07.02.21

Porträt: Nick Nolte – Baumhäuser, Wutausbrüche und eine Karriere ohne Image

Wie beginnt man ein Porträt über Nick Nolte? Einen Mann, der von sich selbst sagt: „Ich bin nie lange ein Publikumsliebling geblieben. Ich wurde nie in irgendeine bestimmte Schublade gesteckt. Ich habe sehr hart dafür gearbeitet, immer wieder mein Image zu wechseln.“
Tatsächlich ist Nolte so vielfältig, so wechselhaft in seinen Rollen, seinem öffentlichen Image, dass es schwer fällt zu benennen, was „typisch Nolte“ ist. Und vielleicht ist gerade das sein Markenzeichen. Dass er sich nie auf etwas festlegt. Auf keine Rolle (er spielt nur eine einzige Rolle erneut), auf kein Genre, auf nichts. Und doch gelingt ihm etwas, das kaum jemandem gelingt: Ohne Karriereknick bleibt er fünfzig Jahre aktiv, begeistert Publikum und Kritiker, wird zu einem der berühmtesten Namen der Kinogeschichte – und noch mehr, nämlich Sexsymbol und Boulevard-Liebling.
Und mit achtzig Jahren hat er eine Vita und eine Karriere vorzuweisen, deren Vielfalt und Kreativität kaum ein anderer Schauspieler mitbringt.
Quelle: DVD „Der schmale Grat“ © Twentieth Century Fox
Marcos Blick:

Nick Nolte – ein leicht zu merkender Name. Nicht zuletzt ist er alliterativ, knackig und in jedem filmischen Genre zu finden.
In den Siebzigern noch als Model und Serienstar berühmt, avanciert Nolte in den Achtzigern zum Actionstar, und in den Neunzigern endgültig zum Charakterdarsteller. Dabei ist er nie auf eine Rolle oder ein Genre festgelegt, und er spielt den korrupten Bullen ebenso überzeugend wie den liebevollen Familienvater, den esoterischen Obdachlosen oder den sensiblen Künstler. Nolte spielt einfach alles überzeugend, den Loser, den Helden, den Schurken, den Romantiker.

Diese Vielseitigkeit ist es, die ihn – zusammen mit seiner markanten Stimme – so populär macht. Doch auch privat scheint er sich schwer festlegen zu können: Vier Ehen, zahllose Affären, Drogen und weitere Skandale lassen ihn auch zwischen seinen Leinwandauftritten immer wieder in die Presse rutschen.
Eine Karriere, die bis heute anhält – etwas ruhiger, etwas reifer, aber immer noch voller sehenswerter Auftritte. Und eine Karriere, wie sie schillernder kaum sein könnte – obwohl sie erst ziemlich spät startet.

Der Wendepunkt


Nicholas King Nolte wird am 8. Februar 1941 in Omaha, Nebraska geboren. Sein Vater ist Sportler, seine Mutter eine Self-Made-Frau und erfolgreiche Antiquitätenhändlerin.
Schon als Teenager ist Nolte für Skandale gut: Der erfolgreiche High-School-Footballspieler fliegt aus dem Team, als er während des Trainings beim Biertrinken erwischt wird. Später fliegt er wegen schlechter Noten (Nolte leidet ein Leben lang an erheblicher Legasthenie) und weiterer Alkoholexzesse von der Schule. Mit einem Footballstipendium schafft er es aufs College oder besser auf vier davon.  Zwar ist er im Sport ein Ass, doch aus dem Unterricht bringt er nur schlechte Noten mit, woraufhin er die Schule schließlich abbricht. Er weiß nichts Rechtes mit seinem Leben anzufangen und lebt in einer kleinen WG, als er einen Freund zu einer Schauspielstunde von Bryan O'Byrne begleitet. Hier drückt O'Byrne ihm ein Drehbuch in die Hand, und lässt ihn einige Zeilen lesen, was Nolte mir spürbarer Nervosität tut. „Als ich fertig war“, erklärt Nolte, „sagte er: 'Du weißt es noch nicht, aber du bist ein Schauspieler. Du kannst es einfach.' Das war ein Wendepunkt für mich.“

