22.09.17

Kinokritik: Es (USA 2017) – Reise durch Pennywises Welt

ES - die Geschichte um den Clown Pennywise und den Loser's Club, ist einer der populärsten Romane von Stephen King. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Kinofassung, zumal die Originalverfilmung fürs Fernsehen Kultstatus genießt. Doch keine Sorge: Die Begeisterung, der Hype und der immense Erfolg in den USA sind berechtigt. Denn mit ES startet ein echter Horror- und Abenteuerkracher im Kino, der einen das Fürchten lehrt. Aber auch mit den besten Freunden der Welt aufwartet. Also - fliegt ins Kino!
© Warner Bros. Entertainment
Marcos Blick:

Im Grunde ist es nur eine Randnotiz – noch dazu ein halber Zufall –, und doch sagt es bereits viel über die Qualität aus, die der Neuverfilmung des Klassikers ES innewohnt:
Denn der bösartige Clown Pennywise kehrt nicht einfach irgendwann auf die Leinwand zurück. Nein: Genau 27 Jahre nach der 1990 erschienen Fernsehfassung taucht das Monster, das alle 27 Jahre die Kleinstadt Derry heimsucht, erneut aus der Kanalisation auf, um sich die Speisekammer zu füllen.

Es ist diese Liebe zum Detail, die ES von einem gutgemachten Horrorfilm zu einem echten Filmerlebnis erhebt. Und besser noch: Zu einem rundherum geglückten Remake, das alle Anforderungen erfüllt: ES bietet dem modernen Publikum zeitgemäßen Horror, und liefert den alteingesessenen Fans des Originals genau jenen nostalgischen Kern, der die Geschichte seit jeher auszeichnet.

Dabei dauert es nur wenige Minuten, bis der Film ein deutliches Zeichen an alle Zuschauer sendet, vor allem an die Fans und Kritiker der Originalverfilmung: Dieser ES hat Zähne!
Ja, man spürt, dass sich die Zeiten ebenso geändert haben wie das Medium: Dieser ES ist keine Fernsehversion von 1990 mehr, die zur Primetime die ganze Familie unterhalten soll, sondern hier haben wir einen in den USA als R-Rated eingestuften Kinofilm vor uns. Aus deutscher Sicht wirkt es beinahe bizarr, dass hierzulande beide Varianten eine Altersfreigabe ab 16 Jahren haben …
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Doch in der Frage der Jugendtauglichkeit erweist sich die Geschichte von ES ohnehin als ausgesprochen ambivalent: Auf der einen Seite ist der Abenteuerstreifen der perfekte Stoff für Jugendliche und 12-Jährige, auf der anderen Seite sind einige der Sequenzen, welche die 12-jährigen Protagonisten durchleben müssen, ganz und gar nicht für ihre Altersstufe geeignet.

Wie dem auch sei: Diese Version ist düsterer, klarer und extremer als sein Vorgänger, und passt sich in dieser Hinsicht der literarischen Vorlage viel besser an. Das bedeutet aber nicht, dass der Kern der Geschichte verlorengeht. Auch hier dreht sich alles um die sieben Mitglieder des „Loser's Club“, um ihre Freundschaft, ihren Zusammenhalt, und um die Stärke, die sie aus ihrer Gemeinschaft ziehen. Und genau damit punktet der Film enorm. Um das vorweg zu nehmen: ES ist ein solider, düsterer und hervorragender Horrorthriller. Aber er wäre sogar ohne Monster und Clowns ein äußerst sehenswerter Streifen um einen Haufen liebenswerter Teenager.

Der Loser's Club


Das liegt auch daran, dass Stephen Kings Geschichten immer dann besonders effektiv sind, wenn der Schriftsteller in seine eigene Kindheit im Nordosten Amerikas während der wilden Sechziger eintaucht. Es ist dieser Blick eines jugendlichen Außenseiters auf eine Gesellschaft im Aufbruch, gefangen im ländlichen Maine, umgeben von Wäldern, wenige Jahre vor der elektronischen Revolution der Jugendzimmer, als man Abenteuer nicht online suchte, sondern in den Wäldern und am Stadtrand – und im Falle von Kings Geschichten auch findet. Meist mit schrecklichen Folgen.

