John Goodman ist möglicherweise einer
der ungewöhnlichsten Hollywoodstars unserer Zeit. Obwohl er niemals
ein Superstar wird, keine Hauptrollen in millionenschweren
Blockbustern hat, niemals mit wertvollen Preisen überschüttet wird,
weder Cover noch Poster ziert, keine Werbeverträge abschließt,
nicht als Jugend- oder Sexsymbol vermarktet wird, keine Skandale
auslöst und keine Frauenschwarms spielt; obwohl die Jahre, in denen er
überhaupt große Rollen spielen durfte, schon zwei Jahrzehnte
zurückliegen und er seit Jahren vornehmlich in kleineren Rollen
glänzt, gilt John Goodman bis heute als einer der bekanntesten und
populärsten Schauspieler der Welt. Wie schafft der Mann das?
Spurensuche in einer ganz normalen und doch durch und durch ungewöhnlichen Karriere.
Es gibt dieses eine ganz bestimmte
Gefühl, das nahezu jeder Filmfan kennt, und mit großer Sicherheit
wenigstens einmal erlebt hat. Er schaut einen Film, vielleicht eine
Serie. Vielleicht ist der Film ein Meisterwerk, vielleicht ein gerade
mal mittelmäßiges Stück belichtetes Zelluloid. Und dann, womöglich
ganz unerwartet, geschieht es.Spurensuche in einer ganz normalen und doch durch und durch ungewöhnlichen Karriere.
Plötzlich erscheint dieser Mann auf
der Leinwand oder dem Bildschirm. Schon physisch eine Naturgewalt,
beinahe einen Meter neunzig groß und mit einem Gewicht, das sich in
den schlimmsten Zeiten den zweihundert Kilo nähert.
Doch da ist noch etwas anderes. Eine
Präsenz auf dem Bildschirm, die Art, wie er sein Gesicht mit wenigen
Muskelregungen von einer furchteinflößend grimmigen Maske zu jenem
berühmten strahlenden Lächeln mit den zusammengekniffenen Augen und
den glänzenden Apfelwangen verändern kann. Wie er seinen massigen
Körper mal stolz, mal drohend, mal beiläufig oder entspannt hält,
und manchmal damit wilde Verrenkungen und clowneske Spielchen treibt.
Es ist dieser Augenblick, wenn John
Goodman auf der Bildfläche erscheint, in der jeder Film, jede Serie,
mit einem Mal einen Sprung nach oben macht. Besser wird.
Sehenswerter. Ganz plötzlich denkt man sich: „Hey, John Goodman
spielt mit - das wird cool!“
Das Loch reißt auf
Denn wenn John Goodman sich in den
mittlerweile gut vierzig Jahren Schauspielkarriere ein Markenzeichen
erarbeitet hat, dann dieses: Er liefert immer ab! Wie
durchschnittlich oder sogar schlecht der Film auch ist, in dem er
mitspielt, wie klein seine Rolle auch sein mag, John Goodmans
Auftritte sind nahezu immer sehenswert, unterhaltsam, voller
Intensität, egal ob diese nun bedrohlicher oder humorvoller Natur
ist. In den besten Fällen ist sie beides.
Man müsste lange suchen, um einen
Goodman Auftritt zu finden, den man reinen Gewissens als missraten
bezeichnen kann. Denn natürlich gibt es diese auch. Bei drei bis
vier Auftritten im Jahr und mittlerweile 144 Einträgen in der Imdb
muss es sie geben. Aber man muss sie suchen.
Quelle: Blu Ray "Matinee" © Koch Media GmbH |
John Stephen Goodman wird am 20. Juni
1952 in St. Louis geboren. Er hat eine Schwester und einen Bruder,
doch sein Vater stirbt wenige Tage vor Johns zweitem Geburtstag. Es
wird die Tragödie, die womöglich einen Großteil seines Lebens
bestimmt.
Um die Kinder zu ernähren, arbeitet
Goodmans Mutter in mehreren Jobs und ist so gut wie nie zu Hause.
Goodman erklärt selbst, dass diese Elternlosigkeit in ihm schon früh
ein Loch hinterlassen hat, für das er ebenfalls schon früh nur eine
Lösung findet: Essen. Er kriegt schon als Kind Fressattacken und
schaufelt jede Menge Süßigkeiten in sich rein. Doch Goodman wird
auch schon früh Sportler, spielt Football, so dass er nie wirklich
dick wird.
