04.07.16

Independence Day (USA 1996) - Hassliebe, Erfolg und Zerstörung


INDEPENDENCE DAY ist einer der erfolgreichsten, bekanntesten, beliebtesten, einflussreichsten und nachhaltigsten Filme der Neunziger. Hinterlässt Millionen begeisterte Zuschauer auf der ganzen Welt. Verändert das Sommer-Blockbuster-Kino bis heute. Erschafft ikonische Schurken, Bilder und Dialoge. Und wie bei seinem Gegenstück STAR WARS gibt es kaum einen Filmfreund, der ihn nicht kennt.
Doch trotz seiner unbestreitbaren Bedeutung und Popularität kämpft der Film, heute mehr als damals, mit einem Imageproblem, wird immer wieder in die Gruppe der „Guilty Pleasures“ verbannt, Filmen also, die irgendwie Spaß machen, obwohl sie gar nicht wirklich gut sind.
Woher diese Ambivalenz?
Die Geschichte einer Hassliebe.

Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox


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Marcos Blick:
 
Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, doch als INDEPENDENCE DAY im Jahre 1996 die Leinwände erzittern lässt, ist der Film frisch und ungewöhnlich. Bietet Dinge, die es in der Form nie zuvor im Kino zu sehen gab.
Alien-Invasionen im Kino liefen, im Stil von DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN, üblicherweise eher im Geheimen ab. Die außerirdischen Eindringlinge ließen sich nur ungern blicken.
Kam es doch einmal zum Kampf, spielte sich dieser üblicherweise in der Provinz ab, niemals hätte eine der Parteien sich in die Nähe einer Stadt gewagt.
Und von einer berühmten Ausnahme abgesehen – H.G. Wells' KRIEG DER WELTEN – findet die „Invasion“ üblicherweise auch eher im nationalstaatlichen Bereich statt. Ein Ufo in Roswell hier, ein paar Menschenklone in Washington dort.

INDEPENDENCE DAY wischt das alles wuchtig zur Seite: Es verlagert den Kampf gegen die Aliens spektakulär in den Großstadtdschungel. Statt einer kleinen Einheit lässt er Millionen Aliens gleichzeitig auf die nahezu völlig unvorbereitete Menschheit los, und erstmals wird tatsächlich der gesamte Planet gleichzeitig angegriffen. INDEPENDENCE DAY gerät zur Frischzellenkur eines ausgetretenen Genres, erweckt die Lust an urbaner Zerstörung und „katastrophalen“ Kinostoffen und setzt aus dem Nichts Standards, die noch heute im Sommerkino gelten.
Und das alles beginnt mit einem neugierigen Reporter.

Gute Fragen


Als Roland Emmerich und sein damaliger Autoren- und Produktionspartner Dean Devlin auf Promo-Tour für ihren Sci-Fi Hit STARGATE durch Europa tingeln, so will es die Legende, kommt von einem Reporter eine berechtigte Frage: „Wenn Sie nicht an Aliens glauben, weshalb drehen Sie dann einen Film wie STARGATE?“
Emmerich erklärt, ihn habe die Vorstellung von Aliens immer fasziniert, die auf der Erde eintreffen. „Stellen Sie sich vor“, erklärt er dem Reporter, „Sie wachen eines Morgens auf, und über den Städten dieser Welt schweben Raumschiffe, die 25 Kilometer groß sind.“ Fast augenblicklich dreht er sich zu Devlin um und sagt: „Ich glaube, ich habe eine Idee für unseren nächsten Film.

Schließlich nehmen sich beide einen Monat Zeit und fahren nach Mexiko, um am Script zu arbeiten. Hier steht schnell der Ton des Films fest: „Wenn du durch die ganze Galaxie fliegst, würdest du dich auf einer kleinen Farm verstecken, oder würdest du den großen Auftritt wagen?“, fragen sie sich.
Und tatsächlich planen beide recht schnell, dass sie nicht von Sporen erzählen wollen, die sich heimlich in ihren Wirten einnisten, oder von Hinterwäldlern, die sich auf ihrer Farm mit einem einzelnen Alien rumschlagen müssen. Nein, sie wollen etwas auf die Leinwand bringen, das es so noch nicht gab. Ihre Aliens sollen den wirklich großen Auftritt bekommen. Das Alien-Movie-Äquivalent zur berühmten Showtreppe des deutschen Fernsehens der Fünfzigerjahre: pompös, bombastisch, beeindruckend. Und, so viel sei vorweggenommen: Sie werden ihr Ziel weit übertreffen.

Geheimnisse, Zensur, Präsidenten und eine überzeugende Rede


Das Script wird aus dem Stand eines der heißesten Eisen in Hollywood. An einem Donnerstag wird es an die Studios geschickt, bereits am nächsten Morgen trudeln die Angebote herein. Den Zuschlag bekommt die Twentieth Century Fox, die den beiden 69 Millionen Dollar zur Verfügung stellt. Am Montag beginnt man man mit der Vorproduktion.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Schon bald stellt sich allerdings ein erstes Problem ein: Das Konzept des Films sieht vor, dass der amerikanische Unabhängigkeitstag zum entscheidenden Fokus der Handlung wird, was schnell den perfekten Filmtitel vorgibt: „Independence Day“. Bedauerlicherweise ist der jedoch bereits vergeben.
1983 bringt Warner einen Film mit gleichem Titel raus, eine völlig erfolglose Romanze (auf Deutsch: IHRE LETZTE CHANCE), und die Fox will einen Rechtsstreit vermeiden. Stattdessen schlägt man Emmerich und Devlin Titel wie „Invasion“ oder „Sky on Fire“ vor.
Emmerich und Devlin, die bislang unter dem Arbeitstitel ID4 an ihrem neuen Film werkeln, wollen sich damit nicht abfinden. Schließlich haben sie eine Idee.
An dem Tag, an dem die Szene gedreht wird, in der Präsident Whitmore seine mittlerweile berühmt-berüchtigte Ansprache hält, fügen die beiden am Ende noch eine Zeile hinzu: „Today, we celebrate our Independence Day!"
Den Rest erledigen die sogenannten „Dailys“: Als die Studiobosse die Ansprache sehen, wird ihnen klar, welchen Fokus Devlin und Emmerich auf den Feiertag legen. Schließlich suchen sie den Kontakt mit Warner. Es kostet die Anwälte zwei Wochen, und der Titel ist freigegeben.
(Zwischenzeitlich will das Studio den Start des Films sogar auf den Memorial Day legen, um die starke Konkurrenz am 4. Juli zu umgehen, und schlägt dafür den Titel „Doomsday“ vor.)