Keine von Kings Geschichten, nicht einmal STAND BY ME und ihre zugrunde liegende Novelle „Die Leiche“, ist dabei so prototypisch nostalgisch wie sein ausufernder Wälzer „Es“.
In der kleinen Stadt Derry, Maine findet sich eine Gruppe Außenseiter zusammen: Der stotternde Bill, der übergewichtige Ben, der Jude Stan, die Brillenschlange Richard, der Hypochonder Eddie, der Schwarze Mike und die arme Beverly. Sie alle leiden unter dem rotzigen Halbstarken Henry Bowers und seiner Gang, die sie regelmäßig piesaken. Doch ihr größter Kampf steht ihnen noch bevor: Als immer mehr Kinder und Jugendliche verschwinden, beginnen Bill und der selbsternannte „Loser's Club“, dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Sie alle werden von furchteinflößenden Visionen heimgesucht, die sich immer wieder um einen fies-gruseligen Clown namens Pennywise drehen.
Nach und nach löst die Gruppe die Geheimnisse um das bösartige Monster und beschließt, den Kampf aufzunehmen. Doch damit ist die Sache noch lange nicht vorbei …
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Der 1.100 Seiten starke Roman „It“ erscheint 1986 und gilt heute (neben seiner „Der dunkle Turm“-Reihe) als Kings populärstes Werk. Der tiefsinnige Roman, der eine lebendige, atmende, vor Details strotzende Welt erschafft, hat eine eigene Fan-Wiki, unzählige Fanclubs auf der ganzen Welt, und ebenso viele Leser, die jedes Detail der Geschichte auswendig kennen.
Die Geschichte sollte also hinlänglich bekannt sein. Nichtsdestotrotz: 31 Jahre nach Erscheinen des Buches, und 27 Jahre nach der Fernsehverfilmung kann man nicht erwarten, dass jeder die Geschichte kennt, weswegen wir hier eine kleine Spoilerwarnung aussprechen: Wer sich die ein oder andere Überraschung bewahren möchte, darf gerne aussetzen, und später noch einmal wiederkommen!

Alle anderen: Hereinspaziert! Die Manege ist bereitet, und der Clown hat ein Programm in petto, das euch begeistern wird!

Der lange Weg auf die Leinwand


Es gibt viele Gründe dafür, dass Stephen Kings „Es“ so populär ist: Der Roman ist vielschichtig, detailversessen und herausragend komponiert. Ein weiterer Grund liegt jedoch in der ihm innewohnenden Nostalgie. Es ist ein Geniestreich Kings, die Geschichte auf zwei Zeitebenen zu verorten: einmal 1985, also in der Gegenwart, in der King den Roman schreibt, und 1958, 27 Jahre vorher, in dem Jahr, das King selbst als Elfjähriger erlebt hat.
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So kann er die Geschichte einerseits als modernen Horrorschocker, gleichzeitig in einigen Rückblenden aber auch als nostalgisches Jugendabenteuer schildern.
Für die Verkaufszahlen ist das seinerzeit Gold wert: Das junge Publikum kann einerseits die Horrorelemente genießen, und sich an dem Jugendabenteuer erfreuen. Die älteren Leser genießen zusätzlich die nostalgische Reise in ihre eigene Kindheit.
Bei einer derartig emotionalen Startposition rennt King offene Türen damit ein, dass er zusätzlich noch die klassische Geschichte von einem Haufen Underdogs erzählt, die sich einem schier übermächtigen Feind stellen.

Die Fernsehfassung STEPHEN KINGS ES von 1990 kürzt trotz dreistündiger Laufzeit das Quellmaterial erheblich zusammen – und wird dennoch ein überragender Erfolg. Das liegt vor allem daran, dass sie, wie schon die 1986 erschienene King-Adaption STAND BY ME, geschickt und wirkungsvoll im Nostalgie-Topf rührt.
Aber auch sonst überzeugt der Film mit seinerzeit äußerst überzeugenden Gruselsequenzen, in deren Zentrum Tim Currys legendäre Darstellung von Pennywise steht.

