07.04.24

Civil War (USA 2024) – Allen Warnungen zum Trotz

Alex Garland wartet immer wieder mit frischen Ideen auf, und das gilt auch für CIVIL WAR, in dem er die Schrecken des Krieges nicht nur vor unsere Haustür holt, sondern direkt in unser Wohnzimmer. Ein warnender Thriller und ein echtes Jahreshighlight.

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Marcos Blick:

Eines vorweg: Ich bin nicht unbedingt Alex Garlands größter Fan, wenn es um seine Auteur-Arbeiten geht. Weder AUSLÖSCHUNG noch MEN haben bei mir für übermäßig viel Freude gesorgt, und während ich die Serie DEVS (deren halber Cast auch in CIVIL WAR zu finden ist) zwar für letztendlich geglückt halte, fehlte ihr ein einheitlicher Rhythmus.
Mit CIVIL WAR legt er jedoch einen der besten und eindringlichsten Filme des Jahres vor.

Das Überraschende dabei ist, dass CIVIL WAR im Kern eine Geschichte erzählt, die weder besonders kreativ noch besonders neu ist.

Ins Herz des Krieges


Wir folgen einer kleinen Gruppe von Kriegsreportern, die durch ein vom Krieg versehrtes Land reisen, immer tiefer hinein ins Herz der Finsternis. Dabei setzt sich die Gruppe aus absolut bewährten Schablonen zusammen: Vorneweg die erfahrene, ausgebrannte Kriegsfotografin Lee und ihr langjähriger Partner Joel. Im Schlepptau die junge, aufstrebende Jessie, die in Lee ihr großes Idol sieht. Dazu noch der alte und weise Sammy, einst Lees Mentor und wiederum ihr (und Joels) Idol.
Kurz: Drei Generationen unterschiedlich erfahrener Kriegsreporter reisen durchs Land, dokumentieren das Wesen des Krieges und wie es die Menschen verzerrt, die tagtäglich mit ihm leben müssen, und erreichen am Ende die Wurzel allen Übels.

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Das ist, wie erwähnt, weder sonderlich neu noch sonderlich originell.
Garlands brillanter Kniff besteht darin, dass er diesen Krieg nicht länger in weiter Ferne stattfinden lässt. Es geht hier nicht um irgendeinen heruntergewirtschafteten Wüstenstaat im globalen Süden oder ein seit Jahrhunderten von Kriegen zerfressenes Land auf der anderen Seite des Globus.
Garlands Krieg tobt mitten in der größten westlichen Demokratie, den USA – also nicht mal vor der Haustür, sondern mitten Wohnzimmer des Westens.

Das gibt dem ganzen Geschehen eine besondere Eindringlichkeit, denn selbst als europäischer Zuschauer (und das wird für das US-amerikanische Publikum noch stärker gelten) kann man sich hier nicht länger damit beruhigen, dass das halt „dort drüben“ passiert, sondern es passiert hier. Bei „uns“, wenn man „den Westen“ als einheitlichen Kulturraum zu begreifen versucht.

Krieg gegen die Erwartungen

Dabei wird der Film mit Sicherheit einige Zuschauer enttäuschen – denn während der innere Disput zwischen „links“ und „rechts“ vor allem in den (Sozialen) Medien immer leidenschaftlicher geführt wird, schweigt sich CIVIL WAR über die Ursachen des Krieges vornehmlich aus.
Wer erwartet, dass der Film für die eine oder andere Seite Partei ergreift, wer glaubt, dass hier aktuelle Verhältnisse aufgegriffen und weitergesponnen werden, dürfte mit enttäuschten Erwartungen aus dem Kino kommen. Bei Filmbeginn läuft der Krieg schon eine ganze Weile. Zu den Ursachen gibt es nur hier und dort ein paar kleine Häppchen, vornehmlich vage und gerade konkret genug, um anzudeuten, dass die Amerikaner einen Mann im Weißen Haus sitzen haben, den sie dort nicht länger haben wollen, und der sich weigert, das Amt freiwillig aufzugeben.

