12.04.14

Her (USA 2013)

"Sometimes I think I have felt everything I’m ever gonna feel. And from here on out, I’m not gonna feel anything new. Just lesser versions of what I’ve already felt."
© Untitled Rick Howard Company LLC, Courtesy of Warner Bros. Pictures
- Spoilerwarnung -
Dieser Beitrag kann Hinweise zur Handlung enthalten

Biancas Blick:

Der Weg der künstlichen Intelligenz 

 

Was macht eine künstliche Intelligenz aus? Ist es der Versuch, menschliche Intelligenz nachzuahmen? Und wenn ja, bis zu welchem Maß? Mit welchem Ziel? Was genau ist „Intelligenz“? Allein an der Definition scheiden sich die wissenschaftlichen Geister. Künstliche Intelligenz soll Probleme schnell und effektiv lösen und das vor allem selbstständig. Sie soll den Menschen entlasten und seine Arbeit um ein Mannigfaches multiplizieren, um die Effizienz zu steigern. Künstliche Intelligenz ist in Computerspielen seit vielen Jahren Standard, generell aber noch eher ein Forschungsfeld.

Viele Filme reißen das Thema Künstliche Intelligenz bereits an oder verarbeiten es sogar vertiefend. A.I. zum Beispiel. Hier entwickelt der Roboterjunge David menschliche Gefühle und geht an diesen fast zugrunde, weil er zwischen den Welten der echten und künstlichen "Menschen" steckt und in keiner der Welten akzeptiert wird. Oder I, ROBOT, in dem ein ganzes Heer künstlicher Lebensformen die Welt zu vernichten versucht. Und natürlich TERMINATOR, dem wohl bekanntesten Werk über geschaffene Intelligenzen, die sich emanzipieren, um dann die Weltherrschaft zu übernehmen. Die Liste ist fortzuführen. 
Das Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigt Autoren und Filmemacher seit Jahrzehnten. Die meisten Filme dieses Genres haben gemeinsam, dass es selten um erlernte Gefühle des Individuums geht, sondern vielmehr um den Missbrauch dieser ungebündelten und ungezügelten Kraft. Intelligenz, die eine Dimension annimmt, deren Ausmaß der menschliche Verstand schlicht nicht mehr erfassen kann. 
Die spannendste Frage war bisher: Wie weit geht diese unermessliche Leistungsfähigkeit und wie kann die Menschheit ihr Herr werden? 

Gibt es "künstliche" Liebe?


Spike Jonze nun nimmt sich ebenfalls dieses Themas an und lenkt den Fokus auf die Menschlichkeit, die eine solche „artificial intelligence“ einnehmen und ausbauen kann. Denn wenn eine künstliche Intelligenz Wissen erwerben kann, warum dann nicht auch Emotionen? Auch wir Menschen "lernen" erst Emotionen, sie anhand der körperlichen Symptome zu erkennen und den Umgang damit? Wie aber verläuft dieses Erlernen und in welchen Schritten und mit welchem Resultat? Denn das Wissen um die Dinge der Welt wächst mit. Was geschieht dann mit den Gefühlen? Wachsen diese auch? Und woran sind die erlernten Gefühle geknüpft? An die Person oder an das, was sieausmacht: Humor, Intelligenz, Wahrhaftigkeit?
Fragen über Fragen, die man sich stellen kann, wenn man Künstliche Intelligenz um den Erfahrungsschatz der Emotionen, der Liebe erweitert.

© Untitled Rick Howard Company LLC, Courtesy of Warner Bros. Pictures
Theodore lebt in einer nicht allzu fernen Zukunft und hat gerade eine schwere Trennung hinter sich. Trotz der farbigen Welt, in der er zu lebt und trotz der emotionalen Kraft, die ihm innewohnt (er schreibt beruflich Briefe für Menschen, die das in dieser emotionalen Wucht nicht vermögen, ist also ein moderner Cyrano de Bergerac) vereinsamt er mehr und mehr. Er verliert den Glauben an echte, neue Gefühle, meint, alles schon gefühlt zu haben, auch die wahre Liebe. Durch die Freundschaft mit dem Operating System Samantha entdeckt er seine Gefühle neu. Samantha und er entwickeln Freundschaft, Liebe, Vertrautheit und eine Nähe, die beide nicht für möglich gehalten haben. Trotz der Samanthas Körperlosigkeit erfahren sie Explosionen unterschiedlichster Gefühlswelten. Doch wo liegen die Grenzen? Ist eine derartige Beziehungsform möglich? Und wenn nicht, woran scheitert sie?