Doch nicht alle Probleme finden ein so gutes Ende. So gelingt es Devlin etwa nicht, seinen alten Highschool-Freund Kevin Spacey die gewünschte Rolle zuzuschanzen. Spacey soll den Präsidenten spielen – eine im Ur-Script noch deutlich düsterere Figur. Das Studio lehnt jedoch ab.
Zum einen glaubt man nicht, dass Spacey einen granteligen Präsidenten spielen könne (an dieser Stelle dürfen sich alle Kenner von HOUSE OF CARDS einmal die Augen reiben), zum anderen rechnet man dem noch recht unbekannten Mimen keine großen Starqualitäten zu. Am Ende besteht man darauf, dass die Rolle von dem bereits fest etablierten Bill Pullman gespielt werden soll. Devlin und Emmerich schreiben die Figur daraufhin um, damit sie besser in Pullmans deutlich freundlicheres Rollenwesen passt.

Ebenfalls auf Granit beißt das amerikanische Militär. Diesmal jedoch bei Devlin und Emmerich.
Denn, wie bei den Generälen üblich, ist man dort nur allzu bereit und willig, den Film großzügig zu unterstützen – mit Personal, Drehgenehmigungen für Militärbasen, Ausrüstung und Beratung. Kein Wunder, bei einem Film, in dem amerikanische Fliegerpiloten die Welt vor der Vernichtung retten.
Doch die Lage ändert sich schlagartig, als man erfährt, dass ein ganzer Akt des Films auf Area 51 spielt, dass die Gerüchte um ein gefangenes Alien dort für wahr erklärt werden und – der Gipfel der Beleidigung – dass das Militär diese Informationen vor dem Präsidenten geheim hält. Man verlangt die ersatzlose Streichung der gesamten Handlung um und in Area 51, doch die Filmemacher weigern sich, worauf das Militär seine Unterstützung komplett zurückzieht.

Zumindest das amerikanische. Denn von anderer Stelle erhält man großzügige Hilfe. Devlin und Emmerich benötigen Bildmaterial, um zu recherchieren, wie ein Luftgeschwader mit einem überlegenen Gegner umgehen würde. Nachdem das US-Militär die Schotten dicht gemacht hat, fragt man bei der israelischen Luftwaffe an. Dort ist man deutlich offener. Man bereinigt etliche Filmaufnahmen von geheimem Material, und stellt es den beiden zur Verfügung – eine unschätzbare Hilfe bei der Planung und Inszenierung der Luftschlachten, die den Film auszeichnen.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Und damit vermutlich auch der einzig jüdisch geprägte Teil des Films, der es im Libanon ins Kino schafft. Dort wird für gewöhnlich jedes Material, das die jüdische Kultur zeigt oder sogar positiv darstellt, rigoros entfernt, so auch in INDEPENDENCE DAY, wo etliche jüdische Symbole herausgeschnitten werden, sowie eine Szene, in welcher jüdische Soldaten sich mit Israelis verbrüdern. Die Hisbollah ruft sogar zum Boykott des Films auf, da er „das sogenannte Genie“ der Juden propagieren würde. Jeff Goldblum kommentiert das sachlich: „Ich denke, die Hisbollah hat den Kern des Films nicht verstanden: Es geht nicht um amerikanische Juden, die die Welt retten; es geht um Teamwork zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und Nationalitäten, um einen gemeinsamen Feind zu besiegen.“

Wüsten, Modelle, Aliens


INDEPENDENCE DAY wird in nur 72 Tagen abgedreht – nahezu eine Rekordzeit für einen derartigen Blockbuster. Doch auch in die andere Richtung stellt er etliche Rekorde auf. Mit 3.000 Effektshots wird er seinerzeit der absolute Spitzenreiter. Hinzu kommt, dass er laut Michael Joyce, dem verantwortlichen Modellbauer, mehr als doppelt so viele Modelle benutzt wie jeder andere Film. Ein absoluter Weltrekord – den INDEPENDENCE DAY nach landläufiger Meinung auch auf sehr, sehr lange Zeit behalten wird, einfach, da heute die Digitaltechnik diese Aufgabe übernimmt.
1996 steckt die Digitaltechnik jedoch noch in den Kinderschuhen, und Emmerich bevorzugt Modelle, da hier das physische Gefühl von echter Zerstörung und echtem Feuer deutlich besser transportiert werden kann. (Seinerzeit sehen derartige Szenen aus dem Computer in der Regel noch über alle Maßen künstlich aus.)
Bald aber hat sich die Digitaltechnik so weit entwickelt, dass die Arbeit mit echten Modellen sich kaum noch rentiert, und immer weniger und höchstens unterstützend eingesetzt wird, was INDEPENDENCE DAY, vermutlich auf alle Zeit, zu dem Film mit dem höchsten Modell-Einsatz der Filmgeschichte macht.

Kompromissbereit zeigt sich Emmerich hingegen beim Design der Aliens. Designer Patrick Tatopolous entwirft einige Designs für die Aliens, doch am Ende gefallen Emmerich zwei davon so gut, dass er das Konzept des Films umgestaltet und sie beide verwendet, indem er eines davon als „biomechanischen“-Anzug der Aliens verwendet. Dabei werden die Modelle der „Exo-Skelette“, die zweieinhalb Meter hoch sind, extra so gestaltet, dass kein Mensch hineinpassen kann, damit nicht der Eindruck entsteht, man habe es sich hier mit einem „Mann-im-Kostüm“-Trick leichtgemacht, wie man ihn etwa von GODZILLA kennt.

Auch sonst setzt man vornehmlich auf manuelle Tricks. Der berühmte Eintritt der Raumschiffe in die Erdatmosphäre wird mithilfe eines Wassertanks realisiert, durch den man filmt, wie schmutziges Wasser eingeschossen wird. Die Feuerwalzen, die sich durch die Straßen schieben, werden mit um 90 Grad gekippten Straßenmodellen gedreht, an deren unterem Ende eine Feuerexplosion ausgelöst wird, die sich nach oben auf die Kamera zubewegt.
Das Weiße Haus (und die anderen Gebäude, die direkt explodieren) werden im Maßstab 1/12 nachgebaut und aufwendig in die Luft gesprengt, jedes Mal von einem Dutzend Kameras in verschiedenen Geschwindigkeiten gefilmt. Von einem der großen Raumschiffe wird ein neun Meter großes Modell zusammengesetzt.
Digital werden vor allem Elemente der Luftschlachten und Hintergründe sowie zusätzliche Tricks realisiert.

