Etwas über zwei Minuten – weniger
als einen Popsong – braucht KILL YOUR FRIENDS, um dem Zuschauer
klar zu machen, welche Moral seine Hauptfigur zusammenhält. Und das ist keine
schöne.
Was folgt, ist ein pompöser und kompromissloser Abstieg in
die finstere Welt eines eiskalten Karrieristen und einen Abgesang auf eine Ära der Unterhaltungsbranche.
Für Steven Stelfox bedeutet der Posten
in einem britischen Plattenlabel ein tagtägliches Schlachtfeld. Und er ist der verdammte
Conan der Musikindustrie.
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
Von der ersten Sekunde an, spätestens
aber nach wenigen Minuten, ist klar, dass KILL YOUR FRIENDS kein Film
ist, der mit leisen Tönen oder feinen Strichen arbeitet. Nein, er
schleudert einem seine Hauptfigur Steven Stelfox mit derselben Gewalt
ins Gesicht, mit der diese Figur ihr Leben angeht: laut, extrem, und
immer bereit, eine Grenze zu überschreiten.
Zu unserer persönlichen Freude dreht der Film das Tempo nach seiner erstaunlichen Eröffnungsszene ordentlich auf.
Zu unserer persönlichen Freude dreht der Film das Tempo nach seiner erstaunlichen Eröffnungsszene ordentlich auf.
Der einsame Krieger
KILL YOUR FRIENDS erzählt nicht, er wird erzählt. Hauptfigur und unser Führer durch diese unbequeme Welt ist Steven Stelfox, ein arroganter Endzwanziger, der im London des Jahres 1997 als A&R Manager („Artiste & Repertoire“ - wieder was gelernt) für das Plattenlabel „Unigram“ arbeitet.
A&R Manager, das macht Steven uns zu Beginn klar, sind die Götter der Musikindustrie. Sie sind es, die die neuesten Musiker und Bands sichten, die nächsten Superstars entdecken und „signen“, also für das Label unter Vertrag nehmen. A&R Manager sind die, die „Den Soundtrack eures kurzen Lebens zusammenstellen.“
In der britischen Musikbranche, die 1997 gerade zum Milliardengeschäft geworden ist, bedeutet das, dass sie diejenigen sind, deren Urteile über Gewinn oder Verlust von Millionen entscheiden.
Doch die Branche befindet sich im Wandel. Sie wird in den kommenden Jahren rapide zusammenschrumpfen, und Steven Stelfox ist klar, dass er seinen Job nur behalten kann, wenn er seinem Label Hits besorgt. Und wenn es ihm gelingt, zum Kopf der A&R Abteilung von „Unigram“ aufzusteigen.
Das einzige Problem dabei: Nichts könnte dem karrieregeilen "Musikgott" egaler sein als Musik. Und schon bald gerät sein Stuhl gehörig ins Wanken …
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
KILL YOUR FRIENDS ist – im unterhaltsamsten Sinne – eine Tour de Force durch die Musikindustrie der
Neunzigerjahre. Erinnerungen an AMERICAN PSYCHO, NIGHTCRAWLER oder THE WOLF OF WALL STREET werden wach, während
Stelfox in seiner Plattenfirma wütet, als wäre es der Königshof von GAME OF THRONES.
Stelfox' Leitfaden in dieser Welt ist ein Buch, dass er immer wieder liest und aus dem er großzügig zitiert: „Unleash the Monster“, heisst es und wirkt wie die überdrehte Version von Sunzis "Die Kunst des Krieges" oder Musashis "Das Buch der fünf Ringe." Ein Leitfaden für Manager, denen es an der Wall Street zu freundlich zugeht. Angesprochen auf die Frage, was für ihn der Sinn des Lebens sei, zitiert Stelfox, nur halb im Scherz, den Klassiker aus CONAN – DER BARBAR: „Zu kämpfen mit dem Feind, ihn zu verfolgen und zu vernichten, und sich zu erfreuen am Geschrei der Weiber!“ (Die deutsche Synchro hat den Verweis offensichtlich leider nicht erkannt oder war technisch nicht in der Lage, ihn zu übernehmen.)
Wer nun glaubt, dass Stelfox eine moralisch durch und durch verdorbene Figur sei, ein Antiheld ohne den geringsten Schimmer von Güte oder Menschenfreundlichkeit, liegt goldrichtig. Und dennoch gelingt es KILL YOUR FRIENDS, aus dieser Figur einen erstaunlich vielseitigen und sehenswerten Film zu stricken.
