02.04.16

Porträt: John Goodman - Der Kumpel aus der zweiten Reihe

John Goodman ist möglicherweise einer der ungewöhnlichsten Hollywoodstars unserer Zeit. Obwohl er niemals ein Superstar wird, keine Hauptrollen in millionenschweren Blockbustern hat, niemals mit wertvollen Preisen überschüttet wird, weder Cover noch Poster ziert, keine Werbeverträge abschließt, nicht als Jugend- oder Sexsymbol vermarktet wird, keine Skandale auslöst und keine Frauenschwarms spielt; obwohl die Jahre, in denen er überhaupt große Rollen spielen durfte, schon zwei Jahrzehnte zurückliegen und er seit Jahren vornehmlich in kleineren Rollen glänzt, gilt John Goodman bis heute als einer der bekanntesten und populärsten Schauspieler der Welt. Wie schafft der Mann das?
Spurensuche in einer ganz normalen und doch durch und durch ungewöhnlichen Karriere.
Quelle: DVD "King Ralph" © Universal Pictures Germany GmbH
Es gibt dieses eine ganz bestimmte Gefühl, das nahezu jeder Filmfan kennt, und mit großer Sicherheit wenigstens einmal erlebt hat. Er schaut einen Film, vielleicht eine Serie. Vielleicht ist der Film ein Meisterwerk, vielleicht ein gerade mal mittelmäßiges Stück belichtetes Zelluloid. Und dann, womöglich ganz unerwartet, geschieht es.
Plötzlich erscheint dieser Mann auf der Leinwand oder dem Bildschirm. Schon physisch eine Naturgewalt, beinahe einen Meter neunzig groß und mit einem Gewicht, das sich in den schlimmsten Zeiten den zweihundert Kilo nähert.
Doch da ist noch etwas anderes. Eine Präsenz auf dem Bildschirm, die Art, wie er sein Gesicht mit wenigen Muskelregungen von einer furchteinflößend grimmigen Maske zu jenem berühmten strahlenden Lächeln mit den zusammengekniffenen Augen und den glänzenden Apfelwangen verändern kann. Wie er seinen massigen Körper mal stolz, mal drohend, mal beiläufig oder entspannt hält, und manchmal damit wilde Verrenkungen und clowneske Spielchen treibt.

Es ist dieser Augenblick, wenn John Goodman auf der Bildfläche erscheint, in der jeder Film, jede Serie, mit einem Mal einen Sprung nach oben macht. Besser wird. Sehenswerter. Ganz plötzlich denkt man sich: „Hey, John Goodman spielt mit - das wird cool!“

Das Loch reißt auf


Denn wenn John Goodman sich in den mittlerweile gut vierzig Jahren Schauspielkarriere ein Markenzeichen erarbeitet hat, dann dieses: Er liefert immer ab! Wie durchschnittlich oder sogar schlecht der Film auch ist, in dem er mitspielt, wie klein seine Rolle auch sein mag, John Goodmans Auftritte sind nahezu immer sehenswert, unterhaltsam, voller Intensität, egal ob diese nun bedrohlicher oder humorvoller Natur ist. In den besten Fällen ist sie beides.
Man müsste lange suchen, um einen Goodman Auftritt zu finden, den man reinen Gewissens als missraten bezeichnen kann. Denn natürlich gibt es diese auch. Bei drei bis vier Auftritten im Jahr und mittlerweile 144 Einträgen in der Imdb muss es sie geben. Aber man muss sie suchen.
Quelle: Blu Ray "Matinee" © Koch Media GmbH
Vor allem aber: Wann immer John Goodman auf der Bildfläche erscheint, überkommt einen dieses Gefühl, einen alten Kumpel wiederzutreffen, und einen spaßigen Abend mit ihm zu haben, als wäre er nie fort gewesen.

John Stephen Goodman wird am 20. Juni 1952 in St. Louis geboren. Er hat eine Schwester und einen Bruder, doch sein Vater stirbt wenige Tage vor Johns zweitem Geburtstag. Es wird die Tragödie, die womöglich einen Großteil seines Lebens bestimmt.
Um die Kinder zu ernähren, arbeitet Goodmans Mutter in mehreren Jobs und ist so gut wie nie zu Hause. Goodman erklärt selbst, dass diese Elternlosigkeit in ihm schon früh ein Loch hinterlassen hat, für das er ebenfalls schon früh nur eine Lösung findet: Essen. Er kriegt schon als Kind Fressattacken und schaufelt jede Menge Süßigkeiten in sich rein. Doch Goodman wird auch schon früh Sportler, spielt Football, so dass er nie wirklich dick wird.
Dennoch ist er kein beliebtes Kind, steckt voller Selbstzweifel und ist mit sich selbst oft unzufrieden – bis heute. Auch das wird sein Leben jahrelang auf die schlimmstmögliche Weise beherrschen.