Das Set, an dem die Szenen im Weißen Haus gedreht werden, ist zu jener Zeit bereits gut besucht. So wird hier zum Beispiel bereits HALLO, MR. PRESIDENT gedreht (für den es ursprünglich gebaut wurde), sowie NIXON und überraschenderweise MARS ATTACKS!.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Schon bei seinem Kinostart Ende 1996 gilt MARS ATTACKS! vielen Zuschauern als gezielte Parodie auf den enormen Erfolg von INDEPENDENCE DAY. Dabei werden beide Filme parallel produziert, und wie erwähnt, wird MARS ATTACKS! – ausgerechnet von Warner Bros., die gerade die Titelrechte an INDEPENDENCE DAY abgetreten hatten – bereits vor INDEPENDENCE DAY fertiggestellt. Erst, als die gigantische Marketingmaschinerie des Emmerich-Boliden anläuft, beschließt man, den Start des Films vom Sommer in den Dezember zu legen. Und auch Tim Burton gibt zu: „Es war reiner Zufall. Niemand hatte mir etwas [von INDEPENDENCE DAY] erzählt. Ich war überrascht, wie ähnlich sie sich waren. INDEPENDENCE DAY hat einen anderen Stil – er war in allem anders. Unser Film sah beinahe aus, als hätten wir die „Mad Magazine“-Version von INDEPENDENCE DAY gedreht.“

Als problematisch erweisen sich auch die Dreharbeiten in den Bonneville Salt Flats in Utah, wo einige der Wüstenszenen gedreht werden. Die Bedingungen sind mörderisch – und übelriechend.
Während Will Smith das bewusstlose Alien hinter sich herschleift und herzhaft flucht, entfleucht ihm die ungeplante, heute legendäre Zeile: „Und was zur Hölle ist das für ein Gestank?“.
In dem großen Salzsee leben unzählige kleine Salzwasserkrebstiere, die nach ihrem Tod im Grund versinken und verwesen. Bei Windstößen können die verwesenden Tierchen an die Oberfläche des flachen Sees gespült werden, und mit ihnen der Gestank – für Smith offensichtlich eine überraschende Erfahrung.

Als unerwartet erweist sich auch der tückische Wüstengrund. Obwohl sich das Team mit langer Kleidung vor der Sonne schützt, und nur drei Szenen hier filmt, klagen anschließend alle Beteiligten über schwere Sonnenbrände an den Beinen. Es stellt sich heraus, dass die Sonne vom weißen Boden reflektiert wurde, und so in die Hosenbeine der Crew schien.

Komödien, Scherze und große Raumschiffe


Zu einem weiteren Eklat kommt es mit Schauspiellegende Robert Loggia, der eines Tages verrückt zu spielen scheint. Nachdem man den Altstar zunächst auf Händen getragen hat, und ihm sogar erlaubt, selbst zu entscheiden, welchem Militärzweig sein (im Script nicht näher eingeordneter) General angehören soll, weigert er sich eines Tages plötzlich voller Wut, seinen Trailer zu verlassen.

Emmerich wird ans Set gerufen und erhält schließlich Zugang zu Loggias Wohnwagen. Hier stellt sich raus, dass eine Verwechslung von Produzent Dean Devlin das ganze Drama ausgelöst hat. In einem Gespräch über Loggias Rolle legt Devlin dem Schauspieler nahe, sich als Inspiration den Film AIRPLANE! anzuschauen. Was Loggia nicht ahnt: Devlin meint den Katastrophenfilm AIRPORT von 1970. Loggia, der beide Filme nicht kennt, folgt aber Devlins Rat und leiht sich die Spoof-Komödie AIRPLANE! (deutscher Titel: DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN FLUGZEUG) von 1980. Nun glaubt er, er sei unwissentlich in eine alberne Komödie geraten, die sich über die Handlung lustig mache.

Keinerlei Missverständnisse gibt es hingegen bei Mary McDonnell, die seinerzeit gerade zwei Oscarnominierungen erhalten hat und Dank DER MIT DEM WOLF TANZT den Zenit ihrer Karriere erreicht hat. Sie sagt sofort zu, als ihr Manager ihr das Projekt mit den Worten „Es geht um 25 Kilometer große Raumschiffe“ vorstellt. Die Charaktermimin scheint eine heimliche Vorliebe für Science-Fiction-Stoffe zu haben, zumindest spielt sie später überaus erfolgreich eine Hauptrolle in der Neuauflage von BATTLESTAR GALACTICA.

Vivica A. Fox gelangt übrigens nur an ihre Rolle von Will Smith' Ehefrau, weil die ursprünglich dafür vorgesehene Jada Pinkett terminlich absagen muss. Erst wenig später treffen Pinkett und Smith sich an anderer Stelle – und heiraten schließlich.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Brent Spiner gilt, aufgrund seiner Paraderolle als Android DATA in RAUMSCHIFF ENTERPRISE – DAS NÄCHSTE JAHRHUNDERT, als überraschendes Gimmick im Film. Was niemand weiß: Sowohl das Aussehen als auch die Manierismen seiner Figur Dr. Okun sind nahezu 1:1 von Special Effects Supervisor Jeffrey A. Okun kopiert, der für Devlin und Emmerich die Effekte in STARGATE überwacht hat.

(Devlin und Emmerich sind berüchtigt dafür, in ihren Filmen Namen, Erfahrungen oder Begegnungen mit Kollegen zu verwenden. Alien-Designer Patrick Tatopoulus findet etwa in Emmerichs GODZILLA Verwendung, wo Matthew Brodericks Figur Nico Tatopoulos nach ihm benannt ist. Als Jasmine, die Freundin von Captain Hiller, in der Special Edition von INDEPENDENCE DAY, mit einem herzhaft sarkastischen „War schön, für dich zu arbeiten, Mario!“ ihren Job als Stripperin kündigt, ist das ein unverhohlener Seitenhieb auf Produzent Mario Kassar, der Emmerich und Devlin immer wieder in STARGATE reingeredet hatte, und die beiden zwang, den Film umzuschneiden.)