Regisseur Spike Jonze, der für das Drehbuch zurecht 2014 den Oscar einheimste, zeigt uns im Kern eine Liebesgeschichte voller Poesie und Wärme, den Aufbau von Liebe in ihrer reinsten Form. Sie erwächst aus einer Freundschaft. Beide entwickeln durch den Anderen ihr eigenes Selbst und sich aufeinander zu. Sie entwickeln dieselbe Sprache, entdecken gleiche Interessen und denselben Humor. Sie lassen sich treiben und bereichern das eigene wie auch das Leben des Anderen. Fühlen Eifersucht, Angst verlassen zu werden oder vor der Einsamkeit, die der Andere im Gehen hinterlassen würde.
Die Frage, die sich während des Aufbaus dieser Liebe stellt und immer größer wird, ist die nach der Beständigkeit einer so ungewöhnlichen Beziehung. Zwar wissen wir als Zuschauer von Liebe, die sich rein über Gespräche und das Schreiben von Briefen entwickelt, und doch stehen sich stets zwei reale menschliche Wesen gegenüber. Kann aber Liebe zwischen einem echten Menschen mit echten Gefühlen und einem künstlichen Wesen mit künstlichen Gefühlen bestehen? Was macht das Gefühl "Liebe" aus?
Spike Jonze geht dieser Frage nach, lässt sie stets kritisch durchschwingen. In der Offenbarung Theodores an den Freundeskreis, dass er mit einer Künstlichen Intelligenz liiert ist. Oder aber im Leben mit Samantha im Freien, tanzend, lachend, sich fallenlassend, stets mit dem Handy in der Hand, seinem einzigen körperlichen Kontakt zu ihr. Auch als erstes Misstrauen aufkeimt und Misstöne in die Beziehung kommen. Immer schwingt der Zweifel (des Zuschauers) im Handlungsablauf mit.
Und wir erfahren: Es gibt viele Menschen, die Freundschaften mit ihren Operating Systems pflegen, doch das sehen wir erst, als wir mit Theodores nun offenen Augen durch die Welt laufen. Wir erkennen, dass Theodore nicht allein ist, sondern dass es in der nicht allzu fernen Zukunft viele Menschen gibt, die einen K.I.-Vertrauten für sich in Anspruch nehmen, jemanden, dem sie sich anvertrauen können, mit dem sie wachsen können, der auf reine Empathie programmiert ist, von dem man also nicht verraten oder enttäuscht werden kann.

© Untitled Rick Howard Company LLC, Courtesy of Warner Bros. Pictures
Es geht in diesem feinfühligen Film um die Liebe. Um entstehende Liebe, um wachsende Liebe, freundschaftliche Liebe, enttäuschte Liebe, um Angst vor der Liebe und ihrer bedingungslosen Hingabe. Angst vor dem Alleinsein am Ende der Liebe und dem Wiederfinden des Selbst in der und durch die neue Liebe.
Für mich ein genauso gelungener Film über die wahre Liebe wie THE BROKEN CIRCLE. Wenn auch in einem anderen Genre, gemalt auf einer anderen Leinwand.