Dennoch ist er kein beliebtes Kind,
steckt voller Selbstzweifel und ist mit sich selbst oft unzufrieden –
bis heute. Auch das wird sein Leben jahrelang auf die
schlimmstmögliche Weise beherrschen.
Auf dem College schließlich
entscheidet sich Goodmans Schicksal: Eine Knieverletzung macht eine
weitere Karriere als Footballstar unmöglich. Doch Goodman findet
Spaß an diversen Theaterkursen. Irgendwann beschließt er,
Schauspieler werden zu wollen.
Mit tausend Dollar ins Nichts
Für seine Mutter ist das eine fremde
Welt. Sie redet es ihm nicht aus, weiß aber wenig damit anzufangen.
Goodman studiert Schauspiel (unter anderem mit Kathleen Turner), und
will es schließlich wissen. Er leiht sich von seinem Bruder dessen
ersparte tausend Dollar, und zieht damit nach New York. Das Jahr ist
1975, und Goodman noch weit von einem Karrierestart entfernt.
Die erste Zeit in New York ist hart für
den 23-jährigen Nobody, der keinerlei Kontakte in der Stadt hat,
keinen Agenten, keine Freunde. Er wohnt in einer kleinen Wohnung nahe
dem Theaterviertel in Manhattan, an der Ninth Avenue Ecke 51st
Street. Und doch ist er hochmotiviert. „Ich wusste, wenn ich es
nicht tue, bereue ich es – wenn ich es nicht wenigstens versuche.“
Zunächst besteht seine
Hauptbeschäftigung darin, etliche Stunden pro Tag Absagen von allen
möglichen Theatern und Fernsehcastern zu kassieren. Er versucht,
seinen Namen und sein Gesicht irgendwie bekannt zu machen, eine noch so kleine Rolle zu ergattern, um wenigstens
in der Schauspieler-Gewerkschaft unterzukommen.
Quelle: DVD "Arachnophobia" © Walt Disney Home Entertainment |
Oft hat er so wenig Geld, dass er sich
nicht mal Essen kaufen kann. „Einmal hatte ich ein paar Bohnen
auf dem Herd. Ich habe sie auf der Platte gelassen um zu köcheln und
mich aus dem Apartment ausgesperrt. Da waren sie schließlich futsch.
Und das war für eine Weile meine letzte Mahlzeit.“
Zwei Jahre putzt Goodman Klinken, kann
hier und da in einer Bar arbeiten, bis ihn ein Werbeproduzent
kennenlernt und regelmäßig
bucht. Endlich tröpfeln die ersten kontinuierlichen Schecks ein,
auch wenn Goodman für wenig Geld viel Unsinn treiben muss. Noch
heute berühmt ist sein Spot
für ein Rasierwasser, für den er sich quasi selbst Ohrfeigen
muss – eine recht passende Metapher für jene Zeit in Goodmans
Karriere. Eine andere Szene, in der er sich ausziehen und duschen
muss bezeichnet er noch heute als peinlichstes Erlebnis seiner
Karriere.
Doch Goodman nimmt Fahrt auf. Er erhält
erste kleine Rollen in Off-Broadway Stücken und spielt immer mehr
Theater. Goodman hat es geschafft und seinen Traum verwirklicht: Er
kann von der Schauspielerei leben. Und damit beginnt ein Problem, das
ihn dreißig Jahre lang prägen wird.
Der Sprung nach oben
Heute gibt er seinem mangelnden
Selbstbewusstsein, aber auch dem Druck der Arbeit und vielem mehr die
Schuld an dreißig Jahren schweren Alkoholkonsums. Auch der
Angst. „Als Schauspieler lebst du sowieso mit der Angst. Wenn du
gerade keine Rolle hast, hast du Angst vor der Arbeitslosigkeit. Wenn
du Arbeit hast, hast du Angst vor dem, womit der Regisseur dich als
nächstes nervt.“
Goodman beginnt, immer mehr in Kneipen
und Bars abzuhängen, darunter die, in welcher Bruce Willis „ganz
ausgezeichnete Drinks“ mixt. In der Regel enden diese Abende erst,
wenn er komplett volltrunken ist. Vermutlich ist es das altbekannte
Loch in ihm, das er weder mit Essen, noch mit Alkohol noch mit seinem
ewigen schauspielerischen Perfektionismus füllen kann. Doch
Letzteres öffnet ihm wenigstens immer mehr Türen.
