23.04.14

Die Reise ins Labyrinth (USA 1986)


Die 1980er Jahre waren mit Abstand die fantasievollsten der amerikanischen Kinogeschichte. Nirgendwo sonst finden sich so viele Abenteuer- und bunte Kinderfilme. Genüsslich loteten die Filmemacher die von STAR WARS und Industrial Light and Magic neu gesteckten Effektgrenzen aus, um nie gesehene Filmwelten auf die Leinwand zu bringen.
1986 entstand dabei ein besonderes Schwergewicht: Unter der Regie von Muppet-Schöpfer Jim Henson, produziert von George Lucas und unter Mitarbeit des sich immer neu erfindenden David Bowie wurde eine ganze Generation von Kindern hineingezogen, ins LABYRINTH!
 
TM & © 1986, 2007 The Jim Henson Company. LABYRINTH mark & logo are trademarks of The Jim Henson Company. LABYRINTH characters © 1986 Labyrinth Enterprises. All Rights Reserved.

Marcos Blick:

DIE REISE INS LABYRINTH ist wohl der kreativste und zauberhafteste Film der an kreativen und zauberhaften Filmen reich gesegneten 80er Jahre. Gerade zur Mitte des Jahrzehnts standen Filme wie LEGENDE, DER TAG DES FALKEN oder WILLOW hoch im Kurs. Einige Jahre zuvor, 1982 nämlich, bewies DAS LETZTE EINHORN zwar, wie zauberhaft Kinderfilme sein können, musste aber noch auf Animationstechnik zurückgreifen.
Im selben Jahr zeigte Jim Henson bereits, welche Möglichkeiten seine Muppets noch besaßen, außer bepelzt durch ihr Varieté-Theater zu tanzen: DER DUNKLE KRISTALL gilt bis heute nicht nur als besonders visueller Märchenfilm, sondern auch als Vorreiter für Henson’s Labyrinth – in mehr als nur einer Hinsicht.

LABYRINTH erzählt die Geschichte der jungen Sarah, die sich ungerecht behandelt fühlt, weil ihre Eltern sie immer zur Babysitterin ihres Baby-Bruders Tobey machen. Sarah, mit einer reichhaltigen Fantasie gesegnet, wünscht sich daraufhin, dass der Koboldkönig Jareth kommen und den dauerplärrenden Schreihals mitnehmen möge. Prompt erscheint der Koboldkönig und stellt Sarah ein Ultimatum: Sollte es ihr gelingen, innerhalb von dreizehn Stunden sein Schloss im Zentrum des Labyrinths zu erreichen, bekäme sie Tobey wieder. Andernfalls werde aus dem Jungen ebenfalls ein Kobold.

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Der Film war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Allen voran das Setdesign. Bis ins letzte Detail war hier alles ausgeklügelt und wirkte wie verzaubert, in einer Form, wie man es noch in einem Realfilm gesehen hatte. Angefangen mit der Uhr, die dreizehn Stunden hatte, wundersamen Räumen, angelehnt an M.C. Eschers surreale Gemälde, Labyrinthwände, die gar nicht da waren, oder Felsen, die erst aus einer bestimmten Perspektive das Gesicht Jareths darstellten. (Bowies Gesicht war gleich mehrfach in dem Film versteckt – insgesamt 7 Mal kann es auf der DVD gefunden werden.) In nahezu jeder Szene und jedem Bild vollbringt der Film eine physikalische Unmöglichkeit mit derartig verspielter Leichtigkeit, dass einem selbst jetzt noch, und als Erwachsener, das Eintauchen in die Zauberwelt des Labyrinths wie von selbst gelingt.

Ein Kind des SCHWARZEN KRISTALLS


Bis heute unübertroffen bleibt außerdem das perfekte Foreshadowing: Ähnlich wie in Guillermo del Torros späterem Klassiker PAN’S LABYRINTH brennt hier beständig die Frage auf, wie real die Erlebnisse eigentlich sind, und wie weit sie in der Fantasie der Hauptfigur vorkommen. Dabei wird nahezu der gesamte Film bereits in den ersten Szenen und Kamerafahrten vorweggenommen: Figuren, Schauplätze, Kostüme, Rätsel: fast alles findet sich in irgendeiner Form in Sarahs Zimmer wieder. Wer den Filmanfang also ein zweites Mal aufmerksam schaut, wird fast alles wiederfinden, was ihn auf der Reise erwartet.

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Die damals 15 jährige Jennifer Connelly, die vorher vor allem in Sergio Leones letztem Film ES WAR EINMAL IN AMERIKA auffiel, konnte sich gegen eine ganze Heerschar großer Namen durchsetzen, die sich für die Rolle beworben hatten: Helena Bonham Carter, Mia Sara, Marisa Tomei, Sarah Jessica Parker, Ally Sheedy, Laura Dern, Yasmine Bleeth und Jane Krakowski sind nur einige der heute noch bekannten Namen.
Auch DER SCHWARZE KRISTALL sollte sich aufs Casting auswirken: 1982 hatten Jim Henson und Art Designer Brian Froud erstmals zusammengearbeitet und während der Produktion des KRISTALLS die Idee für LABYRINTH erarbeitet. Froud, der auch hier das Design entwickelte, lernte während der Arbeit an DER SCHWARZE KRISTALL seine Frau kennen, und schließlich landete ihr zweijähriger Sohn Tobey Froud als umzankter Schreihals in LABYRINTH. Der Name der Figur musste schließlich umgeändert werden, da der kleine Tobey (der heute noch aktiv als Puppenspieler und Schauspieler arbeitet) nur auf seinen eigenen Namen reagierte – wenn überhaupt. Legendär ist die Szene, in welcher Tobey, auf Bowies Arm sitzend, wie hypnotisiert zur Seite schaut. Nachdem der Junge die Szene immer wieder zerschrieen hatte, sprach Bowie seine Sätze, während er außerhalb des Bildes den Jungen mit einer Sockenpuppe beschäftigte.

