29.12.17

Porträt: Brad Pitt – Teil 2: Der Produzent und Weltenretter

Im ersten Teil unseres Porträts haben wir Brad Pitts erste Schritte als Schauspieler und seinen rasanten und emanzipierten Weg an die Spitze von Hollywoods Nahrungskette verfolgt. Wir haben das Phänomen Pitt zu ergründen und zu ertasten versucht. Wir haben seine Kultfilme wie auch seine mittelmäßigen Streifen beleuchtet und festgestellt, dass in den 90ern selbst die weniger gelungenen Filme die Massen ins Kino zogen, wenn Pitt mitspielt.
Doch damit allein will Brad Pitt sich nicht abfinden – er will nicht von Castingagenten und Produzenten abhängig sein. Er will selbst Stoffe finden und entwickeln. Und mit dem Alter erwacht auch sein soziales Gewissen – denn wer Einfluss in Hollywood hat, kann diesen auch darüber hinaus geltend machen. Und derselbe Erfolg, der Pitt schon zum Kassenmagneten gemacht hat, lässt ihn auch zu einem der erfolgreichsten Spieler hinter den Kulissen Hollywoods und zum „Oscarflüsterer“ aufsteigen.
Quelle: Blu Ray „Die Kunst zu gewinnen - Moneyball“ © Sony Pictures Home Entertainment
Biancas Blick:

Zu Beginn der 2000er ist Brad Pitt noch immer der Topstar an den Kinokassen. Zu seinem Leidwesen wird er 2000, zum zweiten Mal nach 1995, zum „Sexiest Man Alive“ gewählt. Ein Titel, mit dem sich kaum ein Gekürter gern schmückt, reduziert er denjenigen doch nur wieder aufs Äußere. 
Privat scheint Pitt mit seiner Schauspielkollegin Jennifer Aniston, mit der er 1998 eine Beziehung eingeht und die er 2000 heiratet, seine perfekte bessere Hälfte gefunden zu haben. (Sein bis dato einziger Fernsehauftritt seit seinem Aufstieg in Hollywoods A-Liga in Anistons Megaerfolgsserie FRIENDS ist legendär, kokettiert er darin doch wunderbar mit seinem Dasein als „Sexsymbol“.)

Obwohl das Publikum nach dieser Kostprobe wünscht, das Paar endlich gemeinsam auf der großen Leinwand zu sehen, wiegeln beide Stars schnell ab. Da Aniston im Kino quasi exklusiv „Romantic Comedys“ dreht, Brad Pitt aber genau dieses Genre meidet, erteilen sie einer solchen Gemeinschaft schnell eine Absage.
Dafür kommt eine andere zustande: 2002 gründen Pitt und Aniston gemeinsam mit dem renommierten Produzenten Brad Grey (DIE SOPRANOS) ihre gemeinsame Produktionsfirma Plan B, die bis heute zu den einflussreichsten Independent-Produktionsfirmen der Welt aufsteigt.


Ich will Einfluss!


Dabei ist der Start mehr als holperig. Seine ersten Schritte als Produzent macht Pitt, als seine neugegründete Firma sich an dem desaströsen TROJA beteiligt. Zwei Jahre später aber beginnt auch hier sein goldenes Händchen zu wirken. Mit THE DEPARTED, Martin Scorseses Neuverfilmung des Asia-Hits INFERNAL AFFAIRS, produzieren Pitt und Plan B einen Streifen, der heute als Klassiker gilt. Matt Damon, Leonardo DiCaprio, Martin Sheen und Mark Wahlberg brillieren in diesem Psychothriller, dem kein Geringerer als Jack Nicholson seinen ultimativ diabolischen Stempel aufdrückt. Der Film avanciert zu einem Erfolg für Plan B und erhält 2007 vier Oscars. Darunter beschert er Scorsese endlich seinen lange überfälligen Oscar als Bester Regisseur und Plan B darf zum ersten Mal den Oscar für den Besten Film entgegennehmen. Das wird in den nächsten Jahren noch häufiger vorkommen. 

Ein Jahr später tritt mit Angelina Jolie die Frau in Pitts Leben, die sein politisches Bewusstsein schärfen und beeinflussen wird. Damit verändert sich auch die Art von Filmen, die Plan B fortan produziert.


Ich will die Welt verbessern!


