30.04.15

Porträt: Orson Welles - Der Mann, der vier Jahre König war

Orson Welles - der Name erinnert an die Höhepunkte einer einmaligen Karriere: "Krieg der Welten" und CITIZEN KANE.
Welles gilt bereits als Universalgenie, als Urgewalt, Visionär und Egomane, als Besessener, Spieler und Strippenenzieher, da ist er gerade einmal 20.
Fest steht: Er schreibt Filmgeschichte. Sein CITIZEN KANE gilt bis heute als bester Film aller Zeiten. Welles ist ein Wunderkind, ein Genie. Und doch halten sein Einfluss und die Sonderstellung, die er für seinen Erstling erhält, nur wenige Monate.
Sein Absturz wird lang, hart und schmerzvoll. CITIZEN KANE markiert bereits mit 26 Jahren seinen Zenit, von dem Debakel um den Film erholt sich das Wunderkind nie wieder.
Er revolutioniert das Theater. Das Radio. Das Kino. In drei Bereichen macht er sich unsterblich - und hat dafür gerade einmal vier Jahre Zeit, bevor er in den ewigen Kampf gegen seine Schulden, und für seine künstlerische Eigenständigkeit gerät, für die er sich den Rest seines Lebens verkauft.
Quelle: DVD "Macbeth" © STUDIOCANAL
Biancas Blick:

Orson Welles war ein Meister der Selbstinszenierung, und er verstand es, seine Person, seine Herkunft, und seine ersten Schritte in eine Legende zu gießen. Wie es sich für einen König gehört.


Am Anfang steht der Verlust


Dieser König wird am 6. Mai 1915 in der Nähe von Chicago geboren. Bereits als kleines Kind, so die Legende, bescheinigt ihm ein Arzt „Genialität“. Später klagt Welles, im Anschluss habe ihn nie wieder jemand als "Genie" bezeichnet.
Seine erste Liebe wird die Bühne, vermutlich durch seine Mutter, die er auf Opern, ins Theater, und zu ihren Konzerten als Pianistin begleitet. 
Seine Eltern trennen sich, einige Jahre lebt er nur bei seiner Mutter, bis innerhalb kürzester Zeit beide Elternteile versterben.
Welles wird früh Waise und kommt bei einem Freund der Mutter unter, einem Arzt aus Chicago. Dr. Bernstein wird zunächst sein Ziehvater, später sein gesetzlicher Vormund. Mit der Figur des Managers Bernstein setzt Welles ihm in CITIZEN KANE ein Denkmal.

Er teilt also den frühen Verlust der Eltern mit seinem Alter Ego Charles Foster Kane, und vielleicht auch dessen lebenslange Suche nach einem Ersatz für elterliche Liebe. Es würde Welles' unersättlichen Hunger nach Anerkennung erklären, den er später mit vier Hauptmahlzeiten am Tag zu stillen versucht.


Dr. Bernstein fördert Welles' Kunstverständnis weiter. Er schenkt ihm Malkästen und ein Puppentheater, das Welles begeistert annimmt. Der Junge erarbeitet erste Rollenspiele.
Mit zehn wird Welles eingeschult, in jener Zeit arbeitet er daran, Shakespeares König Lear als Ein-Mann-Theaterstück zu konzipieren und aufzuführen. Er beginnt, bei Schultheateraufführungen Regie zu führen. Dies wird in der weiterführenden Schule in Illinois verstärkt, wo Welles 30 Stücke inszeniert, bis er die Schule fünf Jahre später verlässt.

Doch Welles will gar kein Schauspieler werden sondern Kunstmaler, und so unternimmt er nach seinem Schulabschluss mit der Erbschaft seiner Eltern eine Zeichentour durch Irland.
Quelle: Blu Ray "Casino Royale" © Twentieth Century Fox Home Entertainment

Guten Tag, ich bin Hauptdarsteller!