Er arbeitet eine Weile im Pasadena Playhouse und nimmt Kurse an der Schauspielschule von Stella Adler, ohne aber je eine richtige und komplette Ausbildung zu genießen. Stattdessen tourt er einige Jahre durchs ganze Land und tingelt durch die Theater.
Dazu modelt er mit Anfang zwanzig häufiger und ist immer wieder in Fernseh- und Magazinwerbungen zu sehen. Darunter eine Fernsehwerbung für ein Haartönungsmittel für Frauen, die so populär wird, dass die Firma schließlich ein Foto aus der Werbung mit Nolte und seiner Partnerin (der man lange fälschlicherweise nachsagt, es sei Sigourney Weaver) auf die Schachtel druckt. Der Legende nach ist Nick Nolte damit bis heute der einzige Mann, der es je auf die Verpackung einer Haartönung für Frauen geschafft hat.
Werbeanzeige, 1972
Erst 1969, mit fast dreißig Jahren, spielt er erste kleine Rollen im Fernsehen. Seinen ersten Auftritt hat er als Winzrolle in der Serie IM WILDEN WESTEN. 1974, Nolte ist inzwischen Mitte dreißig, beginnt seine Fernsehkarriere etwas an Fahrt aufzunehmen, denn er spielt nicht nur in WINTER KILL und CALIFORNIA KID (an der Seite von Martin Sheen, der ihm später noch eine begehrte Rolle wegschnappen wird) in seinen ersten Fernsehfilmen mit, sondern er wird Dank eines Auftritts in RAUCHENDE COLTS auch einem größeren Publikum bekannt.
1975 darf er in WILD DRIVERS endlich seine erste Kinohauptrolle übernehmen. Ab jetzt ist Nolte nicht mehr zu stoppen.

Mit mehr Tiefe


Zum Star wird Nolte 1976 durch die Mini-Serie REICH & ARM. In der Romanverfilmung um das turbulente Leben zweier aus Armut entspringenden Brüder, spielt er eine Hälfte des Bruderpaares – passenderweise den rebellischen, sportlichen, eher auf Körperlichkeit angelegten Bruder Tom Jordache. Die Serie umspannt fast zwanzig Jahre, was den fünfunddreißigjährigen Nolte zwingt, zu Beginn einen Teenager zu spielen, was er aber erstaunlich gut meistert. Die Serie wird ein weltweiter Erfolg und macht den damals noch unbekannten Nolte an der Seite des weit bekannteren Peter Strauss fast über Nacht bekannt.
Quelle: DVD „Reich und Arm“ © Alive - Vertrieb und Marketing/DVD
Und es gelingt Nolte, diesen Ruhm für sich zu nutzen. Denn 1977 wird er für sein erstes richtiges Prestigeobjekt engagiert.
Zwei Jahre zuvor hat der Thriller DER WEISSE HAI das Kino revolutioniert und eine gänzlich neue Form der Vermarktung etabliert: Den Sommerblockbuster. Der Film macht nicht nur Regisseur Spielberg berühmt, sondern auch den Autor der Romanvorlage, Peter Benchley. Und so ist es kein Wunder, dass die Studios Schlange stehen, um seinen Folgeroman „Die Tiefe“ zu verfilmen.
Der Film erscheint im Sommer 1977 unter der Regie von Peter Yates und mit Nick Nolte in der Hauptrolle und soll, wenn möglich, den Erfolg von DER WEISSE HAI wiederholen. Das gelingt ihm zwar nicht, aber trotzdem wird der Streifen ein überragender Erfolg und Nolte nach seinem Fernseherfolg nun auch zum Kinostar.

Den vielleicht größten Nutzen aus DIE TIEFE zieht Nolte aber vermutlich hinter den Kulissen. Denn der gefeierte britische Regisseur Karel Reisz will Nolte in der Hauptrolle für seinen kommenden Film DRECKIGE HUNDE. Um sich einen genaueren Eindruck zu verschaffen, will er Nolte bei der Arbeit am Set von DIE TIEFE in Augenschein nehmen, was Nolte fast zum Verhängnis wird: „Am Set von DIE TIEFE kam der großartige britische Regisseur Karel Reisz, um mich beim Arbeiten zu beobachten“, erzählt er später in einem Interview.
Quelle: DVD „Die Tiefe“ © Sony Pictures Home Entertainment
„Wir drehten gerade einen Stunt, für den ich nicht gebraucht wurde, also habe ich mit den Jungs von der Requisite mit einem Feuerlöscher rumgealbert und ordentlich Schaum rumgepustet. Karel wollte, dass ich in seinem nächsten Film mitspiele, aber ich kannte ihn nicht, und als wir später einander vorgestellt worden, wurde mir klar, dass ich den ganzen Tag vor den Augen diesen phänomenalen Regisseurs verschwendet hatte. Karel sagte: 'Darf ich Ihnen eine kleine Kritik mitgeben? Wenn Sie arbeiten, dann denke ich nicht, dass es eine gute Idee ist, so viel Zeit darauf zu verwenden, die Crew zu unterhalten.' Seit dem Tag nutze ich meine Energie am Set fürs Schauspielern, nicht zum Rumkaspern.“
Die Kritik scheint also gewirkt zu haben, und nur ein Jahr inszeniert Reisz Nolte in DRECKIGE HUNDE.