Denn KILL YOUR FRIENDS ist, natürlich, eine Satire. Und noch dazu eine ziemlich breit aufgestellte. Hier bekommen einfach alle ihr Fett weg: Das Musikbusiness selbst ebenso wie verklärte Fans, Indiebands ebenso wie zusammengecastete Retorten-Grüppchen. Den wohl herbsten Nackenschlag – in einer der überraschendsten Szenen des Filmjahres! – bekommt der deutsche Technoboom der Neunziger ab. Aber auch Lebenseinstellungen werden gnadenlos abgeschossen: eiskalte Karrieristen wie Stelfox – der später im Film noch unerwartete Schützenhilfe erhält – ebenso wie Idealisten, Träumer und moralische Saubermänner.
Stelfox' Leitfaden in dieser Welt ist ein Buch, dass er immer wieder liest und aus dem er großzügig zitiert: „Unleash the Monster“, heisst es und wirkt wie die überdrehte Version von Sunzis "Die Kunst des Krieges" oder Musashis "Das Buch der fünf Ringe." Ein Leitfaden für Manager, denen es an der Wall Street zu freundlich zugeht. Angesprochen auf die Frage, was für ihn der Sinn des Lebens sei, zitiert Stelfox, nur halb im Scherz, den Klassiker aus CONAN – DER BARBAR: „Zu kämpfen mit dem Feind, ihn zu verfolgen und zu vernichten, und sich zu erfreuen am Geschrei der Weiber!“ (Die deutsche Synchro hat den Verweis offensichtlich leider nicht erkannt oder war technisch nicht in der Lage, ihn zu übernehmen.)
Wer nun glaubt, dass Stelfox eine moralisch durch und durch verdorbene Figur sei, ein Antiheld ohne den geringsten Schimmer von Güte oder Menschenfreundlichkeit, liegt goldrichtig. Und dennoch gelingt es KILL YOUR FRIENDS, aus dieser Figur einen erstaunlich vielseitigen und sehenswerten Film zu stricken.
Die Idealisten am Bildrand
Denn KILL YOUR FRIENDS ist, natürlich, eine Satire. Und noch dazu eine ziemlich breit aufgestellte. Hier bekommen einfach alle ihr Fett weg: Das Musikbusiness selbst ebenso wie verklärte Fans, Indiebands ebenso wie zusammengecastete Retorten-Grüppchen. Den wohl herbsten Nackenschlag – in einer der überraschendsten Szenen des Filmjahres! – bekommt der deutsche Technoboom der Neunziger ab. Aber auch Lebenseinstellungen werden gnadenlos abgeschossen: eiskalte Karrieristen wie Stelfox – der später im Film noch unerwartete Schützenhilfe erhält – ebenso wie Idealisten, Träumer und moralische Saubermänner.
Möglicherweise ist das auch eine erste Schwäche des Films, denn anders als in den Werken, an die man sich hier erinnert fühlt, wirkt das Thema - die Musikwelt der Neunziger - im heutigen, von Spotify & Co. beherrschten Musikbetrieb beinahe obsolet und reaktionär. Während NIGHTCRAWLER die aktuell brandheiße Medienmoral thematisiert und THE WOLF OF WALL STREET sowie AMERICAN PSYCHO die niemals uninteressante Finanz- und Yuppie-Welt, fühlt sich die Welt, die KILL YOUR FRIENDS durch die Mangel dreht, heute beinahe veraltet an.
Das größte, und interessanteste Spannungsfeld, das der Film aufbaut, ist aber selbstredend der zwischen musikalischem Idealismus und kalter, finanzieller Berechnung im Musikbusiness. Stelfox' Position ist klar: Welche Band die beste ist? Die, die den meisten Profit einfährt. Für Stelfox zählt allein der Erfolg, für ihn selbst wie für die Musiker, die er unter Vertrag nimmt. Dazu passt, und das ist eines der Glanzstücke des Films, dass er als A&R Manager sich kein einziges Mal irgendeinen Künstler anhört, oder sich auf die Suche nach einem guten Gig macht. Alles, was Stelfox tut, dient dem Ziel, seine Position beim Label mit einem Erfolgsgaranten zu stärken. Sein einziges Messinstrument ist die Begeisterung der Anderen oder die Berechnung den Kollegen gegenüber.