Dr. Okun erweist sich als so populär, dass Devlin schließlich sogar einen Rückzieher macht – obwohl die Figur im Film ursprünglich stirbt, gibt Devlin schließlich den Fanprotesten nach und erklärt Dr. Okun für „im Koma liegend“. Die Freude unter den Fans ist ebenfalls groß, als bekannt wird, dass Okun auch in der Fortsetzung wieder mit dabei sein wird.

Die Ankunft


Erste Testscreenings des Films laufen gut an. Dennoch entscheidet Devlin, wenigstens eine Szene komplett umzuschneiden. Ursprünglich wird die Figur Russell (gespielt von Randy Quaid) aufgrund seines Alkoholproblems nicht wieder für einen Kampfjet freigegeben, woraufhin er eine Rakete klaut, unter seine Propellermaschine schnallt, und damit in das Alienraumschiff fliegt, um es zu zerstören.
Die Szene kommt gut an, doch schließlich entscheidet Devlin, dass ein Propellerflugzeug in der Luftschlacht einfach unglaubwürdig sei. Es gibt umfassende Nachdrehs – allerdings wurde das Cockpit-Modell, in dem die Aufnahmen der Piloten gedreht wurden, mittlerweile für Michael Bays THE ROCK verwendet. Deshalb ist Russells Cockpit stets dunkler als das der anderen Piloten.

In Sachen Marketing betritt man mit INDEPENDENCE DAY erneut Neuland. Schon in STARGATE wagte man Ungewöhnliches – so richtet Dean Devlin seinerzeit die erste Webseite eines Kinofilms ein.
Für INDEPENDENCE DAY, dessen Potential das Studio schnell erkennt, wagt man etwas ganz neues: Gut 1,3 Millionen des auf 20 Millionen veranschlagten Werbebudgets opfert man, und bucht einen Werbespot während des Super-Bowls! Die Aktion ist dermaßen erfolgreich, dass es sich schnell als Standard etabliert. Heute gelten die Super-Bowl-Spots als Königsliga der Blockbusterwerbung.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Und noch eine Neuerung wagt der Film. Was damals kaum üblich ist, sind Trailer, die wenig über den Film aussagen, sondern eher eine Stimmung transportieren. Heute nennt man das Teaser-Trailer, 1996 gibt es dafür noch keinen richtigen Begriff.
INDEPENDENCE DAY weiß, was es tut: Man bewirbt den Film mit den Schauwerten, die den Film schließlich groß machen.
In Deutschland läuft in jener Zeit tatsächlich nur der „Teaser“-Trailer (In den USA startet kurz vor Filmstart noch ein etwas konventionellerer Trailer), und dennoch gelingt es ihm, den Hype zu entfachen.
Zumindest ich war, als der Film schließlich lief, und ich im Kino sah, tatsächlich kurz überrascht, dass tatsächlich Schauspieler mitspielen – mir hatten die Bilder des Teasers bereits ausreichend Lust gemacht. Wer wissen will, womit man damals noch Millionen Deutsche ins Kino locken konnte: Der Trailer zu INDEPENDENCE DAY!

Die Kunst, einen Film zu hypen ist nicht neu, und spätestens seit BATMAN oder JURASSIC PARK auch vollends in den Neunzigern angekommen. Dennoch erwartet kaum jemand, welche Macht das Versprechen auf irrwitzige Bilder und Effekte auf das Publikum ausübt. Der offizielle Starttermin in den USA wird auf den 3. Juli vorverlegt, doch die Begeisterung des Publikums ist so groß, dass viele Kinos ihn bereits am 2. Juli zeigen – und damit genau an dem Tag, an dem die Filmhandlung einsetzt. In seiner ersten Woche spielt der Film 104 Millionen Dollar ein. Der Film pulverisiert sämtliche Rekorde, die erst drei Jahre zuvor von JURASSIC PARK aufgestellt wurden.
Der Film wird der erfolgreichste des Jahres und am Ende der zweiterfolgreichste aller Zeiten – direkt hinter JURASSIC PARK. Auch wenn er seither von etlichen modernen Action-Blockbustern überholt wurde – allesamt Filme, die er selbst überhaupt erst möglich gemacht hat, ruht er aktuell immer noch auf Platz 51 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.

1996 liebt ihn das Publikum, auch wenn zeitgenössische Kritiken bereits relativ offen deklarieren, dass der Film vor allem mit seinen Effekten und seiner leichten Unterhaltung punktet, dass das Drehbuch jedoch etwas unterentwickelt sei.
Dennoch hat INDEPENDENCE DAY es heute ein wenig schwer, ernst genommen zu werden. Woran genau liegt das?

Die Ära des Neuananfangs


Manchmal ist die Filmgeschichte einfach unfair. Fragt man landläufig herum, welche Filme für den modernen Blockbuster, mittlerweile „Tentpoles“ genannt, verantwortlich seien, fallen stets dieselben, auswendig gelernten Titel: DER WEISSE HAI und STAR WARS.
Dabei verdankt das moderne Blockbusterkino seine Geburt vor allem einem Film: INDEPENDENCE DAY.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Zwei gewichtige Worte, wenn man von Kinofilmen spricht. Und obgleich der Begriff seit über 230 Jahren soziokulturell längst vergriffen und geprägt ist, hat er sich in der Filmgeschichte eine ganz eigene, alles überragende Bedeutung erarbeitet. Es gibt wohl nur wenige andere Filme, deren Titel allein so bedeutungsschwer und prägnant aufgenommen wird, ohne dass sich (bisher) je ein Franchise darum gebildet hat.

Und das ist kein Zufall – denn unser heutiges Kino, die Flut an Superheldenfilmen, an Transformern, an Meteoriteneinschlägen und Sturmfluten, all das wurzelt in den spektakulären Bildern und dem noch spektakuläreren Erfolg von INDEPENDENCE DAY!

Das Jahr 1996 stellt eine deutlich wahrnehmbare Zäsur, vor allem in der deutschen Kinolandschaft dar, in dem zwei Faktoren aufeinanderstoßen, die das „alte“ Kino aussterben lassen, und das „neue“ Kino erst ermöglichen.
Der erste Faktor ist, zumindest hierzulande, Hans-Joachim Flebbe. Flebbe ist Kinounternehmer, der seit 1973 die Branche immer wieder umgestaltet, 1977 sein erstes eigenes Kino eröffnete, und 1993 beginnt, etwas gänzlich neuartiges in Deutschland zu etablieren: Das Multiplex-Kino.