Der Film wird für unzählige damalige Jugendliche zu einem Kulthit. Besonders die Außenseiter der Welt können die Abenteuer des „Loser's Club“ wieder und wieder sehen, und den Film beinahe auswendig.
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Das Erbe, welches das Remake / die Neuverfilmung (da die Neuverfilmung sich beinahe dieselben Elemente des Romans herauspickt wie die Originalverfilmung, und auch deutliche Einflüsse von der Originalverfilmung erhält, kann man durchaus von einem Remake sprechen) antritt, ist also ein großes, und entsprechend zurückhaltend sind die Reaktionen, als verkündet wird, dass eine Neuauflage des Horrorabenteuers geplant sei. Ein anderer Darsteller als Tim Curry für Pennywise? Ein 1.100-Seiten-Roman als Zweistünder im Kino? Überhaupt: Ein Remake eines derartig populären, fast zeitlosen Klassikers?
Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass – oder wie – das funktionieren soll.

Doch es zeigt sich, dass die Filmemacher, und vor allem die Autoren rund um Cary Fukunaga, clever genug sind, um zu wissen, mit welchem Schwergewicht sie es hier zu tun haben.
Und sie machen beinahe alles richtig.


Dabei hat das Projekt einen langen Weg hinter sich.
Bereits 2009 gibt Warner Bros. grünes Licht, damals unter der Regie von David Kajganich, der tatsächlich den ganzen Roman als Zweistünder inszenieren soll. Doch das Projekt kommt nicht voran.
2012 übernimmt Cary Fukunaga das Steuer. Diesmal ist ein Zweiteiler geplant, von dem jedoch vorerst nur der erste Teil produziert wird, während die Fortsetzung als Option im Falle eines Erfolgs bestehen bleibt.
Fukunaga macht sich das Projekt komplett zu eigen. Er ändert etliche Teile des Originals ab, um seine eigenen Kindheitserinnerungen einzubauen. So ändert er einige Namen, nimmt einigen der Jungs ihre Schwächen (so verliert Bill sein Stottern), und macht aus der „Apokalyptischen Steinschlacht“ eine Schlacht mit Feuerwerkskörpern …
„Ich habe Kings Geist von 'Es' gewürdigt, aber ich musste die Geschichte modernisieren“, erklärt er dazu. „Ich arbeite daran, den Horror mehr durch Suspense aufzubauen, nicht als Visualisierung irgendwelcher Kreaturen. Es ist gruseliger mit Geräuschen und dem zu arbeiten, was man nicht sieht.“ Beinahe klingt es, als habe ihm eher ein Geisterfilm vorgeschwebt.

Doch die Differenzen mit Warner werden immer größer. Fukunaga will einen ganz und gar ungewöhnlichen, neuartigen Horrorfilm drehen, während Warner sich einen etwas traditionelleren Film wünscht, dessen Erfolg und Publikum sich berechnen lässt. Und so verlässt Fukunaga 2015 das Projekt.
Schließlich nimmt Andy Muschietti den Staffelstab auf. Fukunagas Traumbesetzung für Pennywise, Will Poulter, steht nun aus terminlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung.
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Obwohl Muschietti einen Großteil von Fukunagas Script übernimmt, schreibt er das Gerüst des Films deutlich um. Zum einen nähert er Details wie Namen und Schwächen wieder an die Romanvorlage an. Und während Fukunagas Script sich als Coming-of Age-Drama erweist, verschiebt Muschietti den Schwerpunkt stärker in Richtung Pennywise. „Ich möchte die Leute auf eine Reise durch Pennywises Welt mitnehmen, durch eine verstörende, surreale und berauschende Erfahrung, die niemanden kalt lässt.“

