28.05.14

Die Vögel (USA 1963)

Melanie Daniels erwacht aus einem leichten Schlaf. War da ein Geräusch? Mitch und Lydia schlafen. Und auch das Kind ist ruhig. Sie erhebt sich und lauscht. Da! Wieder! Über ihr im Dachboden! Sie nähert sich der Treppe und geht hinauf. Die Tür zum Dach ist geschlossen, zögernd öffnet sie sie und tritt ein. Es ist dunkel, aber etwas bewegt sich. Viel. Geflatter. Gekreische. Sie sind da! Die Vögel. Zu Hunderten. Melanie will zurück, raus aus dem Zimmer, aber die Tür geht nicht auf!
Die Vögel fallen über sie her. Sie wehrt sich, aber es sind zu viele ...

Quelle: DVD & Blu-ray „Die Vögel” (Universal Pictures)
Biancas Blick:
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Der Dreh dieser Szene ist ursprünglich auf 2-3 Stunden angesetzt. Er wird fünf volle Drehtage dauern. Für Tippi Hedren eine Tortur. Am Freitag bricht sie zusammen und wird eine Woche krankgeschrieben. Der Studioarzt ist in seiner Aussage unerbittlich. Hedrens Nerven sind am Ende, sie hat Wunden am Auge und an den Händen davongetragen.
Hitchcock tobt! Das erste Mal seit REBECCA muss ein Dreh unterbrochen werden (damals waren Hitchcock und Joan Fontaine krank). 

Aber von Anfang an ...


DIE VÖGEL ist nach PSYCHO der neue, heißerwartete Hitchcock-Film. Er soll PSYCHO toppen, muss ihn toppen. Das Publikum erwartet das! Hitchcock hat mit PSYCHO in vielerlei Hinsicht Neuland betreten und aus einem Low-Budget-Film eines der ertragreichsten Werke der Geschichte geschaffen. Diesem Erfolg fühlt er sich verpflichtet. Nun will er nach einer Erzählung von Daphne Du Maurier DIE VÖGEL verfilmen und alles, was es an technischen Möglichkeiten gibt benutzen und ausprobieren, sowohl was Kameraeinstellungen und -fahrten, aber auch die Trickaufnahmen betrifft. Es wird sein aufwendigster und am akribischsten geplanter Film werden.

Inhaltlich geht es um eine Kleinstadt an der Küste, in der es zu Vogelangriffen kommt, die letztlich Menschenleben fordern. Im Zentrum steht eine junge Frau, die einem Rechtsanwalt durch das Verschenken von Liebesvögeln an die Küste folgt und durch die wir als Zuschauer die Vogelangriffe erleben und durchleben.

Die Besetzung steht schnell fest: Bis auf Jessica Tandy, einem renommierten Theaterstar, werden nur weniger bekannte Schauspieler gecastet. Der Fokus soll auf der Geschichte liegen und nichts und niemand davon ablenken.
Für die Rolle der Melanie Daniels engagiert Hitchcock das Fotomodell Tippi Hedren. Er sieht sie in einem Werbespot und seine altbekannte Obsession für blonde Starletts erwacht zu neuem Leben. Er will sie! Nur sie! Lässt sie unter falschem Vorwand zum Casting kommen (sie denkt, es gehe um einen Werbespot) und manipuliert sie von Beginn an.

Hitchcock verehrt und protegiert seine in der Regel blonden, grazilen Schauspielerinnen, seit er Filme dreht. Die bis zu diesem Zeitpunkt bekanntesten seiner Stars sind Joan Fontaine, Ingrid Bergmann und natürlich Grace Kelly. In letztere verliebt er sich und verfällt ihr bis zu seinem Tod. In jeder neuen Schauspielerin sucht er sie, versucht sie nachzuformen, neu zu erschaffen. 
In all seinen Schauspielerinnen sieht er seine sexuellen Wünsche erfüllt, die er privat nur unzureichend ausleben kann. Zwar ist er seit 1926 mit Alma Reville verheiratet und gemeinsam haben sie eine Tochter, dennoch ist er emotional und sexuell äußerst verklemmt, lebt zölibatär, enthaltsam. Essen ist nahezu der einzige Exzess den er sich leistet. Später der Alkohol. Und immer seine Filme. 