Vor Flebbes Multiplex-Angriff sieht das Kino in Deutschland, zumindest nach dem Zusammenbruch der Branche in den Siebzigern, deutlich anders aus: Oftmals aus ein, maximal drei Sälen bestehende „Schachtelkinos“, meistens als Teil einer Häuserzeile, ähneln sie eher einem Theater: Es gibt ein Foyer mit Kassen, einen kleinen Stand für Eis und Getränke, und einen Gang in den Saal, dessen Sitze oftmals eher an bequeme Wartehäuschen-Stühle erinnern. Das Kino ist ein Ort, an dem man Filme guckte, und dann eilig wieder nach Hause fährt.
Flebbe macht daraus Unterhaltungszentren – riesige Prachtbauten mit bis zu einem Dutzend Spielsälen, riesigen Leinwände, bequemen Lounge-Sessel, gigantischen Foyers mit Bildschirmen und Spielautomaten, mit Veranstaltungen und angegliederten Geschäften oder Restaurants. (Für eine Weile gibt es in den Kinofoyers tatsächlich beinahe standardmäßig immer ein Restaurant!) Das Kino wird zum Erlebnisaufenthalt, und einem Ort, an dem man den ganzen Tag verbringen kann.

Am 3. Oktober 1996 eröffnet Flebbe in Hamburg das Cinemaxx am Dammtor – das bis dahin größte Kino Deutschlands. Saal 1 (von acht) verfügt über die größte Leinwand und mit knapp 970 Sitzplätzen über die größte Kapazität Deutschlands. Prunkvoller ist Kino dieser Generation nie gewesen. Und es erhält sofort das perfekte Futter.

Denn am 19. September, also nur zwei Wochen zuvor, startet in Deutschland INDEPENDENCE DAY!
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Es hätte kein besseres Timing gefunden werden können. (Zumindest für die Hamburger – und die Städte, die bereits über ein Cinemaxx verfügen.) Hier treffen zwei Giganten des Showkonzepts aufeinander, die sich nicht besser hätten ergänzen können.
INDEPENDENCE DAY kommt auf keinem anderen Medium so gut zur Geltung, wie auf den Mega-Leinwänden der Multiplexe, gefüllt mit edelstem THX-Sound und brillianten Bildern. Und die Multiplexe können ihre Muskeln bei keinem Film derartig imposant spielen lassen, bei keinem Film ihre Mehrwerte so gut präsentieren, wie mit dem auf gigantische Raumschiffe und gigantische Zerstörung riesiger Städte getrimmten INDEPENDENCE DAY. Das ist Effekte-Super-Kino vor und auf der Leinwand.

Für mich, und Tausende andere Filmfreunde meiner Generation, wird INDEPENDENCE DAY der erste Film, den wir je auf der gottgleichen, noch fabrikneuen Leinwand eines Multiplex-Kinos gesehen haben. Und in den meisten Fällen mehrfach. Eine zutiefst prägende Erfahrung, die heute, wo Riesen-Kinos und glänzende Bilder der Zerstörung Standard geworden sind, kaum noch nachzuvollziehen ist, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Ja, es ist unleugbar: INDEPENDENCE DAY hat dem modernen Kino den Weg nicht nur geebnet, sondern ihn planiert und mehrspurig ausgebaut.

Die Ära des des Weltraums


Die Siebziger sind das große Jahrzehnt der Katastrophenfilme, in denen Streifen wie ERDBEBEN, METEOR oder FLAMMENDES INFERNO (dort mehr zu den Erfolgen des Genres) die Lust am Spektakel und der Weltenzerstörung entfachen. Doch die Effekttechnik setzt der Fantasie ihre Grenzen; Grenzen, die George Lucas mit STAR WARS zu erweitern sucht. Die Achtziger führen die Effekttechnik in einer unüberschaubaren Flut von „Fantasy-Filmen“ aller Coleur an den Rand des Machbaren, bevor 1993 der Thriller JURASSIC PARK das Machbare mithilfe der Digitaltechnik ins Unendliche erweitert.
Schon James Cameron nutzt die noch junge Technik, um in TERMINATOR 2 die urbane Zerstörung auf die Spitze zu treiben, wenngleich seine Sequenz einer atomaren Zerstörung von L.A. noch gänzlich ohne digitale Tricktechnik auskommt.

Doch im Hintergrund lauert jemand ganz anderes, der sein Leben lang nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben scheint, um endlich den Sinn seines Daseins erfüllen zu können, um seine Träume von Zerstörung und Untergang so auf die Leinwand zu zaubern, wie es ihm immer vorschwebt. Der einzig wahre „Master of Desaster“, der Schöpfer des neuen, cineastischen Untergangsmythos: Das „Spielbergle“ Roland Emmerich.

Emmerich wird am 10. November 1955 in Stuttgart geboren. Was heute kaum noch zu glauben ist: Emmerich will nie Katastrophenfilme drehen, und interessiert sich auch gar nicht für die Katastrophenfilme der Siebziger. Emmerichs Interessen liegen bei etwas ganz anderem: Der Ankunft von Aliens.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Emmerich ist bekennender Fan von Erich von Däniken, jenem Schweizer Autor, der mit seinen Büchern in den der Sechzigern und Siebzigern die sogenannte „Prä-Astronautik“ populär macht, also jene Pseudo-Wissenschaft, die historische kulturelle Merkmale so deutet deutet, dass die Menschen schon in der Vergangenheit wiederholt von Aliens aufgesucht und angeleitet wurden.

Kurz: Emmerich ist Ufo-, Sci-Fi und Alien-Fan, für ihn liegt die Faszination im Leben im Weltraum, sei es nun das menschliche Leben, oder das von Außerirdischen.
1977 beginnt Emmerich sein Filmstudium als Set-Designer – doch nachdem er STAR WARS im Kino sieht, entscheidet er sich stattdessen für den Regiestuhl.

