24.09.14

Gone Girl (USA 2014)

Eine Rezension oder Filmkritik zu GONE GIRL ist schwierig – gerade in Zeiten des Internets und des Spoileralarms.
Wir sind bemüht, eine möglichst spoilerfreie Besprechung zu liefern, können und wollen allerdings keine Garantie geben. Deshalb an dieser Stelle zunächst Folgendes:
Geht und schaut GONE GIRL!
Wer bereit ist, sich auf den Film und das Rätsel der verschwundenen Amy Dunne einzulassen, wird mit einem Thriller belohnt, der perfekt in den Herbst passt. Darstellerisch und atmosphärisch einer der besten Mainstreamfilme des Jahres und in jedem Fall sehenswert. Hierbei sei noch einmal angeraten, den am 2. Oktober anlaufenden Film schnell zu schauen, bevor Freunde oder unvorsichtige Rezensionen mehr darüber verraten als gut wäre.

Selbst Regisseur David Fincher sagt: „Ich denke, der Film macht umso mehr Freude, je weniger man darüber weiß. Die Leute lieben es, einen Film zu sehen, von dem sie nicht wissen, wohin er sie führt."
Wir sagen nur: Je unwissender die Zuschauer in den Film gehen, desto härter wird er sie von den Füßen reißen.
Wer die Gefahr kleinerer Andeutungen nicht scheut, oder bereits das Buch kennt, ist herzlich eingeladen, weiterzulesen!
© 2014 Twentieth Century Fox
Marcos Blick:

David Fincher bleibt sich treu!
Der Regisseur ist schon jetzt, mit nichtmal einem Dutzend Filmen, eine Legende in Hollywood. Seine Werke sind zum großen Teil Klassiker und häufig visuell stilprägend. Mit SIEBEN prägt er das Thrillergenre und mit FIGHT CLUB erfindet er das Actionkino neu.
Mit seinem zehnten Spielfilm GONE GIRL wagt sich der Kinovisionär nun, zum zweiten Mal nach VERBLENDUNG, an einen aufwendigen und komplexen psychologischen Thriller, um ihn fürs Kino aufzubereiten. Und erschafft ein weiteres Meisterwerk.

Go Girl!


2012 schlägt Gillian Flynns dritter Roman „Gone Girl“ als Sommerbestseller in den Buchhandlungen ein. Der Autorin aus Kansas City gelingt mit ihrem Ehedrama ein Kunststück, das man nur selten beobachtet: Sie begeistert mit einem Gegenwartsthriller die Leser, aber auch das Feuilleton.
Ihr Roman ist ein präzises Profil der Wirtschaftskrise, die vor allem ihren eigenen Berufsstand trifft: Als Autor eine ordentlich bezahlte Stelle zu finden, ist zurzeit kaum möglich.
Darüber hinaus zeichnet sie ein kaltes aber realistisches Bild der Medienlandschaft und der Art, wie jene, die in die Fänge der Journalisten geraten, zwischen ihrem privaten und ihrem öffentlichen Selbst herumgeschleudert werden.
Vor allem aber seziert sie genüßlich und boshaft die Mechanismen einer Ehe, von den zarten, romantischen Anfängen bis zur Realität des Ehelebens, das von ganz anderen Faktoren bestimmt wird.

Gillian Flynn erzählt in ihrem Buch von einem Ehepaar: Nick Dunne und seine Frau Amy Elliott-Dunne. Am Morgen ihres fünften Hochzeitstages ist Amy spurlos verschwunden. Im Haus sind Anzeichen eines Kampfes zu finden.
Innerhalb kürzester Zeit gerät die Suche nach Amy, die dank einer Kinderbuchreihe eine gewisse Popularität genießt, zur landesweiten Fernsehsensation.
Während die Suche beginnt, wird in Rückblenden die Geschichte einer sieben Jahre währenden Beziehung geschildert. Allmählich zeigt sich, dass in dieser Ehe längst nicht alles so glatt gelaufen ist wie es auf den ersten Blick erscheint.
Je deutlicher und tiefer sich die Risse in der Fassade des Ehelebens zeigen, desto stärker gerät Nick unter Druck ...
© 2014 Twentieth Century Fox
Dass die Geschichte am Ende weit mehr wird als ein simpler Whodunnit-Krimi liegt an einigen Kniffen, die Gillian Flynn ihrem Buch gönnt. Kniffen, die selbst in der verwöhnten Krimi- und Thrillerliteratur für Aufsehen sorgen und den Roman zum Bestseller machen. (Gerade steht auch ihr zweiter Roman „Dark Places“ kurz davor in die Kinos zu kommen, während ihr Erstling „Sharp Objects“ gerade als Fernsehfilm aufbereitet wird.)