Am Ende, so viel können wir verraten, wird der Film beiden Zielen gerecht: ES taucht deutlich tiefer in Pennywises Welt ein als die Fernsehfassung von 1990, und funktioniert dennoch hervorragend als der Jugendfilm, den Fukunaga angestrebt hatte, und über den er sagte: „Der erste Teil handelt von den Kindern. Er ist eher eine Mischung aus DIE GOONIES und einem Horrorfilm.“

Zurück in die Zukunft


Als unerwartet, und dennoch zwingend notwendig erweist sich dabei die zeitliche Verschiebung der Geschichte. Natürlich wäre es möglich gewesen, der Vorlage treu zu bleiben, und die Geschichte der Kinder Ende der Fünfziger, und die Geschichte der Erwachsenen in den Achtzigern anzusiedeln.
Doch die Autoren wissen von Anfang an, dass sie damit nicht durchkommen würden. Und so verschieben sie die ganze Geschichte um einen Zyklus: Diesmal findet die Geschichte der Kinder im Jahr 1989 statt. Damit erreichen die Macher genau das, was Kings Roman einst so geholfen hat: Sie bieten dem jungen Publikum einen romantisierten Blick auf eine frühere Epoche, und dem älteren Publikum einen nostalgischen Blick auf ihre eigene Kindheit.
In meinem Falle trafen sie den Nagel damit auf den Kopf: Da ich 1989 im selben Alter wie die Protagonisten war, wurde hier die Zeit meiner Kindheit erzählt.
Wenn im Kino von Derry also BATMAN oder LETHAL WEAPON 2 laufen, dann sind das die Filme meiner Kindheit. (Und ja, ich habe den BATMAN-Hype begeistert mitgemacht!)
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Dazu passt auch, dass die Achtziger aktuell einen popkulturellen Hype erleben, der im Grunde nur mit dem popkulturellen Hype zu vergleichen ist, den die Sechziger vor dreißig Jahren genossen haben. Außerdem sind Kings Vorlagen zurzeit so beliebt, wie seit dreißig Jahren nicht mehr ...

Ganz grundsätzlich gelingt es den Autoren, ihrer Geschichte eine großartige Meta-Ebene zu verpassen. Um ein Beispiel zu nennen: Der nie um einen Spruch verlegene Richard hat nicht vor vielem Angst. In seinem Roman bedient sich King schließlich der gruseligen Filmmonster seiner eigenen Jugend. Und nichts hat einem Jugendlichen 1958 so viel Angst gemacht wie ein Werwolf!
Welches populäre Monster aber macht einem Jugendlichen 1989 Angst? Natürlich: ein Clown! Was wir genau dem Roman verdanken, dessen Verfilmung wir hier sehen. Im übrigen nutzen die Macher diesen Umstand für einen witzigen Cameo-Auftritt des Pennywise von 1990.
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Darüber hinaus jedoch bleiben die Autoren der Vorlage treu: Sie inszenieren ein bittersüß-nostalgisches Teenagerabenteuer, voll von Unsicherheiten, erster Liebe und dem üblichen Todeskampf gegen einen mörderischen Clown, sparen dabei jedoch die eher zynischen und düsteren Elemente des Romans aus. (Ja, auch diesmal bleibt Beverly das brave, in einem alliterativen Liebesdreieck gefangene Mädchen, und sie darf nicht mal mit der Schleuder glänzen!)

Mit dem Clown kamen die Tränen


Dass der Film am Ende so gut funktioniert ist in erheblichem Maße dem Drehbuch zu verdanken, daneben aber zu großen Teilen auch den Schauspielern. Denn die Jugendlichen überzeugen restlos. Die meisten davon sind unbekannt, andere hat man schon einmal gesehen oder sogar einen kleinen Star vor sich – allen voran Finn Wolfhard, der ausgerechnet in STRANGER THINGS für Furore sorgte, der Serie, die wie keine andere in dem nostalgischen Achtziger-Gefühl gründelt, das Stephen King mit seinem Roman „Es“ überhaupt erst erschaffen hat.
(Die für STRANGER THINGS verantwortlichen Duffer-Brüder bewerben sich leidenschaftlich für die Regie am Remake von ES, werden aber aufgrund mangelnder Referenzen übergangen. Nicht zuletzt diese Absage inspiriert sie dazu, ihre Visionen in der Serie STRANGER THINGS umzusetzen!)
Man nimmt sämtlichen Schauspielern ihre Figuren ab, und einige davon, vor allem Sophia Lillis als Beverly, Jeremy Ray Taylor als Ben, Jaeden Lieberher als Bill und eben Finn Wolfhard als Richard, schließt man in kürzester Zeit ins Herz. Das macht ihren Kampf gegen Pennywise umso aufregender.