Dem entgegen steht Stelfox' „Assistent“, Scout und Junior A&R Mitglied Darren. Für ihn ist Musik der Sinn des Lebens, und während Stelfox sich für seinen nächsten Karriereschritt in Stellung bringt, „verschwendet“ Darren seine Zeit tatsächlich damit, sich unbekannte Bands anzuhören und zu versuchen, die nächste, talentierte Band unter Vertrag zu nehmen.
Doch Darren ist nicht alleine, und
immer wieder gerät der bis ins schwarze Herz zynische Stelfox an Träumer
wie Darren: vegane Indiebands, die weder Drogen, Sex noch Alkohol suchen, sondern mit ihrer Musik Menschen bewegen möchten; erfolgreiche
A&R Konkurrenten, die Gitarre spielen und mit den Bands jammen;
verdrogte Drum'n'Base Musiker, die 50-minütige Esotracks produzieren,
und weibliche Plattenbosse, die auf Gleichberechtigung bestehen und
für Stelfox' Theorie wenig übrig haben, dass niemand eine
70-jährige Cher auf der Bühne sehen will, weil sie „unfickbar“
geworden sei.
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
Stelfox zwingt der Branche seinen Kampf
auf – so nimmt es kein Wunder, dass sein vermutlich vertrautester
Kollege der ebenso zynische Firmenanwalt Trellick ist.
Da der Film Stelfox' Perspektive einnimmt, macht man sich schnell mit ihm gemein. All die ahnungslosen Idealisten werden an den Rand gedrängt, und stehen Stelfox im schlimmsten Falle nur im Wege rum.
Als Zuschauer erwischt man sich in der paradoxen Situation, einerseits zu erkennen, dass Stelfox' Sicht auf die Welt eine völlig überzogene ist, sich aber gleichzeitig auf seine Seite zu schlagen.
Dabei gibt es zu keiner Sekunde Zweifel daran, wer hier der Schurke ist. Stelfox erklärt die Musikbranche kurzerhand zum Haifischbecken, setzt sich sein Gebiss rein, und geht auf die Jagd. Dass da vor allem ahnungslose Opfer zurückbleiben, versteht sich von selbst.
Dass man dennoch so viel Vergnügen bei Stelfox' sozialem Amoklauf hat, hat zwei Gründe.
Auf der einen Seite ist das Nicholas Hoult. Der 25-jährige Schauspieler spielt den dauerbekoksten, saufenden und rumvögelnden, sexistischen, arroganten, desinteressierten und gnadenlosen Karrieristen mit einer Intensität, die einen in den Sessel drängt.
Witzigerweise werfen ihm viele Kritiker vor, zu „sanft“ für die Rolle zu wirken. Ein Vorwurf, dem auch auch Christian Bale in AMERICAN PSYCHO ausgesetzt sah. Hoult gelingt es einfach, seinen Schweinehund in einer Art und Weise zu spielen, dass er sehenswert bleibt und einem auf eine gewisse Art und Weise Sympathie abringt. Der Regisseur bewundert ebenfalls, wie geschickt Hoult gerade noch all diese finsteren Dinge sagen kann, und im nächsten Augenblick wieder der nette Kerl von Nebenan ist.
Auf der anderen Seite gelingt es dem Drehbuch, Sympathien für Stelfox zu entwickeln, da, auch das wird deutlich, er nebenbei eine ziemlich arme Sau ist. Der Film macht den cleveren Schachzug, die Schlinge um Stelfox' Hals immer enger zu ziehen, ihn mehr und mehr in die Enge zu treiben und ihn rasant auf ein völliges Versagen seines Ehrgeizes hinzusteuern. An irgendeinem Punkt empfindet man beinahe Mitleid für den sich vergeblich abstrampelnden Krieger. Angesichts seiner Taten eine ziemliche Leistung des Films.
Da der Film Stelfox' Perspektive einnimmt, macht man sich schnell mit ihm gemein. All die ahnungslosen Idealisten werden an den Rand gedrängt, und stehen Stelfox im schlimmsten Falle nur im Wege rum.
Der sympathische Psycho
Als Zuschauer erwischt man sich in der paradoxen Situation, einerseits zu erkennen, dass Stelfox' Sicht auf die Welt eine völlig überzogene ist, sich aber gleichzeitig auf seine Seite zu schlagen.