Nolte ist nun endgültig „Leading Man“ und Hauptdarsteller, und noch in Romanzen, Dramen und Komödien zu sehen, bevor er sich in eine ganz neue Liga katapultiert.

Der Buddy-Erfolg


Im Dezember 1982 landet Nolte einen der größten Coups seiner Karriere: Unter der Regie von Walter Hill darf der mittlerweile vierzigjährige, und äußerst erfahrene Star selbst einen kommenden Megastar auf der Leinwand einführen. Nach etlichen Jahren in der Produktionshölle soll ein ursprünglich für Clint Eastwood und Richard Pryor geplantes Projekt, dem im Laufe der Jahre so viele Stars zugedacht waren, dass man kaum den Überblick behalten kann, endlich umgesetzt werden. Am Ende dürfen Nick Nolte und ein charismatischer, junger Fernseh-Comedian ran: Der gerade zwanzigjährige Eddie Murphy, Star des Ensembles von SATURDAY NIGHT LIFE, spielt neben Nick Noltes grummeligen Cop in NUR 48 STUNDEN seine erste Filmrolle als gewohnt schnellsprechende Schnodderschnauze.
Quelle: DVD „Nur 48 Stunden“ © Paramount Pictures
Die beiden entwickeln eine Leindwandchemie, der sich das Publikum nicht entziehen kann. NUR 48 STUNDEN wird der siebterfolgreichste Film des Jahres und ein weltweiter Megaerfolg, der das Kino nachhaltig verändert. Zwar ist es nicht der erste „Buddy-Cop“-Movie (und angesichts der Tatsache, dass die Figuren Jack Cates und Reggie Hammond sich nicht ausstehen können, nicht mal ein „Buddy-Movie“), aber der einflussreichste.
Die Mischung aus Hard-Boiled-Thriller, extrem brutalen Actionszenen und immer wieder brüllend witzigem Humor (wobei Murphy später erfährt, dass er beinahe gefeuert worden wäre, weil er den Produzenten nicht witzig genug war) zündet nicht nur beim Publikum, sondern verformuliert direkt das Genre, bei dem immer wieder ein ernster, mürrischer, regeltreuer Cop mit einem deutlich witzigeren, lockereren Partner einen oft ins Brutale abgleitenden Kriminalfall löst. LETHAL WEAPON, RED HEAT, STAKEOUT, AUF DIE HARTE TOUR, THE LAST BOYSCOUT, BAD BOYS oder TANGO & CASH sind nur einige der erfolgreichsten Filme dieser Machart. Schon bald kommen Parodien wie MEIN PARTNER MIT DER KALTEN SCHNAUZE, SCHLAPPE BULLEN BEIẞEN NICHT (als Verfilmung der populären Serie POLIZEIBERICHT) und KINDERGARTEN COP, Hommagen wie CITY SLICKERS oder TOY STORY oder Metabetrachtungen wie LAST ACTION HERO ins Kino.

Ein filmischer Reigen, dessen Erfolg sich direkt auf den von Nolte und Murphy zurückführen lässt, die entsprechend der ungeschriebenen Regeln 1990 noch einmal für die Fortsetzung UND WIEDER 48 STUNDEN zusammenkommen – wenn auch unter anderen Vorzeichen. War 1982 noch Nolte der Star, der in den Credits zuerst genannt wird, und mehr als doppelt so viel Gage erhält wie sein Partner, ist Murphy in der Fortsetzung nicht nur selbst Produzent, sondern erhält auch mehr als doppelt so viel Geld wie Nolte und wird in den Credits zuerst genannt.
Und noch eine Sonderstellung nimmt UND WIEDER 48 STUNDEN in Noltes Karriere ein: Bis heute ist es die einzige direkte Fortsetzung, in der Nolte je mitspielt, und das einzige Mal, dass er dieselbe Rolle auf der Leinwand ein zweites Mal spielt.
 

Die Hochphase, immer wieder neu


Von nun an kann sich Nolte seine Rollen aussuchen: In UNTER FEUER mimt er einen Kriegsfotografen, in ZOFF IN BEVERLY HILLS einen obdachlosen Künstler, der eine High-Society-Familie therapiert (Noltes vielleicht ikonischste Rolle in einer Karriere, die kaum die eine, den Star definierende Rolle mitbringt), in AUSGELÖSCHT einen beinharten Sheriff und in DER STÄHLERNE VORHANG einen Gefängnisinsassen, der eine Theatergruppe gründet.
Quelle: DVD „Zoff in Beverly Hills“ © Touchstone Pictures
Nolte hat einen Hang zu ungewöhnlichen, schrägen Charakteren, die abseits der üblichen Klischees liegen, ohne sich auf irgendein Genre festzulegen. In DAS BANKENTRIO spielt er neben Komikerlegende Martin Short in einer waschechten Komödie mit, um anschließend im Thriller EVERYBODY WINS einen Privatdetektiven zu mimen und in TÖDLICHE FRAGEN einen korrupten, mörderischen Polizisten.