David Bowie war dabei nicht unbedingt die erste Wahl Hensons gewesen, aber seine beste. In jedem Fall wollte Henson einen Sänger und hatte zunächst Michael Jackson oder Sting erwogen. Doch in Bowie fand er genau die gesuchte Mischung aus Mysteriösität, Boshaftigkeit und Menschlichkeit, die ihm für den Koboldkönig vorschwebten. Für Bowie war das Unternehmen ebenfalls lohnend, immerhin konnte er fünf Songs beisteuern. (Schon damals war Musik in Kinderfilmen einfach unvermeidlich!) Außerdem verkörperte Bowie nahezu perfekt die Mischung aus Bösartigkeit, Heimtücke und verspielter Magie. Etwa, wenn er mit Leichtigkeit die wildesten Dinge mit Glaskugeln anstellt. (Eine frühe Darstellung von Contact Juggling, bei der ein Künstler hinter ihm stand und mit den Armen an Bowie vorbegriff um blind(!) seine Jonglierkünste vorzuführen.

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Bedeutend war der Film auch für die Computerszene. Zum einen lieferte der Film die erste komplett computeranimierte CGI-Figur der Filmgeschichte ab (Die Eule im Vorspann), zum anderen wurde der Film später von LucasFilm Games als Grafikadventure aufbereitet. Lucasfilm Games‘ „The Labyrinth“ war das erste auf dem SCUMM-System basierende Adventure der legendären Spieleschmiede, die später mit Klassikern wie „Maniac Mansion“, „Zak McKracken“ und „The Secret of Monkey Island“ unsterblich werden sollte.

Ein gefloppter Klassiker


Doch trotz seiner Fantasie, seiner Stars, seiner Rätsel und Magie und der Geschichte über Freundschaft, Loyalität und Zusammenhalt war der Film ein finanzieller Flop. Wie schon DER SCHWARZE KRISTALL schien er vielen Eltern zu düster. Einige Szenen und Wesen wirken tatsächlich etwas bedrohlich. Die Kritiker warfen dem Film vor, überladen zu sein, bescheinigten Jennifer Connelly, weder Talent noch eine Zukunft zu haben, und waren insgesamt äußerst gespaltener Meinung.
Jim Henson war enttäuscht. Und so sollte DAS LABYRINTH schließlich sein letzter Film bleiben, bevor er 1990 starb und sein Sohn Brian die Führung der Muppet Studios übernahm.

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Erst später entwickelte sich DAS LABYRINTH zu einem Klassiker! Die Videoverkäufe zogen besonders in den 90ern an, und spätestens durch diverse Wiederholungen im Fernsehen fanden immer neue Kinder gefallen an dem Film (Ein Schicksal, dass der Film mit dem im Kino grandios gescheiterten DER ZAUBERER VON OZ teilt – auch der wurde erst durch seine Fernsehwiederholungen berühmt). Noch heute erklären die beiden menschlichen Stars, David Bowie und Jennifer Connelly, dass jedes Jahr nach Weihnachten neue Kinder auf sie zukommen und sie noch heute, 30 Jahre später, erkennen, weil sie sie in dem Film gesehen haben.

Tatsächlich ist DAS LABYRINTH kein dramaturgisch bestechender Film! Die Szenen wirken etwas zusammenhanglos, es gibt größere Zeitsprünge, die Motivationen sind fragwürdig oder fadenscheinig und aus heutiger Sicht wirkt das gesamte handgemachte Design (Es gab so gut wie keine Post-Production! Nahezu jede Szene wurde wie gesehen auf Kamera gebannt!) etwas altbacken.
Trotzdem schafft der Film etwas, das nicht vielen Filmen gelingt: Er verzaubert Kinder. Gerade Kinder, in deren Welt „Magie“ noch real ist, sind eben das Publikum des Films. Ein wichtiges Detail, das den zeitgenössischen Kritikern entgangen ist, die sich an Connellys Spiel gestört haben, ebenso wie den verschreckten Eltern, die vor den teils etwas düsteren Bildern zurückgewichen sind: Es gab und gibt vermutlich kein einziges Kind, das nicht verzückt und verzaubert vor der Leinwand oder dem Fernseher saß und die Mischung aus Magie, Rätseln, Abenteuer und Freundschaft verschlungen hat.
Und kaum jemand hat es besser verstanden, seine Filme mit den Augen eines Kindes zu sehen als Jim Henson, der hier, meiner Ansicht nach, sein persönliches Meisterwerk abliefert.

DAS LABYRINTH ist mit Sicherheit nicht der beste Film der 80er, und auch nicht der einzige Kinderfilm, der sich lohnt, doch es ist einer jener seltenen Filme, die nicht nur unterhaltsam, sondern im besten Sinne des Wortes „magisch“ sind. Ein Film, den jedes Kind sehen sollte, damit es noch ein wenig länger daran glaubt, dass Magie und Zauber Wirklichkeit sind.

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