Auf dem College schließlich entscheidet sich Goodmans Schicksal: Eine Knieverletzung macht eine weitere Karriere als Footballstar unmöglich. Doch Goodman findet Spaß an diversen Theaterkursen. Irgendwann beschließt er, Schauspieler werden zu wollen.

Mit tausend Dollar ins Nichts


Für seine Mutter ist das eine fremde Welt. Sie redet es ihm nicht aus, weiß aber wenig damit anzufangen. Goodman studiert Schauspiel (unter anderem mit Kathleen Turner), und will es schließlich wissen. Er leiht sich von seinem Bruder dessen ersparte tausend Dollar, und zieht damit nach New York. Das Jahr ist 1975, und Goodman noch weit von einem Karrierestart entfernt.

Die erste Zeit in New York ist hart für den 23-jährigen Nobody, der keinerlei Kontakte in der Stadt hat, keinen Agenten, keine Freunde. Er wohnt in einer kleinen Wohnung nahe dem Theaterviertel in Manhattan, an der Ninth Avenue Ecke 51st Street. Und doch ist er hochmotiviert. „Ich wusste, wenn ich es nicht tue, bereue ich es – wenn ich es nicht wenigstens versuche.“
Zunächst besteht seine Hauptbeschäftigung darin, etliche Stunden pro Tag Absagen von allen möglichen Theatern und Fernsehcastern zu kassieren. Er versucht, seinen Namen und sein Gesicht irgendwie bekannt zu machen, eine noch so kleine Rolle zu ergattern, um wenigstens in der Schauspieler-Gewerkschaft unterzukommen.
Quelle: DVD "Arachnophobia" © Walt Disney Home Entertainment
Nicht einmal den klassischen Job des arbeitslosen Schauspielers findet er: „Wenn du hässlich bist, darfst du in Manhattan nicht mal kellnern!“, erklärt er in einem Interview.
Oft hat er so wenig Geld, dass er sich nicht mal Essen kaufen kann. „Einmal hatte ich ein paar Bohnen auf dem Herd. Ich habe sie auf der Platte gelassen um zu köcheln und mich aus dem Apartment ausgesperrt. Da waren sie schließlich futsch. Und das war für eine Weile meine letzte Mahlzeit.“

Zwei Jahre putzt Goodman Klinken, kann hier und da in einer Bar arbeiten, bis ihn ein Werbeproduzent kennenlernt und regelmäßig bucht. Endlich tröpfeln die ersten kontinuierlichen Schecks ein, auch wenn Goodman für wenig Geld viel Unsinn treiben muss. Noch heute berühmt ist sein Spot für ein Rasierwasser, für den er sich quasi selbst Ohrfeigen muss – eine recht passende Metapher für jene Zeit in Goodmans Karriere. Eine andere Szene, in der er sich ausziehen und duschen muss bezeichnet er noch heute als peinlichstes Erlebnis seiner Karriere.

Doch Goodman nimmt Fahrt auf. Er erhält erste kleine Rollen in Off-Broadway Stücken und spielt immer mehr Theater. Goodman hat es geschafft und seinen Traum verwirklicht: Er kann von der Schauspielerei leben. Und damit beginnt ein Problem, das ihn dreißig Jahre lang prägen wird.

Der Sprung nach oben


Heute gibt er seinem mangelnden Selbstbewusstsein, aber auch dem Druck der Arbeit und vielem mehr die Schuld an dreißig Jahren schweren Alkoholkonsums. Auch der Angst. „Als Schauspieler lebst du sowieso mit der Angst. Wenn du gerade keine Rolle hast, hast du Angst vor der Arbeitslosigkeit. Wenn du Arbeit hast, hast du Angst vor dem, womit der Regisseur dich als nächstes nervt.“
Goodman beginnt, immer mehr in Kneipen und Bars abzuhängen, darunter die, in welcher Bruce Willis „ganz ausgezeichnete Drinks“ mixt. In der Regel enden diese Abende erst, wenn er komplett volltrunken ist. Vermutlich ist es das altbekannte Loch in ihm, das er weder mit Essen, noch mit Alkohol noch mit seinem ewigen schauspielerischen Perfektionismus füllen kann. Doch Letzteres öffnet ihm wenigstens immer mehr Türen.