1983 ergattert der mittlerweile
gestandene Theatermime seine erste Fernsehrolle (neben Jeffrey DeMunn) in dem heute komplett unbekannten THE FACE OF RAGE.
Die erste Hälfte der Achtziger werden
für Goodman noch wenig bemerkenswert, doch in der zweiten Hälfte
startet er komplett durch.
1986 und 1989 spielt er neben den damaligen
Top-Stars Al Pacino, Dennis Quaid und Ellen Barkin eine größere Rolle in den
Erotikthrillern THE BIG EASY und SEA OF LOVE, 1988 neben Whoopie Goldberg in der
Actionkomödie BURGLAR – DIE DIEBISCHE ELSTER.
1987 beginnt schließlich die
Zusammenarbeit, die zu einem der tragenden Pfeiler von Goodmans
Karriere werden wird, und ihn Jahre später vermutlich vor dem
Untergang rettet: Die Coen Brüder verpflichten den vielseitigen
Hünen für ihren zweiten Film ARIZONA JUNIOR. Es wird die erste von
bisher sechs Zusammenarbeiten – mit kaum einem Star arbeiten die
Filmemacher öfter zusammen als mit John Goodman.
Quelle: DVD "Arizona Junior" © Twentieth Century Fox |
Doch zu dieser Zeit ist Goodman in
Amerika längst ein landesweiter Star, denn 1988 erhält er die
Rolle, die ihn bis heute definiert wie nur eine einzige andere: Die
des Trockenmaurers und Familienvaters Dan Connor.
Frisch aus Langford – die Megastars von ganz unten
Eine Stimme und eine besondere Prämisse
bilden die Basis zu Goodmans bis heute größtem Erfolg.
Das Produzentengespann Marcy Carsey und
Tom Werner suchen nach einer neuen Idee für eine Sitcom und finden
ihre Galionsfigur in Roseanne Barr. Es ist vor allem Roseannes
durchdringende Stimme, die ihnen zusagt, und ihre Routine als
„Hausfrauen-Göttin“, mit der Barr durch die Comedy-Clubs
tingelt.
Ihr wird die Sitcom ROSEANNE auf den
Leib geschrieben, die als eine der ersten Sitcoms gilt, bei der keine
reichen und erfolgreichen Familien im Mittelpunkt stehen, deren
Lebensprobleme oft abgehoben wirken. Die Connors, wie Roseannes
Fernsehfamilie heißt, bilden stattdessen, ähnlich wie die im Jahr
darauf startenden SIMPSONS, das Amerika der Arbeiterklasse ab: Zwei
voll werktätige Elternteile, aufmüpfige Kinder, unbezahlte
Hypotheken, Finanzsorgen, Alkoholiker und ein kräftiger Schuss
dysfunktionaler Zusammenhalt. Eine derart schnodderige Sitcomfamilie
hat es vorher nicht gegeben.
Den perfekten Gegenpart für Roseanne findet man in John Goodman. Der spielt den hart arbeitenden, liebevollen, oft überforderten und gleichzeitig zwischen Machismo und Liberalität schwebenden Familienvater derartig gut, dass er mancherorts zunächst für einen Darsteller gehalten wird, der sich selber spielt.
Quelle: DVD "Roseanne - Die Komplettbox" © Universum Film GmbH |
ROSEANNE wird aus dem Stand eine der
erfolgreichsten Sitcoms der Neunziger. Neun Jahre lang, bis 1997,
bleibt auch John Goodman der Serie treu und durchlebt mit seiner
Fernsehfamilie alle Höhen und Tiefen – auch wenn die letzte
Staffel als etwas missglückt betrachtet werden kann. ROSEANNE ist es
auch die Plattform, die John Goodman zum weltweiten Superstar macht,
und die Neunziger zu seiner finanziell und künstlerisch
erfolgreichsten Dekade. Goodman wird fünf Jahre in Folge für einen Golden Globe nominiert (den er im letzten Jahr auch endlich erhält) und sieben Jahre in Folge für einen Emmy. Diesen gewinnt er jedoch erst später als Gaststar in der kurzlebigen Comedyserie STUDIO 60 ON THE SUNSET STRIP. Es bleiben bis heute Goodmans einzige Preise.