Er überträgt seine Begierde auf die Frauen, die er durch seine Arbeit als Regisseur anleiten kann. Er beginnt, sie zu beraten, sie anzukleiden, ihnen Umgang zu empfehlen oder zu untersagen. Er formt sie nach seinem Wunschbild. Obsessiv. Radikal. Er weiß um seinen Zwang und setzt sich selbst 1957 ein Denkmal mit der Hauptfigur Scottie in VERTIGO.
Und doch macht er die Erfahrung, dass seine Starletts gehen. Weg von ihm. Weg von seinem Einfluss. Undankbar und egoistisch. Immer wieder. Er grollt!
Die Bergmann ist zu Rosselini nach Italien gegangen. Grace Kelly 1956 zu ihrem Fürsten nach Monaco. Vera Miles, mit der er so gern VERTIGO gedreht hätte, die er aufgebaut hat und zum Star machen wollte, wird schwanger und lässt ihn im Stich. (Er muss VERTIGO mit Kim Novak drehen, die er hasst und unpassend findet.) Audrey Hepburn lehnt kurzfristig die Hauptrolle in NO BAIL FOR THE JUDGE ab, da eine Vergewaltigungsszene geplant ist, so dass das Projekt abgesagt werden muss.
Lauter Enttäuschungen! Und zuletzt muss Grace Kelly ihre geplante Rückkehr ins Kino 1961 im Film MARNIE absagen, weil das monegassische Volk Amok läuft, als es erfährt, dass ihre Fürstin eine frigide Kleptomanin spielen soll. Der monegassische Hof untersagt ihr, die Rolle anzunehmen. Der Film wird um drei Jahre verschoben. Hitchcock fühlt sich im Stich gelassen, ja, verraten. Er ist frustriert. Er braucht einen neuen Star. Eine Frau, die er aufbauen und formen kann, ganz nach seinen Wünschen.

Eine Obsession kehrt zurück!


In Tippi Hedren hofft er, seine Bedürfnisse ausleben zu können. Sie ist schön, unerfahren und durch ihre kleine Tochter, Melanie Griffith, und die Unterstützung für ihre Mutter gezwungen, Geld zu verdienen. Sie muss Bedingungen akzeptieren, die eine finanziell unabhängige, erfahrene Schauspielerin wahrscheinlich nicht akzeptieren würde.
Er macht Probeaufnahmen, in denen Hedren Szenen aus ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA nachspielen soll. Er fordert jede Geste, die er zuvor mit Grace Kelly erarbeitet und angelegt hat. Minutiös soll sie auch deren Sprache und Betonung nachahmen. Er kreiert sich eine neue Kelly. Möglicherweise fühlt Hedren sich bereits unwohl, doch sie ahnt noch nicht, was wirklich auf sie zukommt.

Sie akzeptiert den ihr angebotenen Sieben-Jahres-Vertrag, obwohl er ihr weniger Gage bringt als ihre aktuellen Model-Jobs. Aber es sind sieben abgesicherte Jahre.
Sie akzeptiert zudem, dass Hitchcock beginnt, sie zu beeinflussen und zu verändern. Allein die Garderobe für die Probeaufnahmen (!) sind verschwenderisch und übertrieben.
Hitchcock lässt ihr zudem Garderobe für den privaten Bereich zukommen, sowie Schmuck und Accessoires. Er lässt sie überwachen und gibt ihr vor, welche Kontakte sie haben darf. Sie lässt Hitchcocks Gebaren geduldig über sich ergehen, nimmt Geschenke an und versucht, alles „richtig“ zu machen.

Quelle: DVD & Blu-ray „Die Vögel” (Universal Pictures)
Während des gesamten Drehs hat sie nur einen Tag frei, muss durchgehend zur Verfügung stehen. Hitchcock arbeitet darüber hinaus privat weiter mit ihr an der Rolle, was Hedren unangenehm ist und dem sie sich zu entziehen versucht. Erste Risse machen sich bemerkbar. Sie versucht sich zu emanzipieren und aus der Umklammerung des Regisseurs zu lösen. Hitchcock bemerkt das und sein Frust über eine erneute Zurückweisung steigert sich ins Unermessliche.