Dabei gibt es zu keiner Sekunde Zweifel daran, wer hier der Schurke ist. Stelfox erklärt die Musikbranche kurzerhand zum Haifischbecken, setzt sich sein Gebiss rein, und geht auf die Jagd. Dass da vor allem ahnungslose Opfer zurückbleiben, versteht sich von selbst.
Dass man dennoch so viel Vergnügen bei Stelfox' sozialem Amoklauf hat, hat zwei Gründe.
Auf der einen Seite ist das Nicholas Hoult. Der 25-jährige Schauspieler spielt den dauerbekoksten, saufenden und rumvögelnden, sexistischen, arroganten, desinteressierten und gnadenlosen Karrieristen mit einer Intensität, die einen in den Sessel drängt.
Witzigerweise werfen ihm viele Kritiker vor, zu „sanft“ für die Rolle zu wirken. Ein Vorwurf, dem auch auch Christian Bale in AMERICAN PSYCHO ausgesetzt sah. Hoult gelingt es einfach, seinen Schweinehund in einer Art und Weise zu spielen, dass er sehenswert bleibt und einem auf eine gewisse Art und Weise Sympathie abringt. Der Regisseur bewundert ebenfalls, wie geschickt Hoult gerade noch all diese finsteren Dinge sagen kann, und im nächsten Augenblick wieder der nette Kerl von Nebenan ist.
Auf der anderen Seite gelingt es dem Drehbuch, Sympathien für Stelfox zu entwickeln, da, auch das wird deutlich, er nebenbei eine ziemlich arme Sau ist. Der Film macht den cleveren Schachzug, die Schlinge um Stelfox' Hals immer enger zu ziehen, ihn mehr und mehr in die Enge zu treiben und ihn rasant auf ein völliges Versagen seines Ehrgeizes hinzusteuern. An irgendeinem Punkt empfindet man beinahe Mitleid für den sich vergeblich abstrampelnden Krieger. Angesichts seiner Taten eine ziemliche Leistung des Films.
Das Kultbuch
All das macht aus KILL YOUR FRIENDS einen so cleveren Film. Die Themen sind so vielfältig wie die satirischen Anspielungen (manche, wie etwa der Seitenhieb auf die 1997 noch gar nicht erfundenen Casting-Shows, sind so beiläufig eingestreut, dass man immer wieder überrascht ist, wenn sie kommen), die Figuren sind allesamt interessant ausgearbeitet, und nicht zuletzt Stelfox selber ist, auch wenn er ein Schwein ist, differenziert genug geschrieben, dass er niemals langweilig wird.
Kein Wunder, dass eine so reichhaltige
Geschichte eine Romanvorlage hat.
Der Roman „Kill Your Friends“ von John Niven erscheint 2008, und wird schnell ein Kultklassiker, der bereits damals gerne mit „American Psycho“ verglichen wird. Niven arbeitet Mitte der Neunziger tatsächlich einige Jahre in einem Plattenlabel, und nutzt seine Erfahrungen nun, um diese Welt satirisch zu überspitzen. NAch eigenen Angaben habe er in dem Roman, natürlich verdichtet, all die krassesten und verabscheuungswürdigsten Dinge eingeflochten, die ihm in seiner Zeit bei einem Musiklabel tatsächlich untergekommen sind.
Es dauert nicht lange, bis er die Filmrechte verkauft, braucht dann jedoch noch einmal fünf Jahre, bis der Film auch fertig ist.
Der Roman „Kill Your Friends“ von John Niven erscheint 2008, und wird schnell ein Kultklassiker, der bereits damals gerne mit „American Psycho“ verglichen wird. Niven arbeitet Mitte der Neunziger tatsächlich einige Jahre in einem Plattenlabel, und nutzt seine Erfahrungen nun, um diese Welt satirisch zu überspitzen. NAch eigenen Angaben habe er in dem Roman, natürlich verdichtet, all die krassesten und verabscheuungswürdigsten Dinge eingeflochten, die ihm in seiner Zeit bei einem Musiklabel tatsächlich untergekommen sind.
Es dauert nicht lange, bis er die Filmrechte verkauft, braucht dann jedoch noch einmal fünf Jahre, bis der Film auch fertig ist.
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
Einer der Hauptgründe dafür liegt darin,
dass der aus der Ich-Perspektive geschriebene, quirlige Roman nur
schwer in einen Film zu übertragen ist. Schließlich transferiert
Niven selbst seinen Roman in ein Drehbuch. Der Prozess
fällt ihm enorm schwer. „Es ist nicht leicht, einen vierhundert
Seiten Roman auf ein 100 Seiten Drehbuch zusammenzustauchen“,
erklärt er. Vor allem habe er Angst, dass der Humor des Romans nicht
rüberkommt.