(Dafür hält Goodman einen anderen Rekord - insgesamt dreizehn Mal "hostet" er bislang die Traditionsshow SATURDAY NIGHT LIVE - öfter als jeder andere Star.)
(Dafür hält Goodman einen anderen Rekord - insgesamt dreizehn Mal "hostet" er bislang die Traditionsshow SATURDAY NIGHT LIVE - öfter als jeder andere Star.)
Das erste Mal ganz vorne
Der Erfolg und Ruhm, besonders als
Komiker, verschaffen John Goodman jedoch den Marktwert, der ihm seine ersten
Hauptrollen einbringt.
Die erste davon bekommt er 1991 in der
quasi speziell für ihn geschriebenen Komödie KING RALPH – ein
schräger Unfall rafft das gesamte englische Königshaus dahin. Der
schnodderige amerikanische Showpianist Ralph ist somit der nächste
lebende Anverwandte des Königs und darf fortan den Buckingham Palace rocken. Was
John Goodman trotz seiner Statur mit
ziemlich wilden Verrenkungen schafft!
Noch im selben Jahr schreiben auch die
Coens ihm eine Rolle auf den Leib, die des umtriebigen
Versicherungsvetreters Charlie Meadows in BARTON FINK, quasi eine
zweite Hauptrolle in dem Film. Das Besondere dabei: Die Coens
besetzen Goodman in BARTON FINK erstmals in einer düsteren,
bösartigen Rolle und damit komplett gegen den Strich. Doch es sind
besonders diese Rollen, die Goodman fortan mit jenem einmaligen Verve
vorbringt, der ihn auszeichnet. Niemand ist so bedrohlich und gleichzeitig liebenswürdig
wie Goodman.
1992 endlich wird Goodman auch im
dramatischen Fach ganz nach vorne geschoben: Nicht zuletzt seine
physische Ähnlichkeit mit Baseball-Legende Babe Ruth verschafft ihm – wenn auch mit Nasenprothese – die Hauptrolle in dem leider etwas missglückten, aber dennoch
sehenswerten Bio-Drama THE BABE – EIN AMERIKANISCHER TRAUM.
Quelle: DVD "The Babe - Ein amerikanischer Traum" © KSM GmbH |
In DIE FAMILIE FEUERSTEIN haucht
Goodman einer der bekanntesten Zeichentrickfiguren der Geschichte
echtes Leben ein. Es ist der erste (und einzige!) Sommerblockbuster,
den John Goodman als „Leading Man“ bestreitet, der
einzige Film, in dem er jemals als so etwas wie ein Megastar und
Kassenmagnet behandelt wird. Der Film wird, wie zu erwarten, überaus
erfolgreich, jedoch von den Kritikern wenig geliebt.
Dennoch markiert er einen Wendepunkt in Goodmans Karriere. Es wird seine letzte große
Hauptrolle werden, denn trotz des Erfolgs zieht Goodman sich bald
wieder in die zweite Reihe zurück. Er ist und bleibt kein
Starmaterial, sondern der Schauspieler, der schräge Typen, Sportler,
Mechaniker oder Familienväter aus der Mittelschicht spielt, der
gleichzeitig wie ein Knuffelbär und physisch bedrohlicher Psychopath
wirkt.
Die Vorstellung, Goodman könne jemals
so etwas wie den Retter der Welt, einen Frauenschwarm oder
irgendetwas anderes spielen, was all die Stars regelmäßig auf die
Leinwand bringen, findet er selbst absurd. Mit der Frage konfrontiert, was er tun würde, wenn er wie Brad Pitt aussähe,
antwortet er nach langem Schweigen nur: „Das kann ich mir nicht
vorstellen.“
Goodman ist und bleibt ein
Schauspieler, der erdige Typen spielt, keine überfrachteten Helden.
Und dazu wäre er auch nicht in der Lage.
Quelle: DVD "The Flintstones - Die Familie Feuerstein" © Universal Pictures Germany GmbH |
Im selben Jahr liefert Goodman auch
seine vielleicht mutigste, auf jeden Fall aber eine seiner wenigen
komplett missglückten Rollen ab. In BLUES BROTHERS 2000 nimmt er die Herausforderung an, eine der kultigsten und legendärsten Figuren der
Filmgeschichte zu ersetzen. Fungierte in BLUES BROTHERS noch John
Belushi in der Figur des Jake als kongenialer Partner von Dan
Aykroyd, versucht nun John Goodman diese Lücke als Mighty Mack
McTeer zu füllen. Für John Goodman, der nebenbei auch
leidenschaftlicher und talentierter Bluessänger ist (was er in
ROSEANNE des öfteren ausleben kann, wie man hier hört), erfüllt sich mit der Rolle ein kleiner Traum.