Doch auch in Irland landet Welles recht schnell am Theater, da ihm das Geld ausgeht und er arbeiten muss. Bescheidenheit kann man Welles zu keinem Zeitpunkt vorwerfen. Er stellt sich am Gate Theatre mit den Worten vor: „Guten Tag, ich bin Ihr Hauptdarsteller“, da ihm das verlockender erscheint, als als Tellerwäscher oder Gärtner sein Geld zu verdienen. Und er proklamiert für sich, der größte Theaterstar zu werden, den es je gab, wenn er das denn nicht schon sei.
Er ist 16 Jahre alt, als er beginnt, am Gate Theatre in Dublin zu arbeiten. Er bekommt die Hauptrolle als Jud Süß, dem noch etliche weitere Rollen folgen. Zudem übernimmt er die Regie in Stücken am Abbey Theatre, bevor er 1933 in die USA zurückkehrt, da er für seine geplante Arbeit in London keine Arbeitserlaubnis erhält.

Sofort beginnt er, auf dem Broadway zu arbeiten - er ist 18 Jahre alt, und besitzt gerade einmal zwei Jahre praktische Erfahrungen an kommerziellen Theaterbühnen.


Die Thronbesteigung


Nach einigen kleineren Erfolgen an den örtlichen Bühnen übernimmt Welles im Alter von 20 Jahren gemeinsam mit John Houseman das Federal Theatre in New York und inszeniert seinen ersten Skandal.
Er verlegt Shakespeares Macbeth auf eine Karibikinsel und erzählt die Geschichte mit dunkelhäutigen Figuren. Der Skandal dabei: Statt sich, wie seinerzeit noch üblich, des "Blackfacings" zu bedienen, und weiße Schauspieler einfach mit ein wenig Schuhcreme anzumalen, besetzt er sein Stück ausschließlich mit schwarzen Darstellern! Das Stück polarisiert - selbst die schwarze Bevölkerung ist außer sich, fürchtet sie doch, von dem weißen Regisseur vorgeführt zu werden -, erntet aber frenetische Kritiken und wird ein echter Straßenfeger. Die Inszenierung geht als „Vodoo-Macbeth“ in die Theater-Annalen ein, da Welles die Geschichte nach Haiti verlegt und statt schottischer Hexenmagie auf Voodoo-Zauber setzt
Quelle: DVD "Der dritte Mann" © STUDIOCANAL
Das Stück ist Teil des "New Deals", eines Regierungsprogramms zur Bekämpfung der Großen Depression, wozu auch gehört, schwarze Künstler und Bühnenarbeiter stärker an den Bühnen einzubinden. In Zeiten, in denen es noch immer aktive Rassentrennung gibt, ist die Umsetzung dieses Programms dennoch ungewöhnlich und zeugt von Welles' lebenslang ausgelebter, linker und gegen Rassismus gerichteter Politik.
Im Jahr darauf inszeniert Welles Doctor Faustus, The Cradle Will Rock, bei dem das Publikum zum ersten Mal aktiv in die Handlung eingebaut wird, und Julius Caesar, der in moderner Kleidung gegeben wird und in der Gegenwart spielt.
Den Caesar inszeniert Welles am Mercury Theatre, wo er den Schauspieler Joseph Cotten kennen und schätzen lernt.
Julius Caesar wird Welles' zweiter riesiger Erfolg, und erneut ein Skandal. Es ist 1937, und Welles ist, wie viele Amerikaner, besorgt über die faschistischen Entwicklungen in Europa. So leistet er sich den Affront, seine Darsteller in Kostüme zu kleiden, die den Uniformen der Nationalsozialisten ähneln und seinen Caesar (der Römer war!) mit deutlichen Anleihen an den italienischen Faschisten Mussolini auszustatten.