1983 ergattert der mittlerweile gestandene Theatermime seine erste Fernsehrolle (neben Jeffrey DeMunn) in dem heute komplett unbekannten THE FACE OF RAGE.
Die erste Hälfte der Achtziger werden für Goodman noch wenig bemerkenswert, doch in der zweiten Hälfte startet er komplett durch.
1986 und 1989 spielt er neben den damaligen Top-Stars Al Pacino, Dennis Quaid und Ellen Barkin eine größere Rolle in den Erotikthrillern THE BIG EASY und SEA OF LOVE, 1988 neben Whoopie Goldberg in der Actionkomödie BURGLAR – DIE DIEBISCHE ELSTER.
1987 beginnt schließlich die Zusammenarbeit, die zu einem der tragenden Pfeiler von Goodmans Karriere werden wird, und ihn Jahre später vermutlich vor dem Untergang rettet: Die Coen Brüder verpflichten den vielseitigen Hünen für ihren zweiten Film ARIZONA JUNIOR. Es wird die erste von bisher sechs Zusammenarbeiten – mit kaum einem Star arbeiten die Filmemacher öfter zusammen als mit John Goodman.
Quelle: DVD "Arizona Junior" © Twentieth Century Fox
1989 spielt Goodman bereits eine tragende Nebenrolle in Steven Spielbergs ALWAYS, und zeigt 1990 im ebenfalls größtenteils von Spielberg geleiteten Disney-Krabbelhorror ARACHNOPHOBIA, was er für den Rest seiner Karriere am besten können wird: aus kleinen, wunderbar schrägen Figuren soviel herauszuholen, dass sie oft den ganzen Film an sich reißen. Noch heute ist Goodmans Auftritt als trottelig-kompetenter Kammerjäger Delbert die Figur, die in dem Klassiker am deutlichsten in Erinnerung bleibt.

Doch zu dieser Zeit ist Goodman in Amerika längst ein landesweiter Star, denn 1988 erhält er die Rolle, die ihn bis heute definiert wie nur eine einzige andere: Die des Trockenmaurers und Familienvaters Dan Connor.


Frisch aus Langford – die Megastars von ganz unten


Eine Stimme und eine besondere Prämisse bilden die Basis zu Goodmans bis heute größtem Erfolg.
Das Produzentengespann Marcy Carsey und Tom Werner suchen nach einer neuen Idee für eine Sitcom und finden ihre Galionsfigur in Roseanne Barr. Es ist vor allem Roseannes durchdringende Stimme, die ihnen zusagt, und ihre Routine als „Hausfrauen-Göttin“, mit der Barr durch die Comedy-Clubs tingelt.
Ihr wird die Sitcom ROSEANNE auf den Leib geschrieben, die als eine der ersten Sitcoms gilt, bei der keine reichen und erfolgreichen Familien im Mittelpunkt stehen, deren Lebensprobleme oft abgehoben wirken. Die Connors, wie Roseannes Fernsehfamilie heißt, bilden stattdessen, ähnlich wie die im Jahr darauf startenden SIMPSONS, das Amerika der Arbeiterklasse ab: Zwei voll werktätige Elternteile, aufmüpfige Kinder, unbezahlte Hypotheken, Finanzsorgen, Alkoholiker und ein kräftiger Schuss dysfunktionaler Zusammenhalt. Eine derart schnodderige Sitcomfamilie hat es vorher nicht gegeben.

Den perfekten Gegenpart für Roseanne findet man in John Goodman. Der spielt den hart arbeitenden, liebevollen, oft überforderten und gleichzeitig zwischen Machismo und Liberalität schwebenden Familienvater derartig gut, dass er mancherorts zunächst für einen Darsteller gehalten wird, der sich selber spielt.
Quelle: DVD "Roseanne - Die Komplettbox" © Universum Film GmbH
ROSEANNE wird aus dem Stand eine der erfolgreichsten Sitcoms der Neunziger. Neun Jahre lang, bis 1997, bleibt auch John Goodman der Serie treu und durchlebt mit seiner Fernsehfamilie alle Höhen und Tiefen – auch wenn die letzte Staffel als etwas missglückt betrachtet werden kann. ROSEANNE ist es auch die Plattform, die John Goodman zum weltweiten Superstar macht, und die Neunziger zu seiner finanziell und künstlerisch erfolgreichsten Dekade. Goodman wird fünf Jahre in Folge für einen Golden Globe nominiert (den er im letzten Jahr auch endlich erhält) und sieben Jahre in Folge für einen Emmy. Diesen gewinnt er jedoch erst später als Gaststar in der kurzlebigen Comedyserie STUDIO 60 ON THE SUNSET STRIP. Es bleiben bis heute Goodmans einzige Preise.
(Dafür hält Goodman einen anderen Rekord - insgesamt dreizehn Mal "hostet" er bislang die Traditionsshow SATURDAY NIGHT LIVE - öfter als jeder andere Star.)