Doch trotz seiner Leibesfülle gelingt es ihm nicht, das Loch zu füllen, das Belushi hinterlassen hat, oder die Magie des Originals wiederzubeleben. BLUES BROTHERS 2000 hat viele Probleme und Fehler, und John Goodmans Teilnahme ist mit Sicherheit nicht Schuld an dessen Versagen, und doch ist es einer der wenigen Filme, in denen nicht einmal John Goodmans Performance dem Film etwas Sehenswertes abzutrotzen vermag.
Quelle: Blu Ray "Blues Brothers 2000" © Universal Pictures Germany GmbH |
Doch trotz seiner Leibesfülle gelingt es ihm nicht, das Loch zu füllen, das Belushi hinterlassen hat, oder die Magie des Originals wiederzubeleben. BLUES BROTHERS 2000 hat viele Probleme und Fehler, und John Goodmans Teilnahme ist mit Sicherheit nicht Schuld an dessen Versagen, und doch ist es einer der wenigen Filme, in denen nicht einmal John Goodmans Performance dem Film etwas Sehenswertes abzutrotzen vermag.
A World of Pain
Doch es bleibt gar keine Zeit, diesen
deutliche Ausreißer in Goodmans Karriere zu betrauern, denn kurz
darauf liefert er ihren absoluten Höhepunkt ab. In THE BIG LEBWOSKI
spielt Goodman seine neben Dan Connor vermutlich markanteste Rolle,
die ihn bis heute und vermutlich bis ans Ende seines Lebens
definieren wird: Walter Sobchak.
Es ist der vierte Film, den die Coens
mit Goodman drehen, und man spürt, dass sie hier perfekter als in
irgendeinem anderen herausgefunden haben, wie sie Goodmans Talente
nutzen können. Zwischen cholerisch, wahnsinnig, nostalgisch, witzig,
belehrend, tollpatschig und liebenswert changiert Goodmans
bowlingverliebter, immer auf einen Streit versessener Vietnamveteran,
der nie ganz aus dem Dschungel zurückgekehrt ist, und Goodman spielt
jede noch so winzige Nuance seiner vielleicht schillerndsten Figur
mit einer Sicherheit und Brillanz, die er zuvor und danach nur noch
selten erreicht.
Wenn es eine Rolle gibt, die Goodmans
volle Bandbreite aufzeigt, dann dieser liebenswerte Irre. Hinzu
kommt, dass Goodman sogar hier das beinahe Unmögliche gelingt: In
einem der schrägsten und absurdesten Filme überhaupt, bis an den Rand gefüllt mit
markanten Figuren, absurden Situationen und irrwitzigen Dialogen, reißt Goodman
erneut jede einzelne Szene, jeden Augenblick und jedes Wort an sich,
das man ihm lässt.
Wie in keiner anderen Rolle zeigt
Goodman in THE BIG LEBOWSKI, wieso er so verdammt gut ist. Weil es
ihm immer wieder gelingt, noch im absurdesten Augenblick, in der
schrägsten Szene, dem pointiertesten Dialog, immer und
immer wieder das unterhaltsamste Element auf dem Bildschirm zu sein.
Es ist eine Art Goodman-Magie, etwas, das neben John Goodman nur
wenige Schauspieler besitzen. Eine angeborene Unterhaltsamkeit, die
alles um sie herum, so gut es auch sei, immer noch ein wenig
überstrahlt.
Quelle: Blu Ray "The Big Lebowski" © Universal Pictures Germany GmbH |
Und doch bleibt THE BIG LEBOWSKI für
Goodman lange Zeit der Höhepunkt seiner Karriere. Denn mittlerweile
leidet er so stark an seinem Alkoholismus, dass er immer unerträglicher für seine Kollegen
wird. Was folgt, ist Goodmans langer Abstieg vom Gipfel seiner
Karriere.
Neuanfang in der Sprechkabine
Die Coens besetzen Goodman noch einmal
als Zyklopen in ihrer schrägen Verfilmung der Odyssee, O BROTHER,
WHERE ART THOU?, doch hier liefert Goodman erneut eine seiner wenigen missglückten Performances ab, obwohl die Rolle ihm wie auf den Leib geschneidert scheint.