2005 übernimmt Brad Pitt die Hauptrolle in seinem ersten reinen Actionfilm. (Sieht man von seinen Hüpfeinlagen in TROJA einmal ab) MR. & MRS. SMITH ist eine spritzige, durchaus gelungene und gut choreographierte Actionkomödie um ein verheiratetes Ehepaar. Beide Partner wissen nicht, dass der jeweils andere als Geheimagent tätig ist. Die Wahrheit kommt ans Licht, als beide zeitgleich den Auftrag erhalten, den Ehepartner zu liquidieren.
Quelle: Blu Ray „Mr. & Mrs. Smith“ © STUDIOCANAL
Nein, der Film ist kein Highlight des Genres, aber unterhaltsam, kurzweilig und ausgesprochen lustig. Pitt zeigt ein Mal mehr sein komödiantisches Talent. An seiner Seite spielt Angelina Jolie, die, genau wie Pitt, in dem Ruf steht, ihren Filmpartnern näher zu kommen als üblich. Es kommt, wie es kommen muss: Pitt und Jolie beginnen eine Affäre, aus der eine Beziehung, und schließlich die wohl heißeste und interessanteste Hollywoodehe ihrer Zeit resultiert.
Doch zunächst müssen Pitt und Jolie ihre Westen wieder reinwaschen, denn die neue Liebelei wirft einen düsteren Schatten auf das blütenreine Image der Ehe Aniston-Pitt. Als Pitt seine Frau für eine andere verlässt, explodieren die Gazetten: Jolie wird als Ehebrecherin verschrien, Pitt hingegen als treuloser Mistkerl. Die Presse lässt sich ausgiebig über das Scheitern von Pitts Ehe aus, wozu er schließlich erklärt: “Was ich nicht verstehe ist, wie man die Sache als Scheitern betrachten kann. Man spricht darüber, als wäre irgendetwas gescheitert, vermutlich, weil es nicht makellos war. Ich hingegen liebe die Unordentlichkeit des Lebens. Ehrlich gestanden finde ich gerade das wunderschön.”

Angelina Jolie (der wir bereits vor zwei Jahren ein ausführliche Porträt gewidmet haben.) gilt als eine kompromisslose, tabubrechende, aber auch sehr einflussreiche Künstlerin in Hollywood, die ihren Ruf einsetzt, um auf das Elend in der Welt aufmerksam zu machen. Zwei Kinder hat sie zu diesem Zeitpunkt bereits adoptiert. Sie weckt in Brad Pitt Seiten, die dieser nie zuvor an den Tag gelegt hat: Den Wunsch, humanitär tätig zu werden, ein politisches Gewissen zu entwickeln und eine Familie zu gründen. Das Paar tingelt mit bald sechs Kindern (3 adoptierte und 3 eigene) durch die Welt, entwirft humanitäre Pläne, entwickelt filmische Ideen und erzieht seine Kinder.
„Eines der großartigsten und klügsten Dinge die ich je getan habe war, meinen Kindern Angie zur Mutter zu geben. Sie ist so eine fantastische Mutter. O Mann, ich bin so glücklich, sie zu haben.
Es hat mich überrascht, wie automatisch das abläuft, wie instinktiv. Und jetzt habe ich viel Vertrauen und Sicherheit in diese Instinkte. Ich meine, ein einziges Geräusch in der Nacht, und schon bist du wach und hoch, weil sie dich brauchen könnten. Oder wenn sie einen Wutanfall bekommen, um sich davon abzulenken, dass sie überhaupt nicht mehr wissen was um sie herum geschieht, weil es ihnen etwas gibt, worauf sie sich konzentrieren können. Das nimmt dann kein Ende. Ich sage ihnen dann: 'Ihr könnt Chaos machen, aber hinterher müsst ihr es wieder aufräumen.'”
Quelle: Blu Ray „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ © Warner Home Video
Trotz der so beschriebenen Leichtigkeit gelangt die Kindererziehung immer wieder in die Schlagzeilen, da Jolies Erziehungsstil eher unkonventionell verläuft. Pitt selbst sieht sich „angekommen“ in seiner neuen Aufgabe und entdeckt auch aufgrund seines Vaterseins eine große Verantwortung in dem, was seine Filme letztendlich aussagen: „Es verändert wirklich meine Sicht auf die Welt. Wisst ihr, ich hatte meine Zeit. Ich habe ein paar Filme gemacht, und hatte wirklich viel Glück im Leben, und es ist an der Zeit, dass ich ein bisschen davon teile. Kinder zu haben sorgt dafür, dass man sich nicht mehr länger selbst in den Mittelpunkt stellt, wofür ich wirklich dankbar bin. Ich bin es so leid, an mich selbst zu denken. Ich bin mich selbst leid. Man entwickelt den Wunsch, alles mitzuerleben und nichts zu verpassen. Das ist wahre Freude und eine sehr tiefgehende Form von Liebe. Du kannst ein Buch schreiben, einen Film machen, du kannst ein Gemälde malen, aber Kinder zu haben ist die außergewöhnlichste Sache, die ich je getan habe.
Heutzutage denke ich eher: 'O mein Gott, was hab ich getan? Was werden sie aus meiner Vergangenheit zu sehen kriegen?' Das bestimmt eindeutig das, was ich mir in Zukunft aussuchen werde. Ich werde versuchen, ein wenig erwachsenere Entscheidungen zu treffen.”