Das erste Mal ganz vorne


Der Erfolg und Ruhm, besonders als Komiker, verschaffen John Goodman jedoch den Marktwert, der ihm seine ersten Hauptrollen einbringt.

Die erste davon bekommt er 1991 in der quasi speziell für ihn geschriebenen Komödie KING RALPH – ein schräger Unfall rafft das gesamte englische Königshaus dahin. Der schnodderige amerikanische Showpianist Ralph ist somit der nächste lebende Anverwandte des Königs und darf fortan den Buckingham Palace rocken. Was John Goodman trotz seiner Statur mit ziemlich wilden Verrenkungen schafft!
Noch im selben Jahr schreiben auch die Coens ihm eine Rolle auf den Leib, die des umtriebigen Versicherungsvetreters Charlie Meadows in BARTON FINK, quasi eine zweite Hauptrolle in dem Film. Das Besondere dabei: Die Coens besetzen Goodman in BARTON FINK erstmals in einer düsteren, bösartigen Rolle und damit komplett gegen den Strich. Doch es sind besonders diese Rollen, die Goodman fortan mit jenem einmaligen Verve vorbringt, der ihn auszeichnet. Niemand ist so bedrohlich und gleichzeitig liebenswürdig wie Goodman.

1992 endlich wird Goodman auch im dramatischen Fach ganz nach vorne geschoben: Nicht zuletzt seine physische Ähnlichkeit mit Baseball-Legende Babe Ruth verschafft ihm wenn auch mit Nasenprothese die Hauptrolle in dem leider etwas missglückten, aber dennoch sehenswerten Bio-Drama THE BABE – EIN AMERIKANISCHER TRAUM.
Quelle: DVD "The Babe - Ein amerikanischer Traum" © KSM GmbH
Goodman ist, in finanzieller und erfolgsmäßiger Hinsicht, auf dem Zenit seiner Karriere angelangt. Er verdient Millionen und darf 1994 die finanziell wohl erfolgreichste, in jedem Fall aber berühmteste Rolle seiner Karriere spielen: Fred Feuerstein!
In DIE FAMILIE FEUERSTEIN haucht Goodman einer der bekanntesten Zeichentrickfiguren der Geschichte echtes Leben ein. Es ist der erste (und einzige!) Sommerblockbuster, den John Goodman als „Leading Man“ bestreitet, der einzige Film, in dem er jemals als so etwas wie ein Megastar und Kassenmagnet behandelt wird. Der Film wird, wie zu erwarten, überaus erfolgreich, jedoch von den Kritikern wenig geliebt.

Dennoch markiert er einen Wendepunkt in Goodmans Karriere. Es wird seine letzte große Hauptrolle werden, denn trotz des Erfolgs zieht Goodman sich bald wieder in die zweite Reihe zurück. Er ist und bleibt kein Starmaterial, sondern der Schauspieler, der schräge Typen, Sportler, Mechaniker oder Familienväter aus der Mittelschicht spielt, der gleichzeitig wie ein Knuffelbär und physisch bedrohlicher Psychopath wirkt.
Die Vorstellung, Goodman könne jemals so etwas wie den Retter der Welt, einen Frauenschwarm oder irgendetwas anderes spielen, was all die Stars regelmäßig auf die Leinwand bringen, findet er selbst absurd. Mit der Frage konfrontiert, was er tun würde, wenn er wie Brad Pitt aussähe, antwortet er nach langem Schweigen nur: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Goodman ist und bleibt ein Schauspieler, der erdige Typen spielt, keine überfrachteten Helden. Und dazu wäre er auch nicht in der Lage.
Quelle: DVD "The Flintstones - Die Familie Feuerstein" © Universal Pictures Germany GmbH
1998 gleitet er in DÄMON an der Seite von Denzel Washington in die Position, die er sich wie kein Zweiter zu eigen macht: als Partner, Sidekick oder Yang des Helden kann Goodman immer wieder glänzen, von dieser Position aus kann er, ganz ohne den Druck und die Verantwortung der Titelrolle, am ehesten glänzen und die Szenen, die ihn auf die Leinwand lassen, geschickt an sich reißen.