Und Emmerich beweist von Anfang an, dass er keinerlei Interesse daran hat, ein typisch deutscher Regisseur zu sein. Während Zeitgenossen wie Wolfgang Petersen, Werner Herzog oder Volker Schlöndorff, sich dem Diktat des Autorenfilms ergeben, und schwere deutsche Stoffe realisieren, sucht Emmerich sich für seinen Abschlussfilm DAS ARCHE NOAH PRINZIP statt der 20.000 D-Mark, die die Filme üblicherweise kosten, eine Million zusammen und dreht einen effektvollen Science-Fiction Streifen.
Und Emmerich bleibt sich treu, spekuliert von Anfang an auf ein Nischengenre, was er dadurch zu kompensieren versucht, dass er seine Filme international verwertbar macht. Seine drei Folgefilme JOEY, HOLLYWOOD MONSTERS und MOON 44 produziert er zwar in Deutschland, jedoch auf englisch und mit amerikanischen Schauspielern. Obwohl man allen Filmen ihr überschaubares Budget ansieht, werden sie erfolgreich und öffnen Emmerich, wenig verwunderlich, Tür und Tor in Hollywood.

1992 gibt er dort sein Debüt. Und was für eins. Mit Dolph Lundgren und Jean-Claude van Damme vereint er zwei der damaligen Topstars des Actionkinos, und hetzt sie im ultrabrutalen UNIVERSAL SOLDIER aufeinander. Emmerich erweist sich damit endgültig als König der Nerds (auch wenn man es damals noch nicht so nennt) und gilt als besonders heißes Eisen in Hollywood.
Sein Erfolg ermöglicht ihm jede Menge Freiheiten, und endlich kann er sich dem Thema widmen, das ihn schon so lange fasziniert: Der Prä-Astronautik.

1994 realisiert er gleich zwei Filme dieser Art. Einmal wirkt er als Produzent an dem herrlich schrägen Klamauk HIGH CRUSADE mit, bei der einer Handvoll mittelalterlicher Figuren ein Raumschiff in die Hände fällt. Doch statt damit Jerusalem zu erobern, landet man auf einem fremden Planeten – aber dort lässt es sich ja ebenfalls hervorragend kämpfen.
Der Film wird das Debüt des heutigen Fernsehregisseurs Klaus Knösel und ist ein spaßiger Geheimtipp.

Und natürlich widmet Emmerich sich auch als Regisseur dem Thema, und wuchtet mit STARGATE eines seiner Meisterwerke in die Kinos. Emmerichs Vision, in der er der gesamten ägyptischen Mythologie einen außerirdischen Ursprung andichtet, muss Erich von Däniken Freudentränen in die Augen getrieben haben.
In jedem Fall wird der Film einer der erfolgreichsten des Jahres, ein bis heute äußerst sehenswerter Klassiker, und der Startschuss für eines der erfolgreichsten Franchises der Welt – gleich drei Fernsehserien mit insgesamt 17(!) Staffeln plus einige angelagerte Fernsehfilme spinnen die Geschichte des Films fort. Und natürlich arbeitet Emmerich inzwischen an einem Reboot!
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Zeitgleich trifft Emmerich auf seinen wichtigsten Weggefährten: Dean Devlin, einer der Nebendarsteller in MOON 44.
Devlin entpuppt sich als Emmerichs Bruder im Geiste, und sofort erkennen die beiden, wie gut sie zusammenarbeiten können. Devlins Mutter spielt in zwei Episoden von RAUMSCHIFF ENTERPRISE mit, und er ist seit seiner Kindheit großer Science-Fiction Fan. Gemeinsam erarbeiten beide die Idee zu STARGATE und verfassen das Drehbuch.

Die Ära des Untergangs


Der Erfolg von STARGATE macht aus Emmerich und Devlin auf einen Schlag zwei der Top-Leute in Hollywood (auch wenn Devlin als Autor und Regisseur eher im Hintergrund bleibt).

In der Konzeptionsphase zu INDEPENDENCE DAY fragen Emmerich und Devlin sich, wie sie ihre Aliens gestalten wollen, welche Persönlichkeit sie ihnen verpassen wollen, und entscheiden schließlich: Gar keine.
Sie wollen die Aliens als mysteriöse Rasse etablieren, die wie eine Naturkatastrophe über die Welt herfällt.
Erst jetzt, und aus diesem Grunde, sichten Emmerich und Devlin die großen Katastrophenfilme der Siebziger, und entdecken, welche Möglichkeiten sich ihnen auftun: „Das brachte uns dazu, einige Katastrophenfilme zu schauen, und plötzlich erkannten wir, dass man in Katastrophenfilmen gegen den Strich erzählen, und Dinge tun kann, die in keinem anderen Genre möglich sind, etwa eine Figur nach einer Stunde einführen. In FLAMMENDES INFERNO taucht Steve McQueen nach einer Stunde auf, und er ist eine der beiden Hauptfiguren. Außerdem hielt das Genre eine Unvorhersehbarkeit bereit, die mir gefiel. Und dann gab es da noch etwas, das ich immer mochte: ein Cast aus vielen Figuren, in dem aus normalen Menschen Helden werden.“

Und so stricken Emmerich und Devlin aus ihrer Alien-Invasion einen Katastrophenfilm. Und was für einen!
Fünf Jahre, bevor der 11. September die Lust an der urbanen Zerstörung endgültig zum Nonplusultra der cineastischen Traumabewältigung erhebt, hievt Emmerich die spröde Schönheit berstenden Betons auf die Leinwand und in die Köpfe der Zuschauer.
Nie zuvor hat ein Film den Mumm – oder die technischen Mittel –, ganze Städte zu zerstören, Millionen und Abermillionen Menschen sterben zu lassen (aber einen Hund in letzter Sekunde in Zeitlupe vor dem sicheren Feuertod zu retten). Selbst die gewaltigsten Katastrophenfilme der Siebziger lassen maximal einen Teil einer Stadt hopsgehen, etwa in ERDBEBEN.

Emmerich und Devlin erweitern die Katastrophe aus dem Stand auf die globale Ebene (auch wenn naturgemäß nur die amerikanische Perspektive gezeigt wird), und lassen die Aliens zeitgleich jede große Metropole der Erde vernichten. Nur wenige Filme leisten sich zuvor so viel Chuzpe, darunter die Romanverfilmung WHEN WORLDS COLLIDE (Deutscher Titel: DER JÜNGSTE TAG) von 1951, und EIN RIß IN DER WELT von 1965, in dem jedoch trotz der Tatsache, dass am Ende ein großer Teil des Planeten einen zweiten Mond bildet, keine nennenswerten zivilen Opfer entstehen.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Und INDEPENDENCE DAY startet einen Hype, der bis heute anhält.
Zunächst läutet er eine begeisterte Wiedergeburt des Katastrophenfilms ein – diesmal jedoch gelten dort vor allem Schauwerte und eine möglichst globale Bedrohung.