Erst Anfang der Neunziger, Nolte ist inzwischen fünfzig, hat er in direkter Folge zwei weitere Supererfolge.
Unter der Regie von Martin Scorsese spielt er im Remake von EIN KÖDER FÜR DIE BESTIE die Rolle des Anwalts Sam Bowden, der von seinem ehemaligen Mandanten Max Cady verfolgt wird. Das Duell zwischen Nick Nolte und Robert De Niro in KAP DER ANGST gilt bis heute als eines der spannendsten Aufeinandertreffen der Filmgeschichte, und auch wenn De Niro hier (zu Recht) einen großen Teil der Aufmerksamkeit auf sich zieht, hat Nolte zu keinem Augenblick Probleme, es mit De Niros entfesseltem Spiel aufzunehmen. Wohl auch, weil er physisch beeindruckender ist: Scorsese drängt Nolte dazu, fast fünfzehn Kilo abzunehmen, während der deutlich schmächtigere De Niro ordentlich Muskelmasse aufbaut, damit die beiden Kontrahenten körperlich zumindest ebenbürtig wirken.
Quelle: DVD „Kap der Angst“ © Universal Pictures Germany GmbH
Umso stärker der Bruch zu Noltes noch im selben Jahr erscheinender Rolle, die ihm endlich seine erste Oscar-Nominierung einbringt. In HERR DER GEZEITEN spielt er unter der Regie von Barbra Streisand einen sensiblen, gebrochenen Mann, der durch eine Romanze mit der Therapeutin seiner Schwester ein unterdrücktes Kindheitstrauma aufarbeitet.

Es folgt eine Phase der ruhigen Charakterrollen: In LORENZOS ÖL, einer wahren Geschichte, spielt er einen verzweifelten Vater, der in eigener Arbeit ein Therapiemittel gegen die seltene Stoffwechselkranktheit X-ALD. In BLUE CHIPS spielt er einen Basketballtrainer (einer seiner wenigen, eher klischeehaften Filme) und in I LOVE TROUBLE einen Reporter in einer harmlosen Komödie neben Julia Roberts.

Kurz scheint es, als werde Nolte altersmüde, doch das gibt sich schnell wieder: In der Folge spielt er erneut einen harten Bullen in MULHOLLAND FALLS, einen Spion und Nazi-Propagandist in SCHATTEN DER SCHULD und einen garstigen Serienmörder im US-Remake von NACHTWACHE. Trotzdem lässt sich nicht verbergen, dass Nolte mit Ende fünfzig und fast zwanzig Jahren als Kinostar langsam zum Altstar wird.
Quelle: DVD „I love Trouble - Nichts als Ärger“ © Touchstone Pictures
In DER GEJAGTE spielt er 1997, wieder einmal, einen gebrochenen Cop, der an seinem aktuellen Fall fast zerbricht, und erhält dafür seine zweite Oscar-Nominierung.
Im gleichen Jahr wird U-TURN sein erster Film seit fast zwanzig Jahren, in dem er nur eine Nebenrolle spielt und andere die Stars sind. Ein Jahr später gibt er in DER SCHMALE GRAT sogar nur einen Kurzauftritt in einem Starensemble (und dennoch gelingt es ihm, mit seinem wenige Minuten dauernden Auftritt, Eindruck zu hinterlassen).
 
In SIMPATICO spielt er 1999 seine vorerst letzte größere Hauptrolle. Auch wenn er immer noch genügend Starpower besitzt, um prominent auf den Filmplakaten zu erscheinen, hat er oft kleinere Auftritte oder darf „nur“ den Schurken spielen, wie bei seinem bereits etwas schrägen Auftritt in HULK. In AB DURCH DIE HECKE spricht er erstmals in einem Animationsfilm eine Rolle und darf in TROPIC THUNDER wieder einmal in einem Kriegsfilm auftreten – und erneut sein komisches Talent zeigen.
Quelle: DVD „Tropic Thunder“ © Paramount Pictures
Erst 2011 darf er in WARRIOR wieder eine deutlich tragendere Rolle spielen – als Ex-Boxer und Vater zweier entfremdeter Brüder. Eine auffällige Wiederaufnahme seiner Rolle in ARM UND REICH, die ihm seine dritte und bisher letzte Oscar-Nominierung beschert.