Einige Jahre später, im – für viele überraschenden – Scheidungskrieg 2015, wird Brad Pitt rückblickend erklären, dass neben all den familiären Aufgaben und seiner Frau samt ihrer Lebensdoktrien kaum noch Raum für ihn als Individuum blieb.

Dennoch befruchten sich die beiden Künstler gegenseitig und zeigen zum Teil mutige Entscheidungen, die immer mehr zum Politikum werden und in den Karrieren der beiden Ausrufezeichen setzen. Es bleibt aber anzumerken: Angelina Jolie geht in ihren Entscheidungen wesentlich kontroverser vor als Brad Pitt.


Alles – nur nicht eintönig


2006 übernimmt Pitt eine der Hauptrollen in Alejandro G. Iñárritus BABEL, in einem seiner ersten Filme mit "tieferer" Aussage. Iñárritu gelangt durch seine Indie-Meisterwerke AMORES PERROS und 21 GRAMM zu Ruhm. BABEL ist ein weltumspannendes Drama mit etlichen Erzählsträngen, die am Ende alle zusammenlaufen. Das Werk ist ein emotionaler wie auch politischer Film und besticht durch sein Drehbuch und die Schauspielführung. An Pitts Seite spielt Cate Blanchett als seine Ehefrau, die durch einen versehentlichen Querschläger schwer verwundet wird. Ein düsteres, aber zu Recht hochgelobtes Werk. Der Film wird kein finanzieller Erfolg, zeichnet sich aber als eines der intensivsten Werke in Pitts Karriere aus. Die Darstellerriege ist insgesamt famos und der Film unbedingt sehenswert. Iñárritu selbst erklimmt mit den Werken BIUTIFUL, BIRDMAN und THE REVENANT in den Jahren darauf weitere Meilensteine des Indie-Arthaus-Kinos vor und heimst zwei aufeinanderfolgende Oscars ein.
Quelle: Blu Ray „Babel“ © Universum Film GmbH
Ein Jahr später übernimmt Pitt die Hauptrolle und die Produktion des Western-Dramas DIE ERMORDUNG DES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD. Ähnlich ungelenk wie der Titel kommt auch der Film daher. Elegisch und ruhig fordert er dem Zuschauer einiges ab. Pitt spielt Jesse James melancholisch und passiv, ahnend, dass der Tod ihn bald ereilen wird. Doch ein jüngerer Schauspieler stiehlt Pitt hier die Show: Casey Affleck als Robert Ford heimst zu Recht seine erste Oscarnominierung als Bester Nebendarsteller ein. Beide Schauspieler liefern vielschichtige und interessante Charakterstudien ab.
Neun Jahre später erhält Casey Affleck – umweht von Vorwürfen der sexuellen Belästigung – den Oscar für sein berührendes Spiel in MANCHESTER BY THE SEA.