Auch bei Interviews gilt Goodman als
immer schwieriger und schwieriger. Mittlerweile ist er seit
fünfundzwanzig Jahren starker Alkoholiker.
Auf die Frage angesprochen, wie er das
mit seiner Karriere vereinbart habe, erklärt er, dass er schlicht
und ergreifend dauernd betrunken gewesen sei.
Egal ob als Fred Feuerstein, King
Ralph, Dan Connor oder Mighty Mack McTeer, egal ob in BRINGING OUT
THE DEAD, in (dem schwer unterbewerteten Coming-of-Age-Kino-Nostalgie-Drama) MATINEE, als Babe Ruth oder als Walter Sobchak –
Goodman erscheint regelmäßig volltrunken am Set. Anders
funktioniert er nicht mehr. Schon bei seinen frühen
Theateraufführungen in den Achtzigern versteckt er Gläser mit Wodka oder Scotch auf
der Bühne, aus denen er heimlich trinkt, um das Zittern seiner Hände in den Griff zu bekommen.
Auch andere Drogen konsumiert er reichlich und gerne.
Er erinnert sich zwar nicht, jemals
betrunken am Set von THE BIG LEBOWSKI erschienen zu sein, erklärt
aber auch, dass er sich generell nicht an viel aus jener Zeit
erinnert.
Den Coens zumindest platzt der Kragen –
nach O BROTHER, WHERE ART THOU? trennen sie sich von ihrem
Stammschauspieler.
Goodmans Erfolg versiegt. Dass er
überhaupt noch Rollen bekommt, erklärt er, hätte daran gelegen,
dass die Leute seine Auftritte in ARIZONA JUNIOR und THE BIG LEBOWSKI
so mochten. Dennoch sinkt die Qualität seiner Rollen rapide. Seine
für lange Zeit letzte große Rolle vor der Kamera ist die des
bedächtigen Vaters in COYOTE UGLY – ein Auftritt, der Goodmans
breites Rollenspektrum nur noch unterstreicht. Es wird für elf Jahre
sein letzter großer und bemerkenswerter Auftritt auf der
Kinoleinwand bleiben.
Dafür entwickelt Goodman sich in den
Zweitausendern auf einem anderen Gebiet zum neuen Star: als „Voice
Actor“, der Animationsfiguren seine Stimme leiht. Das hat er zwar
schon einige Male in dem ein oder anderen Film oder einer
Fernsehserie gemacht, doch 2000 gewährt man Goodman Zutritt in die
heiligen Hallen der Disneyfamilie: In „Disneys Meisterwerk“ (so
nennt der Konzern seine großen Animationsfilme fürs Kino) EIN
KÖNIGREICH FÜR EIN LAMA spricht Goodman Pacha, den freundlichen aber etwas
simplen Sidekick des verzauberten Kaisers.
Quelle: Blu Ray "Die Monster AG" © Walt Disney |
Jetzt wird endgültig deutlich, welch
großes Talent Goodman dafür hat, die Stimmungen seiner Figuren
neben seinem subtilen Spiel auch und vor allem über seine Stimme zu
übertragen. In den folgenden Jahren tritt er immer wieder als
Sprecher auf, neben den diversen Fortsetzungen, Kurzfilmen oder
stellenweise Serien rund um seine Figuren Pacha und Monster Sully
spricht er auch den Bären Balu in DAS DSCHUNGELBUCH 2, den
grumpeligen Anwalt in THE BEE MOVIE, „Big Daddy“ La Bouff in KÜSS
DEN FROSCH und natürlich hat er einen kurzen Gastauftritt in CARS
als Monster(!) Truck Sully.
Der wahre Zenit
Zu der Zeit hat sich Goodmans Leben
auch längst zum Besseren gewendet.
2006 spielt Goodman den Weihnachtsmann
in dem Fernsehfilm DER WEIHNACHTSMANN STREIKT – und erschreckt vor
sich selbst, so schlecht sieht er aus.
Im Sommer 2007 weilt er in Berlin, wo
er für den Film SPEED RACER vor der Kamera steht – und ändert
sein Leben radikal. Er hört auf zu trinken und beginnt, abzunehmen.
Jeden Morgen, jahrelang, geht er zu den Anonymen
Alkoholikern, organisiert sich einen Fitnessberater und verliert
beinahe 60 Kilo. Als er sich 2010 derartig geläutert und schlank der
Welt präsentiert, erkennt man ihn kaum wieder.
