16.04.14

Spider-Man (USA 2002)

Aus dem aktuellen Blockbusterkino sind sie nicht mehr wegzudenken: Superhelden! Wenigstens zwei Mal pro Sommer wirbeln die Spandexmodels über die Leinwand und hinterlassen Trümmer und lockere Sprüche.
Was heute an Übersättigung grenzt, war vor fünfzehn Jahren noch reines Wunschdenken. Verfilmte Comichelden waren seit ihren peinlichen Fernseh-Auftritten der 80er quasi nicht existent. Und der beliebteste aller Comic-Helden hing seit fünfzehn Jahren in der Produktionshölle.
Bis er sich 2002 wie ein Erlösungsschrei tatsächlich auf die Leinwand schwang. Begleitet von Freudentränen und Jubelfanfaren der Fans leitete er die Erfolgsstory des Superheldenfilms ein: Spidey, der freundliche Netzschwinger aus der Nachbarschaft!
© 2002 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Marcos Blick:

Natürlich stimmt das nicht ganz! Schon zwei Jahre zuvor haben die X-MEN erfolgreich ihren Einstand bewiesen. Und mit BLADE wird 1998 ein eher unbekannter Marvel-Held sehr erfolgreich auf die Leinwand gebracht. Nicht zu vergessen Tim Burtons BATMAN, der bereits 1989 einen Hype auslöst, der die Beatles und SUPERMAN (1978) erblassen lässt.
Nein, Superhelden sind schon lange fester Bestandteil der Kinolandschaft. Trotzdem ist der Boom, den das Genre in den 2000er Jahren erlebt, eben vor allem zwei Filmen zu verdanken: X-MEN, die Comic-Aufarbeitung der Rassenbewegung der 60er Jahre, beweist im Jahr 2000, dass auch Superheldenfilme smart sein und ernste Themen ansprechen können. Und SPIDER-MAN, der zeigt, dass die Tricktechnik endlich so weit ist, selbst die verrücktesten Superkräfte darzustellen und welche Masse an Fans, und damit welche Gewinnmargen, in dem Genre stecken!


Was lange währt ...


Dabei hatte Spidey einen langen Weg hinter sich. SPIDER-MAN ist einer jener Filme, die so lange im Produktionszyklus festhingen (Insgesamt fast 17 Jahre!), dass irgendwann fast jeder in Hollywood mal für das Projekt eingeplant war.

Hollywood, die 1980er Jahre: Die Marvel Superhelden haben das Fernsehen erobert. Einige Jahre zuvor schwang Spidey sich bereits in einer (großzügig von der Vorlage entfernten) Fernsehserie über die Bildschirme, und Hulk hatte (in einer ebenso freizügig neuinterpretierten Version) große Erfolge gefeiert. Mitte der 90er kursiert unter Kennern eine extrem trashige Roger Corman Verfilmung der Fantastischen Vier (Nur gedreht, um das Franchise zu halten, das eine Verfilmung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fordert). Und irgendwie hat es auch Captain America schon auf den Fernseher geschafft.
Im Kino aber hat Konkurrent DC Comics das Sagen. Dank SUPERMAN und einer geplanten BATMAN Verfilmung. Das soll sich endlich ändern.

Das Studio Cannon Films besitzt die Rechte an Spider-Man und hat Großes vor! Kein anderes Studio verkörpert den Geist der Reagan- und Bush Sr.-Ära stärker als die Cannon Films, die vor allem Sylvester Stallone (CITY COBRA), Charles Bronson (DEATH WISH II-IV), Chuck Norris (DELTA FORCE, MISSING IN ACTION I-III), Jean-Claude van Damme (BLOODSPORT) und Michael Dudikoff (AMERICAN FIGHTER) zu Actionikonen aufgebaut haben. Dass sie auch etwas weniger brachial können, zeigen 80er Hits wie MANNEQUIN, BARFLY, EXPRESS IN DIE HÖLLE oder MASTERS OF THE UNIVERSE, dem ersten He-Man Film!
Zwar schafft es Cannons Spider-Man in die Vorproduktion, doch schließlich kann das Studio aus Geldnot nicht daran festhalten. 1990 wechseln die Rechte an die Carolco Studios, unter dem Drängen eines Mannes, der seit der 9. Klasse davon träumt, Spider-Man zu verfilmen und der für Carolco mit TERMINATOR 2 ohnehin gerade einen der Blockbuster des Jahrzehnts vorbereitet: James Cameron!
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Camerons Spider-Man bleibt ein Wunschkind der 90er


