Mit SPLIT startet gerade M. Night Shyamalans zwölfter Spielfilm im Kino. Und wir nehmen vorweg, dass er ganz hervorragend geworden ist. Eine clevere Mischung aus Thriller und Drama, ein Hauptdarsteller in Bestform, ein Script, dass sicherlich einige unverbesserliche "THE SIXTH SENSE war besser"-Nörgler enttäuschen wird, und ein neuer, selbstbewusster Shyamalan, der es gar nicht mehr nötig hat, nur noch mit einem möglichst pfiffigen Twist zu überraschen.
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- Spoilerwarnung -
SPLIT ist ein Thriller-Drama von Shyamalan. ein paar Rätsel und Wendungen gehören da einfach dazu. Wir haben uns bemüht, nichts zu verraten, deuten aber hier und da eine Kleinigkeit an. Wem selbst das bereits zu viel ist, dem raten wir erst (dringend) zum Kinobesuch, und freuen uns, wenn er oder sie hinterher noch einmal zu uns findet.
Marcos Blick:
Mit SPLIT verhält es sich wie mit allen Filmen von M. Night Shyamalan mit Ausnahme von DIE LEGENDE VON AANGH und AFTER EARTH: Es ist nicht ganz leicht, ihn einem konkreten Genre zuzuordnen.
Eine der Stärken Shyamalans liegt darin, dass seine Filme sich der klassischen Kategorisierung entziehen, und er doch immer wieder Streifen produziert, die irgendwo auf der feinen Linie zwischen Horror, Thriller und Psychothrill tanzen, und die er immer mit einer Prise echter oder vermeintlicher übernatürlicher Magie würzt.
All das bietet auch SPLIT, Shyamalans neuester Mix aus Psychothrill-Horror mit übernatürlichem Touch.
Erzählt wird die Geschichte dreier Teenagermädchen, die eines Nachmittags auf einem Parkplatz entführt und betäubt werden. Wieder zu sich kommen sie in einem kleinen, fensterlosen Raum, und bald schon machen sie die Erfahrung, dass ihr Entführer alles andere als gewöhnlich ist.
Denn dieser leidet unter einer dissoziativen Identitätsstörung, was bedeutet, dass er mehrere Persönlichkeiten in einem Körper vereint. So bekommen die Mädchen es wahlweise mit dem strengen, sauberkeitsfanatischen Dennis zu tun, der deutlich entspannteren Patricia oder dem neunjährigen Hedwig, der sich über den Damenbesuch ganz besonders freut.
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Verschachteltes Kammerspiel
Wer SPLIT mit der Erwartung eines geradlinigen Thrillers schaut, in der Hoffnung, auf einige falsche Fährten gelockt zu werden und am Ende mit einem überraschenden Aha-Effekt aus dem Kinosaal zu kommen, der könnte enttäuscht sein. Vor allem aber verpasst er die eigentliche Stärke des Films.
Zwar bedient Shyamalan in seinem Kammerspiel der ganz eigenen Art etliche dieser Mechanismen, doch würde das kaum ausreichen, den Film über den Durchschnitt zu heben.
Stattdessen gelingt ihm ein ganz anderer Clou. Aus der zunächst recht simplen Entführungsgeschichte entwickelt sich immer mehr ein komplexes, intelligentes Drama. Das Besondere dabei ist, dass sich die eigentliche Geschichte viel weniger um die entführten Mädchen dreht, sondern vor allem um die Intrigen, Tricks und Grundsatzdebatten die innerhalb von Kevins (so der Name der Ursprungspersönlichkeit) Körper stattfinden.
Shyamalan entwirft ein ungewöhnliches und spannendes Szenario: Was geschieht mit einer Gruppe von Persönlichkeiten, die einander nicht aus dem Weg gehen können, aber untereinander in einen Glaubens- und Gewissenskonflikt geraten?
Dieser Konflikt wird vor allem durch den eher neutralen Hedwig so sehenswert, der immer wieder zwischen die Fronten gerät, und dem Zuschauer tatsächlich schnell ans Herz wächst.
So entwickelt sich in SPLIT zu einem doppelten Kammerspiel: Zum einen die Geschichte der entführten Mädchen, deren Funktion erst spät in der Handlung deutlich wird, vor allem aber in Kevins Körper. Und der liefert am Ende auch die deutlich spannendere Geschichte.