Picknick, Bären und Honig


Nolte ist inzwischen 70 und hat in fast ebenso vielen Filmen mitgespielt. Obwohl er längst kein „Star“ mehr ist, gilt er immer noch als einer der bekanntesten und besten Schauspieler Hollywoods. Trotzdem spielt er das erste Mal seit vierzig Jahren wieder in Fernsehserien mit, wenn er nicht nebenbei in Filmen wie GANGSTER SQUAD oder PARKER auftritt. Das Besondere dabei: Obwohl Nolte die Rolle der harten Haudegen, die er hier spielt, schon so oft eingenommen hat, wirkt er nie wie eine Parodie seiner selbst, sondern haucht jedem neuen harten Hund wieder frisches, neues Leben ein.

In PICKNICK MIT BÄREN kommt es zu einer besonderen Zusammenarbeit mit Robert Redford.
Redford (ganze fünf Jahre älter als Nolte und bereits achtzig) plant schon seit Jahren, den humorvollen Wanderroman von Bill Bryson zu verfilmen. Sein Traum ist es dabei, für den Film ein letztes Mal mit seinem alten Partner Paul Newman auf die Leinwand zu treten. Doch als Newman 2008 stirbt, bleibt dieser Wunsch unerfüllbar. Redford lässt das Projekt lange liegen, bis er 2012 für seinen Film DIE AKTE GRANT mit Nolte zusammenarbeitet. Er erkennt dessen komödiantisches Talent, und die beiden verstehen sich gut genug, dass er das Projekt wieder aufnimmt.
Und tatsächlich wagen sich die beiden alten Männer, die trotz ihrer langen Karrieren vor DIE AKTE GRANT nie zusammen gearbeitet haben, 2015 auf den vergnüglichen und abenteuerlichen Ausflug.
Quelle: DVD „Picknick mit Bären“ © Alive - Vertrieb und Marketing/DVD
An einer weiteren Stelle springt Nolte ein: Til Schweiger plant lange, seinen deutschen Erfolgsfilm HONIG IM KOPF für das US-Kino neu aufzunehmen, und hat schnell einen Star für die Rolle des Großvaters gefunden: Michael Douglas. Doch das Projekt zieht sich, und schließlich steigt Douglas aus. Das Studio sucht eine Weile herum, bevor es auf Nolte trifft, der sich für HEAD FULL OF HONEY auf den Weg nach Italien macht.

Obwohl längst nicht alle Filme von Nolte ein Erfolg waren, bleibt HEAD FULL OF HONEY wohl sein größter Flop. Vernichtende Kritiken und ein Studio, das fast keine Kopien von dem Film rausgibt, sorgen dafür, dass der Streifen am Eröffnungswochende nur knapp über achttausendsiebenhundert Dollar einspielt. Insgesamt macht der Film an der US-Kasse gut 12.000 Dollar, weltweit 138.000.
An der Seite seiner 10-jährigen Tochter spielt Nolte in HEAD FULL OF HONEY in seinem wohl größten finanziellen Flop.
Quelle: DVD „Head Full of Honey“ © Warner Home Video
Nolte gelingt jedoch, was nicht viele Stars von sich behaupten können: Obwohl die Hochzeiten seiner Karriere seit über zwanzig Jahren vorbei sind, war er nie ganz „weg“, brauchte nie ein Comeback, sondern war immer präsent auf der Leinwand, und immer wieder in erfolgreichen Filmen zu sehen. Vor allem aber überzeugt er bis heute mit Spielfreude, frischem Auftreten und einer ungewöhnlichen Rollenwahl.

Das zeigt er mit fast achtzig Jahren auch noch einer sehr viel jüngeren Generation: In der zweiten Staffel der Erfolgsserie THE MANDALORIAN spricht er den Ughnaught Kuiil (und eine gewisse äußere Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen), der dem Titelhelden bei seinem ersten großen Unterfangen der Reihe hilft.
Als die Meldung erscheint, dass Nick Nolte in der heiß erwarteten STAR-WARS-Serie THE MANDALORIAN mitspielt, sind Aufregung und Begeisterung groß. Tatsächlich ist es Noltes erster echter Science-Fiction-Auftritt. Am Ende spricht und spielt er zwar "nur" einen digitalen Charakter, trotzdem ist die Ähnlichkeit zu Nolte nicht von der Hand zu weisen.
Quelle: "The Mandalorian" © Walt Disney

Tricks, Methoden, Wutausbrüche


Dabei ist es gar nicht mal selbstverständlich, dass Nolte so eine lange Karriere macht, denn gleich zwei private Probleme erschweren ihm die Arbeit: Seine Legasthenie und eine jahrzehntelange Alkohol- und Drogensucht.