Insgesamt bleibt der Schöpfer von TERMINATOR und ALIENS fast das gesamte Jahrzehnt über im Gespräch für den Film, und mit ihm einige seiner klassischen Trademarks. So existiert ein fertiges Drehbuch, das seinen Kumpel Arnold Schwarzenegger als Dr. Octopus vorsieht und Camerons Leibdarsteller Michael Biehn als Peter Parker. Wie sicher Cameron sich war, dass er Spider-Man mit Michael Biehn verfilmen würde, zeigt sich darin, dass er bereits in den 80ern einen Running Gag etabliert hat: In sämtlichen gemeinsamen Filmen von TERMINTOR über ALIENS bis zu THE ABYSS wird Michael Biehns Figur in die Hand gebissen – ein geplantes Foreshadowing auf den tragischen Spinnenbiss, der Peter Parker zu Spider-Man werden lassen soll. Nach Abschluss von TRUE LIES beginnt Cameron ernsthaft mit der Vorproduktion.
Doch auch die Carolco Studios können sich, trotz aller Hits wie TOTAL RECALL, TERMINATOR 2 oder BASIC INSTINCT, nicht halten und geraten 1993 ins Schwimmen. Hinzu kommt, dass sie möglicherweise gar nicht die Rechte besitzen. Mit einem Mal landet die Angelegenheit zwischen Carolco, Sony, MGM und Marvel vor Gericht – ein Kampf, den das wankende Studio nicht führen will und aufgibt. (Auch das bewahrt die Carolco nicht vor ihrem Konkurs 1996.)

Am Ende des Jahrzehnts einigen sich MGM und Sony in ihrem Rechtsstreit: Beide wollen ein funktionierendes Franchise etablieren oder halten. Sony hat noch keins, MGM besitzt die Rechte an den JAMES BOND Filmen. Genau hier will Sony aber eine neue Reihe etablieren, die auf einer Rechtelücke fußt. Schließlich einigen sie sich: Sony verzichtet auf eine parallele James Bond Reihe, wofür MGM ihnen Spider-Man überlässt.
Zu dem Zeitpunkt hat selbst Cameron erkannt, dass Michael Biehn (Mittlerweile 40!) zu alt für die Rolle des Peter Parker ist. Seit er mit der Produktion von TITANIC begonnen hat, gibt es für ihn aber nur noch eine mögliche Besetzung: Leonardo DiCaprio.

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Doch Sony kommt mit den Vorbereitungen nicht voran, und schließlich verliert sich Camerons Interesse. Lieber wendet er sich seiner neuen Leidenschaft zu: Der Tiefsee. Er dreht etliche Dokus, unternimmt Forschungsreisen und gilt mittlerweile als weltweite Koryphäe auf dem Gebiet der Meereserforschung. Nach TITANIC dauert es immerhin 12 Jahre(!), bis er mit AVATAR wieder einen Spielfilm dreht.

Endlich: Der Dreh beginnt - mit unerwarteten Helden


Sony steht unter Druck: Sie müssen innerhalb bestimmter Zeitrahmen die Spider-Man Lizenz nutzen, andernfalls verfällt sie. (Was das recht schnelle Reboot von 2012 erklärt, das nur 5 Jahre nach dem Ende der Vorgänger-Trilogie gestartet wurde.) Kurz wird David Fincher als Regisseur gehandelt, doch sein Pitch ist dem Studio zu dunkel. Schließlich findet sich ein Regisseur, der auf den ersten Blick eine seltsame Wahl abgibt: Sam Raimi!
Der Regisseur, der am Set stets im schwarzen Anzug erscheint, ist vor allem für seine TANZ DER TEUFEL Reihe bekannt. Dabei hat er gerade mit EIN EINFACHER PLAN und AUS LIEBE ZUM SPIEL zwei interessante Dramen gedreht und sich vor allem als Produzent der Hit-Serien HERCULES und XENA als fähig erwiesen, Superhelden in Szene zu setzen. Zudem ist er riesiger Fan der Comics, was ihm den Job schließlich einbringt.
Ebenso überraschend ist die Besetzung von DiCaprios Busenkumpel Tobey Maguire als Peter Parker! Maguire ist ehemaliger Kinderstar und für ruhige Dramen wie DER EISSTURM, GOTTES WERK UND TEUFELS BEITRAG oder THE WONDER BOYS bekannt, nicht als Actionheld! Auch das Studio ist wenig begeistert. Erst als der schmächtige Maguire Muskeln aufbaut und einige Probeaufnahmen absolviert, lässt Sony sich überzeugen.