Im selben Jahr liefert Goodman auch seine vielleicht mutigste, auf jeden Fall aber eine seiner wenigen komplett missglückten Rollen ab. In BLUES BROTHERS 2000 nimmt er die Herausforderung an, eine der kultigsten und legendärsten Figuren der Filmgeschichte zu ersetzen. Fungierte in BLUES BROTHERS noch John Belushi in der Figur des Jake als kongenialer Partner von Dan Aykroyd, versucht nun John Goodman diese Lücke als Mighty Mack McTeer zu füllen. Für John Goodman, der nebenbei auch leidenschaftlicher und talentierter Bluessänger ist (was er in ROSEANNE des öfteren ausleben kann, wie man hier hört), erfüllt sich mit der Rolle ein kleiner Traum.
Quelle: Blu Ray "Blues Brothers 2000" © Universal Pictures Germany GmbH

Doch trotz seiner Leibesfülle gelingt es ihm nicht, das Loch zu füllen, das Belushi hinterlassen hat, oder die Magie des Originals wiederzubeleben. BLUES BROTHERS 2000 hat viele Probleme und Fehler, und John Goodmans Teilnahme ist mit Sicherheit nicht Schuld an dessen Versagen, und doch ist es einer der wenigen Filme, in denen nicht einmal John Goodmans Performance dem Film etwas Sehenswertes abzutrotzen vermag.

A World of Pain


Doch es bleibt gar keine Zeit, diesen deutliche Ausreißer in Goodmans Karriere zu betrauern, denn kurz darauf liefert er ihren absoluten Höhepunkt ab. In THE BIG LEBWOSKI spielt Goodman seine neben Dan Connor vermutlich markanteste Rolle, die ihn bis heute und vermutlich bis ans Ende seines Lebens definieren wird: Walter Sobchak.

Es ist der vierte Film, den die Coens mit Goodman drehen, und man spürt, dass sie hier perfekter als in irgendeinem anderen herausgefunden haben, wie sie Goodmans Talente nutzen können. Zwischen cholerisch, wahnsinnig, nostalgisch, witzig, belehrend, tollpatschig und liebenswert changiert Goodmans bowlingverliebter, immer auf einen Streit versessener Vietnamveteran, der nie ganz aus dem Dschungel zurückgekehrt ist, und Goodman spielt jede noch so winzige Nuance seiner vielleicht schillerndsten Figur mit einer Sicherheit und Brillanz, die er zuvor und danach nur noch selten erreicht.
Wenn es eine Rolle gibt, die Goodmans volle Bandbreite aufzeigt, dann dieser liebenswerte Irre. Hinzu kommt, dass Goodman sogar hier das beinahe Unmögliche gelingt: In einem der schrägsten und absurdesten Filme überhaupt, bis an den Rand gefüllt mit markanten Figuren, absurden Situationen und irrwitzigen Dialogen, reißt Goodman erneut jede einzelne Szene, jeden Augenblick und jedes Wort an sich, das man ihm lässt.

Wie in keiner anderen Rolle zeigt Goodman in THE BIG LEBOWSKI, wieso er so verdammt gut ist. Weil es ihm immer wieder gelingt, noch im absurdesten Augenblick, in der schrägsten Szene, dem pointiertesten Dialog, immer und immer wieder das unterhaltsamste Element auf dem Bildschirm zu sein. Es ist eine Art Goodman-Magie, etwas, das neben John Goodman nur wenige Schauspieler besitzen. Eine angeborene Unterhaltsamkeit, die alles um sie herum, so gut es auch sei, immer noch ein wenig überstrahlt.
Quelle: Blu Ray "The Big Lebowski" © Universal Pictures Germany GmbH
Aus dem Feuerwerk der lustigen Absurdität, das THE BIG LEBOWSKI darstellt, geht John Goodman immer noch als die Figur heraus, die dem Zuschauer am deutlichsten und am nachdrücklichsten in Erinnerung bleibt.

Und doch bleibt THE BIG LEBOWSKI für Goodman lange Zeit der Höhepunkt seiner Karriere. Denn mittlerweile leidet er so stark an seinem Alkoholismus, dass er immer unerträglicher für seine Kollegen wird. Was folgt, ist Goodmans langer Abstieg vom Gipfel seiner Karriere.