Am Ende muss er dennoch einzelne Szenen mit dem Regisseur Owen Harris gemeinsam umschreiben, um sie filmischer zu gestalten.
Das Ergebnis bleibt ein irgendwie textliches: Die Perspektive bleibt wie mit Sekundenkleber an Stelfox haften – Hoult ist in jeder einzelnen Szene zu sehen. Seine Off-Monologe kommentieren das Business und seine Welt mit der arroganten, herablassenden Art, die wirken, als wären sie direkt aus dem Buch entnommen.
Ebenso ein populäres Stilmittel der modernen Literaturverfilmung sind die hier und dort eingesetzten Szenen, in denen die vierte Wand durchbrochen wird, so dass Stelfox uns direkt an seinen Gedankengängen teilhaben lassen kann.
Am Ende muss er dennoch einzelne Szenen mit dem Regisseur Owen Harris gemeinsam umschreiben, um sie filmischer zu gestalten.
Das Ergebnis bleibt ein irgendwie textliches: Die Perspektive bleibt wie mit Sekundenkleber an Stelfox haften – Hoult ist in jeder einzelnen Szene zu sehen. Seine Off-Monologe kommentieren das Business und seine Welt mit der arroganten, herablassenden Art, die wirken, als wären sie direkt aus dem Buch entnommen.
Ebenso ein populäres Stilmittel der modernen Literaturverfilmung sind die hier und dort eingesetzten Szenen, in denen die vierte Wand durchbrochen wird, so dass Stelfox uns direkt an seinen Gedankengängen teilhaben lassen kann.
Die Sache mit der Moral
Regisseur Harris ist froh, dass Niven selbst das Drehbuch schreibt, da so der besondere Tonfall Stelfox' erhalten bleibt.
Aber vielleicht ist das auch ein Teil des Problems, mit dem der Film zu kämpfen hat.
Denn, und das soll nicht verschwiegen werden: KILL YOUR FRIENDS geht gnadenlos unter. An den britischen Kinokassen spielt er nicht mal eine halbe Million ein, und es kommt erst gar nicht zu einer breiten Kinoauswertung. Die Kritiken sind, bestenfalls, gemischt bis mittelmäßig
Und tatsächlich werden dem Film vornehmlich zwei Punkte vorgeworfen:
Der erste liegt darin, dass es einfach ausgelutscht sei, einen drogensüchtigen, lauten Egomanen durch eine Branchensatire rennen zu lassen, und dass die Vorbilder es schlicht besser machen.
Wir können diese Kritik nicht gänzlich von der Hand weisen und verweisen noch einmal darauf, dass die Thematik womöglich mittlerweile zu weltfremd ist, und der Film schlicht zwanzig Jahre zu spät kommt. Und dennoch – zum einen macht uns Hoults Spiel ungemein Spaß beim Zuschauen. Und wir halten den dunklen Blick auf die Musikwelt für frisch genug, dass er uns interessiert hat und hatten viel Freude daran, wie der Film die europäische Musikwelt der Neunziger mit ihren Indiebands, ihren Spice Girls und deutschen Technohämmern wieder aufleben ließ. Vielleicht auch, weil wir diese Zeit so aktiv miterlebt haben.
KILL YOUR FRIENDS erfindet in dieser Hinsicht das Rad nicht neu – nicht umsonst fühlt man sich während des Films an etliche der Klassiker erinnert, und doch halten wir ihn für einen äußerst unterhaltsamen Vertreter dieser Art Filme und sind nicht der Ansicht, dass er sich neben den Genrekollegen zu verstecken braucht.
Der zweite Kritikpunkt, der dem Film immer wieder vorgeworfen wird, wiegt da deutlich schwerer. Denn: KILL YOUR FRIENDS ist eine schwarze Komödie. Und zwar durch und durch schwarz. Ohne jeden Kontrast.
Viele Kritiker werfen dem Film vor, den Zynismus so grob auf die Leinwand zu hauen, seinen sexistischen, homophoben, arroganten, skrupellosen, rotzigen, alles und jeden von oben herab behandelnden „Helden“ völlig unkontrastiert und ungezügelt auf die Zuschauer los zu lassen. Manchen Kritikern ist das zu viel, zu dick. Die Worte „Overkill“ und „platt“ lesen sich immer wieder.