Autoren als Autoren


Nun erscheint, nur zwei Jahre später, also die Kinoversion von GONE GIRL.
Dabei ließ es sich die Autorin nicht nehmen, in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur, das Drehbuch selbst zu verfassen.
In der Regel gelingt es selten, wenn der Autor eines Romans das Drehbuch für die Verfilmung schreibt. Das liegt zum einen daran, dass ein guter Romanautor nicht automatisch ein guter Drehbuchautor ist. Zum anderen liegt es aber meist daran, dass der Autor einer Romanvorlage seine Geschichte schwer zusammendampfen kann, denn für einen Film bleibt weit weniger Erzählzeit als für einen Roman.
So erwähnt John Irving immer wieder, welche Anfeindungen er dafür ertragen musste, dass er für seine Drehbuchadaption von GOTTES WERK UND TEUFELS BEITRAG die im Roman bedeutende und populäre Figur der Melony herausstrich. Dabei war es genau diese Kürzung (und viele weitere), die aus dem reichhaltigen Roman einen verknappten aber spannenden und anrührenden Film gemacht haben.

Auch Gillian Flynn kürzt für ihr Drehbuch von GONE GIRL die Story zusammen. In den meisten Fällen gelingt ihr das elegant und gut. Tatsächlich schafft sie es, ihre Geschichte sinnvoll zu verdichten und ihr so deutlich mehr Tempo zu verleihen.
Allerdings, und das wirkt stellenweise bedauerlich, ist sie dennoch bemüht, sämtliche Handlungsstränge und Themen wenigstens Ansatzweise im Film zu belassen. Sie dünnt diese lediglich aus. Im Ergebnis, so wirkt es, schleppt der Film einige Handlungsstränge und Szenen mit sich herum, die er nicht gebraucht hätte, während auf der anderen Seite die ein oder andere Motivation sehr knapp und damit nicht vollkommen befriedigend geschildert wird.
So scheint sich der Film gerade in der ersten Hälfte mit eher unwichtigen Details aufzuhalten, während in der zweiten Hälfte, die deutlich an Fahrt aufnimmt und einen in kürzester Zeit durch den Rest der Laufzeit trägt, einige unterhaltsame Aspekte etwas schneller abgehandelt werden als ich es mir gewünscht hätte.
Das ist am Ende aber tatsächlich der einzige Vorwurf den ich dem Film machen kann und Jammern auf hohem Niveau.

Psycho Dave


GONE GIRL ist keiner dieser Nägelbeißer-Thriller, wie es etwas PRISONERS im letzten Jahr noch war. GONE GIRL ist der langsame und düstere Abstieg in die psychologisch schmutzigsten Winkel einer Ehe. Wie das Buch ist der Film nichts für Junggesellinenabschiede oder andere kurz vor der Hochzeit Stehende!
Und für einen Stoff wie diesen ist niemand geeigneter als David Fincher.
© 2014 Twentieth Century Fox
Zunächst erinnert man sich vermutlich an die eher düsteren Bilder, das Sepia, das Bräunlich-Gelbe, das Finchers Filme optisch aus- und kennzeichnet.
Diesem Stilmittel bleibt er auch in GONE GIRL treu, obwohl der Film bei aller Fincherischen Farbgebung erstaunlich lebhaft und „bunt“ wirkt. Fincher scheint bemüht, die Düsternis der Geschichte diesmal rein über die Schauspieler zu transportieren statt wie üblich (Und in keinem Film so elegant wie im dauerverregneten SIEBEN) über die Außenwelt.