Aufgrund seiner Leseschwäche hat Nolte erhebliche Schwierigkeiten, seine Texte zu lernen. In einigen Fällen fällt das nicht auf, weil er ausreichend improvisieren kann (so gelten seine Dialoge mit Eddie Murphy in den beiden 48-STUNDEN-Teilen als größtenteils improvisiert), doch oft genug ist er darauf angewiesen, seine Dialoge zu lernen.
Nolte behilft sich damit, seine Texte per Hand abzuschreiben, womit er sie besser verinnerlicht und einfacher lernen kann.
Richtig historische Stoffe, die über das 20. Jahrhundert hinausgehen, sind in Noltes Karriere so selten, dass sie ziemlich auffallen, etwa JEFFERSON IN PARIS, einer Studie über den späteren Präsidenten.
Quelle: DVD „Jefferson in Paris“ © EuroVideo Medien GmbH
Nicht ganz so einfach, aber ebenso einfallsreich kommt er mit seiner Alkoholsucht aus. So überzeugt er seine Regisseure immer wieder, aus seiner Figur einen Alkoholiker zu machen, was es ihm erlaubt, am Set zu trinken. Da er ohnehin ein Faible für gebrochene Figuren hat, wird ihm das vermutlich nicht schwergefallen sein.
Das wiederum passt zu seinem Arbeitsstil, denn Nolte ist Method-Actor durch und durch. Mit einer seiner extremeren Rollen, als Obdachloser in ZOFF IN BEVERLY HILLS, liefert er den Filmmagazinen reichlich Stoff. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, lebt Nolte fünf Wochen auf der Straße, und vor der Kamera isst er tatsächlich Hundefutter aus der Dose. Zwei Mal.
Es ist unter anderem dieses Schauspielverständnis, das dafür sorgt, dass er in jeder Rolle wieder überzeugt, ohne sich je wirklich zu wiederholen, selbst, wenn er ähnliche Figuren spielt. Und die nutzen nicht selten sein Markenzeichen: Den „Nolte-Rant“.

Unter Nolte-Fans etabliert sich schnell die Meinung, Nolte sei immer dann am besten, wenn er Schaum geifernd und mit seiner tiefen Stimme andere Leute zusammenstaucht. Und das ist nicht einmal von der Hand zu weisen, denn tatsächlich sind das regelmäßig Highlights in Noltes Filmen. Manche Youtube Videos sammeln seine besten Wutausbrüche, etwa in der Komödie BLUE CHIPS als zorniger Trainer, oder als frustrierter Offizier in DER SCHMALE GRAT.

Eine Seite erstellt eine recht humorvolle Liste der „5 schlechtesten Nick-Nolte-Filme“, alleine nach dem Maßstab, welcher davon Noltes Talent zum Rant am meisten verschwendet. Und tatsächlich muss man eingestehen: Wenn Nolte mit seiner unvergleichlichen Physis und seiner rauen Stimme von oben herab Untergebene zusammenstaucht, nimmt man ihm immer wieder jedes Wort ab. Auch das ein Grund dafür, dass er immer wieder harte Cops und mürrische Personen in höheren Positionen spielt: Wenn Nolte überhaupt ein Markenzeichen hat, dann seine Fähigkeit zum beeindruckenden Rumgemotze.
Quelle: DVD „U-Turn - Kein Weg zurück“ © Sony Pictures Home Entertainment
Dabei gilt Nolte privat als krasses Gegenteil, äußerst sanft, ja beinahe ruhig, humorvoll (was sich immer wieder auch in Interviews zeigt, wie etwa in dem Promotion-Video von TROPIC THUNDER) und tatsächlich naturnah. Man darf Nolte getrost als Baumknutscher bezeichnen, wie er selbst zugibt, wenn er von seinem riesigen Anwesen in Malibu erzählt, auf dem er mit seinen eigenen Händen ein Haus gebaut hat „Heute lebe ich in den Malibu Hill in L.A. In den letzten 40 Jahren habe ich einige Häuser selbst gebaut, eines davon aus Flusssteinen. Das habe ich meiner Tochter Sophie geschenkt. Ich und Clytie [Noltes Frau] leben in einem dreigeschossigen Haus, das ich selbst um einen riesigen Ahornbaum und seine herum gebaut habe. Unser Schlafzimmer ist im obersten Stockwerk. Ich wollte so nah an diesem Baum wohnen wie möglich, und jetzt verläuft er mitten durch unser Schlafzimmer. Das heißt wohl: Auftrag ausgeführt. Ich liebe es, morgens aufzustehen und meine Hand auf den Baum zu legen. Das macht einem bewusst, dass da noch ein Lebewesen mit im Zimmer ist.“

Sexy and Hawaii


Obwohl Nolte wieder mit ähnlichen Spleens, und auch weniger sympathischen Meldungen wie einer Affäre, in die Gazetten kommt, ist er beim Publikum äußerst beliebt. 1992, kurz nach seinen Auftritten in KAP DER ANGST und HERR DER GEZEITEN wird der 51-jährige Nolte sogar zum Sexiest Man Alive gekürt.
Das ehemalige Model hat noch immer Charme und kann mit attraktiven Fotos aufwarten.
Und dennoch bleibt Noltes bis heute bekanntestes Foto kein allzu schmeichelhaftes.