Es ist kein Zufall, dass 1996, zwei Jahre nach INDEPENDENCE DAY, die Streifen ARMAGEDDON und DEEP IMPACT beinahe zeitgleich ins Kino kommen. INDEPENDENCE DAY hat die Lust an der globalen Zerstörung geweckt, an Bildern versinkender und zusammenstürzender Großstädte. Das lässt sich am einfachsten durch eine massive Gefahr aus dem All umsetzen, und nachdem INDEPENDENCE DAY die Alieninvasion so entzückend inszeniert hatte, blieb den Studios vor allem eine Möglichkeit: Asteroiden!
Ein weiteres Jahr später starten mit DANTE'S PEAK und VOLCANO ebenfalls beinahe zeitgleich zwei weitere Katastrophenfilme, diesmal mit Vulkanen. Mit DAYLIGHT, TWISTER, WATERWORLD, FIRESTORM oder OPERATION PEACEMAKER kommen allein zwischen 1994 und 1997 etliche weitere hochdotierte Katastrophenfilme und -thriller in die Kinos. Die Flut an TV-Filmen, die vor allem das amerikanische Fernsehen bis heute überschwemmen, ist unüberschaubar. Beinahe wöchentlich wüten sich Tornados, Stürme, Erdbeben, Asteroiden, Nuklearkatastrophen, Eiszeiten, Feuerwalzen, Hitzewellen, Stromausfälle, Flutwellen, Viren, Lawinen, die Apokalypse, Flug-, Schiffs oder Bahnkatastrophen und wer weiß was sonst noch durch Amerikas Wohnzimmer. Und natürlich Aliens. Immer wieder Aliens.

Vor allem aber eine Zäsur führt Emmerich mit INDEPENDENCE DAY ein: Er verlegt die Katastrophe aus der Provinz in die Metropolen. Konzentrierten die früheren Filme ihr Leid und ihr Elend meist auf kleine Dörfer, oder wie in ERDBEBEN zumindest in Randgebiete – zum einen aus Kostengründen, aber auch, um moralisch sauber zu bleiben, und den „Bodycount“ niedrig zu halten –, macht Emmerich in INDEPENDENCE DAY auf einen Schlag gleich drei amerikanische Metropolen platt: New York, Washington, D.C. und Los Angeles. Von den Städten, die offscreen dran glauben müssen, ganz zu schweigen.
Damit bricht er ein stilles Tabu – was die Zuschauer begeistert. Und fortan zum Standard wird.
Seither bricht jede große Katastrophe in den Betonjungel ein, am liebsten in New York. ARMAGEDDON, DEEP IMPACT, VOLCANO, PACIFIC RIM, die TRANSFORMERS-Filme (zumindest ab Teil 3), BATTLE: LOS ANGELES, SAN ANDREAS, Die MARVEL-Filme, MAN OF STEEL, KNOW1NG, CLOVERFIELD, I AM LEGEND – Bilder, in denen Tod und Verwüstung große Städte heimsuchen, von zerberstenden und einstürzenden Türmen aus Glas und Beton, sind heute aus dem Kino nicht mehr wegzudenken, ja sogar ein entscheidender Bestandteil der Kinoblockbuster. Und begonnen hat alles am 4. Juli 1996.

Und natürlich mischt auch Roland Emmerich fröhlich mit. Dabei hat er das so gar nicht geplant. Doch am Ende lässt Hollywood ihm keine Wahl: „Wenn du als Regisseur große Filme in Hollywood machst, hast du nicht viele Möglichkeiten. Du kannst ein berühmtes Buch verfilmen, und davon gibt es nicht so viele. Du kannst ein opulentes Science-Fiction Spektakel drehen. Du kannst einen Superhelden-Film drehen, in letzter Zeit vor allem das. Oder du kannst seit neuestem einen Film über Geheimagenten drehen.
Ich habe Superhelden-Filme nie gemocht. Ich habe ein bisschen Probleme mit Fantasy. Außerdem wollte ich meine eigenen Geschichten erzählen, also sind berühmte Bücher keine Option. Und dann gibt es noch Katastrophenfilme. Der erfolgreichste Film aller Zeiten ist TITANIC, und jeder vergisst, dass das ein Katastrophenfilm ist.“

Und so bleibt Emmerich dem Genre treu. Mit GODZILLA, THE DAY AFTER TOMORROW und schließlich 2012 realisiert er drei der besseren Katastrophenfilme im Fahrwasser von INDEPENDENCE DAY, und er steigert sich dabei kontinuierlich. Mit 2012 dreht er darüber hinaus quasi die Mutter und Quintessenz aller Katastrophenfilme: Flutwellen, Erdbeben, Supervulkane – nichts bleibt der Erde erspart, was sogar Emmerich zu dem Schluss kommen lässt: Das war's. Es gäbe nichts mehr, das er noch zerstören könne, und so will er sich aus dem Katastrophengeschäft zurückziehen.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Und doch hält er das nicht lange durch. Obwohl er mit ANONYMOUS und STONEWALL inzwischen zwei beachtliche, und sehr untypische kleine Dramen inszeniert hat, verfällt er dem aktuellen Retro-Trend und kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Im Juli 2016, zwanzig Jahre nach seinem Megaerfolg, bringt er eine Fortsetzung von INDEPENDENCE DAY in die Kinos – und noch immer zelebriert er die Luft an der Zerstörung.