Womit wir bei einem weiteren Höhepunkt des Films wären. Denn seien wir ehrlich: Das Wohl und Wehe von ES hängt davon ab, wie gut Pennywise funktioniert. Und eines versichern wir: Der Horror-Clown ist zurück!

Nachdem Will Poulter aussteigen muss, stehen noch zwei Kandidaten in der engeren Wahl: Bill Skarsgård und Hugo Weaving. Skarsgård erhält die Rolle schließlich, weil er, anders als Weaving, neben dem bedrohlichen Pennywise auch noch den „freundlichen“ Clown spielen kann.
Skarsgård nimmt die Rolle an, hat jedoch eine Heidenangst. Er weiß, wie ikonisch Currys Darstellung des Clowns ist, und beschließt, dessen Version des Clowns komplett zu ignorieren, „da ich ihr ohnehin nicht gerecht geworden wäre.“
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Monatelang erarbeiten er, Regisseur Andy Muschietti und ein dreiköpfiges Kostüm- und Make-up Team die Manierismen des Clowns – während die Dreharbeiten längst laufen. (Anders als in der Vorlage dienen hier Kostüme aus der Ära des Mittelalters und frühen Neuzeit als Vorbild für das Clownskostüm, um Pennywises Alter zu unterstreichen.)
Skarsgård versinkt so tief in der Rolle, dass ihn Alpträume plagen und er immer unruhiger wird. Zudem leidet er unter Einsamkeit – Muschietti hält ihn vom Rest des Filmteams isoliert; zum einen, weil er vermeiden will, dass Fotos ins Internet gelangen, zum anderen, weil er sich davon eine stärkere Reaktion der Kinderschauspieler erhofft, wenn sie auf Pennywise treffen. Skarsgård, selbst erst sechsundzwanzig, muss, während er die Zeit allein in seinem Wohnwagen verbringt, immer wieder hören, wie viel Spaß alle anderen beim Dreh haben, den sie als „den besten den wir je hatten“ bezeichnen. Doch er nutzt die Zeit, um seinen Clown noch ein wenig gruseliger zu gestalten.

Die Dreharbeiten sind bereits halb vorbei, als Muschietti Skarsgårds Pennywise das erste Mal auf seine Jungschauspieler loslässt. Wenigstens ist er fair: Er warnt die Schauspieler und das Team, dass der Clown wirklich gruselig sein wird, was die Jungsstars locker abschütteln. „Wir sind Profis“, erklären sie, „und wir wissen doch, dass das nur ein Schauspieler im Kostüm ist.“
Als Skarsgård jedoch ans Set kommt und loslegt, bekommen einige der Kinder wirklich Angst und beginnen zu zittern, sodass er sich hinterher voller Schuldgefühle entschuldigt und versichert, dass alles nur gespielt war.

