17.08.15

Porträt: Sean Penn - Der Menschenrechtler im Käfig

Du erschaffst dir einen Käfig, basierend auf der Wahrheit und deinem Sinn für die Facetten des Charakters, die die Geschichte erzählen. Wenn du deinen Job gut machst, was ich zu verschiedenen Zeiten meines Lebens mit wechselndem Erfolg geschafft habe, kannst du dich innerhalb dieses Käfigs ziemlich frei bewegen.
Quelle: DVD "Carlito's Way" © Universal Pictures Germany GmbH
Biancas Blick:

Sean Penn ist Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur – und nicht zuletzt politischer Aktivist, ein Kritiker des amerikanischen Systems, der Starmaschinerie Hollywoods und der Glorifizierung ihrer Berühmtheiten und Filmemacher.
Der vielseitige Mime, vielleicht einer der vielseitigsten überhaupt, sagt, was er denkt, handelt kompromisslos und geht seinen künstlerischen Weg seit nunmehr 33 Jahren fernab ausgetretener Pfade.
Sein Schaffen ist vielschichtig und sensibel, geachtet, bewundert und vielfach ausgezeichnet. Sein Spiel veränderte sich stetig, wurde nuancierter und machte ihm zu einem der besten Schauspieler weltweit.

Wer ist „Sean De Niro“?


Geboren wird Sean Penn 1960 in Kalifornien, ein Bundesstaat der USA, den er heute äußerst kritisch betrachtet. Sein Zitat über Kalifornien beschreibt Penns Charakter ziemlich gut, denn Schönfärberei gibt es bei ihm nicht: „Ich wuchs in einem Land auf, welches an einer auf Furcht basierten Religion Gefallen findet, an einer korrupten Regierung und an einer komplett weißen Bevölkerung, die auf gestohlenem Land lebt, für welches sie gemordet haben, und das sie von Generation zu Generation weiterreichen.“

Sein Vater, Leo Penn, ist Schauspieler und Regisseur, so dass Seans Weg früh vorgeschrieben scheint. Seine Großeltern väterlicherseits sind jüdische und russische Emigranten, geflohen aus ihren Heimatländern, ein Umstand, der Penns politische Sicht möglicherweise beeinflusst hat, mütterlicherseits fließt irisches und italienisches Blut in Penns Adern.
Sein Bruder Chris Penn wird ebenfalls Schauspieler, wenn auch eher ein Star der zweiten Reihe (etwa in RESERVOIR DOGS), der höchstens in B-Movies weiter nach vorne rückt. Mit ihm verbindet Sean ein inniges Verhältnis, Chris stirbt jedoch 2006 an einer Herzgefäßvergrößerung. (Der Drogen nicht abgeneigte Chris Penn nahm in den 90ern enorm an Gewicht zu, eine möglicherweise tödliche Kombination.)

Sean Penns Begründung Schauspieler zu werden beschränkt sich auf einen Satz: „Ich bin wegen Robert de Niro Schauspieler geworden.“
Quelle: DVD "Wir sind keine Engel" © Paramount Home Entertainment
Während seiner Highschoolzeit freundet sich Sean Penn mit Emilio Estevez, Charlie Sheen und Rob Lowe an, mit denen er erste Kurzfilme dreht. Schnell wird die Schauspielerei zu seiner Passion und nach Abschluss der Highschool nimmt er Schauspielunterricht und arbeitet am Group Repertory Theatre als Laufbursche und Assistent. Er lernt viel und sammelt Erfahrung, verbessert sein Spiel stetig, verschreibt sich dem „Method Acting“, wie sein großes Vorbild De Niro.

Sein Debüt am Theater gibt er in dem Stück "Heartland", wofür er großen Zuspruch und gute Kritiken erntet. Hollywood wird aufmerksam und ermöglicht dem 20-jährigen Penn sein Filmdebüt in DIE KADETTEN VON BUNKER HILL an der Seite des damals noch unbekannten Tom Cruise und des gerade frisch oscarprämierten Timothy Hutton.
Der Film, der die Idealisierung des Miltärs durchaus kritisch betrachtet, wird ein großer Erfolg, die Kritiken überschlagen sich ob der grandiosen Schauspielleistungen von Hutton, Cruise und vor allem Sean Penn.
In diesem ersten großen Kinofilm wird eines über Sean Penn bereits sehr deutlich: Er bereitet sich akribisch auf seine Rollen vor, und zwar so detailliert, dass er ab 1981 den Spitznamen „Sean De Niro“ erhält, in Anlehnung an Robert De Niro, der für seine Akribie in der Rollenarbeit bereits Berühmtheit erlangt hat.
Quelle: DVD "Die Kadetten von Bunker Hill" © Twentieth Century Fox