Pitt spielt, worauf er Lust hat. Doch etwas hat sich geändert: Pitts Filmauswahl war noch nie massenkompatibel. Was seine Filme massentauglich gemacht hat, war oft erst sein Mitwirken gewesen. Doch das ändert sich allmählich. Pitts Status als Kassenmagnet und Zugpferd lässt immer mehr nach. Zum einen verliert er, mittlerweile über 40, sein Image als Sexsymbol, das ihn jahrelang geprägt hat. Vor allem aber verändert sich das Kino: Die Zeit der großen Leinwandepen und Thriller mit durchschnittlichen Budgets ist vorbei.
„Großes“ Kino manifwestiert sich mehr und mehr in gigantischen, kantenlosen Blockbuster-Effektgewittern, mit denen man die Massen ins Kino locken will. „Kino“, das bedeutet mehr und mehr Budgets um 300 Millionen Dollar und angepeilte Einspielergebnisse von 1 Millarde. Doch sind das nicht die Filme, die Brad Pitt spielen will. Das neue Kino verändert die Sehgewohnheiten der Zuschauer radikal, vor allem aber verlieren die immer austauschbareren, immer schneller fortgesetzten, einander immer stärker übertrumpfenden Franchise-Giganten ihre Nachhaltigkeit. Hier werden keine Stars mehr gemacht, und die Stars, die eingesetzt werden, geraten – wie ihre Schauspielkünste – zur Nebensache, zum Pausenfüller zwischen Gags und Effektschlachten. Pitt findet noch immer seine Nischen. Und seine Filme stets ihr Publikum. Doch die Art des Kinos, die Pitt groß gemacht hat, existiert nicht mehr, und die goldene „Ära Pitt“ neigt sich ihrem Ende zu.
Quelle: Blu Ray „Burn After Reading“ © Universum Film GmbH
In BURN AFTER READING kollaboriert Pitt mit den Coen Brüdern, die sich ebenfalls seit über dreißig Jahren jedem Kinotrend verweigern und Film um Film ihr eigenes Ding machen. Sie geben Pitt die Chance, seinen Sinn für Humor und vor allem für Ironie zu unterstreichen. Er spielt Chad Feldheimer, einen ungelenken, trotteligen Fitnesstrainer, der versucht, einen CIA-Agenten zu erpressen. Das funktioniert natürlich nicht und sorgt für katastrophale Folgen. Pitts Rolle ist so „drüber“, dass sie zu Recht Kuststatus erhält – und einen der kultigsten Abgänge der jüngeren Kinogeschichte.


Kult, Experimente und – Desaster


Die Ankündigung der dritten Zusammenarbeit Pitts mit Regisseur David Fincher lässt die Herzen der Fans höher schlagen und weckt Hoffnungen auf einen weiteren Kultfilm vom Kaliber SIEBEN oder FIGHT CLUB. Doch nicht einmal das einstige Erfolgsgespann kann mehr überzeugen: DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON markiert neben RENDEZVOUS MIT JOE BLACK einen der wenigen schlechten Filme in Pitts Karriere. Denn sowohl er als auch David Fincher betreten hier unbekanntes Terrain. 
Quelle: Blu Ray „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ © Warner Home Video
Fincher, mittlerweile abonniert auf visuell bahnbrechende Psychothriller, versucht sich hier an einem Drama, das viele als eine Art „düsteres Gegenstück zu FORREST GUMP“ verstehen möchten. Und Pitt, der gerade versucht, eher unorthodoxe Rollen zu spielen, kehrt ebenfalls zurück in die Welt der epischen Dramen. Allein: BENJAMIN BUTTON funktioniert nicht. In keiner Weise. Die Geschichte um einen Mann, der uralt zur Welt kommt und immer jünger wird, um als Säugling zu sterben, vereint Pitt zwar wieder mit Julia Ormond und Cate Blanchett, doch das verdrehte Lebensdrama ist unfokussiert, langatmig und unspannend. Zwar geht Pitt mit einer Oscarnominierung als Bester Hauptdarsteller aus dem Film hervor (er weigert sich, in jungen und alten Jahren computeranimiert zu werden und wackelt sich (unterstützt von anderen visuellen Tricks) eigenständig durch den Film), doch erntet die Academy dafür einige erhobene Brauen.