Man kann es den Kindern nicht verübeln – Skarsgårds Pennywise ist eine Show für sich! Tatsächlich entfernt er sich komplett von Currys Version. Während Curry einen gutgelaunten Clown darstellt, der immer wieder in den Monstermodus verfällt, hat Skarsgård seiner Rolle alles Menschliche genommen. „Er ist so ein extremer Charakter. Unmenschlich. Er ist nicht mal mehr ein Soziopath, weil er nicht mal ein Mensch ist. Er ist nicht einmal ein Clown. Ich spiele nur eine der Formen, die Es annimmt. Es hat wirklich Spaß, ein Clown zu sein, Es hat Spaß an der Jagd. Es gibt da etwas Kindliches an der Figur, weil Es so eine enge Verbindung zu Kindern hat. Der Clown ist eine Manifestation der kindlichen Vorstellungskraft, dadurch wird Es irgendwie selbst kindlich.“
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Damit beschreibt Skarsgård seine Figur nahezu perfekt: unmenschlich, animalisch, und gleichzeitig von einer kindlichen Freude an der Jagd getrieben. Gerade diese diebische Freude daran, Kinder mit Furcht zu erfüllen macht ihn so gespenstisch.
Hinzu kommen einige Details, die seine Unnatürlichkeit unterstreichen. So blinzelt er beispielsweise niemals. Ein weiterer Effekt ist der, dass seine Augen gelegentlich unabhängig voneinander zu arbeiten scheinen. Ursprünglich will Regisseur Manschietti diesen Effekt mit CGI realisieren, doch Bill Skarsgård verfügt tatsächlich über die seltene Gabe, seine Augen bis zu einem gewissen Grad in unterschiedliche Richtungen gucken zu lassen – was den Effekt nur umso verstörender macht.

Ja – dieser Pennywise ist wirklich gruselig!

Doch auch sonst schlägt dieser ES einen anderen Ton an als die Fernsehfassung von 1990: Sie ist deutlich bösartiger, brutaler, und hat viel mehr Biss. Die Macher wollen einen wirklich garstigen Film drehen, der seinem angestrebten R-Rating auch gerecht wird.
Ein bisschen beginnen damit auch die Probleme, die der Film durchaus hat.

Nicht alles fliegt


ES ist hier und dort ein zweischneidiges Schwert.
Für Puristen der Romanvorlage wird es auch hier wieder eine Menge zu Meckern geben. Ja, Beverlys Figur ist wieder deutlich weniger kantig als im Roman. Patrick Hockstetter kommt zwar im Gegensatz zur Fernsehfassung hier endlich einmal vor (was für große Begeisterung unter den Romanfans führte, als die Casting-Nachricht die Runde machte), hat aber weiterhin nicht annähernd den Einfluss, den er im Roman besitzt. Nach wie vor ist es Henry Bowers, der den Ton angibt, und Patrick gerät zum eher unwichtigen Sidekick. (Dafür erspart man uns diesmal Belch und sein andauerndes Gerülpse!)

Auch muss der Film sich einen direkten Vergleich mit der Fernsehfassung gefallenlassen: Dort standen bei einer Gesamtlauflänge von gut 180 Minuten 90 Minuten für den ersten Kampf gegen Es zur Verfügung. ES hat nun 140 Minuten, also ganze 50 Minuten mehr zur Verfügung. Und dennoch, und obwohl der Film die jungen Figuren des Loser's Club liebevoll darstellt, hat man im direkten Vergleich den Eindruck, dass die Fernsehfassung das Band der Freundschaft, das zwischen den Figuren herrscht, noch stärker darstellen konnte. Auch sind einige der Schwächen, etwa Eddies Hypochondrie, in der Fernsehfassung einfach griffiger.
Dafür widmet sich ES eben deutlich stärker Pennywise, der hier in den Fokus rückt.
Auch werden die einzelnen Geschichten und Hintergründe der Jugendlichen stärker ausgeleuchtet, die in der Originalverfilmung oft nur in einem Nebensatz angerissen werden.
Besonders lobenswert ist dabei, dass Stan, der 1990 beinahe komplett unbeleuchtet blieb, dieses Mal wesentlich prägnanter ist. (In seinen Angstvisionen wird dann auch sichtbar, dass Andy Muschietti mit seinem Horrorfilm MAMA Weltruhm erlangte.)
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In Sachen Modernisierung, das müssen wir zugeben, hat ES uns nur bedingt überzeugt. Der moderne Horrorfilm, das lässt sich nicht wegreden, ist vom Jumpscare beherrscht, was bedeutet: Die Musik verstummt, der Film wird leise, die Kamera bewegt sich nur noch kriechend, möglichst dicht an den Figuren ... bis plötzlich irgendetwas ins Bild stürzt, begleitet von einem ohrenbetäubenden Geräusch – einem Quietschen oder Schrillen oder Pfeifen – der Zuschauer wird einfach nur erschreckt. Mit Grusel hat das nichts zu tun, man sitzt nur da, und wartet auf das nächste laute Geräusch, das einen erschreckt. Solche Filme lassen sich übrigens mit den Fingern in den Ohren ganz entspannt weggucken.