Der „Bad Boy“ vom Dienst


Mit der Kultkomödie FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH (der Klassiker, immerhin Amy Heckerlings (Regie) und Cameron Crowes (Romanvorlage, Drehbuch) Einstieg in die Filmwelt, wird mit dem zeitgenössischen Verleihtitel ICH GLAUB' ICH STEH' IM WALD abgestraft) bedient Penn das jugendliche Publikum, das zu Beginn der 80er Jahre derartige Teenie-Dramödien verschlingt. Durch Klassiker wie BREAKFAST CLUB, ST. ELMOS FIRE und FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH entsteht ein jährliches Ritual von High-School Filmen, das einer ganzen Horde von Jungstars den Weg ebnet. (Besonders Amy Heckerling und Cameron Crowe schaffen es, das Genre bis in die frühen 2000er weiter zu bedienen und wenigstens drei Generationen von Teenagern aus dem Herzen zu sprechen.)

Nach einem Auftritt als Soldat und Pennäler dreht Penn 1982 mit BAD BOYS den Film, der sein Image in den nächsten Jahren festlegen soll, der ihn aber ebenso an die Spitze der „Jungstars“ spült. Das harte Knastdrama besticht durch Penns nuanciertes Spiel und ist heute längst ein Klassiker seines Genres.

In jener Zeit lernt er die „Queen of Pop“ kennen und lieben: Madonna. Sie heiraten 1985, und lodern in einer stürmischen und kurzen Ehe. Penns schlechtes Verhältnis zur Presse und den Paparazzi festigt sich in jenen Jahren und lässt ihn ein ums andere Mal ausrasten und die Nerven verlieren – ein gefundenes Fressen für die Presse, die ihren Fotografen-prügelnden „Bad Boy“ feiert und für Jahre am Leben hält.
Heute sagt Penn über seine Ehe mit Madonna: “Sie war auf dem Weg, der größte Star der Welt zu werden. Und ich wollte einfach nur meine Filme machen und mich verstecken. Mich verfolgten eine Menge innerer Dämonen und ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mit ihnen umzugehen. Ich hab mich weitaus schlechter benommen als sie, also kann ich heute nicht mit dem Finger auf sie zeigen und ihr die Schuld geben.“
Quelle: DVD "Ich glaub' ich steh' im Wald" © Sony Pictures Home Entertainment
Ebenfalls 1985 kommt es zu einer weiteren Zusammenarbeit der wohl talentiertesten Jungstars der 80er: in DER FALKE UND DER SCHNEEMANN agieren Timothy Hutton und Sean Penn in einem Spionage-Thriller, der, anders als vorhergehende Werke des Genres, die Beweggründe der Protagonisten aufzuzeigen versucht. Der Film wird kein großer Kassenerfolg, lässt aber erneut die Kritiker jubeln und gilt heute als Klassiker.

Als der Erfolg vorüberzieht ...


1986 folgt ein Kino-Experiment, das grandios scheitert: Die Zusammenarbeit zwischen Penn und Madonna soll der Sängerin helfen, ihrer stockende Filmkarriere auf die Sprünge zu helfen. Der Film floppt komplett und gilt als einer der wenigen „Schandflecken“ in Penns Laufbahn.
Die britische Abenteuer-Komödie spielt einen Bruchteil des Budgets ein und wird fünf Mal für die Goldene Himbeere nominiert – selbst Sean Penn, der sich gerade zuvor als Charakterschauspieler empfohlen hat, erntet eine Nominierung.
Noch im selben Jahr dreht Penn außerdem den Vater-Sohn Thriller AUF KURZE DISTANZ (für den er den Track "Live To Tell" seiner Frau Madonna in den Score hievt, der prompt auf Platz 1 der Charts landet). Hier kommt es beinahe zu einer Zusammenarbeit mit seinem Idol, denn eigentlich soll Robert De Niro die Rolle von Penns Vater spielen, der lehnt das Angebot jedoch ab, da ihm die Figur zu düster scheint.