Auf Fliegen und Hacken


Nun steht der Dreh des Angriffs der Vögel auf dem Dachboden an ... 
Tippi Hedren weiß nicht, was sie erwartet und auch Hitchcock weiß es nicht, ist die Szene doch filmisches Neuland.
Zunächst ist der Dreh für 2-3 Stunden und mit mechanischen Vögeln geplant, doch schnell wird klar, dass das nicht funktioniert, dass es zu unrealistisch und künstlich aussieht. Hitchcock und seine Mitarbeiter überlegen fieberhaft, wie dem beizukommen ist. Wir nehmen echte Vögel! Hitchcock entscheidet, dass da kein Weg dran vorbeiführt, auch wenn er Hedren versprochen hat, nur mit mechanischen Vögeln zu drehen. 
Also werden echte Vögel in Käfigen herbeigeschafft, um die Authentizität zu erhöhen. Tippi Hedren bekommt Angst, sagt aber nichts. Sie überwindet sich und der Dreh startet.
Doch auch das funktioniert nicht, denn die Vögel trauen sich nicht an die Schauspielerin heran. Was nun? Werfen! Man muss die Vögel werfen!
Also wird Tippi Hedren mit Vögeln beworfen und auch das erträgt sie unter Angst. Doch als Hitchcock sich die Aufnahmen ansieht, stellt er fest, dass die Vögel zu kurz auf Hedren sitzen bleiben und der Effekt des Angriffs verpufft. Und was nun? Festbinden!
So werden vereinzelt Vögel an Hedrens Kostüm festgebunden, was die Aggressivität und Angst der Vögel steigert. Sie beginnen zu flattern und nach allem zu hacken, verletzen Hedren gefährlich nah am Auge und an den Händen. Aber Hitchcock ist zufrieden, wenngleich ihm mulmig wird, weil er nicht weiß, ob und wie lange Hedren das mitmacht.
Die erste Einstellung ist im Kasten, aber das reicht nicht. Es ist ja nur eine Einstellung aus einer Position. Für Hitchcock zu wenig. Hedren muss blutig geschminkt und ihre Kleidung zerrissen werden, um den Anschluss aus einer anderen Perspektive zu filmen. Dann wieder eine Einstellung. Und noch eine. Nah. Schräg. Fern. Eine Einstellung folgt auf die nächste und der Dreh dieser Szene dauert ganze fünf Tage.

Hedren bekundet Jahre später, dass sie die Tage nur in panischer Angst zum Studio gefahren ist.

Und auch Jessica Tandy sagt: „Tag für Tag, eine Woche lang, nahm diese Frau alles in Kauf. Sie war ganz alleine in diesem eingegitterten Raum. Sie spielte, während die Vögel gegen sie flogen. Sie musste so oft die Kostüme wechseln und neu geschminkt und mit diesem Theaterblut beschmiert werden, dass sie nicht einmal die Essenspausen wahrnehmen konnte. Sie lebte Stunde für Stunde mit dieser Situation, und ich weiß einfach nicht, wie sie es überhaupt fertiggebracht hat.“ Sie bekundet zudem deutlich, dass sie selbst es gehasst, wenn nicht gar abgelehnt hätte.
Gary Crant, der Star aus DER UNSICHTBARE DRITTE, besucht zu dieser Zeit das Set und sagt zu Hedren: "You're one brave woman!"

Tippi Hedren, die tapfere Frau, hält durch. Doch es fordert seinen Tribut. 

Und sonst so?