Dabei gelingt es Shyamalan und seinem Schauspieler James McAvoy, ein präzises und glaubwürdiges Porträt eines Menschen mit dissoziativer Identitätsstörung zu zeichnen. Man gewinnt als Zuschauer gute Einblicke, wie es funktioniert (oder funktionieren kann), wenn sich zwei Dutzend Persönlichkeiten einen Körper teilen, und wer einmal in den Genuss kam, Matt Ruffs hervorragenden Roman „Ich und die anderen“ (OT: „Set this house in order“) zu lesen, wird viele Elemente aus der mühsamen Organisation, die solche Menschen mit sich selbst aufbauen müssen, wiedererkennen.
Dass das so gut funktioniert, liegt auch an McAvoys Leistung, der bereits im hervorragenden DRECKSAU einen Charakter mit mentalen Störungen spielte. (Seinerzeit noch eine bipolare Störung, die aber ebenfalls Ansätze einer Identitätsstörung mitbrachte.)
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Am simpelsten gerät das naturgemäß bei Hedwig, bei dem Shyamalan und McAvoy bedauerlicherweise den einzigen kleinen Makel an ihrer Darstellung erkennen lassen: Dass man dem Jungen ein derart starkes Lispeln verpasst hat, entspricht leider dem Klischee, dass heftiges Lispeln grundsätzlich mit Kindern gleichsetzt. Auch wenn der Effekt wirkungsvoll ist, wäre es wünschenswert gewesen, den Jungen anders herauszuarbeiten, als ausgerechnet mit diesem ältesten aller Taschenspielertricks.
Nichtsdestotrotz trägt McAvoy den Film mit seinem Spiel nahezu alleine. Dabei ist er nur die zweite Wahl, denn ursprünglich soll Joaquin Phoenix die Rolle spielen. Als der jedoch wegen Terminschwierigkeiten absagen muss, übernimmt McAvoy die Rolle.
Ebenfalls lobend zu erwähnen ist seine Gegenspielerin Anya Taylor-Joy. Die gerade Zwanzigjährige erlebt seit ihrem letztjährigen Auftritt in THE VVITCH (eines der Highlights des Films) einen kleinen Aufwind – und zu Recht. Mit ihrem zurückhaltenden Spiel in SPLIT, mit dem sie ihre ebenfalls äußerst geheimnisvolle Figur Stück für Stück immer weiter entblättert, zeigt sie, dass hier ein echtes Nachwuchstalent schlummert. Wir freuen uns bereits auf die nächsten Auftritte.
Märchen voller Zweifel
Shyamalans Themen sind nicht breit gesteckt. Immer wieder drehen sich seine Filme um ganz alltägliche Menschen voller Selbstzweifel: Der Psychologe, der einen Patienten verloren hat, der Unverwundbare, der nicht an seine Heldenkompetenz glaubt, der Pfarrer, der an seinem Glauben zweifelt, das blinde Mädchen, das an ihren Fähigkeiten zweifelt, der Hauswart, der daran zweifelt, ein Mädchen retten zu können. Shyamalan erzählt von Menschen, die voller Zweifel sind, und er zieht sein Publikum still und heimlich in diesen Zweifel mit hinein. Immer wieder drehen sich seine Filme darum, dass Zuschauer und Hauptfigur gleichermaßen unsicher sind. Immer wieder werden Shyamalans Figuren mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, und immer wieder begleitet der Zuschauer diese zutiefst verunsicherten Figuren auf ihrem Weg, während sie zweifelnd durchs finstere Dickicht stolpern und versuchen, die ihnen gestellte Aufgabe irgendwie zu erfüllen. Denn neben Zweifeln sind sie immer auch von unbändigem Optimismus erfüllt, von dem tiefen Wunsch, etwas zu bewegen in der Welt, die Welt besser zu machen. Und zwar niemals für sich selbst, sondern immer für jemand anderen. Und immer wieder kennen weder der Zuschauer noch die Figuren den Ausgang dieses Weges.
Dabei ist es zu Shyamalans Markenzeichen geworden, dem Zuschauer am Ende dieses Strauchelns durch die Dunkelheit vorzuführen, dass er die ganze Zeit das Licht nicht sehen wollte, das ihn geführt hat. Der Begriff „Shymalan-Twist“ hat sich mittlerweile dafür eingebürgert. Doch leider haben sich die Erwartungen des Publikums mittlerweile viel zu sehr auf diesen Twist fokussiert, und machen viele die Qualität seiner Werke daran fest, mit welchem „Zaubertrick“ er die Reise durch die Finsternis beendet.