Stattdessen übernimmt Christopher Walken den Part und wird aufs unangenehmste mit Penns Leidenschaft fürs Method Acting konfrontiert: Christopher Walken ist, nicht zuletzt dank seiner Rolle in DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN, geradezu neurotisch sicherheitssüchtig, wenn er mit Schusswaffen arbeitet. Wann immer er mit einer Waffe hantiert, überprüft er sie direkt vor der Szene selbst noch einmal und gibt sie anschließend nicht mehr aus der Hand. Als für AUF KURZE DISTANZ die Szene ansteht, in der Sean Penn ihm eine Waffe an den Kopf hält und ihn bedroht, hält er es ebenso: er überprüft direkt vor Drehstart der Szene die Waffe und überreicht sie ruhigen Gewissens seinem Partner Penn. Bevor der Regisseur die Aufnahme starten kann, rennt Penn jedoch hinter die Kulissen, ruft: „Gib mir die andere Pistole“, und dreht die Einstellung damit. Walkens zutiefst verängstigter Gesichtsausdruck im Film ist nicht einmal gespielt.
Quelle: DVD "Auf kurze Distanz" © Twentieth Century Fox
Sean Penn macht in dieser Zeit auch in der Öffentlichkeit mit seiner Unberechenbarkeit von sich reden. Frustriert und wütend schlägt er einen Paparazzo zusammen und landet dafür 33 Tage im Gefängnis. Die Presse stürzt sich geradezu auf ihn und so landet Penn in jener Zeit eher in den Schlagzeilen als auf der Leinwand.

Regisseur Dennis Hopper verhilft Penn mit dessen Besetzung in COLORS – FARBEN DER GEWALT zu einem kleinen schauspielerischen Comeback nach dem Flop von SHANGHAI SURPRISE und seinen Ausrastern. An der Seite von Robert Duvall spielt er einen jungen Polizisten, der mit den Gangs von Los Angeles nichts anzufangen weiß und diese mit Gewalt und Willkür zur Räson zu bringen versucht. Erst durch Duvalls Figur lernt er, dass manchmal eher Ruhe zum Erfolg führt als ein Vorgehen als Heißsporn – welch passender Film in diesen wilden Jahren des Sean Penn.
In jener Zeit, in der auch der „Gangster-Rap“ aus Compton zur neuen Macht am Plattenhimmel wird, sind die blutigen Bandenkriege in East L.A., die „Crips“ und die „Bloods“, fast täglich in den Nachrichten und weltweit aktuelles Thema. Hoppers Film ist also brandaktuell, und ihm stehen reale Bandenmitglieder beratend zur Seite um Fragen zur Herangehensweise zu klären. Zwei von ihnen werden noch während des Drehs erschossen.

Zwar dreht Penn 1989 den mit großem Budget versehenen DIE VERDAMMTEN DES KRIEGES, das als Starvehikel und Imagewandel für Michael J. Fox gedacht ist, der ins ernste Fach wechseln möchte, Penn kann aber noch nicht an seine erfolgreichen Zeiten anknüpfen. Der Film, der, wie auch der wesentlich bessere, im selben Jahr gedrehte GEBOREN AM 4. JULI, die Aufarbeitung des Vietnamkriegs thematisiert, wird kein Erfolg und gilt heute als einer der schwächeren Vietnam-Filme. 

Aufstieg in den Olymp


Ebenfalls 1989 kommt es endlich zur Zusammenarbeit mit seinem großen Idol Robert De Niro, der sich in WIR SIND KEINE ENGEL als Komödiant versucht. Der Film floppt finanziell, doch beide Hauptdarsteller agieren mit solcher Spielfreude, dass einfach Spaß bringt, ihnen zuzuschauen.

Mit CARLITO’S WAY gelingt Penn 1993, nach acht Jahren und mit Minipli, endlich wieder die Rückkehr auf die Erfolgsspur. Zwar spielt Charakterschauspieler Al Pacino die Titelrolle, doch Sean Penn als problematischer Anwalt Kleinfeld stiehlt ihm komplett die Show und wird zurecht Golden Globe nominiert – schon für die Frisur. Das Duell der beiden Figuren gehört bis heute zu den besten Konfrontationen, die das Gangster-Genre hervorgebracht hat.
Quelle: DVD "Carlito's Way" © Universal Pictures Germany GmbH
Anschließend bereitet sich Penn zwei Jahre auf die Rolle vor, mit der er sich an die Spitze der Topstars zurückspielen wird: Der zum Tode verurteilte Matthew Proncelet in DEAD MAN WALKING wird von Penn mit einer solchen Brillanz gespielt, dass der Film noch heute, 20 Jahre später, zutiefst berührt. Susan Sarandon spielt die Nonne Helen Prejean, die an Proncelets Arroganz und Rassismus gerät und alles andere als Reue vorfindet, als sie ihn auf seinem letzten Weg begleiten soll. Dennoch entsteht zwischen diesen beiden zutiefst unterschiedlichen Menschen eine besondere Beziehung, die auf Respekt und Verständnis beruht, wodurch Helen versucht, die Strafe in lebenslänglich umzuändern.
Ein gelungenes Plädoyer für ein Verständnis beider Seiten – der Opfer, aber auch der Täter.