Etwa zu dieser Zeit beginnt Goodman
auch, wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzukehren und
tritt in seine noch heute andauernde goldene Phase ein.
2011 liefert er im herausragenden Film
THE ARTIST erneut eine kurze aber prägnante Rolle als
Stummfilmproduzent ab. Im Jahr darauf spielt er in ARGO den berühmten
Maskenbildner John Chambers. (Der Spocks Ohren und das Make-up für
PLANET
DER AFFEN erfand!) Damit wird er zu einem der wenigen
Schauspieler, die in zwei aufeinanderfolgenden Gewinnern des Bester
Film Oscars mitspielen.
Quelle: Blu Ray "Inside Llewyn Davis" © STUDIOCANAL |
Plötzlich ist Goodman wieder ganz
oben, erhält kleine aber feine Rollen in Filmen die entweder
herausragend sind, oder ein großes Publikum finden: EXTREM LAUT &
UNGLAUBLICH NAH, FLIGHT, HANGOVER 3, MONUMENTS MEN oder THE GAMBLER.
Auch die Coens finden wieder zu Goodman zurück und besetzen ihn als
widerwärtigen Jazzmusiker in INSIDE LLEWYN DAVIS. Im Fernsehen findet
er mit grandiosen Rollen in THE WEST WING (als Präsident!) und
DAMAGES ebenfalls herausragendes Material.
Goodman ist wieder ein Name und ein
Gesicht, das man öfter sieht, und das einen wieder mit Vorfreude
erfüllt. Künstlerisch ist Goodman inzwischen wohl auf seinem
Höhepunkt angekommen, in seinem goldenen Lauf – nie war er besser, nie hat er in besseren
Filmen mitgespielt, nie konnte er seine Reichweite besser ausspielen
als heute.
2016 hat er zwei weitere
Karrierehöhepunkte vorzuweisen. In TRUMBO tut er, was er immer tut:
Er reißt die Szenen an sich, in denen er mitspielt. Als grobschlächtiger
Trashproduzent Frank King liefert
er eine Leistung ab, die seiner langen Tradition herausragender Wutausbrüche eine edles Sahnehäubchen verpasst.
Kurz darauf erhält er das erste
Mal seit zwei Jahrzehnten wieder so etwas wie eine Hauptrolle: In dem
großartigen Bunker-Thriller 10 CLOVERFIELD LANE spielt er den
undurchsichtigen, auf den Weltuntergang vorbereiteten Bunkerbauer
Howard. Neben der eigentlichen Hauptfigur, gespielt von Mary
Elizabeth Winstead, drückt er dem Film am stärksten seinen Stempel
auf. Und was für einen.
Quelle: "10 Cloverfield Lane" - aktuell im Kino © Paramount Pictures |
Howard ist Goodmans vielleicht
schillerndste Rolle, mindestens seit Walter Sobchak.
Innerhalb von Sekunden wechselt er hier
seine Haut, die Emotionen, die Figur, von kumpelhaft freundlich zu irrsinnig bedrohlich und zurück. Mit über sechzig zeigt
Goodman, dass in ihm – auch wenn er nie ein Superstar war, nie der
„Leading Man“, der große Blockbuster anführt – einer der
vielseitigsten und talentiertesten Schauspieler Hollywoods steckt,
dessen Rollenspektrum ausschließlich von seiner prägnanten Physis
beschränkt wird, nie jedoch von seinen darstellerischen Fähigkeiten.
Kein Ende in Sicht
John Goodman hat in seiner bald vierzigjährigen Karriere alles gespielt – Helden und Schurken,
Väter und Karrieristen, Dämonen, Opfer, Freunde und Verräter,
durchgeknallte Irre und die Stimme der Vernunft, bemitleidenswerte
Verlierer und hassenswerte Despoten.
Kaum ein Schauspieler kann auf eine
derart bunte Rollenvielfalt zurückblicken – und eben das ist eines
von Goodmans Geheimnissen. Er hat sich nie in den Vordergrund
gedrängt, und seine kleinen Rollen dennoch immer mit der Energie eines Superstars gefüllt.