Auch ES beugt sich dieser modernen Form des „Grusels“ leider in unangenehmen Maße, wenngleich er sich nicht darauf ausruht. Neben den „Grusel“-Szenen bietet er mehr als genügend düstere Momente, in denen man im Sitz herumrutscht, unschlüssig, ob man den Blick abwenden möchte, oder ob man wirklich sehen will, was da im Dunkeln lauert … ES funktioniert also durchaus noch auf einer anderen, düsteren Ebene, und erreicht durch seine visuelle Kraft eine enorme Wucht, die uns nach der Sichtung nachhaltig beschäftigt hat.
Das kommt aber auch durch die düstere Grundstimmung des Films. Noch stärker als in der Fernsehfassung hat man hier das Gefühl, die Kinder wären allein in einer Welt voller Gefahren. Die Erwachsenen in Derry sind noch karger, verklärter oder abwesender, noch blinder gegenüber der Gefahr, der ihre Kinder ausgesetzt sind, noch ignoranter gegenüber dem Grauen, das durch die Stadt schleicht. (In keiner Szene wird das so deutlich wie in der, in der die Erwachsenen an einem Übergriff auf ein Kind einfach vorbeifahren.) Wartete die Fernsehfassung wenigstens am Rande noch mit freundlichen Nebenfiguren auf, wie etwa dem Apotheker, sind hier nun sämtliche erwachsenen Figuren eher Schatten oder eine Bedrohung. Figuren, die beinahe so viel Angst hervorrufen wie Pennywise selbst. Und die den Kindern garantiert keine Hilfe sein werden.
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Auch das, diese durchgängig schwere Düsterkeit der Welt, in der die Kinder leben, ist einer der Gründe, weshalb ES für uns der bisher beste Horrorfilm des Jahres ist. Dennoch wünschten wir uns, dass er weniger Jumpscares hätte – und generell wünschten wir uns, dass er weniger Gruselszenen hätte. Es gibt Augenblicke, in denen man sich beinahe wünscht, dass der Film mal wieder eine lockerleichte Szene in Angriff nehmen würde. Heute, zwei Wochen nach der Sichtung, erscheint es uns, als habe der Film zu sechzig Prozent aus gruseligen Sequenzen bestanden. Ein bisschen weniger hätte da tatsächlich nicht geschadet.

Und dann ist da der Umzug in die Achtziger …
Die Idee ist, wie oben erwähnt, beinahe zwingend, und in jedem Fall äußerst sympathisch. Deswegen ist es so bedauerlich, dass die Verlegung in die Achtziger rein kosmetischer Natur ist. Denn, alle Äußerlichkeiten außen vor gelassen, spielt der Film weiterhin in den tiefsten Sechzigern.
Gerade weil eine Serie wie STRANGER THINGS das Lebensgefühl von Kindern und Teenagern während der Achtziger so gut einfängt, fällt der Anachronismus in ES umso stärker auf.


Ja, im Kino läuft BATMAN, und ja, Henry Bowers sieht nicht mehr aus wie ein Pomade saufender Mini-Fonzi, sondern dank Vokuhila und Muscle-Shirt wie eine Mischung aus übelgelauntem Patrick Swayze und sehr jungem Frank Gallagher. Doch das war es auch schon.
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Gerade weil ich im selben Alter wie die Protagonisten war und bin, fühle ich mich nicht angesprochen. 1989 – das war das Jahr von BATMAN, ja, aber es war auch das Jahr von MIAMI VICE und ARIELLE und INDIANA JONES 3, das Jahr der CD, von Amiga, Sega Mega Drive und Game Boy, von Roxette und David Hasselhoff und den Scorpions, von Nadeldruckern und 3D Stickern und durchsichtigen Telefonen. 1989 war die Popkultur der Achtziger bereits fester Bestandteil des jugendlichen Alltags. STRANGER THINGS gibt das perfekt mit einem simplen Bild wieder: Dort bilden die Loser eine Gruppe, indem sie sich anhand der Popkultur ihrer Zeit definieren – als gemeinsame GHOSTBUSTERS.