Auch diesen Vorwurf muss der Film sich gefallen lassen. Wer ein Problem damit hat, dass eine Geschichte wie diese keine emotionale Weichenstellung bereitstellt, wer nicht damit leben kann, dass sich der soziale, humanistische Aspekt, der den ganzen Film hindurch gefesselt, geknebelt und vornübergebeugt, mit einem spitzen Gegenstand im Hintereingang in der Besenkammer hockt, am Ende nicht triumphierend erhebt, sondern gedemütigt auf der Mülldeponie landet, der wird mit KILL YOUR FRIENDS Probleme haben.
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
Der Film bietet keinerlei moralische
Erlösung, er nutzt den Zynismus und die Skrupellosigkeit Stelfox'
nicht, um auf irgendeine elegante Art und Weise das Gegenteil
anzupreisen. Der Film ergötzt sich einfach an Stelfox' mieser
Moral. Feiert sie möglicherweise ab. Glorifiziert sie womöglich.
Wer der Ansicht ist, das Ende von WHIPLASH sei problematisch und verachtenswert, weil es eine menschenverachtende Moral predige, der sollte um KILL YOUR FRIENDS einen weiten Bogen machen.
Allerdings sehen wir das auch als konsequente Notwendigkeit an. Derlei Enden sind immer problematisch. Viele Kritiker von THE WOLF OF WALL STREET bemängeln, dass Jordan Belfort seine Lektion nicht gelernt habe. NIGHTCRAWLER wurde kritisiert, dass Louis Bloom nicht gefasst wird.
In AMERICAN PSYCHO hingegen, wo der Anti-Held am Ende so etwas wie eine Wandlung erfährt, wird deutlich, dass solche Geschichten in der Form einfach nicht funktionieren.
Auch KILL YOUR FRIENDS hat diesen einen Moment. Den Augenblick, an dem Steven Stelfox sich entscheiden muss, ob er seinen gnadenlosen Weg weiterführt, oder sich davon verabschiedet. Die Antwort des Films darauf ist - spannend.
Manche Kritiker sind auch der Ansicht, dass Stelfox' als ahnungsloser und blind herumtappender Idiot in einer Branche, in der er nichts verloren hat, langweilig sei, ein ödes Klischee, tausendfach gesehen.
Wir sind da nur bedingt derselben Meinung. Ja, Musik ist Stelfox egal. Er hasst Bands, so wie er im Grunde alles und jeden hasst, und nichts brächte ihn auf die Idee, in einer Branche zu arbeiten, die Träume beflügelt und der Welt Emotionen schenkt. Er ist, was das betrifft, der perfekte Soziopath.
Aber der Film zeigt immer wieder, dass er durchaus Ahnung von Musik, vom Musikbusiness hat. Er nimmt es lediglich anders wahr – nicht als Kunst, nicht als etwas Schönes, sondern als Geschäft. Wir sehen ihn daher nicht als ahnungslosen Blinden, der sich in einer Branche verliert, die ihn nicht interessiert, wir sehen ihn als maßlos überzeichnete Personifizierung all dessen, was in Plattenfirmen gegen die Kunst arbeitet. Als personifizierten Kommerz.
Das mag man nun ebenfalls als Klischee betrachten, aber in diesem Falle ist es ein unterhaltsames Klischee, gerade, weil es so durchgängig und konsequent eingehalten wird. Wäre der Film länger, würde es sich abnutzen, doch mit gut hundert Minuten Laufzeit ist diese Form von präsentierter Ekeligkeit gerade noch erträglich.
Vielleicht ist es diese Konsequenz, diese unkontrastiert zur Schau gestellte Morallosigkeit, die KILL YOUR FRIENDS so schwierig für viele Zuschauer macht, und ihm an den Kinokassen das Bein gebrochen hat. Vielleicht ist das vielen Zuschauern zu viel, zu platt, zu unclever.
Wir fanden es erfrischend. Und haben doch Einschränkungen.
Wir hatten das Glück, den Film bereits 2015 als Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests begutachten zu können und waren von Tempo, Witz und ja, auch der Schwärze der Geschichte begeistert. Für mich hatte der Film sich mit seiner Kompromisslosigkeit, seinem Witz und seiner cleveren, stetig nach unten trudelnden Handlung denn auch an die Spitze des Kinojahres gesetzt und war mein persönliche Topfilm 2015. Was allerdings auch daran lag, dass das Kinojahr insgesamt ungemein schwach war. (Dieses Jahr hätte es KILL YOUR FRIENDS auch bei mir deutlich schwerer!)