Ende der Neunziger wird Nolte endlich trocken und besucht regelmäßig Treffen der Anonymen Alkoholiker. 2002 wird er jedoch rückfällig und auf der Rückfahrt von einem AA-Treffen wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen. Das Polizeifoto des 61-jährigen geht um die Welt – Sexsymbol und Charmeur Nolte hat auf dem mittlerweile legendären Schuss alles andere als Charme.
Nick Noltes wohl bekanntestes Foto: Der "Mugshot" nach seiner Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer geht 2002 um die Welt, und macht Noltes privat ziemlich entspannten Kleidungs- und Frisierstil erst richtig bekannt. das Hawaiihemd trägt er heute noch manchmal.
Quelle: Polizeifoto von 2002
Jahre später gibt Nolte selbst zu, dass er auf dem Foto furchtbar aussieht, und die ganze Geschichte hilft ihm, erneut trocken zu bleiben und – so scheint es – das bis heute auch zu bleiben.

Auch wenn Nolte eigenen Aussagen nach seit seiner Erfahrung am Set von DIE TIEFE ein disziplinierter Schauspieler ist, scheint er privat deutlich mehr das Leben als Freigeist zu genießen.
Berühmt ist beispielsweise, dass er fast zwanzig Jahre lang nur die „Scrubs“ genannten Überzieher von Krankenhaus-Ärzten trägt. „Die sind weich und bequem“, sagt er schlicht. Spötter mutmaßen hingegen, dass er die Scrubs aufgrund seines immer wieder stark schwankenden Gewichts am liebsten trägt.

Aus den vier Ehen und zahlreichen Affären Noltes entstammen zwei Kinder, ein Sohn, Brawley, der 1986 geboren wird, und eine Tochter, Sophie, die 2007 auf die Welt kommt. Zu dem Zeitpunkt ist Nolte bereits 67. Auch aufgrund des hohen Alters nennt seine Tochter ihren Vater in der Regel „Opa“, und es fällt auch nicht weiter auf, als sie in HEAD FULL OF HONEY an der Seite ihres Vaters dessen Enkelin spielt.
Quelle: DVD „Das Bankentrio“ © Touchstone Pictures
Und diese Form von Familienarbeit ist für Nolte nicht unbedingt neu:
Sein Sohn Brawley Nolte, der nie richtig Karriere machen will, und dessen bekannteste Rolle die des entführten Sohns von Mel Gibson in KOPFGELD ist, spielt jeweils in SCHATTEN DER SCHULD und DER GEJAGTE die Rolle von Nick Nolte als Kind. Ob Sophie die Schauspielerei nach ihrem bisher einzigen Auftritt fortführt, steht noch in den Sternen.

Die Reue


Auch wenn Nolte im Laufe seiner Karriere öfter einmal nicht die erste Wahl ist und etliche Rollen erhält, die zuvor anderen Stars zugedacht waren (so soll ursprünglich Clint Eastwood den Cop in NUR 48 STUNDEN spielen, Robert Redford ist für HERR DER GEZEITEN angedacht und Paul Newman für PICKNICK MIT BÄREN), hat Nolte immer wieder auch das Nachsehen – und mit niemandem kreuzen sich die Wege dabei öfter als mit Harrison Ford.
So soll Nolte ursprünglich die Rollen des Han Solo in STAR WARS übernehmen, ist für die Rolle des Indiana Jones und auch als Deckard in BLADE RUNNER vorgesehen, die drei ikonischsten Rollen, die Ford aufzuweisen hat.
Außerdem soll Walter Hill, mit dem Nolte schon dreimal zusammengearbeitet hat, 1993 die Kinofassung der erfolgreichen Serie AUF DER FLUCHT inszenieren, und will dafür Nolte in der Hauptrolle. Der aber lehnt ab – er hat keine Lust mehr auf Actionrollen und fühlt sich dafür auch allmählich zu alt.

Immerhin einmal wendet sich das Blatt: Bevor Martin Scorsese sich an die Arbeit von KAP DER ANGST macht, liegt das Projekt bei Steven Spielberg, der es mit Harrison Ford als Anwalt Sam Bowden inszenieren will.
Quelle: DVD „Dreckige Hunde“ © EuroVideo Medien GmbH
Doch die größte Reue empfindet Nolte wohl beim Verlust einer anderen Rolle, und manche vermuten, dass das mit einem ganz persönlichen Reuegefühl zusammenhängt.