Welles revolutioniert das verstaubte amerikanische Theater und landet mit 22 Jahren auf dem Cover der „Times“. Eine Sensation! Ein „Wunderkind“!
Seine Truppe vom Mercury Theater, allen voran Joseph Cotten, werden Welles noch lange begleiten, auch auf seiner Reise in CITIZEN KANE. Zunächst sollte Welles aber noch eine Panik auslösen!
Quelle: Blu Ray "Im Zeichen des Bösen" © Koch Media GmbH

Welles killed the Radiostar


Am 30. Oktober 1938 schreibt Welles erneut Geschichte, diesmal live und die ganze Ostküste entlang im Radio.
Er entwickelt aus H.G. Wells Science-Fiction-Klassiker „Krieg der Welten“ ein Halloween-Hörspiel, das er wie eine Nachrichtenübertragung konzipiert. Da ein solches Vorgehen seinerzeit völlig unbekannt ist (Immer waren Nachrichten und Unterhaltung im Radio streng voneinander getrennt und klar zuordbar!), das Programm nur wenig angekündigt wird, und im Vorfeld der Sendung auch keine Warnung erscheint, trifft Welles' intensiv inszeniertes Stück die meisten Zuschauer völlig unerwartet.
Das Unvorstellbare wird wahr: Kein einziger Hörer ist auf Welles' Konventionsbruch vorbereitet, fast alle Zuhörer halten die "Nachrichtensendung", die Live die Invasion aus dem All schildert, für wahr!

Welles, der sich nie um die Konventionen seiner Medien schert, löst eine Panik aus. Sein Spiel mit den Erwartungen löst eine Massenflucht aus, Unfälle, Tote und Verletzte. Obwohl das wahre Ausmaß der Panik aufgrund verhältnismäßig niedriger Hörerzahlen überschaubar bleibt, steht er tagelang im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Mit einem Mal kennt jeder Amerikaner den Namen Orson Welles.
Vielen Amerikanern stößt Welles Vorgehen allerdings sauer auf. Sie fordern, dass Welles für die Folgen zur Verantwortung gezogen wird, was nie der Fall ist.
Aber Welles bittet öffentlich, und öffentlichkeitswirksam, um Verzeihung. 

Der junge Mann erfindet sich zum zweiten Mal neu: Nach dem Theatergenie hat er nun auch die Radiounterhaltung revolutioniert und etwas Neues geschaffen, das lange Zeit unerreicht bleibt.
Quelle: DVD "Falstaff - Glocken um Mitternacht" © Zweitausendeins
Dafür ist jemand anderes begeistert von Welles' Unterhaltungstalent, und seinem Talent für Überraschungen: Die Filmstudios der Westküste.
Welles kommentiert den Skandal, der seinem Halloween-Hörspiel folgt später so: „Ich ging nicht hinter Gitter – ich ging nach Hollywood.“

Der König krönt den Bürger


Obwohl Welles seine größten Erfolge unter völliger Missachtung von Regeln, und mit dem stets sicheren Blick auf den Skandal errungen hat, bekommt er das Angebot aus Hollywood, seinen eigenen Film zu inszenieren. Und zwar zu seinen(!) Konditionen. Erstmalig in der Filmgeschichte wird einem Regisseur die komplette Verantwortung bis hin zum Endschnitt überlassen. Welles wird alles hinterhergeworfen, wovon sich andere Künstler jahrelang auch nur ein Bröckchen erarbeiten müssen.
Welles hat sein Image perfekt kreiert: das unfehlbare Wunderkind. Das Genie! Alles, was er anfässt wird erfolgreich - obgleich heutige Kritiker meinen, er habe seine Misserfolge einfach geschickt verborgen. Sicher ist aber, Welles ist ein Visionär und Erfolgsgarant. Was kann also schiefgehen?