Und auch der Rest des Publikums schien begeistert.
Nun erscheint der Film in Deutschland nur auf DVD, Blu Ray und als VOD, was wir äußerst bedauerlich finden. Wir wissen nicht, ob der Film einem deutschen Publikum mehr zusagt als dem britischen. Auch in den USA findet ab April lediglich eine VOD- und Heimvideo-Auswertung statt.
Eine Neusichtung auf DVD hat ergeben, dass der Film im Kino, noch dazu mit wenig Vorkenntnis, was uns erwartet, deutlich mehr Spaß gemacht hat - es ist halt eher ein Film, den man im Kollektiv erleben sollte. Diese Relativierung müssen auch wir vornehmen.
Hinzu kommt, dass die deutsche Synchro zwar alles andere als schlecht ist, dem Film aber dennoch viel Drive nimmt. Neben der ein oder anderen Fehlübersetzung wie dem nur schwer erkennbaren CONAN-Zitat, fehlt Hoults Synchronsprecher - der seine Sache an sich gut macht - einfach die larmoyant-angepisste Stimmlage Hoults, dieses ewige Changieren zwischen Selbstmitleid und Herablassung, mit der er den Film bestreitet, und die ihm eine enorme Wirkung verleiht.
Wer der Ansicht ist, das Ende von WHIPLASH sei problematisch und verachtenswert, weil es eine menschenverachtende Moral predige, der sollte um KILL YOUR FRIENDS einen weiten Bogen machen.
Allerdings sehen wir das auch als konsequente Notwendigkeit an. Derlei Enden sind immer problematisch. Viele Kritiker von THE WOLF OF WALL STREET bemängeln, dass Jordan Belfort seine Lektion nicht gelernt habe. NIGHTCRAWLER wurde kritisiert, dass Louis Bloom nicht gefasst wird.
In AMERICAN PSYCHO hingegen, wo der Anti-Held am Ende so etwas wie eine Wandlung erfährt, wird deutlich, dass solche Geschichten in der Form einfach nicht funktionieren.
Auch KILL YOUR FRIENDS hat diesen einen Moment. Den Augenblick, an dem Steven Stelfox sich entscheiden muss, ob er seinen gnadenlosen Weg weiterführt, oder sich davon verabschiedet. Die Antwort des Films darauf ist - spannend.
Manche Kritiker sind auch der Ansicht, dass Stelfox' als ahnungsloser und blind herumtappender Idiot in einer Branche, in der er nichts verloren hat, langweilig sei, ein ödes Klischee, tausendfach gesehen.
Wir sind da nur bedingt derselben Meinung. Ja, Musik ist Stelfox egal. Er hasst Bands, so wie er im Grunde alles und jeden hasst, und nichts brächte ihn auf die Idee, in einer Branche zu arbeiten, die Träume beflügelt und der Welt Emotionen schenkt. Er ist, was das betrifft, der perfekte Soziopath.
Aber der Film zeigt immer wieder, dass er durchaus Ahnung von Musik, vom Musikbusiness hat. Er nimmt es lediglich anders wahr – nicht als Kunst, nicht als etwas Schönes, sondern als Geschäft. Wir sehen ihn daher nicht als ahnungslosen Blinden, der sich in einer Branche verliert, die ihn nicht interessiert, wir sehen ihn als maßlos überzeichnete Personifizierung all dessen, was in Plattenfirmen gegen die Kunst arbeitet. Als personifizierten Kommerz.
Das mag man nun ebenfalls als Klischee betrachten, aber in diesem Falle ist es ein unterhaltsames Klischee, gerade, weil es so durchgängig und konsequent eingehalten wird. Wäre der Film länger, würde es sich abnutzen, doch mit gut hundert Minuten Laufzeit ist diese Form von präsentierter Ekeligkeit gerade noch erträglich.
Fazit
Vielleicht ist es diese Konsequenz, diese unkontrastiert zur Schau gestellte Morallosigkeit, die KILL YOUR FRIENDS so schwierig für viele Zuschauer macht, und ihm an den Kinokassen das Bein gebrochen hat. Vielleicht ist das vielen Zuschauern zu viel, zu platt, zu unclever.