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Hinzu kommt, dass Garland sich in der Filmwelt für eine bewusst verzerrende Parteienbildung entschieden hat, denn hier begehrt eine Allianz aus Texas und Kalifornien militärisch auf, unterstützt noch von Florida.
Während die drei Staaten in der realen Welt politisch stark entzweit sind, finden sie hier einen Konsens, und das nicht grundlos, denn wie Garland erklärt, wollte er damit zum einen die Filmwelt von der realen Welt entheben und sie nicht als Verlängerung der realen politischen Verhältnisse zwischen Republikanern und Demokraten verstehen. Und gleichzeitig wollte er damit zeigen, dass es Kräfte gibt, die stärker sind als die aktuell herrschenden Zwistigkeiten, und dass sich alle Lager, egal ob links oder rechts, vereinen können, wenn an der Spitze jemand steht, der dem Land als Ganzes schadet.

Nein, CIVIL WAR interessiert sich weniger für die Ursachen seines Krieges, und will auch keine Partei in den aktuellen Differenzen ergreifen, sondern er interessiert sich für die Folgen, die ein Krieg hätte oder haben könnte. Das sind, wie erwähnt, kaum andere Folgen als in jedem anderen Krieg, nur treffen sie hier die amerikanische Bevölkerung direkt.
In einem stillen Moment sinniert Lee resigniert: „Mit jedem Bericht aus dem Krieg dachte ich, dass ich den Leuten zu Hause eine Warnung schicke.“
Und eben das ist der Kern des Films: Was geschehen kann, wenn wir nicht auf die Warnungen hören, die man uns tagtäglich zukommen lässt.

Dabei gelingt es CIVIL WAR neben seiner deutlichen Antikriegsmessage auch noch ein überaus spannender Film zu sein. Die Charaktere, denen man folgt, sind bei all ihrer Unterschiedlichkeit durchweg sympathisch. Das ist wichtig, denn Garland gestaltet die Welt, durch die sie reisen, das ländliche Amerika, das man traditionellerweise eher mit frischgebackenem Pie, mit Barbecues im Vorgarten und launigen Scheunenfesten verbindet, als eine durchgängige, latente, niemals nachlassende Bedrohung.
Das Land wirkt gefährlich, trügerisch. Hinter jeder Ecke, scheint es, lauern Tod, Gefahr oder Elend, und man fürchtet fast durchgängig um die Figuren, die versuchen, all das in Wort und Bild festzuhalten.

Diesen Spannungsbogen hält Garland nahezu bis zum Ende durch, er zieht die Schraube konsequent an, bis man sich im Kinosessel ebenso gefährdet fühlt, wie die kleine Reporterschar auf der Leinwand.
Das gelingt Garland nicht nur durch sein smartes Script, sondern auch durch einen exquisiten Einsatz von Sound und Musik, die sich hier fast schon zu einem weiteren Hauptdarsteller erheben.
Und nicht zuletzt die Schauspieler liefern hier herausragende Leistungen ab.

Frischer Blick zum bösen Krieg


Kirsten Dunst wirkt nicht unbedingt wie die erste Wahl, wenn es darum geht, eine völlig desillusionierte Kriegsreporterin zu spielen, doch sie liefert hier eine herausragende Leistung ab. Man kann für gewöhnlich nur erahnen, was Kriegsreporter alles zu sehen bekommen. Tatsache ist: Was am Ende in den Zeitungen und Magazinen erscheint, sind für gewöhnlich nur die „massentauglichen“ Aufnahmen, die von Fotograf und Redaktion ausgewählt wurden, und man kann sich sicher sein, dass es sehr viel unangenehmeres Material gibt, das nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Der Film deutet hier und da an, was Lee im Laufe ihrer Karriere an Gräueln miterlebt hat, aber so genau muss er es gar nicht zeigen, denn Dunst schafft es, mit Blicken und Mimik zu vermitteln, welche Karriere sie hinter sich hat.

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Als bewusster Kontrast dazu dient Cailee Spaeny als junge Jessie, die zu Beginn des Films tatsächlich aussieht, als wäre sie zwölf. Entsprechend jungfräulich ist ihr Blick auf die Welt, der jedoch im Verlauf des Films immer getrübter wird.

Auch Wagner Moura liefert mit Joel einen interessanten Kontrast zu Lees hartgesottener Figur, denn auch wenn er über dieselben Erfahrungen verfügt wie sie, wird und wurde er davon anders beeinflusst. Während man Lee ansehen kann, wie ihre Arbeit sie immer weiter absterben lässt, konnte sich Joel seinen Kern aus Menschlichkeit bewahren, der trotz all des Leids, das er mitansehen musste, nicht verlernt hat zu lächeln.