Er bleibt zeitlebens das unsichere, zweifelnde „dicke Kind“, das angibt, seine Unsicherheiten mit Essen und Alkohol überdeckt zu haben. Ein Star, der Interviewer wahlweise auflaufen lässt oder sich mit ihnen verkumpelt. Dem jedes Kompliment so unangenehm ist, dass er es fortwischt. Dessen Privatleben mit Frau und Tochter trotz aller Probleme nie in die Öffentlichkeit gerät, nie einen Skandal hervorbringt. Der sich mit prägnanten Rollen hinter den Stars am wohlsten fühlt, und wie kein Zweiter versteht, uns Zuschauern aus dieser Position heraus Freude zu bereiten. Uns zu schockieren. Uns wütend oder erheitert zu machen. Und hach, was lieben wir seine Ausraster!
Er bleibt zeitlebens das unsichere, zweifelnde „dicke Kind“, das angibt, seine Unsicherheiten mit Essen und Alkohol überdeckt zu haben. Ein Star, der Interviewer wahlweise auflaufen lässt oder sich mit ihnen verkumpelt. Dem jedes Kompliment so unangenehm ist, dass er es fortwischt. Dessen Privatleben mit Frau und Tochter trotz aller Probleme nie in die Öffentlichkeit gerät, nie einen Skandal hervorbringt. Der sich mit prägnanten Rollen hinter den Stars am wohlsten fühlt, und wie kein Zweiter versteht, uns Zuschauern aus dieser Position heraus Freude zu bereiten. Uns zu schockieren. Uns wütend oder erheitert zu machen. Und hach, was lieben wir seine Ausraster!
Und Goodmans Karriere ist weit davon
entfernt, ein Ende zu finden. Aktuell hat er sechs kunterbunte Projekte in der
Pipeline: Einen Animationsfilm, eine Actionkomödie, einen
Spionage-Thriller, einen Thriller über den Bombenanschlag vom
Boston-Marathon (ein weiteres Prestigeobjekt), den neuen King Kong
Sommerblockbuster KONG: SKULL ISLAND (bei dem er sich mit Newcomerin
Brie Larson angefreundet hat) und Luc Bessons neues Sci-Fi Spektakel
VALERIAN UND DIE STADT DER TAUSEND PLANETEN.
Quelle: Blu Ray "The Artist" © DCM (Vertrieb Universum Film) |
Sein Freund Tom Arnold aus ROSEANNE
erzählt, er habe niemals erlebt, dass irgendein Schauspieler über die Frage, wie er einen Satz in einer Sitcom sprechen sollte, so mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe wie John Goodman.
Goodman selbst erklärt auch, er habe
kein Problem damit, wenn Fans ihn mit seinen Zitaten ansprechen. Auch
hier gefallen ihm die Sprüche aus THE BIG LEBOWSKI am besten. Etwas
ungehalten wird er lediglich, wenn ihn Fremde mit einem
„Jabbadabbadu“ begrüßen.
Und dennoch – das Loch in ihm scheint noch immer nicht gefüllt.
Und dennoch – das Loch in ihm scheint noch immer nicht gefüllt.
Trotzdem ist Goodman bis heute trocken,
schwankt ein wenig im Gewicht, leidet unter chronischen
Rückenschmerzen und hat zwangsläufig zwei neue Knie implantiert
bekommen. Und wirkt doch so frisch und spielfreudig wie eh und
je.
John Goodman ist kein Star, aber ein getriebener Vollblutschauspieler – und einer der besten. Und wir sind froh, dass er das Risiko gewagt hat, nach New York zu gehen und es wenigstens zu versuchen. Sonst hätten wir alle eine Menge verpasst.
John Goodman ist kein Star, aber ein getriebener Vollblutschauspieler – und einer der besten. Und wir sind froh, dass er das Risiko gewagt hat, nach New York zu gehen und es wenigstens zu versuchen. Sonst hätten wir alle eine Menge verpasst.
Quelle: DVD "Barton Fink" © Universal Pictures Germany GmbH |
Eine sehr schöne Ode an einen wirklich genialen Schauspieler. Mir geht es eigentlich auch so, wie so ziemlich jedem Cineasten. Man liest den Namen John Goodman und weiß automatisch, das der folgende Film nicht so schlecht sein kann, das man enttäuscht von dannen schleicht. Leistung abliefern kann er wahrlich. Danke für den interessanten Abriss seiner Karriere... And now: Let's go Bowling! ;)
AntwortenLöschenDankeschön, und gern geschehen!
LöschenEnjoy the rules! ;)