Wir fanden es erfrischend. Und haben doch Einschränkungen.
Wir hatten das Glück, den Film bereits 2015 als Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests begutachten zu können und waren von Tempo, Witz und ja, auch der Schwärze der Geschichte begeistert. Für mich hatte der Film sich mit seiner Kompromisslosigkeit, seinem Witz und seiner cleveren, stetig nach unten trudelnden Handlung denn auch an die Spitze des Kinojahres gesetzt und war mein persönliche Topfilm 2015. Was allerdings auch daran lag, dass das Kinojahr insgesamt ungemein schwach war. (Dieses Jahr hätte es KILL YOUR FRIENDS auch bei mir deutlich schwerer!)
Und auch der Rest des Publikums schien begeistert.
Nun erscheint der Film in Deutschland nur auf DVD, Blu Ray und als VOD, was wir äußerst bedauerlich finden. Wir wissen nicht, ob der Film einem deutschen Publikum mehr zusagt als dem britischen. Auch in den USA findet ab April lediglich eine VOD- und Heimvideo-Auswertung statt.
Eine Neusichtung auf DVD hat ergeben, dass der Film im Kino, noch dazu mit wenig Vorkenntnis, was uns erwartet, deutlich mehr Spaß gemacht hat - es ist halt eher ein Film, den man im Kollektiv erleben sollte. Diese Relativierung müssen auch wir vornehmen.
Hinzu kommt, dass die deutsche Synchro zwar alles andere als schlecht ist, dem Film aber dennoch viel Drive nimmt. Neben der ein oder anderen Fehlübersetzung wie dem nur schwer erkennbaren CONAN-Zitat, fehlt Hoults Synchronsprecher - der seine Sache an sich gut macht - einfach die larmoyant-angepisste Stimmlage Hoults, dieses ewige Changieren zwischen Selbstmitleid und Herablassung, mit der er den Film bestreitet, und die ihm eine enorme Wirkung verleiht.
Quelle: Blu Ray "Kill Your Friends" © Ascot Elite Home Entertainment |
Wir können uns all der Kritik nicht
verschließen, die der Film offensichtlich provoziert, möchten aber auch betonen, dass der Film von keiner Kritik als schlecht bewertet wird.
Für uns ist KILL YOUR FRIENDS eine herrlich bissige, bitterböse und rabenschwarze Tour de Force, eine nostalgische Zeitreise in die Musikwelt der Neunziger, jene letzten Tage einer Ära, bevor Napster und Tauschbörsen, Youtube und Streamingdienste diese Welt für immer veränderten, mit einem grandios aufgelegten Nicholas Hoult, mit Moritz Bleibtreu in einem der erinnerungswürdigsten Gastauftritte aller Zeiten und einer Hauptfigur, die einem eine Menge abverlangt, aber in unseren Augen den Film auch sehenswert macht.
Er mag nicht jedem Zuschauer schmecken, wer aber mit Musik, schwarzen Genre-Satiren und einer durch und durch unmoralischen Hauptfigur etwas anfangen kann, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren. Vielleicht hat er ebenso viel Spaß wie wir.
P.S. Es mag der Erwähnung nicht nottun, aber natürlich hat der Film einen traumhaften Soundtrack – wie bei der Thematik wohl zu erwarten ist!
Für uns ist KILL YOUR FRIENDS eine herrlich bissige, bitterböse und rabenschwarze Tour de Force, eine nostalgische Zeitreise in die Musikwelt der Neunziger, jene letzten Tage einer Ära, bevor Napster und Tauschbörsen, Youtube und Streamingdienste diese Welt für immer veränderten, mit einem grandios aufgelegten Nicholas Hoult, mit Moritz Bleibtreu in einem der erinnerungswürdigsten Gastauftritte aller Zeiten und einer Hauptfigur, die einem eine Menge abverlangt, aber in unseren Augen den Film auch sehenswert macht.
Er mag nicht jedem Zuschauer schmecken, wer aber mit Musik, schwarzen Genre-Satiren und einer durch und durch unmoralischen Hauptfigur etwas anfangen kann, sollte auf jeden Fall einen Blick riskieren. Vielleicht hat er ebenso viel Spaß wie wir.
P.S. Es mag der Erwähnung nicht nottun, aber natürlich hat der Film einen traumhaften Soundtrack – wie bei der Thematik wohl zu erwarten ist!
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