Als die Dreharbeiten endlich beginnen, sind die Fans nicht mehr zu halten! Öffentliche Sets, besonders in New York, werden belagert, und kurz nach Drehbeginn werden vier der vorhandenen Spider-Man Anzüge gestohlen.
Und schließlich geschieht noch etwas, das die Produktion von SPIDER-MAN enorm durcheinanderwirft!

Die volle Wucht von 9/11


Vermutlich verkörpert kein Superheld die Seele New Yorks mehr als Spider-Man, der Lokalheld! Und deshalb wird kaum ein Film so schwer von den Angriffen auf das World Trade Center im September 2001 getroffen und beeinflusst wie SPIDER-MAN, der sich gerade in der Post-Production befindet und am 3. Mai 2002 anlaufen soll.
Die markanten Zwillingstürme werden digital aus dem Film entfernt, Poster zurückgerufen, in denen sich die Skyline in Spider-Mans Maske spiegelt, und ein Trailer, in dem Spider-Man ein Netz zwischen den Türmen spannt um einen Hubschrauber zu fangen, eilig zurückgezogen. Ganze Sequenzen werden neu gefilmt, und die New Yorker Stimmung eingebaut: Die Szene, in welcher die Bürger gemeinsam den Grünen Kobold mit Müll bewerfen, und auch die erdrückende Masse amerikanischer Flaggen im Film werden erst im Zuge der Angriffe eingefügt.

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Spider-Man eröffnet die Sommersaison 2002 als einer der meisterwartetsten Filme aller Zeiten, auf jeden Fall seit STAR WARS: DIE DUNKLE BEDROHUNG! Die Fanbase ist gigantisch, und bisher wurde Spider-Man noch nie brauchbar verfilmt. 

Ende Gut, Kasse gut


Und die Fans sind begeistert! Raimi und Maguire haben den Geist der Comics so gut eingefangen, dass sich die Kritik an Detailfragen entzündet. Als härtester Bruch des Kanons fallen Spideys Netzdüsen auf! Raimi hielt es für unglaubwürdig, dass ein High-School Schüler so etwas Hochtechnisches mal eben entwickelt, also ließ er Peter Parker natürliche Netzdüsen wachsen. Ironischerweise sind die natürlichen Netzdüsen das letzte Überbleibsel von Camerons Script, das als Grundlage für den Film diente, aber bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben wurde.
Auch, dass Peter Parker direkt mit Mary Jane Watson (deren "Mädchen von Nebenan"-Version hier aus einem der diversen Paralleluniversen entliehen ist, in die Spider-Mans Comicreihen sich mittlerweile aufteilen – kompliziertes Comiczeug!) statt mit Gwen Stacy zusammenkommen lässt, stößt vielen Fans auf.
Im Großen und Ganzen hält Raimi sich aber an die originale Grundgeschichte der ursprünglichen „Golden Age“ Spider-Man Hefte aus den 60ern.

Spidey wird seinem 15 Jahre langen Hype gerecht und bricht alle Rekorde: SPIDER-MAN wird der erste Film, der am Startwochenende über 100 Mio. US$ einspielt: insgesamt 114 Mio., bei einem Budget von 139 Mio. Ein Rekord, den erst die Nachfolger einstellen. SPIDER-MAN wird der erfolgreichste Film des Jahres – mit deutlichem Abstand. (Insgesamt werden HARRY POTTER UND DIE KAMMER DES SCHRECKENS und HERR DER RINGE: DIE ZWEI TÜRME mehr einspielen, starten aber zu spät im Jahr um Spider-Man noch einzuholen). 

Weltweit spielt SPIDER-MAN über 820 Mio $ ein und ist die bis dato erfolgreichste Comicverfilmung überhaupt! (Bis heute schafften es nur fünf Comicfilme, mehr einzuspielen: SPIDER-MAN 3, die beiden DARK KNIGHT Filme, IRON MAN 3 und THE AVENGERS.)
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Tobey Maguire, Kirsten Dunst, James Franco und Sam Raimi, alle drei bisher eher für kleinere und Independent-Filme bekannt, sind mit einem Mal mitten im Mainstream angekommen und Superstars.