Neuanfang in der Sprechkabine


Die Coens besetzen Goodman noch einmal als Zyklopen in ihrer schrägen Verfilmung der Odyssee, O BROTHER, WHERE ART THOU?, doch hier liefert Goodman erneut eine seiner wenigen missglückten Performances ab, obwohl die Rolle ihm wie auf den Leib geschneidert scheint.
Auch bei Interviews gilt Goodman als immer schwieriger und schwieriger. Mittlerweile ist er seit fünfundzwanzig Jahren starker Alkoholiker.

Auf die Frage angesprochen, wie er das mit seiner Karriere vereinbart habe, erklärt er, dass er schlicht und ergreifend dauernd betrunken gewesen sei.
Egal ob als Fred Feuerstein, King Ralph, Dan Connor oder Mighty Mack McTeer, egal ob in BRINGING OUT THE DEAD, in (dem schwer unterbewerteten Coming-of-Age-Kino-Nostalgie-Drama) MATINEE, als Babe Ruth oder als Walter Sobchak – Goodman erscheint regelmäßig volltrunken am Set. Anders funktioniert er nicht mehr. Schon bei seinen frühen Theateraufführungen in den Achtzigern versteckt er Gläser mit Wodka oder Scotch auf der Bühne, aus denen er heimlich trinkt, um das Zittern seiner Hände in den Griff zu bekommen. Auch andere Drogen konsumiert er reichlich und gerne.
Er erinnert sich zwar nicht, jemals betrunken am Set von THE BIG LEBOWSKI erschienen zu sein, erklärt aber auch, dass er sich generell nicht an viel aus jener Zeit erinnert.
Den Coens zumindest platzt der Kragen – nach O BROTHER, WHERE ART THOU? trennen sie sich von ihrem Stammschauspieler.

Goodmans Erfolg versiegt. Dass er überhaupt noch Rollen bekommt, erklärt er, hätte daran gelegen, dass die Leute seine Auftritte in ARIZONA JUNIOR und THE BIG LEBOWSKI so mochten. Dennoch sinkt die Qualität seiner Rollen rapide. Seine für lange Zeit letzte große Rolle vor der Kamera ist die des bedächtigen Vaters in COYOTE UGLY – ein Auftritt, der Goodmans breites Rollenspektrum nur noch unterstreicht. Es wird für elf Jahre sein letzter großer und bemerkenswerter Auftritt auf der Kinoleinwand bleiben.

Dafür entwickelt Goodman sich in den Zweitausendern auf einem anderen Gebiet zum neuen Star: als „Voice Actor“, der Animationsfiguren seine Stimme leiht. Das hat er zwar schon einige Male in dem ein oder anderen Film oder einer Fernsehserie gemacht, doch 2000 gewährt man Goodman Zutritt in die heiligen Hallen der Disneyfamilie: In „Disneys Meisterwerk“ (so nennt der Konzern seine großen Animationsfilme fürs Kino) EIN KÖNIGREICH FÜR EIN LAMA spricht Goodman Pacha, den freundlichen aber etwas simplen Sidekick des verzauberten Kaisers.
Quelle: Blu Ray "Die Monster AG" © Walt Disney
Schon ein Jahr später wird der mittlerweile nur noch selten vor die Kamera tretende Star seinen Status als herausragender Sprecher endgültig festigen: In Pixars Meisterwerk (diesmal ist der Begriff wörtlich zu nehmen) DIE MONSTER AG leiht er neben Billy Crystal dem liebenswerten, etwas simplen Monster Sully seine Stimme – und erreicht nun auch im Animationsfilm das, was ihn bereits als Schauspieler vor der Kamera auszeichnet: Er stiehlt sämtlichen Kollegen aus seiner Position als Sidekick heraus die Show.
Jetzt wird endgültig deutlich, welch großes Talent Goodman dafür hat, die Stimmungen seiner Figuren neben seinem subtilen Spiel auch und vor allem über seine Stimme zu übertragen. In den folgenden Jahren tritt er immer wieder als Sprecher auf, neben den diversen Fortsetzungen, Kurzfilmen oder stellenweise Serien rund um seine Figuren Pacha und Monster Sully spricht er auch den Bären Balu in DAS DSCHUNGELBUCH 2, den grumpeligen Anwalt in THE BEE MOVIE, „Big Daddy“ La Bouff in KÜSS DEN FROSCH und natürlich hat er einen kurzen Gastauftritt in CARS als Monster(!) Truck Sully.

