist der konservative Kurs darauf ausgelegt, den Einfluß und die Macht der Gewerkschaften zu schwächen und zu beschneiden. Diese fordern mehr Absicherung der Arbeitsplätze, sowie bessere Bezahlung und Versorgung und bilden durch ihre Organisation eine Gefahr für die englische Wirtschaft. Zwar befindet sich der zu Beginn des 20. Jahrhunderts allesentscheidende Wirtschaftszweig der Minenarbeiter schon seit Jahrzehnten im Abstieg, ist aber weiterhin ein bedeutsamer Energielieferant.
Erst nach ihrer Wiederwahl 1983 - untermauert vom Erfolg im Falklandkrieg - wagt Thatcher den lange gehegten Schritt gegen die Zechen und Gewerkschaften.
Da sie von Anfang an mit schweren Streiks gerechnet hat, sobald sie die Pläne zur Schließung und Privatisierung der weniger rentablen Zechen bekanntgibt, lässt sie bereits seit Jahren großzügige Kohlereserven zurücklegen. Die Wirkung des Streiks wird dadurch massiv abgefedert.

Darüber hinaus lässt Thatcher jegliche Spende an die Gewerkschaft einziehen. Eine direkte Unterstützung durch ein Zentrales Organ ist dadurch nicht möglich. Stattdessen entsteht ein „Partnerschaftsmodell“. Spendensammler versorgen direkt kleinere Gruppen und Orte von Bergarbeitern.
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Thatcher, englische Premierministerin von 1979 – 1990, und zugleich Erste Vorsitzende der Konservativen Partei, bezeichnet in der Phase des Streikes die Gewerkschaften gar als „the Evil Within“, als Feind im Inneren und schürt damit die ohnehin angespannte Stimmung.
Und sie führt den Kampf gegen die Gewerkschaften mit harten Bandagen. Im Streikverlauf erlässt die Regierung immer wieder Regelungen und Gesetze, um den Gegner zu schwächen. So werden schwammig formulierte Regelungen für die Streikenden erlassen. Bei Zuwiderhandlungen können Streikführer verhaftet und Streikkassen konfisziert werden. Das Ergebnis ist massive Willkür von Seiten der Polizei in weiten Teilen der Streikgegenden.

Mit der Arbeitsniederlegung kommen auch die Verdienstausfälle. Die streikenden Berg- und Kohlearbeiter werden schnell von Spendengeldern abhängig, um sich und ihre Familien über Wasser zu halten. So werden in ganz Großbritannien Geld- und Sachspenden organisiert, um den streikenden Arbeitern Essen zu kaufen und den Strom zu sichern.
Der extrem lange Streikverlauf – am Ende wird er ein Jahr dauern – sorgt schließlich auch dafür, dass die Minenarbeiter sich intern aufreiben und zersplittern. Es bilden sich immer kleinere Gruppen von Streikgegnern und –befürwortern, die immer unterschiedlichere Ziele mit dem Streik verfolgen. Thatchers Zermürbungstaktik geht auf. Dem Streik bricht die Basis weg. Die Einheit geht verloren, so dass der Streik nach einem Jahr niedergelegt werden muss.

Unerwartete Hilfe


Der homosexuelle Menschenrechtler Mark Ashton und sein Partner Mike Jackson beginnen, sich für die Bergarbeiter einzusetzen. Ashton erkennt, dass die staatstreue Presse (viele Zeitungsinhaber sind Thatcher eng verbunden) versucht, die Gesellschaft negativ gegen den Streik zu stimmen – dasselbe mediale Verhalten, dass sie sonst den Schwulen und Lesben entgegenbringt. Auch in der Willkür der Exekutiven gegenüber den Streikenden erkennt er Parallelen.
Er wird schließlich der Erste, der versucht, die beiden öffentlich gechassten Randgruppen der damaligen Zeit, Schwule und Lesben sowie die streikenden Bergarbeiter, zusammenzuführen, Kraft zu bündeln und gemeinsam den Einfluss und den Druck auf die britische Regierung und die Presse zu erhöhen.
Auf einem Gay Marsch 1984 beginnt er mit einer kleinen Gruppe, Spendengelder zu sammeln und ist dabei so erfolgreich (im Laufe des Streiks sammelt er gut 20.000 Pfund!), dass es zu einer Einladung seitens der Bergarbeiter kommt.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten stellen die zusammengeführten Gruppen am 10. Dezember 1984 ein großes Konzert auf die Beine, „Pits and Perverts“, das von Jimmy Sommervilles Gruppe Bronski Beat angeführt wird. Der Name leitet sich aus einer Schlagzeile der britischen Boulevardzeitung THE SUN ab, die damit gegen die Hand in Hand arbeitenden Gruppen Stimmung machen will. Nun wird die vermeintliche Beleidigung einfach zum Schlachtruf umgewandelt. Der Einfluss der Gruben und Perversen wächst und die Öffentlichkeit kann sich den Vorkommnissen in ihrer Mitte nicht mehr entziehen.
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Die Kooperation zieht immer weitere Kreise, es kommt auch zu einem Zusammenschluss der Gruppen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) und Bergarbeiter. Eine nie dagewesene Solidarität der damaligen Randgruppen der Gesellschaft!

Der Streik geht als große Niederlage in die Geschichte ein, und bringt dennoch einen Erfolg hervor. Der gemeinsame Kampf zweier unterdrückter Gruppen gegen die geballte Macht von Thatcher, der Presse und der Polizei, wird zum gut hörbaren Aufruf für Solidarität – und sorgt beim Londoner Gay Pride Marsch im Juni 1985 für eine handfeste Überraschung!