Nolte hat schon als Jugendlicher ein Alkoholproblem, und dafür eine kreative Lösung: Ende der Sechziger fälscht er Einberufungsbescheide, mit denen er sich als volljährig ausweisen und Alkohol kaufen kann. Zu der Zeit fährt Nolte einen alten Leichenwagen, dem der Motor versagt. Beim Versuch ihn anzuschieben rollt er über eine Klippe und landet auf einem Golfplatz. Dabei verteilen sich eine ganze Reihe gefälschter Einberufungsbescheide auf dem Grün. So kommt heraus, dass Nolte Bescheide auch an andere verkauft hat, und er landet vor Gericht. Die Strafe von 75.000 Dollar und 45 Jahren Gefängnis wird später aufgehoben und in fünf Jahre auf Bewährung abgeändert, doch damit ist Nolte nicht mehr für den Kriegsdienst verfügbar – er darf nicht nach Vietnam.

Später erklärt er, dass das eine der Sachen ist, die er am meisten bereut hat, dass er nicht nach Vietnam durfte. Daher erklärt sich manchen Meinungen zufolge auch seine Vorliebe für Auftritte in Kriegsfilmen.
Doch es gibt vor allem ein Projekt, an dem Nolte unbedingt mitwirken will: Francis Ford Coppolas APOCALYPSE NOW: Nolte gibt alles, um die Rolle des Captain Willard zu bekommen, der auf einer Flussfahrt ins Herz der Finsternis vordringt. Doch die Rolle wird zu seiner Enttäuschung an Harvey Keitel vergeben.
Man kann nur erahnen, wie er sich fühlt, als Keitel schließlich gefeuert wird, und Nolte wieder übergangen wird – diesmal zu Gunsten von Martin Sheen, seinem Co-Star aus CALIFORNIA KID.

Du kannst es einfach


Mit inzwischen achtzig Jahren, und über fünfzig davon auf der Bühne, ist Nick Nolte einer der erfahrensten und bekanntesten Schauspieler der Welt. Dabei bleibt nicht nur die schiere Menge seiner Rollen in Erinnerung – die IMDb zählt aktuell 109 Einträge –, sondern vor allem seine Vielseitigkeit. Auch wenn er immer wieder „harte Hunde“ spielt, ist er nie auf eine Rolle festgelegt. Vor allem spielt er kaum eine Rolle (mit Ausnahme des ein oder anderen komödiantischen Auftritts) jemals „laut“ oder „schrill“, sondern immer eher ruhig und mit einem gewissen Understatement.
Werbeanzeige, 1972
Nach fünfzig Jahren vor der Kamera ist er aus der modernen Kinogeschichte nicht mehr wegzudenken, und trotz zahlreicher Auftritte in den Boulevardblättern blieb Nolte – vielleicht abgesehen von seinem berühmten „Knitterfoto“ - frei von großen Skandalen. Umso erfreulicher ist es, dass er auch mit Achtzig noch immer aktiv Rollen annimmt und mit nahezu ungebrochener Spielfreude auf die Leinwand bringt. Und so ist es egal, was Nolte am Ende ist – Sportler, Rebell, Charmeur oder Star – am Ende hatte Bryan O'Byrne recht: Nick Nolte ist Vollblutschauspieler.

Ich habe mich im echten Leben nie besonders wohl gefühlt. Es war einfach immer etwas unbehaglich für mich, und sobald ich auf der Bühne stand, verspürte ich diese Freiheit. Ich hatte das Gefühl, dass das ein Ort war, an dem ich all die Erfahrungen des Lebens sammeln konnte, ohne mich dabei unwohl zu fühlen.
Quelle: DVD „Picknick mit Bären“ © Alive - Vertrieb und Marketing/DVD

2 Kommentare:

  1. Danke für den interessanten Abriss einer sehr langen Karriere. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Filme Nick Nolte im Endeffekt gemacht hat - ununterbrochen - ohne dabei zum Megastar zu werden. Irgendwie auch positiv überrascht. Manchmal sind es eben die konsequent schauspielernden Personen, die am Ende sagen können: Coole lange Karriere gehabt und nicht nur für ein paar Jahre zum heißen Scheiß Hollywoods gehört, um dann in der Versenkung zu verschwinden.

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  2. Dankeschön!
    Ja, genau den Gedanken hatten wir auch. Gibt gar nicht so viele Stars, die so lange und konsequent im Geschäft bleiben. Zeugt halt meist auch von Qualität und Vielseitigkeit. :)

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