Doch noch steckt Kultpotential in Pitt – nur weckt das nicht mehr Fincher, sondern ein anderes, visionäres Regiegenie der 90er.
Quentin Tarrantino veröffentlicht 2009 einen Film, der die Wände wackeln lässt und die Weltgeschichte auf den Kopf stellt: INGLORIOUS BASTERDS ist ein zutiefst verstörendes, tarantinoeskes Statement zum Zweiten Weltkrieg und vereint mit Brad Pitt, Melanie Laurent, Michael Fassbender, Daniel Brühl, August Diehl, Diane Kruger und Christoph Waltz eine beeindruckende Riege. Dass Christoph „It's a Bingo“ Waltz allen die Show stiehlt und den Oscar als Bester Nebendarsteller mitnimmt, ist kein Geheimnis. Aber Pitts Lt. Aldo Raine wird zu einer seiner markantesten Rollen, die Pitts Laufbahn prägen wie keine andere. Sein mittlerweile legendärer Monolog gerät zur meistzitierten Szene seiner Karriere und zum Maßstab für Pitt-Imitationen.
Als Schauspieler wird INGLORIOUS BASTERDS zu Pitts bislang letztem wirklich großen Hit. Dafür startet er nun als Produzent voll durch.
Quelle: Blu Ray „Inglorious Basterds“ © Universal Pictures Germany GmbH
Mit der Literaturverfilmung EAT, PRAY, LOVE produziert seine Firma Plan B (die er nach der Scheidung von Aniston und dem Weggang des dritten Gründungsmitglieds Brad Grey mit Dede Gardner und Jeremy Kleiner weiterführt) einen Film seiner guten Freundin Julia Roberts, mit der Comicverfilmung KICK-ASS legt er einen kleinen Kulthit hin. Beide Filme bescheren Plan B große finanzielle Erfolge, die ihm als Produzent mehr Freiheiten einräumen.

Diese nutzt Pitt sofort, um dem legendären Regisseur Terrence Malick, der in den 38 Jahren zuvor gerade einmal vier Filme gedreht hat, in seine produktivste Phase zu führen. Pitt produziert 2011 mit TREE OF LIFE erneut ein Filmexperiment , dem er auch als Hauptdarsteller zur Verfügung steht. Malick, der sich dreizehn Jahre zuvor mit DER SCHMALE GRAT eindrucksvoll zurückgemeldet hatte, und zwischendrin mit THE NEW WORLD einen nahezu unbekannten Pocahontas-Film gedreht hat, begibt sich in seinem tempobefreiten Film auf die Reise zum Ursprung des Lebens und zeichnet begleitend eine destruktive Vater-Sohn-Beziehung nach. Sean Penn, Brad Pitt und die wunderbare Jessica Chastain brillieren in diesem metaphorischen und sperrigen Werk. Plan B heimst zwar keinen finanziellen Erfolg ein, aber dennoch erneut eine Oscarnominierung für den Besten Film. Und konkurriert damit sich selbst, denn ebenfalls 2011 produzieren Pitt und Plan B den Film MONEYBALL.

Auch hier steht Pitt als Produzent und Hauptdarsteller gleichzeitig zur Verfügung. Der Film erzählt von der Zusammenstellung eines Baseballteams nach statistischen Werten, womit Jahrzehnte der Tradition von Intuition und vermeintlicher Erfahrung der Talentscouts aufgebrochen werden. Basierend auf wahren Begebenheiten, zeichnet er Film den Aufstieg eines Außenseiterteams nach, das den Rekord an hintereinander gewonnenen Spielen aufstellen könnte ...
Filme über Sportmanager, Außenseiter und unorthodoxe Methoden kommen in den USA immer gut an, vor allem in der so heißgeliebten Sportart Baseball, und so wird MONEYBALL für sechs Oscars nominiert, unter anderem für den Besten Film und Pitt als Bester Hauptdarsteller. Zwar geht der Film leer aus, wird allerdings ein großer Kritikererfolg und, zumindest in den USA, auch ein Riesenhit beim Publikum.


Als Produzent hat Pitt seine Nische und seine Themen gefunden, und beweist weiterhin ein großes Gespür für hervorragende Filme, die beim Publikum und bei den Oscars gut ankommen. Meistens zumindest. Von nun an gibt es ein stetes Auf und Ab: Filme wie den topbesetzten THE COUNSELER, für den er seinen Freund Michael Fassbender gewinnen kann, oder KILLING THEM SOFTLY, fallen sowohl beim Publikum, als auch bei den Kritikern durch.
Quelle: Blu Ray „By the Sea“ © Universal Pictures Germany GmbH
BY THE SEA, ein Herzensprojekt seiner Frau Angelina Jolie, produziert er und übernimmt gleichzeitig die männliche Hauptrolle. Das Drama um eine gescheiterte Ehe, scheint die reale Ehe Jolie-Pitt detaillierter widerzuspiegeln als angenommen. Ambitioniert und dennoch langweilig und wenig nachhaltig leidet sich das Ehepaar – ein alkoholkranker Literat und seine deprimierte, unterkühlte Frau, eine ehemalige Primaballerina – durch den Film. 