Der wahre Zenit


Zu der Zeit hat sich Goodmans Leben auch längst zum Besseren gewendet.
2006 spielt Goodman den Weihnachtsmann in dem Fernsehfilm DER WEIHNACHTSMANN STREIKT – und erschreckt vor sich selbst, so schlecht sieht er aus.
Im Sommer 2007 weilt er in Berlin, wo er für den Film SPEED RACER vor der Kamera steht – und ändert sein Leben radikal. Er hört auf zu trinken und beginnt, abzunehmen.
Jeden Morgen, jahrelang, geht er zu den Anonymen Alkoholikern, organisiert sich einen Fitnessberater und verliert beinahe 60 Kilo. Als er sich 2010 derartig geläutert und schlank der Welt präsentiert, erkennt man ihn kaum wieder.

Etwa zu dieser Zeit beginnt Goodman auch, wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzukehren und tritt in seine noch heute andauernde goldene Phase ein.
2011 liefert er im herausragenden Film THE ARTIST erneut eine kurze aber prägnante Rolle als Stummfilmproduzent ab. Im Jahr darauf spielt er in ARGO den berühmten Maskenbildner John Chambers. (Der Spocks Ohren und das Make-up für PLANET DER AFFEN erfand!) Damit wird er zu einem der wenigen Schauspieler, die in zwei aufeinanderfolgenden Gewinnern des Bester Film Oscars mitspielen.
Quelle: Blu Ray "Inside Llewyn Davis" © STUDIOCANAL
Gleichzeitig liefert er auch eine imposante Leistung in der HBO-Serie TREME ab, die sich mit den Auswirkungen von Hurricane Katrina in New Orleans beschäftigt, ein Thema, das dem aus St. Louis stammenden und in New Orleans lebenden Star auch privat sehr am Herzen liegt.
Plötzlich ist Goodman wieder ganz oben, erhält kleine aber feine Rollen in Filmen die entweder herausragend sind, oder ein großes Publikum finden: EXTREM LAUT & UNGLAUBLICH NAH, FLIGHT, HANGOVER 3, MONUMENTS MEN oder THE GAMBLER. Auch die Coens finden wieder zu Goodman zurück und besetzen ihn als widerwärtigen Jazzmusiker in INSIDE LLEWYN DAVIS. Im Fernsehen findet er mit grandiosen Rollen in THE WEST WING (als Präsident!) und DAMAGES ebenfalls herausragendes Material.
Goodman ist wieder ein Name und ein Gesicht, das man öfter sieht, und das einen wieder mit Vorfreude erfüllt. Künstlerisch ist Goodman inzwischen wohl auf seinem Höhepunkt angekommen, in seinem goldenen Lauf – nie war er besser, nie hat er in besseren Filmen mitgespielt, nie konnte er seine Reichweite besser ausspielen als heute.

2016 hat er zwei weitere Karrierehöhepunkte vorzuweisen. In TRUMBO tut er, was er immer tut: Er reißt die Szenen an sich, in denen er mitspielt. Als grobschlächtiger Trashproduzent Frank King liefert er eine Leistung ab, die seiner langen Tradition herausragender Wutausbrüche eine edles Sahnehäubchen verpasst.
Kurz darauf erhält er das erste Mal seit zwei Jahrzehnten wieder so etwas wie eine Hauptrolle: In dem großartigen Bunker-Thriller 10 CLOVERFIELD LANE spielt er den undurchsichtigen, auf den Weltuntergang vorbereiteten Bunkerbauer Howard. Neben der eigentlichen Hauptfigur, gespielt von Mary Elizabeth Winstead, drückt er dem Film am stärksten seinen Stempel auf. Und was für einen.
Quelle: "10 Cloverfield Lane" - aktuell im Kino © Paramount Pictures
Howard ist Goodmans vielleicht schillerndste Rolle, mindestens seit Walter Sobchak.
Innerhalb von Sekunden wechselt er hier seine Haut, die Emotionen, die Figur, von kumpelhaft freundlich zu irrsinnig bedrohlich und zurück. Mit über sechzig zeigt Goodman, dass in ihm – auch wenn er nie ein Superstar war, nie der „Leading Man“, der große Blockbuster anführt – einer der vielseitigsten und talentiertesten Schauspieler Hollywoods steckt, dessen Rollenspektrum ausschließlich von seiner prägnanten Physis beschränkt wird, nie jedoch von seinen darstellerischen Fähigkeiten.