Was die Produzenten und Studios nicht auf ihrem Radar haben, ist Welles' Ego.
Der 16-Jährige, der ohne jede Erfahrung in einem fremen Land Hauptrollen einforderte, ist nun zehn jahre älter, und weist eine siebenjährige, makellose Erfolgssträhne auf. Für Welles gibt es nur eine gültige Referenz: Welles. Und das erfolgsverwöhnte Genie scheint die Möglichkeit, mit einem Projekt zu scheitern, nicht einmal in Betracht zu ziehen.
Quelle: DVD "F wie Fälschung" © STUDIOCANAL
Welles hat einen Stoff im Sinn. Einen nur offenkundig fiktiven Stoff. Wie schon mit Julius Caesar will er seine PLattform nutzen, um eine ganz reale Person anzuprangern. Obwohl er viele berühmte Amerikaner als Inspiration nutzt, und auch eine gute Portion autobiografischer Elemente einfügt, wird der Kern seines geplanten Biopics CITIZEN KANE eine einflussreiche und streitlustige Persönlichkeit zum Vorbild nehmen: Den unumstrittenen Herrscher der amerikanischen Zeitungen, Supermillionär William Randolph Hearst.

Welles selbst übernimmt in CITIZEN KANE die Hauptrolle, inszeniert und schreibt am Drehbuch mit.
Und erneut liefert Welles ab: Er lässt sämtliche filmischen Konventionen fahren. Er inszeniert eine unchronologische Geschichte, losgelöst vom 3-Akt-Modell, erfindet neue Kameraperspektiven, eine neue Bildsprache, neue visuelle und dramaturgische Techniken.
CITIZEN KANE wird ein überragendes Stück Filmkunst - berührend, witzig, unterhaltsam, episch, tragisch, und vollgestopf mit kreativen, spritzigen Ideen. Wie schon im Theater und im Radio erschafft Welles mit seinen unkonventionellen Methoden ein Stück Filmgeschichte.

In einem Punkt hat er sich jedoch verschätzt: So gut sein Film auch ist, William Randolph Hearst ist von seinem tragischen, vereinsamten Alter Ego Charles Foster Kane wenig begeistert, und noch weniger von der Darstellung seiner Geliebten Marion Davies, die im Film als simple, untalentierte Sängerin dargestellt wird.
In der Schlacht, die hinter den Kulissen zwischen Welles und Hearst um den Film entbrennt, ist Welles, dem sich niemals jemand in den Weg stellen konnte, der mit allem davongekommen war, nahezu chancenlos. Sein künstlerisches Genie ist gegen Hearsts Medien- und Meinungsmaschinerie machtlos.
Viele Kinos boykottieren CITIZEN KANE, kein einziges Hearst-Blatt erwähnt den Film auch nur. Ein Drittel alelr Amerikaner sind Hearst Leser - und erfahren nie, dass der Film auch nur existiert.
Quelle: DVD "Othello" © SchröderMedia
Wer den Film sieht, ist begeistert - Die Academy vergibt neun Oscarnominierungen. Welles selbst ist der erste Künstler, der für einen Film vier Mal nominiert wird (Regie, Hauptdarsteller, Drehbuch, Produzent).
Doch Hearsts Hetzte bleibt haften.
Auf der Oscarverleihung wird der Film bei jeder Erwähnung ausgebuht. Welles, das "Schmuddelkind", avanciert zur Persona non grata in Amerika. Als "Trostpreis" wird CITIZEN KANE immerhin mit dem Oscar für das Beste Drehbuch ausgezeichnet, den Welles sich mit Herman J. Mankiewicz teilen muss. Er wird auch bei seiner Dankesrede mit Buhrufen überschüttet. Sein Meisterwerk hat den König jäh vom Thron gestürzt.

Der Abstieg


Mit gerade einmal 21 Jahren, ein Alter, in dem viele Stars ihre ersten, zarten Schritte vor die Kamera tun, kommt Welles nach Amerika zurück, revolutioniert das Theater, das Radio, und dreht einen der kreativsten und herausragendsten Filme aller Zeiten. Das alles innerhalb von vier Jahren!
Jetzt, nach diesen vier Jahren, steht dieser Visionär am Ende eines Aufstiegs, wie es ihn weder davor noch danach jemals gegeben hat!