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Immer wieder treten in Shyamalans Filmen magische oder übernatürliche Elemente auf. Geister, Superhelden, göttliche Vorsehung, Fabelwesen. Shyamalan verknüpft seine zutiefst moralischen Erzählungen über zweifelnde Alltagshelden immer mit der phantastischen Aussage, dass die Welt mehr ist als bloße Physik, und auch von einem Jedermann aus den Angeln gehoben werden kann. Dass das kaum auffällt, verdanken die Filme dem nüchternen, unaufgeregten Ton, mit dem Shyamalan erzählt.
Auch in SPLIT bleibt Shyamalan diesen Markenzeichen treu. Er erzählt die Geschichte so gemächlich, langsam und atmosphärisch, dass sie, wie all seine kleinen Werke, beinahe surreal wirkt. Shyamalan war nie der Mann der großen Gesten. Seine Stärken liegen in den kleinen Szenen – zwei Personen in einem Raum, ein Gespräch über das, was möglich ist und was nicht. Immer wieder fällt Shyamalan auf diesen Konflikt zurück: das scheinbar Unmögliche beinahe beiläufig nicht nur möglich, sondern geradezu unvermeidlich zu machen.
SPLIT wird durchgehend von diesem Gefühl einer latenten Unmöglichkeit begleitet. Ein Stilmittel, das Shyamalan oftmals negativ ausgelegt wird, denn nicht selten führt sein Diskurs über die Unmöglichkeit bestimmter Vorstellungen zu einer übersteigerten Erwartungshaltung – wer an jeder Ecke eine große Offenbarung wittert, wird schnell enttäuscht, wenn sich am Ende die vermeintliche Unmöglichkeit als geradezu alltägliche Unvermeidbarkeit entpuppt.
SPLIT dreht sich über weite Strecken um diese Fragen der Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten. Anders als in etlichen anderen Filmen Shyamalans (allen voran THE HAPPENING) führt diese in diesem Fall jedoch nicht komplett ins Leere.
Dasselbe gilt für das beständige Gefühl der Bedrohung. Durch die Unsicherheiten der Figuren und Shyamalans eindringlichen, ruhigen Regiestil entwickeln selbst alltägliche Szenen eine latente Bedrohlichkeit, der ebenfalls nicht immer (erneut: THE HAPPENING) entsprochen wird. In SPLIT zumindest wird dieser Aspekt durchaus sinnvoll aufgelöst.
Fazit
Dennoch, das nehmen wir vorweg: Wer ins Kino rennt in der Hoffnung, ein weiteres verblüffendes Meisterwerk wie THE SIXTH SENSE zu erleben, wird mit ziemlicher Sicherheit enttäuscht werden. Erfreulicherweise löst Shyamalan sich mehr und mehr von seinem Drang, den Zuschauern am Ende des Films den Vorhang von den Augen zu reißen, und sie mit einem cineastischen Zaubertrick verblüffen zu wollen. So gerät das Ende von SPLIT deutlich konventioneller, als in den frühen Shyamalans.
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Und für alle Shyamalan-Fans sei vorausgeschickt, dass der Film mit einer kleinen, liebevollen Anerkennung endet, die zeigt, wie viel Zuneigung Shyamalan seinen Fans auch heute noch entgegenbringt, und die sein bisheriges Werk auf einen Schlag in einem etwas anderen Licht erschienen lässt! Ja, die durchaus die ein oder andere Fortsetzung in den Raum stellt. (Was vor allem dadurch erklärt wird, dass Shyamalan seinen multiplen Charakter bereits in einem früheren Film einsetzen wollte, was jedoch nie passte.)
SPLIT ist übrigens nicht nur Shyamalans längster Film und einer seiner besten, sondern auch einer seiner günstigsten. Die gut 10 Millionen Produktionskosten zahlt er aus eigener Tasche, was ihm mehr Unabhängigkeit gibt als große Millionenbeträge eines Studios. Und er wird überaus erfolgreich. Während er in einem früheren Interview noch erklärt: "Der Film lohnt sich doch schon, wenn er 24 Millionen einspielt", setzt SPLIT beim Start an den Kinokassen am ersten Wochenende 40 Millionen um. Nach einer Woche liegt er bei über 50 Millionen, und startet gerade erst außerhalb der USA.
Bei aller Kritik, die Shyamalan immer wieder einstecken muss, ist und bleibt er ein leidenschaftlicher Erzähler, der vor allem eine Moral vermitteln will, der überraschen und verzaubern will. So ist auch SPLIT wieder ein liebevoll gestalteter Beitrag, der vieles von dem fortführt, was Shyamalan immer wieder auf die Leinwand bringt, sich aber gleichzeitig von einigen Dingen trennt, die typisch für ihn zu sein scheinen.