Zombies für die ganze Familie


2013 schließlich produziert Pitt den bis heute erfolgreichsten Film seiner Karriere und übernimmt erneut die Hauptrolle. Extrem lose an das populäre Buch „World War Z“ von Max Brooks angelehnt, (mit dem der Film kaum mehr als den Titel teilt), geht es um die Idee einer globalen Zombieepidemie. Aus dem episodenhaften Charakter der Vorlage strickt Plan B einen etwas konventionelleren Film. Pitt spielt den UN-Mitarbeiter Gerry Lane, der sich aufmacht, den Ursprung der Epidemie zu ergründen und die Seuche zu stoppen. Obwohl der Film durch diverse Pannen im Vorfeld in den Gazetten endet (es landen scharfe Waffen am Set) und der gesamte dritte Akt beim Testpublikum durchfällt, gestrichen, neu geschrieben und aufwändig neu gedreht wird (wodurch eine fulminante Schlachtszene in Moskau entfällt), spielt der Film weltweit 600 Millionen Dollar ein und ist somit Pitts finanziell erfolgreichster Film. Er selbst fällt weder negativ noch positiv auf – hier stehen eindeutig andere Werte im Vordergrund. (WORLD WAR Z ist somit vermutlich Pitts engste Näherung an die neuen Kinogesetze!) Der Zombie-Film, in dem nicht ein Tropfen Blut zu sehen ist, avanciert zu einem wahren familientauglichen Zombiestreifen: unterhaltsam, aber in jedweder Hinsicht blutarm.
Quelle: Blu Ray „World War Z“ © Paramount


Ambitionierter kommen da schon die drei nächsten Projekte daher: 12 YEARS A SLAVE, THE BIG SHORT und MOONLIGHT. Auf alle drei Filme sind wir auf unserem Blog schon detailliert eingegangen. In 12 YEARS A SLAVE und THE BIG SHORT (der wie schon MONEYBALL auf einem Buch von Michael Lewis basiert) übernimmt Pitt kleine, für die Haupthandlung wenig bedeutsame Rollen – seine Beteiligung soll mehr Publikum garantieren und damit weitere Geldgeber motivieren, ebenfalls einzusteigen und den Film zu realisieren.
Alle drei Filme werden oscarnominiert, 12 YEARS A SLAVE und MOONLIGHT erhalten den Oscar für den Besten Film. THE BIG SHORT wird immerhin nominiert. Dazu gesellt sich noch SELMA, das Rassendrama, das von Dede Gardner und Jeremy Kleiner, die beide bei Plan B arbeiten, angeschoben wird.

Somit sind seit 2004 regelmäßig die von Plan B produzierten Filme als Bester Film oscarnominiert. Vier Mal konnte die Produktionsfirma seither triumphieren, und gehört damit zu den aktuell meistausgezeichneten Studios Hollywoods.
Brad Pitt ist vom rebellischen Leinwandhelden zum cleveren Hollywood-Mogul und geachteten Produzenten gereift. Seine Stoffauswahl erweist sich immer wieder als erstaunlich feinsinnig. Und sozial motiviert. (Mit SELMA, MOONLIGHT und 12 YEARS A SLAVE hat er drei der bedeutendsten Filme zur Rassenfrage realisiert, Filme, die ohne Pitts Zutun vermutlich nie eine Chance erhalten hätten.)
Quelle: Blu Ray „12 Years a Slave“ © Universal Pictures Germany GmbH
Doch nicht nur eindeutig politisch motivierte Filme haben es Pitt und Plan B angetan, sondern auch dem Fernsehen öffnet sich Pitt wieder stärker, vor allem der Streaming-Plattform Netflix, wo er so ungewöhnliche Projekte wie die Serie THE OA fördert, die sich dadurch auszeichnet, komplett mit den Sehgewohnheiten der Massen zu brechen. Oder auch OKJA, das umstrittene Werk von Kultregisseur  Bong Joon-ho sowie das sehenswerte Abenteuer-Drama DIE VERSUNKENE STADT Z, das inszenatorisch und darstellerisch äußerst geglückt ist.
Anfang 2017 produziert Plan B außerdem die hochgelobte erste Staffel der neuen Anthologieserie FEUD. Pitt und seiner Produktionsfirma ist es gelungen, sich auf allen Ebenen ein Standbein aufzubauen: Einerseits fördern sie das Kino mit sehenswerten, hochgelobten Indie-Projekten, gleichzeitig bedienen sie das traditionelle Fernsehen und arbeiten eng mit Netflix zusammen, die aktuell als ärgster Feind des traditionellen Kinos betrachtet werden. Pitt bleibt sich treu, lässt sich in keine Nische stecken, und weiterhin nicht vom Blockbusterkino und den großen Studios instrumentalisieren - auch nicht als Produzent. 