Und er fällt tief!
Trotz des Desasters um CITIZEN KANE hat Welles noch einen Vertrag über zwei weitere Filme. Welles zweiter Film, den er erneut mit seinen Mercury Playern dreht, wird DER GLANZ DES HAUSES AMBERSON.
Doch jetzt hegt das Studio große Zweifel an Welles. Sie erwarten zwar künstlerisch einen zweiten CITIZEN KANE, verlangen aber auch einen finanziellen Erfolg. Dazu gehört auch ein striktes Einhalten des Budgets. (CITIZEN KANE hat dem Studio dank Welles' Budgetüberziehung und Hearsts Schmierenkampagne enorme Verluste eingefahren!)

Welles aber bleibt unverbesserlich. Ihm schwebt ein opulentes, verschwenderisches, und diesmal gänzlich chronologisches Epos vor.
Als der Regisseur das Produktionsbudget erneut überzieht, nimmt ihm das Studio das Projekt aus der Hand. Welles' schlimmster Alptraum wird wahr: Er verliert seinen künstlerischen Einfluss und muss mit ansehen, wie sein Film von fremden Händen gekürzt, umgeschnitten und verhunzt wird. Der Film, nur noch dem Namen nach ein Welles, wird zu einer herben Enttäuschung für Kritiker und Publikum.

Aus heutiger Sicht ist DER GLANZ DES HAUSES AMBERSON trotz der Fremdeinflüsse ein Meisterwerk und seiner Zeit weit voraus. Besonders die erste halbe Stunde wird von Cineasten bis heute vergöttert. Kompromisslos stellt Welles den Einbruch der Industrialisierung in eine Familie dar. Diese, für Welles typische, kritische Sichtweise ist 1942 in einem Amerika, das sich gerade erst von der Wirtschaftskrise erholt hat, und bald in den Krieg eintreten wird, nicht unbedingt populär.
Es ist auch der einzige von Welles' Filmen, in denen er nicht selbst auftritt. Einzig seine markante Erzählstimme, für die er später berühmt wird, leiht er dem Film.
Quelle: DVD "Der dritte Mann" © STUDIOCANAL
Welles ist nur noch "einer von vielen" in Hollywood, weiß aber, dass sein Name noch zieht, dass er als Schauspieler weiterhin etwas wert ist. Da ihm die Schauspielerei nie wichtig ist, ist er auch nicht wählerisch. Er nimmt alle Rollen an, die auf seinem Schreibtisch landen, auch die, von denen er weiß, dass sie schlecht sind. Er will weiter Regie führen, und braucht dafür jeden Cent, den er als Schauspieler verdienen kann. Mit seinem eigenen Geld hat er auch wieder die Kontrolle über seine Filme. Er ganz allein.
Außerdem ist ihm, bis an sein Lebensende, die das Finanzamt auf den Fersen, um die Steuern einzutreiben für Gagen, die er zwar mal verdient, aber nie versteuert hat. Welles bleibt also keine Wahl, er muss alles einholen, was ihm irgendeinen Gagenscheck einbringt. 
Und so dreht er. Alles. Hauptsache das Geld stimmt. Er wird sich, wie auch Brando später, für jeden Film verkaufen, jeden Auftrag annehmen, der ihm irgendetwas einbringt.


Die Gagenhure


Welles dreht und dreht und versteckt sich hinter Masken. MOBY DICK, in dem er nur einen Cameo-Auftritt hat (Erneut etwas, das er für die Filmwelt salonfähig macht), DON QUIXOTE, IN DEN KLAUEN DER BORGIA, GRAF CAGLIOSTRO, DIE SCHWARZE ROSE, um nur einige seiner nur mittelmäßigen Filme zu nennen.