Der gehobene Schatz


Den Film zu drehen brachte eine Menge Probleme mit sich. Zunächst das eher untypische Sujet. Eine luftig leichte Komödie, die sich mit einer der brutalsten und menschenunfreundlichsten Zeiten der neuen, britischen Geschichte beschäftigt? Noch dazu eine Geschichte, die dank der Niederlage der Minenarbeiter kein Happy End aufweist.
Als Autor Stephen Beresford, bereits im Gehen, vom Filmprodzenten David Livingstone gefragt wird, welche Geschichte er immer wieder erzählen wird, fällt ihm diese kleine Randnotiz des Streiks von 1984 ein, von der er einmal gehört hat. Livingstone ist begeistert – und will den Film machen.

Beresford steht allerdings vor dem Problem, kaum Quellen zu haben. Die Geschichte selbst ist eine Legende in der englischen LGBT-Szene. Und wie jede Legende wurde sie über die vergangenen dreißig Jahre vollkommen verklärt.
Bei seiner Suche nach den Beteiligten der Aktion stolpert Beresford schließlich über eine kurze Dokumentation: ALL OUT! DANCING FOR DULAIS, in der Mark Ashtons Spendengruppe in 25 Minuten ihre Arbeit dokumentarisch festgehalten hat.
Die Doku wird zum Kernstück des Films! Viele Szenen und Figuren von PRIDE, vor allem aber die generelle Stimmung der damaligen Ereignisse, können dank der kurzen Doku gut wiedergegeben werden.
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Selbst einige der Dialoge entstammen direkt der Dokumentation – als in PRIDE etwa die wenig überzeugten Homosexuellen den überzeugten Mark Ashton fragen, weshalb sie die Minenarbeiter unterstützen sollten, wenn die Minenarbeiter sie doch auch nicht unterstützen würden, nutzt Autor Redesford direkt eine Zeile Mark Ashtons aus der Doku: „Was soll das heissen, die Minenarbeiter unterstützen uns nicht? Sie fördern Kohle, geben uns damit Elektrizität.“
Auch die Tanzszene wird von einem Foto inspiriert, das in der Doku zu sehen ist, ebenso wie der Bingoabend und etliche andere Momente.

Eine der im Abspann genannten Personen ist Reggie Blennerhassett. Mit ihm nimmt Beresford schließlich Kontakt auf – und gelangt so an nahezu alle wichtigen Beteiligten der Partnerschaft zwischen der Spendengruppe LGSM (Lesbians & Gays Supporting Miners) und ihrer Partnerregion Dulais in Süd-Wales.
Allmählich macht er sich ein Bild der Vorkommnisse, und beginnt, seinen Film zu schreiben.
Wichtig ist ihm, allen von Anfang an klar zu machen, dass er an einer Dramatisierung arbeitet, nicht an einer Dokumentation.
So nutzt er die fiktive Figur des Joe, um die Zuschauer in die Welt, in den Konflikt, aber auch in die Werte seiner Zeit einzuführen.
Darüber hinaus nimmt der Film sich einige Freiheiten. Darunter etwa, dass am ersten Tag ein einzelner Bus mit einem knappen Dutzend Unterstützer aus London in Wales ankommt. „In Wirklichkeit“, erklärt Dai Donovan, der seinerzeit den Kontakt herstellte, und im Film von Paddy Considine dargestellt wird, „haben sich drei Busse mitten im Tal verfahren und kamen irgendwann nachts um ein Uhr an. Ich hatte 27 Leute, die in meinem Wohnzimmer schliefen.“
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Als der Film drei Jahre später tatsächlich erstmals läuft, erntet er dennoch großen Applaus und Begeisterung von den Minenarbeitern, den Schwulen und Lesben und anderen Beteiligten, die dabei waren, 1984.
Die Bewohner Dulais‘, die, wie Beresford angibt, noch heute von Mark Ashton reden wie von einem Lokalheiligen, sind begeistert. Viele von ihnen fürchteten, dass dies Stück ihrer Geschichte in Vergessenheit geraten könnte und sind dankbar, dass Ashton und allen anderen Unterstützern aus der LGSM-Gemeinde nun ein Denkmal gesetzt werden konnte.

Auch die vermutlich wichtigsten Worte des Films entstammen direkt Mark Ashtons Mund und sind wortwörtlich in ALL OUT! DANCING FOR DULAIS zu hören:
Eine Gemeinschaft sollte die andere unterstützen! Es ist doch unlogisch zu sagen: „Ich bin schwul, und deshalb verteidige ich die schwule Gemeinschaft, aber es ist mir egal, was aus einer anderen Gemeinschaft wird!“

Dem fügen wir Dai Donovans echte Rede auf dem „Pit & Perverts Konzert“ hinzu:
Ihr habt unser Wappen getragen. Ihr wisst, was Unterdrückung bedeutet, so wie wir es wissen. Nun werden wir euer Wappen tragen. Wir werden euch unterstützen. Es wird sich nicht über Nacht ändern, aber jetzt wissen 140.000 Minenarbeiter, dass es andere Probleme gibt, andere Gründe, zu kämpfen. Wir wissen, dass es Schwarze gibt und Schwule und nukleare Abrüstung, und wir werden nie wieder dieselben sein!

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