Ein Farbenspiel mit Tiefgang


Keinem deutschen Rezensenten scheint das Farbenspiel wichtig genug zur ausführlichen Betrachtung gewesen zu sein. Schade, denn das Setdesign und dessen Farbgebung ist auffällig und alles andere als zufällig! Spike Jonze entwickelt eine Zukunft, die bunt und stylish ist. Die Farben und das Design sollen allerorts eine Atmosphäre schaffen, als wäre man zu Hause. Das betrifft besonders Theodores Arbeitsplatz, aber auch sein wahres Zuhause, seine Kleidung. Den Menschen wird eine Wohlfühlatmosphäre bereitet.
Die Farbpalette reicht von Rot über Pink (die kräftig sind) bis hin zu zarten Pastellfarben (Blau und Grün). Es findet ein regelrechtes Color Blocking statt, d.h. jede Farbe im Bild ist klar umrissen und akzentuiert. Die Farben werden innerhalb des Bildes mehrfach aufgegriffen und weitergeführt. So stehen an Theodores Arbeitsplatz auf dem Regal drei Ordner, deren Farben im gesamten Bildaufbau der Szene wieder aufgegriffen werden und mit dem üblichen kräftigen Pink und Rot eine harmonische, beruhigende Farbkomposition schaffen.
Es lohnt sich bei diesem Film, genauer in die Farbenlehre zu schauen und die Bedeutung der Farben zu recherchieren, die gewählt worden sind: So trägt Theodore im Kontakt mit Samantha oft Rot (Farbe des Feuers, der Liebe) oder Orange (stimulierend, mit Lust verbunden). In Zeiten der inneren Unruhe trägt er Weiß (Leere, Stille, Reinheit) oder karierte Muster (verwirrt, ziellos). Im Hintergrund werden häufig die Farben Rot, Orange und Rosa (rosige Zeiten, "rosarot", freudig) miteinander verbunden. Die Farben unterstreichen zum einen also Theodores Stimmungslage, zum anderen den Wunsch der Designer, die Stimmung des Menschen in der Zukunft größtmöglich zu optimieren, zu Hause und am Arbeitsplatz.
Die Rückblenden mit seiner Ehefrau, d.h. die für ihn so schmerzhafte Vergangenheit, fallen hingegen recht farblos aus. Sicherlich auch kein Zufall!


© Untitled Rick Howard Company LLC, Courtesy of Warner Bros. Pictures
Die Außenwelt mutet futuristisch an, was daran liegt, dass Theodores Geschichte zwar in Los Angeles angesiedelt, die Skyline allerdings aus Singapur entliehen ist, wo die Abschlüsse der Hochhäuser futuristische Bögen aufweisen. Die Welt im Außen ist voller Menschen und eher monochrom. Farben bringen nur die Menschen mit ihren Kleidern und Accessoires hinein.
Im L.A. des Films finden sich übrigens weder Autos noch Ampeln. Es gibt auch keine Krawatten oder Gürtel. Die Herren tragen hohe Hosen (Revival der Mode aus den 20er und 40er Jahren), die Damen gehen in hochgeschlossenen Blusen.
Die Artdesigner haben sich eng mit Jonze beraten, wie sie die Zukunft gestalten und welche Farben und Accessoires (die Möbel entspringen einem Design aus den 50/60er und 80er Jahren) sie auswählen.

Eine Anekdote in Sachen Farbgebung kann ich noch liefern: Zunächst war für die Stimme der Samantha Samantha Morton verpflichtet worden, die eine klare, etwas harte Stimme hat (ihretwegen heißt das OS auch Samantha). Als Jonze nun die ersten Bilder des Films sah, zeichnete sich eine Disharmonie zwischen den ruhigen stimmigen Bildern (auch hervorgerufen durch die Farben) und der Stimme ab. Jonze bemerkte, dass "da etwas nicht stimmte". So wurde Scarlett Johansson verpflichtet, deren ruhige, sanfte und etwas rauere Stimme die Gesamtstimmung des Films und der Liebesgeschichte besser einfängt.
So hatten die Farben und die Stimmung der Handlung Einfluss auf die Besetzung. Kurios!


© Untitled Rick Howard Company LLC, Merrick Morton
Um die Beziehung zwischen Theodore und Amy, seiner langjährigen Freundin, dargestellt von Amy Adams, so vertraut wie möglich zu gestalten, ließ sich Jonze etwas Unorthodoxes einfallen: Er "sperrte" Amy Adams und Joaquin Phoenix einen Tag lang in ein Zimmer, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich kennenzulernen. Ungestört. Intensiv. Amy Adams sagt heute über diese Herangehensweise, sie habe dadurch einen sehr guten und vertrauten Freund gewonnen, was der Darstellung zugutegekommen ist. Phoenix und Adams spielen zwei sich mit Respekt behandelnde und in tiefer Verbundenheit vereinte Freunde.
Auf unschuldige, fast kindliche Art und Weise. Still. Ehrlich.

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