Dabei sind Finchers Filme fast durchgehend vom selben Hintergrund besetzt: Der zerrissenen Psyche ihrer Figuren!
Wie kaum ein anderer Regisseur bleibt Fincher diesem einen Thema durch alle Genres hinweg treu.
Bereits in seinem Debütfilm ALIEN 3 hievt er das Franchise aus der Horror- und Actionsparte der Vorgänger heraus und entwickelt aus dem Kampf gegen ein unbesiegbares Monster ein packendes tiefenpsychologisches Duell: Indem er das Monster auf eine Horde menschlicher Monster, übermännlicher Mörder, Soziopathen und Vergewaltiger, loslässt, zwingt er diese in einen Konflikt, den sie gar nicht wollen. ALIEN 3 erzählt nicht von dem Kampf gegen ein Alien, es erzählt von dem Kampf der Gefängnisinsassen, die jeden Tag gegen ihre Triebe ankämpfen und diesen nun, im Versuch zu überleben, nachgeben müssen.
Auch in SIEBEN und vor allem in FIGHT CLUB geht es um die psychologische Dimension des Bösen, der Aggression, der negativen Emotionen und Weltanschauungen. Vermutlich ist DER SELTSAME FALL DES BENAJMIN BUTTON auch deshalb Finchers schwächster Film, weil er als einziger aus dieser Reihe ausbricht. Als einziger erzählt dieser vor allem von einer äußeren Zerrissenheit, nicht von der inneren.

Die aber kann Fincher am besten und am packendsten inszenieren.
Das gelingt ihm vor allem durch seine beinahe unübertroffene Schauspielerführung. Jeder von Finchers Stars liefert bei ihm eine seiner besten Leistungen ab. Wenn Jodie Foster in PANIC ROOM zerrissen ist, ob sie den Eindringlingen trauen oder sie mit ihren geringen Mitteln bekämpfen soll, ist das ebenso subtil inszeniert wie es Fincher gelingt, in THE SOCIAL NETWORK aus einem beinahe regungslos agierenden Jesse Eisenberg soviele Emotionen herauszuholen, dass er einem am Ende des Films tatsächlich leid tut.
Und man braucht fast nichts mehr sagen über die subtile, von vielen Konflikten beladene Beziehung der Lisbeth Salander zu Mikael Blomkvist in VERBLENDUNG, die Fincher darstellt, ohne sie ein einziges Mal anzusprechen.
© 2014 Twentieth Century Fox
Und genau dieses Kunststück gelingt ihm auch in GONE GIRL.
Ben Affleck erzählt, dass die Arbeit mit Fincher deutlich anders sei. Statt, wie üblich, 2/3 des Drehtags im Trailer zu hocken und ein Drittel vor der Kamera zu stehen, würden die Schauspieler fast durchgängig gefordert. Fincher konzentriere sich völlig auf die Figuren und die Geschichte und erarbeite mit den Schauspielern jede Szene bis ins Detail.
Das sei besonders in GONE GIRL bedeutsam gewesen, da eben nicht die ausufernden inneren Monologe der Romanvorlage zur Verfügung gestanden hätten. Die Motivationen und Verzweiflungen der Figuren hätten sich aus dem Spiel ergeben müssen.

Es liegt alles im Spiel


Dabei brillieren in GONE GIRL besonders die kleineren Figuren. So sind die Rollen von Tyler Perry und Neil Patrick Harris im Gegensatz zum Roman deutlich gekürzt. Dennoch gelingt es beiden Darstellern (wer Neil Patrick Harris vor allem als Komiker und aus HOW I MET YOUR MOTHER kennt, wird sich erst daran gewöhnen müssen, ihn in einer dramatischen Rolle zu sehen) perfekt, aus ihrer kurzen Screentime das Optimum herauszuholen. Beide Figuren werden mit prägnanten Strichen deutlich gezeichnet und bleiben im Gedächtnis. Besonders Neil Patrick Harris erreicht hier mit subtilsten Mitteln ein Höchstmaß an Wirkung.
Aber auch Carrie Coon, die hier ihr Leinwanddebüt gibt und vor allem aus der Fernsehserie THE LEFTOVERS bekannt ist, macht Freude und Lust, mehr von ihr zu sehen. Auch sie holt aus einer erstaunlich kleinen Rolle als Nicks Schwester „Go“ besonders zum Ende hin viel heraus.
Ihr größtes Problem im Film bleibt die Kostümabteilung, deren vorrangiges Ziel es gewesen zu sein scheint, sie so dermaßen wie Janeane Garofalo aussehen zu lassen, dass man sich unweigerlich fragt, ob das Original nur keine Zeit hatte, die Rolle zu spielen.