Vor allem ist SPLIT einer der cleversten und tiefgründigsten Filme Shyamalans. Statt oberflächlichen Grusels oder einer möglichst pompösen Auflösung erstellt Shyamalan hier ein komplexes Konstrukt mehrschichtiger Konflikte und ineinander verwobener Bedürfnisse. Ein Film, den man deuten kann und deuten muss, der trotz der wenigen Schauplätze und wenigen Schauspieler mehrere Charaktere in einen Schmelztiegel wirft, und eine erfrischend andere Geschichte erzählt, die jederzeit spannend und nachvollziehbar bleibt.
Freunde von cleveren Psychothrillern sollten sich SPLIT auf keinen Fall entgehen lassen. Wer in jeden Shyamalan-Film rennt, und dabei auf einen weiteren THE SIXTH SENSE hofft, sollte Vorsicht walten lassen, und versuchen, möglichst frei von Erwartungshaltungen, SPLIT als das nehmen, was er sein will: ein kleiner, liebevoller Thriller, der auf clevere Art und Weise unterhalten will.
Eine Sache noch
Dass SPLIT frischen Wind ins Kino bringt, zeigt sich vor allem dann, wenn man ihn ein wenig in sein Genre einordnet.
Filme mit oder über gespaltene Persönlichkeiten gibt es gar nicht so viele. Und beinahe alle davon, vor allem die, welche sich als Thriller verstehen, arbeiten immer wieder mit demselben Kniff: Der Zuschauer soll überrascht werden. Beinahe alle, vor allem neueren, Filme arbeiten mit einem Schlusstwist. Sei es, dass eine vermeintlich gesunde Figur eine gespaltene Persönlichkeit hat (FIGHT CLUB, PSYCHO, DAS GEHEIME FENSTER), oder dass eine vermeintlich gespaltene Persönlichkeit gar keine ist (ZWIELICHT), oder dass der Film sich überhaupt mit gespaltenen Persönlichkeiten beschäftigt (IDENTITÄT). Ein wenig Abwechslung erhält das Genre durch zwei Beiträge Stephen Kings: DAS GEHEIME FENSTER und STARK kombinieren beide geschickt die Thematik gespaltener Persönlichkeiten mit dem übernatürlichen Element, ob eine fiktive Figur real werden kann oder nicht. Auch SHELTER gewinnt dem Thema etwas Neues ab, da er die multiple Persönlichkeitsstörung durch einen Fluch erklärt.
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Ein wenig anders funktionieren die Dramen, die vor allem Wert darauf legen, die Dramatik aufzuzeigen, die Menschen mit multiplen Persönlichkeiten erleben. Und nicht selten handeln diese Filme davon, Frieden zwischen den Identitäten zu schlichten und das Trauma aufzuzeigen, dass die Spaltung hervorgerufen hat.
Die beiden frühesten Dramen kamen 1957 in die Kinos: EVA MIT DEN DREI GESICHTERN und LIZZIE. Beide erzählen mehr oder weniger die gleiche Geschichte: Eine Frau mit zwei entgegenliegenden Persönlichkeiten, vergleichbar mit Dr. Jekyll und Mr. Hyde, wird von einem Psychiater unter Hypnose behandelt mit dem Ziel, eine gemäßigte oder eine gute Persönlichkeit als einzige in den Vordergrund zu stellen.
Erst modernere Dramen wie FRANKIE UND ALICE oder SYBIL werden der Komplexität des Themas gerecht und akzeptieren, dass es oftmals gar nicht darum geht, zwei sich widersprechende Persönlichkeiten zu einer zu vereinen, sondern einen ganzen Haufen von Persönlichkeiten dazu zu bringen, möglichst friedlich zusammen zu leben.
SPLIT erweitert das Genre um einen erstaunlichen Hybriden. Obwohl er über weite Strecken als Thriller fungiert, ist er im Wesen eher ein Drama. Weniger die schneidige Täuschung des Zuschauers steht hier im Vordergrund, als viel eher die Dramatik in Kevins Kopf.
Dass Shyamalan diesen Thriller-Drama Hybriden tatsächlich noch mit einem Schuss Fantasyhorror, einer Moral, und einem Endgag für seine Fans würzt, macht SPLIT nur umso großartiger und außergewöhnlicher.
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