Aktuell sind Superheldenfilme, wie erwähnt, eher die Regel als Grund zum Ausrasten, und auch das Spider-Man Reboot THE AMAZING SPIDER-MAN kann nicht an den Erfolg der Raimi-Filme anschließen. Trotzdem zeigen das Interesse und der Erfolg, den SPIDER-MAN hingelegt hat (Und auch der spätere Mega-Erfolg von THE AVENGERS), wie groß die Lust des Kinopublikums auf Superheldenfilme ist, und dass „wir“ Fans, die wir womöglich das „Golden Age“ der Comicreihen nicht erlebt haben, im Augenblick das „Golden Age“ der Kino-Comics erleben. In einer Zeit, in der Technik und Dramturgie uns stilvolle und würdige Comicverfilmungen überhaupt erst ermöglichen. Und dass das ziemlich gut ist!

‘nuff said!

Aus Arch Stanton's Grab


The Good:
Vermutlich hat niemand mehr Spaß an den Dreharbeiten als Willem Dafoe, der Norman Osborn perfekt und mit äußerst viel Herzblut spielt. Dafoe besteht darauf, so gut wie sämtliche Stunts selbst zu machen und ändert dafür mit den Designern zusammen das Kostüm des Kobolds fundamental um. Bei den Kampfszenen am Ende des Films erwischt er Tobey Maguire sogar einmal richtig und legt ihn mit einem Kinnhaken flach.
Tatsächlich hat Dafoe soviel Spaß, dass er Raimi anfleht, in den Fortsetzungen irgendwie mitmischen zu dürfen. So kommt er für einen Tag ans Set von Spider-Man 2, wo er nicht nur die Spiegelszene dreht, sondern auch für einen kleinen Scherz zur Verfügung steht, in dem er Raimi hilft, dem "Doc Ock" Darsteller Alfred Molina zu zeigen, wie ein Bösewicht zu spielen hat.

The Bad:
Ursprünglich war in dem Film ein Crossover des damals noch kleinen Superheldenkosmos' geplant: Hugh Jackman wurde für eine kurze Szene eingeladen, in welcher Spider-Man und Wolverine aufeinandertreffen. Leider scheiterte das Ganze daran, dass das Team keinen Zugang zu Jackmans Wolverine-Kostüm erhielt. Da aber die rechtliche Lage noch äußerst unklar war (Die X-MEN Rechte liegen bei der 20th Century Fox) ist ohnehin fraglich, ob die Szene im Film geblieben wäre. Da die Fans sich immer wieder Crossovers wünschen, und Spider-Man sowohl bei den X-Men als auch bei den Avengers (Die rechtlich bei den Marvel Studios liegen) und sogar bei den Fantastischen Vier (ebenfalls 20th Century Fox) mitgemischt hat, versuchen die Studios weiter sich zu einigen, um den Netzschwinger in den Nachbaruniversen auftreten zu lassen. Man darf gespannt bleiben.

The Ugly:
Leider verliert Raimi immer mehr die Kontrolle über seine Filme. Zwar wird der zweite Teil bei den Fans beliebter, spielt jedoch weniger ein als der erste Teil. Im dritten Teil will er die Geschichte mit dem Sandmann und Harry Osborn zu einem runden Ende führen, doch das Studio fürchtet, dass den Zuschauern das Ganze zu elegisch wird. Sie fordern, den beliebtesten Spider-Man Schurken einzuführen: Venom. Raimi, der kein Fan des relativ neuen Schurken ist, versucht vergeblich, an seiner Version festzuhalten, muss schließlich aber einen Kompromiss eingehen. Das Ergebnis ist eine künstlerische Katastrophe!
Zwar wird der dritte Teil der erfolgreichste der Reihe, und gerade wegen Venom auch heiß erwartet, inhaltlich verhebt sich der Film aber an der Mischung aus elegischem Abschluss des Parker/Osborn Konflikts, der lieblosen Abhandlung Venoms und der Überfrachtung mit drei Bösewichtern und gilt als glanzloser Tiefpunkt der Reihe!

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