Selbst Ben Affleck, der mit Sicherheit als Regisseur deutlich talentierter ist denn als Schauspieler, liefert eine hervorragende Performance ab. Das liegt zu großen Teilen auch an der Rolle. Der unbeholfene, hölzerne Nick Dunne, der Mühe hat, in den Medien sympathisch rüberzukommen, passt perfekt zum Schauspieler Ben Affleck: Auch Affleck hat, als Schauspieler, immer wieder Mühe, Sympathien zu wecken, wirkt steif und unbeholfen.
Wenn ich sage, dass Affleck als Nick Dunne eine der besten schauspielerischen Leistungen seiner Karriere abliefert, dann liegt das auch daran, dass die Figur Nick Dunne durch fast alles personifiziert wird, was den Schauspieler Affleck auszeichnet.
Trotzdem, oder gerade deshalb, macht es Freude, ihm zuzuschauen.
© 2014 Twentieth Century Fox
Das unschlagbare Highlight des Films ist und bleibt allerdings Rosamund Pike!
Ich selbst bin schon lange ein Fan der extrem wandelbaren Britin, die ihr Leinwanddebüt 2002 als Bond-Girl Miranda Frost in STIRB AN EINEM ANDEREN TAG absolviert. Seither hat sie ein buntes Œuvre zusammengesammelt, in dem Dramen wie STOLZ UND VORURTEIL, Genrefilme wie DOOM – DER FILM, Blockbuster wie ZORN DER TITANEN oder JACK REACHER, Independentperlen wie A LONG WAY DOWN und WE WANT SEX und Komödien wie JOHNNY ENGLISH und THE WORLD’S END wie selbstverständlich nebeneinanderstehen. Das allein zeigt, wie vielseitig Pike ist, und in GONE GIRL darf sie schauspielerisch aus den Vollen schöpfen!

Tatsächlich wird sie zum Highlight jeder Szene, in der sie auftritt, bis man das Gefühl hat, dass es ihr quasi im Alleingang gelungen ist, dem Film die nachhaltige Wirkung zu verleihen, die bereits das Buch auszeichnet, und dass sie, irgendwie, den Film zu großen Teilen gestemmt hat, obwohl gerade Ben Affleck deutlich mehr Spielzeit erhält.
Rosamund Pike gestaltet mit subtilem, fein nuanciertem Spiel den Wandel einer frisch verliebten Ehefrau zur Hälfte einer schwer in Schieflage geratenen Beziehung, und eine Amy Dunne, die definitiv in Erinnerung bleiben wird. Ihre Arbeit mag nicht unbedingt oscarreif sein, doch würde ich mich wundern, wenn für ihre Darstellung der Amy Dunne nicht wenigstens einige Nominierungen und Schauspielpreise abfallen würden. Sie spielt die schwerste Rolle des Films mit spürbarer Freude und erschreckender Leichtigkeit.
In jedem Fall hat sie sich mit diesem Film endgültig für die erste Hollywoodliga empfohlen, und wir hoffen, dass das zukünftig genutzt wird!

Was denn nun?


Was also ist GONE GIRL nun für ein Film?
Zunächst einmal: Jeglicher Hype, jegliche Erwartung besonders der Buchkenner wird erfüllt! In gewisser Weise ist der Film tatsächlich besser als das Buch. Ihm fehlt die psychologische Tiefe, die der Roman durch die Masse an inneren Monologen erreicht. Dafür ersetzt er diese durch feinste Nuancen in Spiel, Mimik, in Bildgestaltung und dem grandiosen Soundtrack, den zum dritten Mal in einem Fincher Film Trent Reznor von den Nine Inch Nails komponiert hat.
© 2014 Twentieth Century Fox
Flynns Drehbuch kürzt die Handlung aufs Wesentliche zusammen, auch wenn es sich hier und da vielleicht ein bisschen falsch fokussiert. Kenner der Vorlage, die Sorge haben, dass der Film den Wendungen der Vorlage nicht gerecht werden könnte, seien beruhigt: Sie wirken beinahe stärker als im Roman. Vor allem das Ende gerät im Kino noch einen deutlichen Zacken schärfer und spitzer.

Der Film lullt einen mit einem etwas behäbigen Anfang ein, entlässt einen dafür allerdings mit einem Wirbelsturm, dem es ohne viel Aufwand gelingt, in den Sitz zu fesseln und erinnert im Finale an die zynischen, eiskalten Thriller der frühen Achtziger von Brian de Palma. Zu keiner Zeit fühlt sich GONE GIRL an wie 140 Minuten.
Fincher und Flynn kredenzen einen bitterbösen Thriller, der einen nicht kalt lässt und gerade dann seine Zähne zeigt, wenn man es am wenigsten erwartet. 

GONE GIRL läuft ab dem 2. Oktober 2014 in den deutschen Kinos.

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