Die Ära der Fragen


Spannend ist dabei, und das mag viele jetzt überraschen, dass Emmerich sich bei seinen Filmen auch um die Figuren Gedanken macht – und um die Aussage der Geschichte. So trennt er Katastrophenfilme etwa in solche, in denen die (vermeidbare) Katastrophen von Menschen gemacht sind (wie in THE DAY AFTER TOMORROW) und solchen, in denen die Menschen der Gewalt macht- und schuldlos gegenüberstehen, was ihn reizt: „Bei einer vermeidbaren Katastrophe denkt man sich als Regisseur: „Die Regierung sollte etwas tun!“, oder „Die Leute sollten etwas tun!“ Und man hofft, dass die Leute sich vielleicht dazu bewegen lassen, etwas zu ändern. Bei 2012 ging es um ein unvermeidbares Desaster, aber es gibt darin zwei Sorten von Menschen: Die, die wissen was kommt und heimlich Vorkehrungen treffen, aber den anderen nichts davon erzählen, und der Film fragt: „Ist das moralisch vertretbar?“. Und dann gibt es die Menschen, die nichts wissen, die es einfach zufällig erfahren, und der Film erzählt davon, was diese Leute tun können. Auf seine Art handelt der Film also von einer viel größeren Frage, und fragt danach, ob die menschliche Rasse es wert ist, gerettet zu werden, und wenn ja, zu welchem Preis.“

Auch in INDEPENDENCE DAY nähert er sich diesem Thema: Er bemüht sich, den Mensch in verschiedenen Facetten zu zeichnen, verschiedene Familien- und Lebenskonstrukte vorzustellen, bevor er die Katastrophe über sie alle hereinbrechen lässt, und fragt sich am Ende: Ist die Menschheit es wert, gerettet zu werden? Und wenn ja, wofür?
Emmerich ist Humanist und Religionsgegner, ein Mensch mit der festen Überzeugung, der Mensch müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, und in INDEPENDENCE DAY vereint er die Menschen gegen einen gemeinsamen Gegner, statt immer nur gegeneinander. Er erweitert den amerikanischen „Unabhängigkeitstag“ auf die ganze Erde. Trotz der Zerstörungswut ist INDEPENDENCE DAY also ein durchaus optimistischer und humanistischer Film, an dessen Ende die Welt besser und vereinter dasteht als zu Beginn.

Doch das vergisst man schnell, denn wer heute an INDEPENDENCE DAY denkt, der denkt als erstes an Bilder der Zerstörung, an Emmerichs typische Bilder von Heldentum, amerikanischem Patriotismus, an etwas ungelenke, da etwas simpel gestrickte Charaktere – und verpasst dem Film damit einen schlechteren Ruf, als er im Grunde verdient hat.
Quelle: Blu Ray „Independence Day, © Twentieth Century Fox
Woher also die Ambivalenz, die INDEPENDENCE DAY heute hervorruft?
Womöglich ist es das Alter. 1996 setzt INDEPENDENCE DAY Standards, die heute nicht nur noch gültig sind, sondern perfektioniert wurden. Als Vater des modernen Zerstörungskinos hat der Film es daher natürlich schwer, mit seinen modernen Vertretern Schritt zu halten.
Richtig ist auch, dass Emmerich (und Devlin) nicht Gottes Geschenk an die Drehbuchkunst sind. Ihnen fehlt das letzte Bisschen Finesse, die Charaktere so zu gestalten, dass ihre offensichtliche Funktion in den Hintergrund tritt. Damit wirken die Geschichten und Figuren schnell „platt“ und „simpel“, selbst wenn sich dahinter ehrwürdige Aussagen verbergen – niemand mag es, wenn man ihm eine Aussage ins Gesicht knallt. (Außer, der Regisseur heißt Spielberg!)

Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass Emmerich an unsere niederen Instinkte appelliert. Der Mann, der einmal gesagt haben soll: „Wenn man ins Kino geht, muss die Leinwand beben, sonst kann man sich die Mühe sparen!“ versteht es wie kein Zweiter, uns mit kunterbunten Bildern von Zerstörung und Irrsinn zu entzücken. Und er schert sich nicht darum, ob die Erklärung für diese Bilder sinnvoll oder für uns Zuschauer realistisch sind, solange sie plausibel sind. Auch deshalb passt er so gut nach Hollywood.

Vielleicht weckt er also in uns allen die Ambivalenz, dass wir uns an seinen Bildern erfreuen, obwohl wir die Hintergründe so fragwürdig finden. Vielleicht erwecken Emmerichs Zerstörungsorgien in uns das Gefühl, uns an etwas zu erfreuen, dass wir für wenig intelligent halten – und weckt damit Zweifel an unserer eigenen Intelligenz. Sicher ist: Emmerichs Filme machen Spaß, nehmen sich nie ernster als nötig, und bescheren uns oft genug Aussichten, die man sich nicht hätte erträumen lassen. In keinem Film gelingt ihm das so gut wie in INDEPENDENCE DAY. Und vielleicht tun wir uns deshalb oft so schwer, den Film zu mögen, ohne uns selbst deswegen für niederer zu halten als wir sind.

We will not go quietly into the night!
We will not vanish without a fight!
We're going to live on!
We're going to survive!
Today we celebrate our Independence Day!

4 Kommentare:

  1. Tatsächlich ist Independence Day einer derjenigen Filme, an dessen Kinoerlebnis ich mich auch 20 Jahre später noch erinnere. Und zwar genau an die Szene, als mitten im Film plötzlich Brent Spiner als verrückter Wissenschaftler in Area 51 auftaucht.
    An diesen Moment, in dem das ganze Kinopublikum realisiert, dass das tatsächlich Lt. Cmdr. Data ist, der neben TNG sonst keinerlei weitere Kinorollen spielt, und den Du sonst nur unter seiner silbernen Schminke kennst.

    In dieser Liga des auch-nach-Jahrzehnten-noch-dran-erinnerns spielen bei mir sonst nur noch wenige Filme. Matrix zum Beispiel. Und Trainspotting. Oder Starship Troopers.

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    1. Ja, solche Erlebnisse gab es damals noch häufiger, dank des fehlenden Internets, das einem solche Infos heute ja schon Monate vorher um die Ohren haut. Damals konnten einen Filme noch nachhaltig überraschen. Du zählst einige echte Kracher des denkwürdigen Neunziger-Kinos auf.

      Einen der stärksten Eindrücke hinterließ bei mir wohl FROM DUSK TILL DAWN, den ich damals in der Sneak sah, ohne jemals ein Wort darüber gelesen oder gehört zu haben ...

      Schön war's ... :)

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    2. Boah ich hab wirklich überlegt, FDTD in die Liste oben reinzuschreiben! Weil ich noch weiss, wie ich den im Zeise in Altona geschaut hab. Aber die Sache mit den Vampiren wusste ich "grundsätzlich" schon vorher. War durch Mundpropaganda geleakt damals, ganz ohne Internet.

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  2. Du wurdest bestimmt von einem Sneaker gespoilert! ;)

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