Kein Ende in Sicht


John Goodman hat in seiner bald vierzigjährigen Karriere alles gespielt – Helden und Schurken, Väter und Karrieristen, Dämonen, Opfer, Freunde und Verräter, durchgeknallte Irre und die Stimme der Vernunft, bemitleidenswerte Verlierer und hassenswerte Despoten.
Kaum ein Schauspieler kann auf eine derart bunte Rollenvielfalt zurückblicken – und eben das ist eines von Goodmans Geheimnissen. Er hat sich nie in den Vordergrund gedrängt, und seine kleinen Rollen dennoch immer mit der Energie eines Superstars gefüllt.
Er bleibt zeitlebens das unsichere, zweifelnde „dicke Kind“, das angibt, seine Unsicherheiten mit Essen und Alkohol überdeckt zu haben. Ein Star, der Interviewer wahlweise auflaufen lässt oder sich mit ihnen verkumpelt. Dem jedes Kompliment so unangenehm ist, dass er es fortwischt. Dessen Privatleben mit Frau und Tochter trotz aller Probleme nie in die Öffentlichkeit gerät, nie einen Skandal hervorbringt. Der sich mit prägnanten Rollen hinter den Stars am wohlsten fühlt, und wie kein Zweiter versteht, uns Zuschauern aus dieser Position heraus Freude zu bereiten. Uns zu schockieren. Uns wütend oder erheitert zu machen. Und hach, was lieben wir seine Ausraster!

Und Goodmans Karriere ist weit davon entfernt, ein Ende zu finden. Aktuell hat er sechs kunterbunte Projekte in der Pipeline: Einen Animationsfilm, eine Actionkomödie, einen Spionage-Thriller, einen Thriller über den Bombenanschlag vom Boston-Marathon (ein weiteres Prestigeobjekt), den neuen King Kong Sommerblockbuster KONG: SKULL ISLAND (bei dem er sich mit Newcomerin Brie Larson angefreundet hat) und Luc Bessons neues Sci-Fi Spektakel VALERIAN UND DIE STADT DER TAUSEND PLANETEN.
Quelle: Blu Ray "The Artist" © DCM (Vertrieb Universum Film)
Umso bedauerlicher ist es, dass er bis heute stets an seinem Talent zweifelt. „Wenn ich mich selbst in meinen Filmen betrachte, sehe ich nur den Scheiß, den ich hätte machen müssen. Ich bin unfähig, mich selbst objektiv zu betrachten. Es sei denn, es ist THE BIG LEBOWSKI. Das Drehbuch ist so gottverdammt gut, den kann ich einfach genießen, kann den Trip genießen wie alle anderen. Babe Ruth ist einer der Filme, von denen ich wünschte, dass ich zurückgehen und ihn erneut machen könnte. Ich hatte einfach nicht genügend Zeit, es richtig zu machen.“
Sein Freund Tom Arnold aus ROSEANNE erzählt, er habe niemals erlebt, dass irgendein Schauspieler über die Frage, wie er einen Satz in einer Sitcom sprechen sollte, so mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe wie John Goodman.
Goodman selbst erklärt auch, er habe kein Problem damit, wenn Fans ihn mit seinen Zitaten ansprechen. Auch hier gefallen ihm die Sprüche aus THE BIG LEBOWSKI am besten. Etwas ungehalten wird er lediglich, wenn ihn Fremde mit einem „Jabbadabbadu“ begrüßen.
Und dennoch – das Loch in ihm scheint noch immer nicht gefüllt.

Trotzdem ist Goodman bis heute trocken, schwankt ein wenig im Gewicht, leidet unter chronischen Rückenschmerzen und hat zwangsläufig zwei neue Knie implantiert bekommen. Und wirkt doch so frisch und spielfreudig wie eh und je.
John Goodman ist kein Star, aber ein getriebener Vollblutschauspieler – und einer der besten. Und wir sind froh, dass er das Risiko gewagt hat, nach New York zu gehen und es wenigstens zu versuchen. Sonst hätten wir alle eine Menge verpasst.
Quelle: DVD "Barton Fink" © Universal Pictures Germany GmbH

2 Kommentare:

  1. Eine sehr schöne Ode an einen wirklich genialen Schauspieler. Mir geht es eigentlich auch so, wie so ziemlich jedem Cineasten. Man liest den Namen John Goodman und weiß automatisch, das der folgende Film nicht so schlecht sein kann, das man enttäuscht von dannen schleicht. Leistung abliefern kann er wahrlich. Danke für den interessanten Abriss seiner Karriere... And now: Let's go Bowling! ;)

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    1. Dankeschön, und gern geschehen!
      Enjoy the rules! ;)

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