Graham Greene dann schreibt ihm mit DER DRITTE MANN eine letzte geniale Rolle, die Welles mit Bravour ausfüllt! Er betritt als Harry Lime zwar erst nach 40 Minuten den Film, und nur kurz zu sehen, allerdings den ganzen Film hindurch "in aller Munde". Mit seiner Interpretation des Harry Lime erreicht er den Höhepunkt seiner Schauspielkarriere und hievt den Film weit über den Durchschnitt. Regisseur Carol Reed dreht ebenso eigensinnig skurril wie Welles selbst und erschafft ein Meisterwerk voll düsterer Atmosphäre und Beklemmung.

Mit OTHELLO versucht sich Welles abermals filmisch bei Shakespeare, produziert den Film selbst, spielt die Titelrolle. Zu Letzterem sah Welles sich gezwungen, da die Produktion zwei Jahre dauert und das kein Schauspielvertrag hätte abdecken können. OTHELLO wird in ganz Europa gedreht. Schauspielkritiker Eric Bentley quittiert Welles' Leistung vernichtend: "Er agiert nie, er lässt sich abfotografieren." Welles punktet hier als Regisseur, scheitert aber als Darsteller, was dem Film als Gesamtwerk nicht gut tut.

Seinen letzten Triumph als Regisseur feiert er mit IM ZEICHEN DES BÖSEN. Der sonst so historisch ausgerichtete Welles schafft als Regisseur eines modernen Stoffes einen Glanzpunkt seiner Karriere: Mit Charlton Heston, Janet Leigh und einer bestechend guten Marlene Dietrich (die sofort zusagt, ohne das Drehbuch zu kennen) dreht er einen Drogenthriller der Extraklasse! Es ist nach gut 15 Jahren wieder sein erster Film in den USA. Die Figur des Polizeihauptmannes Quinlan schreibt Welles sich gekonnt auf den Leib. Obwohl er den Roman "Badge of Evil" nie gelesen hat, adaptiert er den Inhalt gekonnt in ein flottes Drehbuch.
Quelle: Blu Ray "Im Zeichen des Bösen" © Koch Media GmbH

Die Legende im Ohr


In den Siebzigern ist Orson Welles vor allem ein Name - und eine Stimme! Er ist mittlerweile so übergewichtig, dass er kaum noch vor der Kamera spielen kann, doch seine Stimme ist noch immer volle Timbre und unverwechselbar. Seine wird zu einer der bekanntesten und meistgebuchten Stimmen Amerikas. Neben Hörspielen wird er vor allem in Dutzenden Werbespots, Filmen und Serien gebucht, immer als Erzähler oder Stimme anderer Figuren.
Jedes Kind, ach, jeder Amerikaner erkennt Welles sofort an seinem tiefen, schwingenden Organ.
Als George Lucas sich daranmacht, eine Stimme für seinen Darth Vader zu finden, ist Orson Welles seine erste Wahl, doch am Ende muss Lucas sich von diesem Traum lösen - Welles' Stimme ist einfach zu bekannt, die Wirkung verpufft, niemand nimmt seinen Oberbösewicht ernst, wenn sie mit der meistgenutzten Erzählerstimme der Welt auftritt. So geht die Rolle an James Earl Jones.

Dafür spricht Welles eine andere Legende: Der ominöse Robin Masters, Auftraggeber von MAGNUM, wird bei zwei Gelegenheiten von Welles gesprochen.

Auch in dem Straßenfeger der 80er, der Fernsehreihe SHOGUN, prägt Welles' Stimme die Erzählung für eine ganze Generation.

Bereits 1970 macht er noch einmal mit einem, nun, "Skandal" auf sich aufmerksam. Mittlerweile lässt Welles sich sogar dazu hinreißen, Werbespots für Tiefkühlessen aufzuzeichnen. Bei der Arbeit im Studio, bei dem er versucht, der Werbung ein wenig Sinn abzuringen, und sie zu verbessern, platzt dem Künstler der Kragen - was zum Glück auf Band festgehalten wird und als "Frozen Pea Rant" berühmt wird.