Beide Darsteller werden oscarnominiert, Susan Sarandon erhält die Trophäe.
Penn bleibt der Oscarverleihung jedoch fern, denn nach all seinen Jahren in der Hollywoodmaschinerie hat er gelernt, die Academy zu verachten: „Das Grauen der Oscars liegt in dem, was die Presse in den Monaten zuvor veranstaltet, um daraus eine erfolgreiche Fernsehsendung zu machen. Wenn sie es allen Ernstes wie einen Wettkampf im Armdrücken zwischen zwei Schauspielern wirken lassen. Das wird wirklich armselig und macht es beschämend, es mit einer Annahme der Einladung zu dieser Party noch zu würdigen.”
Erst Clint Eastwood kann seinen Freund Penn 2004 zu einer Teilnahme überreden, als sein Film MYSTIC RIVER und Sean Penn selbst nominiert sind.

Zwischen Independent und Regie


Bereits 1991 erfüllt Sean Penn sich seinen Wunsch, einmal selbst Regie zu führen.
Mit INDIAN RUNNER inszeniert er nach eigenem Drehbuch einen kleinen Film um zwei ungleiche Brüder und führt Viggo Mortensen und David Morse zu schauspielerischen Höchstleistungen. Für sein Regiedebüt wird Penn in Locarno ausgezeichnet.
Vier Jahre später versucht er sich erneut an einem Film. In CROSSING GUARD, einem Rache-Drama, zu dem Penn erneut das Drehbuch selbst schreibt, agieren Anjelica Huston, Jack Nicholson und erneut David Morse mit Bestleistungen. Die Kritiker und auch das Publikum hingegen nehmen den Film gemischt auf.
Quelle: DVD "Dead Man Walking" © Twentieth Century Fox
An der Seite seiner damaligen Ehefrau Robin Wright Penn spielt Sean Penn in ALLES AUS LIEBE einen zerrütteten Charakter in einer alles andere als herkömmlich inszenierten Liebesgeschichte.

Allmählich entdeckt Penn seine Vorliebe für „schräge“ und außergewöhnliche Charaktere, die er vortrefflich mit Leben zu füllen weiß, und mit denen er den Zuschauer immer wieder staunend im Kinosessel Zeuge seines Spiels werden lässt. Einen festen Typ, wiedererkennbare Manierismen oder andere Markenzeichen sind - bis auf seine Stimme - bei ihm kaum auszumachen.
Die Regisseure reißen sich um Penn und ab 1997 wird er einer der meistbeschäftigsten Schauspieler seiner Zeit. U-TURN, THE GAME, HURLYBURLY, DER SCHMALE GRAT, BEING JOHN MALKOVICH, SWEET AND LOWDOWN (Oscarnominierung) und ICH BIN SAM (Oscarnominierung – und eine tröstende Erwähnung in TROPIC THUNDER: „Never go full retard!“), um nur einige seiner prägnantesten Rollen zu nennen. 2001 reiht er sich sogar in eine breite Riege von populären Gaststars ein, als er in zwei Folgen der Erfolgs-Sitcom FRIENDS mitspielt.

Ebenfalls 2001 inszeniert er mit DAS VERSPRECHEN die gleichnamige Dürrenmatt-Novelle für das US-Kino, hält sich aber an das konsequente Ende der Vorlage und des bereits 1958 verfassten Drehbuchs Dürrenmatts (im Gegensatz zur deutsch-schweizerischen Verfilmung von 1958 mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe in den Hauptrollen).
Wieder spielt Jack Nicholson die Hauptrolle, diesmal an der Seite von Robin Wright-Penn, und brilliert in der Figur des fanatischen Inspektors auf der Suche nach einem Kindermörder. Der Film wird von den Kritikern hochgelobt und Sean Penn wird in Cannes als Bester Regisseur nominiert. Ein Publikumsrenner wird das düstere Werk jedoch nicht.