ES hingegen versucht uns vorzugaukeln, man habe 1989 mit Papierschiffchen im Rinnstein gespielt, habe an einem Sommertag am See herumgelungert und auf Grashalmen gekaut, während man in der Bibliothek in Büchern gelesen hat. (Letzteres ist dem Film immerhin einen Witz wert.)
Die Welt der Kinder mag aussehen wie 1989, aber das Lebensgefühl der Zeit fängt der Film nicht ein. Spielen tut der Film weiterhin in den Sechzigern …
Das fand ich persönlich ein wenig enttäuschend. Und es wurde umso deutlicher, als wir einen Tag später SUPER DARK TIMES sehen durften, der die Protagonisten im Grunde fünf Jahre weiterführt: 1994 angesiedelt, erzählt er von einer Reihe sechzehnjähiger Nerds und Loser in einer amerikanischen Kleinstadt. Hier aber dreht sich alles um Filme, Comics, Videos, Musik, Samuraischwerter und Filme.
Das allein macht deutlich, dass man den Anachronismus in ES auch nicht damit wegreden kann, er spiele halt in einer Kleinstadt oder handle von Kindern.

Fazit


Also ja, es gibt Momente, die uns an ES nicht gefielen.

Doch im Gesamtpaket wirken diese sich nicht aus, weil auch sie vornehmlich kosmetischer Natur sind.
ES ist der bisher beste Horrorfilm des Jahres, und für uns eines der absoluten Jahreshighlights.
27 Jahre nach der Fernsehfassung zeigt er uns, wie düster und bösartig, und gleichzeitig cool und witzig die Geschichte noch immer ist.

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Bill Skarsgård erschafft mit seinem Pennywise eine Bedrohung, die spür-, aber nicht greifbar ist, und in Erinnerung bleiben wird. Nicht nur ist er Currys legendärer Darstellung ebenbürtig, in mancherlei Hinsicht übertrumpft er ihn sogar.
ES ist modern genug, um dem heutigen Publikum gehörig Angst zu machen, und gleichzeitig nostalgisch genug, um uns alte Säcke wehmütig dahinschmelzen zu lassen.

Vor allem aber lebt ES, wie es sich gehört, von seinem Loser's Club! Es macht einfach Spaß, den Jungs und Beverly zuzuschauen. Man schließt sie direkt ins Herz und genießt es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Und man zittert mit ihnen, wenn der Clown mit den leuchtenden Augen ihnen immer dichter auf die Pelle rückt. Und gerade weil man sich in die Figuren verliebt, freut man sich umso mehr auf die Fortsetzung. Andy Muschietti und Bill Skarsgård sind bereits wieder mit an Bord. Die jugendlichen Darsteller durften bei Gelegenheit ihre Wunschschauspieler nennen, die ihre erwachsenen Pendants spielen sollen, und dabei kam ein wirklich illustrer Cast zusammen. (Spoiler: An Jessica Chastain wird bereits fleißig gearbeitet!)
Alles in allem ist ES perfekte, und keine Sekunde langweilige Kinounterhaltung. Ein gruseliges, manchmal ein bisschen derbes, nostalgisches, mit Easter-Eggs vollgestopftes und wunderbar emotionales Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte!
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2 Kommentare:

  1. Ich bin immens gespannt darauf, wie sich dieses Remake macht. Das Original ist natürlich auch für mich eines der Kindheitserinnerungen, die hängen geblieben sind und Clowns waren spätestens nach ES nie wieder lustig.

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  2. Da darfst du tatsächlich freudig Gespannt sein. Ja, auch uns hat ES in der 1990er Fassung damals ziemliche Angst eingeflößt. Über Clowns konnten wir uns seitdem nicht mehr recht freuen ...

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