Schiffbruch und Renaissance


Privat hingegen scheint es für den erfolgsverwöhnten Filmemacher nur in eine Richtung zu gehen: nach unten. Bereits 2013 begionnt die Beziehung Pitt-Jolie zu kriseln. Zwar heiratet das Paar noch 2014, aber die Gerüchte um Probleme und eine anstehende Trennung verstummen nicht. Von außen betrachtet wird die Ehe immer wieder auch von Schicksalsschlägen und riesigen Aufgaben mitbestimmt – privat wie gesamtgesellschaftlich und humanitär: Sechs Kinder, mehrere Wohnorte, viele Verpflichtungen, Erkrankungen und weitere Probleme.

Ab 2012 lassen Pitts schauspielerische Leistungen spürbar nach. Seine produzierten Filme jener Zeit glänzen mit Ambitionismus und Engagement. Pitts „große“ Rollen in HERZ AUS STAHL und ALLIED – beides die Sorte von mittelmäßigem Film, die Pitt einst zu echten Highlights werden ließ – wirken lustlos heruntergespielt und machen aus den Filmen katastrophale Flops, sowohl bei den Kritikern als auch dem Publikum.
Quelle: Blu Ray „Allied - Vertraute Fremde“ © Paramount
ALLIED geriet für mich als bekennendem Pitt-Fan der ersten Stunde zu seinem ersten Auftritt, bei dem ich ernsthaft überlegte, das Kino zu verlassen. Nie war Pitt schlechter inszeniert, nie spielte er schlechter auf. Vollkommen zu Recht heimst Pitt (ebenso wie seine Filmpartnerin Marion Cotillard, die er mit sich in die Tiefe reißt) seine erste Nominierung für die Goldene Himbeere als Schlechtester Hauptdarsteller ein.
Was ihn dazu bewogen hat, die beiden Angebote anzunehmen, die abseits seiner gängigen Rollenwahl liegen, weiß niemand so recht.

Als die Ehe von Pitt und Jolie 2016 mit einem Paukenschlag endet und Pitts langjährige Alkohol- und Drogensucht an die Öffentlichkeit kommt, müssen beide Eheleute ihre Wunden lecken und die Karrieren auf Eis legen. Bis heute tobt der Scheidungsdisput mal mehr mal weniger heftig durch die Gazetten.
Pitt zieht sich ein Jahr zurück, macht einen Entzug und widmet sich verstärkt seiner Liebe zur bildenden Kunst ... und beginnt, Skulpturen zu erschaffen. Pitt, der schon seit Jahrzehnten bildende Künstler fördert und unterstützt, sucht nun selbst vermehrt Kraft und Trost in der Kunst.
2017 schließt sich Pitt der Flut von Schauspielern an, die im Kino keinen Platz mehr finden, und kehrt erstmals seit seinem Gastauftritt in FRIENDS ins Fernsehen zurück – wo er nach Langem wieder mit einer brillanten Leistung aufwartet. In seinem selbstproduzierten Netflix-Streifen WAR MACHINE spielt er einen General, der nicht akzeptieren kann, dass der große Afghanistan-Krieg verloren sein soll, und sich mit der Regierung anlegt, um mit mehr Truppen doch noch einen Sieg zu erringen. Zynisch bis ins Mark kann Pitt hier an alte Schauspielglanzlichter anknüpfen.
Quelle: „War Machine“ © Netflix


Wir sind komplex, wir sind geheimnisvoll


Mittlerweile ist Brad Pitt Mitte fünfzig, und hat so gut wie alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Vom gefeierten Leinwand-Rebell zum Familienvater, altersweisen Filmmogul und Weltverbesserer, der dann und wann ein wenig schauspielert. Aus dem lodernden Brand der 90er ist ein Schwelfeuer geworden, das vor allem hinter den Kulissen wirkt. Um Pitt ist es ruhig geworden, und beinahe umgibt ihn bereits die Aura der einst bedeutenden Legende, wann immer er noch einmal auftritt.