Penn hat, auch als Regisseur, seine Nische gefunden. Er liebt Außenseiter-Dramen, Menschen, oft am Rande der Gesellschaft, die sich entscheiden und die Konsequenzen ihres Handelns ertragen müssen. Seine Filme sind nie „leichte“ Kost, simple Unterhaltung oder pure Zerstreuung. Penn sträubt sich, es dem Zuschauer emotional oder moralisch leicht zu machen. Das gilt zwar auch für den Schauspieler Penn, aber mehr noch für den Regisseur.
Quelle: DVD "Ich bin Sam" © Warner Home Video

Auf dem Zenit und kein bisschen angepasst


2003 folgt eines der bis heute besten Dramen, das je die Leinwand erblickt. Clint Eastwood verfilmt David Lehanes gleichnamigen Roman MYSTIC RIVER und dreht ein Racheepos, das durch die entstehenden Konflikte, aber besonders durch die grandiosen Leistungen der Schauspieler, nachhaltig im Gedächtnis haften bleibt.
Sean Penns Figur eines rachedurstigen Vaters geht neben Tim Robbins' Figur am meisten unter die Haut und Penn wird zu Recht zum vierten Mal oscarnominiert und nimmt die Trophäe diesmal, dank Eastwood, persönlich entgegen.

Erneut kritisch in den Schlagzeilen landet Penn , als er 2002 seinen Beitrag für den Episodenfilm 11'09"01 – SEPTEMBER 11 präsentiert. Anders als die anderen Beiträge aus aller Welt klagt er, ausgerechnet in seinem USA-Beitrag, die Anschläge nicht an, zeigt keine gebrochenen Opfer der Anschläge, sondern widmet sich der Hoffnung. Er inszeniert Ernest Borgnine als verwitweten Rentner, der, nach dem Zusammensturz der Türme, endlich wieder Licht in seiner Wohnung erhält und dadurch neuen Lebensmut findet, wie auch die bis dahin immer weiter welkende Blume seiner verstorbenen Frau. Das, sowie seine wiederholte und lautstarke Ablehnung der Kriege im Irak und Afghanistan nimmt man ihm übel. Es kommt zum Eklat.
Quelle: DVD "Cheyenne - This must be the Place" © Euro Video Medien GmbH
Penn sagt einen geplanten Film ab, der ihm nach den Geschehnissen des 11. Septembers nicht mehr relevant genug erscheint. „Ich wollte mir eine Atempause nehmen und versuchen zu verstehen, worin unsere neue Verpflichtung besteht."
Ferner fügt er hinzu: "Die Ereignisse dieses Tages, so tragisch sie auch waren, schienen in überwältigendem Maße von den Medien vereinnahmt worden zu sein. Und irgendwo in jedem von uns, denke ich, ruht nicht nur die Anerkennung der Verluste und der Bedeutung dieser furchtbaren Geschehnisse, sondern auch die Mutter, die an diesem Tag ihren Sohn an einen betrunkenen Autofahrer verloren hat, an eine Überdosis, eine Tochter durch einen Mord, einen Vater an eine Krankheit.”

Sean Penn tritt in den folgenden Jahren in 21 GRAMM, DIE DOLMETSCHRIN, TREE OF LIFE und DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES WALTER MITTY auf.
Mit seiner Darstellung des ersten amerikanischen Politikers, der als offen schwul lebender Mann in ein öffentliches Amt gewählt wird, gewinnt er in MILK 2009 seinen zweiten Oscar. Erneut holt er sich, diesmal unter Standing Ovations, den Preis ab – die Laudatio hält sein Freund Robert De Niro. Penn lässt sich die Chance nicht nehmen, in seiner Dankesrede die seinerzeit brennend heiße Debatte um das Verbot der Ehe für Alle zu kommentieren (Vor dem Oscar-Festsaal haben sich damals unzählige Demonstranten gegen die Gleichberechtigung Homosexueller versammelt) und für mehr Menschenrechte zu werben.
Quelle: DVD "Milk" ©Paramount Home Entertainment
In CHEYENNE – THIS MUST BE THE PLACE porträtiert Penn in einer seiner berührendsten und besten Leistungen überhaupt einen abgehalfterten und eigenbrötlerischen Ex-Gothic-Punker auf der Suche nach sich selbst und seiner Herkunft und setzt sich ein weiteres Denkmal.