Obwohl er nie wieder einen Höhepunkt erreicht, ist Welles mittlerweile eine Legende.  Seine Geschichte ist weltweit bekannt, seine Filme, allen voran CITIZEN KANE, erhalten endlich das Lob und die Anerkennung, die sie verdienen, schon in den 70ern hat er einige Auszeichnungen für sein Lebenswerk erhalten. Jeder Filmschüler studiert seine Techniken, und, wie gesagt, jeder Amerikaner kennt seine Stimme und seinen Namen.
 
1982 erhält er noch einmal eine Golden Globe Nominerung für das Machwerk BUTTERFLY - DER BLONDE SCHMETTERLING, wo er an der Seite von Stacy Keach und Pia Zadora(!) spielen muss.

Orson Welles stirbt am Morgen des 10. Oktober 1985, kurz nachdem er als Gast in einer Talkshow noch zukünftige Projekte besprach, an einem Herzinfarkt - für einen Mann seines Umfangs nicht unerwartet.

Die Liste seiner unrealisierten Projekte ist beinahe länger als sein vorzeigbares Werk. Es ist nur ein Indiz für Welles Schicksal, immer kreativ gewesen zu sein, und nur für einen kurzen Augenblick, vier kurze Jahre, die Möglichkeiten gehabt zu haben, diese Kreativität umzusetzen.
Es wird eine der spannenden Fragen bleiben, was aus Welles geworden wäre, hätte er sich niemals mit William Randolph Hearst angelegt. Doch ein streitbarer, von sich selbst bis zum Schluss derart überzeugter Künstler wie Welles wäre immer, zu jeder Zeit, jemandem auf die Füße getreten, und man kann davon ausgehen, dass ihn sein Schicksal früher oder später in jedem Fall ereilt hätte. Vielleicht wäre er aber auch zum Steven Spielberg seiner Zeit geworden, zum erfolgreichsten Regisseur, den es jemals gab - wird werden es nie erfahren.

Wenige Jahre nach seinem Tod wird Welles selbst zur Filmfigur, in einigen Biografien, aber auch etwa in Tim Burtons ED WOOD, wo Ed Wood zufällig auf Orson Welles trifft (der hier, wie bei einer anderen Gelegenheit, von Vincent D'Onofrio verkörpert wird, der dem jungen Welles wie aus dem Gesicht geschnitten scheint).

Heute, wo er hell am Pantheon der Filmgötter leuchtet, wird deutlich, welches Genie Welles war. Kein anderer Star hat ähnlich tiefe Abdrücke in allen drei großen Medien hinterlassen: Theater, Radio, und Film! Orson Welles machte sie sich alle zu eigen, erschuf, in nur vier Jahren in allen drei Bereichen Meisterwerke, die noch heute und in vielen Jahren Ehrfurcht und Staunen hervorrufen werden. Er erschuf zeitlose Meisterwerke und unsterbliche Legenden, vor allem um sich selbst. 

Er ist ein Vorbild und eine Ikone geworden, die, da können wir uns sicher sein, die Anerkennung genießt und für gerechtfertigt hält, die ihm heute entgegengebracht wird. Wo immer er auch steckt.

Einen letzten Lichtblick mag es noch geben. Bereits seit Jahren arbeitet Welles' einstiger Zögling Peter Bogdanovich daran, Welles legendären THE OTHER SIDE OF THE WIND endlich fertigzustellen.
Welles dreht den Film, in dem John Huston einen ehrgeizigen Regisseur spielt, der gegen das Hollywoodsystem anrennt, bereits 1971 und verbringt den Rest seines Lebens damit, ihn zu schneiden. Als Welles stirbt, sind knapp 75 Minuten des Projekts fertiggestellt.

Rechtzeitig zum 100. Geburtstag des Ausnahmetalents am 6. Mai 2015, dreißig Jahre nach dem Tod des Regisseurs, soll der Film erscheinen - leider gelingt das nicht, und noch immer befindet sich das Projekt in der Schwebe.
Quelle: DVD "F wie Fälschung" © STUDIOCANAL

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