Pitt ist einer der ganz wenigen Stars (neben Leonardo DiCaprio), die sich dem Franchise-Wahn widersetzen und weder bei Marvel noch DC zu finden sein werden. (Der aktuell von Plan B angeschobene WORLD WAR Z 2 droht, eine deutliche Ausnahme zu werden – und, neben der OCEAN'S-Trilogie, Pitts erster Auftritt in einer Fortsetzung!) Er agiert selbstironisch (wie zuletzt als Wettermann in der Jim-Jeffries-Show) und wenig attraktiv, was ihn für ein breites Rollenspektrum empfiehlt. Er kann strahlende Helden ebenso spielen wie gebrochene Figuren, den Gutmenschen wie den Gewalttäter. 


Quelle: Blu Ray „The Big Short“ © Paramount
Privat meidet er seit gut zwei Jahren die Öffentlichkeit. Er besitzt in Hollywood einen hohen Stand, und erscheint er auf den roten Teppichen diverser Events, lässt sich immer eine gewisse Huldigung seiner Kollegen beobachten. Auf eine der vielleicht naheliegendsten Fragen – ob Pitt nicht selbst einmal Regie führen wolle – hat er eine klare Antwort: „Nein, keine Chance. In gewisser Weise ergäbe das sicherlich Sinn, aber ich genieße es wirkliche, meine Kreativität als Produzent auszuleben, und ich genieße meinen Job als Schauspieler. Außerdem möchte ich Vater sein, das an erster Stelle. Nach zwei Tagen werde ich kribbelig. Ich beginne, meine Kinder zu vermissen. Ich weiß einfach, wie ich sein würde. Ich weiß, wie viel Zeit es kostet, so einen Film vorzubereiten und zusammenzusetzen. Das wäre ein schlechter Tausch.“

Aktuell zeichnet sich keine große Änderung in Pitts Karrierestand aus. Er hat eine Handvoll vielversprechender Projekte für Plan B am Laufen. Als Schauspieler dreht er zurzeit das Sci-Fi-Drama AD ASTRA unter der Regie von James Gray, mit dem er schon in DIE VERLORENE STADT Z zusammengearbeitet hat. Außerdem fällt sein Name öfter für Tarantinos neunten Film – neben Tom Cruise und Leonardo DiCaprio. Und natürlich steht das immer wieder verschobene WORLD WAR Z 2 an – die vierte Zusammenarbeit Pitts mit David Fincher.

Pitt blickt auf eine mittlerweile 30-jährige Karriere zurück, die sich immer wieder gewandelt hat, nie einer Schublade entsprach, und sich dem Kino immer wieder angepasst, und gleichzeitig widersetzt hat. Als er 2012 vom New York Film Critics Circle den Preis als Bester Hauptdarsteller für MONEYBALL und TREE OF LIFE entgegennimmt, erklärt er, wie außergewöhnlich sein Werdegang für ihn selbst ist:

Das ist eine wirklich große Ehre für mich, wenn man bedenkt, dass ich ein Kerl bin, der nie in einem Flugzeug geflogen ist, bevor er 25 war. Dieser erste Flug startete hier, 1989, nach New York. Ich hatte ein Vorsprechen für eine Seifenoper. Aber da ich nichts hatte, musste ich bei einem Freund übernachten. Mein erster Eindruck von der Stadt war: O mein Gott, hier sind wirklich viele Menschen. Aber sie sind alle so nett. Es ist heute ein echtes Vergnügen für mich, einige der Gesichter kennenzulernen, die hinter den respekteinflößenden Namen stecken, die so viel Furcht und Ehrfurcht in der Filmindustrie auslösen, auch wenn ich immer gedacht habe, sie alle wären größer. Wir sind komplex, wir sind geheimnisvoll, sogar vor uns selbst, wir sind schwierig zueinander, wir leben in ständiger Bewegung und Unsicherheit und in ewigem Konflikt.
Quelle: Blu Ray „The Tree of Life“ © Concorde Video

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