Seine bisher letzte Regiearbeit legt er 2007 mit dem bewegenden INTO THE WILD ab. Das Aussteiger- und Selbstfindungsdrama wartet mit einem großartigen Emile Hirsch und einem einzigartigen Soundtrack auf, den Penns Freund Eddie Vedder eigens für den Film komponiert. Episch, ruhig und konsequent zeichnet der Film den Wunsch Christopher McCandless' nach, der aller weltlichen Güter entsagt, um in Alaska Ruhe vor der Zivilisation zu finden.
Die Süddeutsche Zeitung findet für dieses Drama passende Worte:
„Erst im Finale wird plötzlich klar, dass man einer Täuschung aufgesessen ist. Die Natur ist gar nicht das Thema des Films, sie ist hier weder bedroht noch bedrohlich, und in dem Kampf, der verhandelt wird, bleibt sie im Grunde neutral. Nein, es geht um die Liebe. […] Und Sean Penn, der vielleicht denselben Weg geht, nur schon ein paar Jahre länger, hat eine Botschaft für diesen jungen Mann: Irgendwann kommt jeder dort an – nur für die Rückkehr kann es dann zu spät sein.“

Das soziale Gewissen


Privat bleibt Penn stets unangepasst, alle seine Ehen und Beziehungen scheitern. Seine engen Freundschaften in der Kunstwelt, die von Robert De Niro über Eddie Vedder, Madonna, Charlie Sheen, Mickey Rourke und David Byrne bis zu Charles Bukowski (für den Penn als Sargträger fungiert) reichen, zeigen, wie eng er seinen Beruf mit seinem Privatleben verwebt. Er ist stets ein Künstler, der sich äußert und positioniert. Der etwas bewegen will: privat, als Darsteller und Regisseur. Er spricht sich deutlich gegen den dritten Golfkrieg und das Bush-Regime aus, unterstützt Kampagnen gegen die Wal-, Hai- und Robbenjagd, kämpft immer wieder und überall für die Unterdrückten, die Gleichberechtigung, das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Frieden und Selbstbestimmung.
Quelle: Blu Ray "The Gunman" © STUDIOCANAL
Nach dem verheerenden Erdbeben von Haiti gründet er 2010 eine Hilfsorganisation. Auf einem umfunktionierten Golfplatz baut er ein Flüchtlingslager, in dem zeitweise 50.000 Flüchtlinge untergebracht sind. Nein, er ist nicht still, war er nie und er wird es niemals sein.

Und er bleibt bis heute ambivalent. So ist es um den Darsteller Sean Penn, mittlerweile 55, etwas ruhiger geworden. 2015 überrascht er erneut, indem er sich neu erfindet: Er spielt im Actionfilm THE GUNMAN, bei dem er auch am Drehbuch mitwirkt, den richtig harten Hund. Die Kritiken sind gemischt, zu fremd ist ihnen der „neue“ Penn, der hier statt „auf Intellekt und Intensität auf Masse und Muskeln“ setzt. Der Film floppt zudem an den Kinokassen.

Als Regisseur jedoch bleibt er sich treu: Im Augenblick beendet er die Arbeiten an seinem neuen Film THE LAST FACE. Die Geschichte: Die Leiterin einer internationalen Hilfseinrichtung und ein mit Hilfsgütern betreuter Arzt finden sich in Afrika in einem Hexenkessel aus Humanitärer Katastrophe und Bürgerkrieg wieder.
Wie bei wenigen Stars Hollywoods lässt sich das Wesen Sean Penns an den Filmen ablesen, die er dreht, an den Figuren, die er spielt, und an der Leidenschaft, mit der er sie immer wieder füllt, um sich in seinem Käfig auszutoben.
Quelle: Blu Ray "Das Erstaunliche Leben des Walter Mitty" © Twentieth Century Fox

1 Kommentar:

  1. Willkommen zurück aus der Sommerpause - und dann gleich wieder mit einem interessanten Portrait.

    Oftmals hat man das Gefühl, dass Penn nicht ganz in die Top-Riege vorstoßen konnte - dabei hat er in so vielen tollen Filmen mitgespielt: Dead Man Walking, Carilto's Way, der schmale Grat, Mystic River und, und, und. Da dürfen gerne noch ein paar Filme folgen - auch als Regisseur: Into The Wild hat mich damals völlig gefangenen genommen!

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