Bei allem Lob gelingt es Garland leider nicht, seinen Film völlig makellos zu gestalten. Zum einen ist das Ende, vermutlich unvermeidlich, ein wenig schwach.
Nicht nur fällt die fast konstante Bedrohungslage irgendwann in sich zusammen, sondern die Schablonenhaftigkeit der Figuren (die ja vor allem durch das ungewohnte Setting so brillieren) sorgt auch dafür, dass das Ende vorhersehbar wird. Das ist bedauerlich, denn im Grunde liegt hier ein äußerst kreativer Streifen vor, dem ich ein Ende gewünscht hätte, das mich mehr überrascht.

Daneben hat mich gestört, dass Garland die ein oder andere Metapher leider sehr überreizt. Natürlich ist es eine kluge Idee, ein oder zwei Kriegsfotografen an die Front zu schicken und zu zeigen, dass Soldaten mit Waffen und Reporter mit Kameras „schießen“, doch wird das hier so ausgiebig zelebriert, dass es am Ende jede Eloquenz verliert – da wäre weniger mehr gewesen.

Fazit


CIVIL WAR ist schon jetzt einer der besten Filme des Jahres. Auch wenn er inhaltlich vermutlich etwas anderes liefert, als der ein oder andere sich erhofft haben mag, ist er ein hervorragender Antikriegsfilm, ein leidenschaftliches Plädoyer für den Kriegsjournalismus und die Warnung, die er uns sein sollte. Ein Film, der uns daran erinnert, wie dünn die Schutzschicht ist, die uns in unserem vermeintlich sicheren „Westen“ davor bewahrt, all das zu erleben, was wir tagtäglich über die zahlreichen Nachrichtenkanäle empfangen. Eine Warnung, die angesichts wachsender geopolitischer und innergesellschaftlicher Spannungen, umso eindringlicher wirken sollte.

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Darüber hinaus ist CIVIL WAR ein hervorragender und extrem spannender Thriller mit großartigen Leistungen der Schauspieler und einem fantastischen Soundtrack, und nicht einmal das schwächelnde Ende und die überreizten Metaphern halten mich davon ab, diesen Film absolut zu empfehlen.

Randbemerkung


Auch wenn CIVIL WAR einen krassen und eindringlichen Blick in das Leben von Kriegsreportern bietet, möchte ich an dieser Stelle einen Literaturtipp geben: 2004 veröffentlichte die ehemalige Kriegsreporterin Carolin Emcke ihren Band „Von den Kriegen – Briefe an Freunde“, in denen sie ihre privaten Schilderungen aus den Kriegs- und Krisengebieten zusammenfasst, die sie von dort aus geschrieben hat, und die nicht nur einen eindringlichen Blick auf etliche Konflikte bietet, sondern auch einen berührenden Einblick in die Arbeit und Perspektive einer Kriegsreporterin.

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4 Kommentare:

  1. Oha! Ein Beitrag aus dem Nichts. Lustigerweise fast genau eine Woche, nachdem ich selbst auch mal wieder was veröffentlicht habe.

    Auf den Film bin ich schon sehr gespannt. Auch wenn ich, wie du, Garlands "Auslöschung " und "Men" nicht unbedingt großartig fand.

    LG
    Marco

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    1. Haha, ja, das Universum mag Doppelungen. :)

      Übrigens hatte ich deinen Blog bisher gar nicht auf dem Radar - mea culpa. Sieht sehr interessant aus und nach einem Projekt nach meinem Geschmack. :)
      (Macht Arbeit, so was, hm? :) )

      Bin gespannt, wie dir CIVIL WAR gefällt!

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    2. Ich hatte nach dem Ende von Ma-Go Filmtipps vor ein paar Jahren erstmal nur privat für mich selbst geschrieben und dann 2022 den neuen Blog gestartet. Allerdings ohne groß Werbung zu machen oder auf diversen Kanälen aktiv zu sein. Also kein Wunder, dass du davon nichts mitbekommen hast.

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    3. Ach, ich freu mich einfach, ihn jetzt entdeckt zu haben und wieder was von dir lesen zu können. :)

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