Hitchcock dreht akribisch wie immer. Wer aber denkt, DIE VÖGEL sei ein einfacher Horrofilm, der irrt gewaltig.
Wer sich die Vogelangriffe genauer ansieht, bemerkt, dass sie immer dann auftreten, wenn zuvor die Protagonisten Einsamkeit, Verlassenwerden oder Isolation thematisiert haben. Die Angriffe dienen vielmehr der Verdeutlichung seelischer Enttäuschung und Qual.
So schafft es Hitchcock ein Mal mehr, eigene Ängste filmisch zu verbildlichen und psychoanalytische Themen zu beleuchten, was er bereits in ICH KÄMPFE UM DICH, VERTIGO oder PSYCHO getan hat und bei MARNIE auf die Spitze treiben wird.
Hitchcock schafft es wieder, seine eigenen Themen und Interessen publikumswirksam umzusetzen.
In seinem Büro spannt er meterlange Papierbahnen an die Wand, auf denen er die Handlung und die Vogelangriffe malt, wie Ausschläge einer Herzrythmuskurve. Er komponiert seinen Film. Wie immer.

Als DIE VÖGEL anläuft, sind die Kritiken sehr gemischt. Wie so oft wird die Brillanz der Umsetzung erst Jahre später erkannt und gewürdigt. Erst dann wird deutlich, wie weitsichtig sein Film ist und wie experimentell die Umsetzung. Dennoch ist er fast so erfolgreich wie PSYCHO. Durch die Umsatzbeteiligung wird Hitchcock zum gefestigten mehrfachen Millionär.

Tippi Hedren bleibt dem Studio nach Beendigung der Dreharbeiten erstmal fern.
In Pressevorführungen macht Hitchcock klar, dass Tippi Hedren bei ihm exklusiv unter Vertrag stehe und er nicht beabsichtige, sie an ein anderes Studio auszuleihen, egal, ob er selbst noch einmal mit ihr arbeiten wolle oder nicht. Er hält an seiner Obsession fest. 

Mit MARNIE ein manischer Abgesang


Im folgenden Jahr dreht Hedren mit Hitchcock MARNIE und der Regisseur treibt seine Besitzansprüche bis zum Äußersten. Nimmt gar einen Gipsabdruck ihres Gesichts ab, denn Kleidung und Schmuck hat er ja bereits. Es ist, als lege er sich einen heiligen Schrein an. Unantastbar.
Graphologische Untersuchungen von Hedrens Handschrift sollen ihm beweisen, dass sie - wie Marnie - frigide ist, denn nur so kann Hitchcock sich ihre Zurückweisung erklären. Natürlich lässt sich nichts davon nachweisen.
Er ignoriert die Tatsache, dass Hedren sich verlobt und keinerlei Interesse an ihm hat, beichtet ihr gar offen seine Zuneigung. Aber sie weist ihn zurück - respektvoll, aber deutlich.
Daraufhin verliert er jede Zurückhaltung und droht ihr, ihr die Gage zu streichen, so dass sie weder für sich, ihre Tochter noch ihre Mutter wird sorgen können. Leere Drohungen, aber die Kluft ist unüberbrückbar, die Fehde offen und nicht mehr zu kitten.
Seine Obsession kulminiert in einer geforderten Vergewaltigungsszene in MARNIE, die uninspiriert und stilbrechend wirkt. Keinem der Mitarbeiter ist klar, warum diese Szene in das Skript muss, es gibt keine Notwendigkeit und widerspricht sogar der Stringenz der männlichen Hauptfigur. Aber Hitchcock besteht auf der Szene und entlässt sogar seinen langjährigen Freund und Drehbuchautor Evan Hunter, der sich vehement dagegen ausspricht.

Als Hedren sich nach dem Dreh zu MARNIE letztlich von Hitchcock abwendet, kommt es zum absoluten Bruch.
Hitchcock ist, erneut, zutiefst verletzt und derart in seiner Eitelkeit getroffen, dass er auf seine Weise Rache nimmt: Er besetzt Hedren nicht mehr in seinen Filmen. Sie ist nach DIE VÖGEL und MARNIE ein Star und heiß begehrt, doch Hitchcock lässt sie unbeschäftigt und weigert sich, sie an ein anderes Studio auszuleihen. Als ihr Vertrag ausläuft, ist ihre heiße Phase verpufft.
Quelle: DVD & Blu-ray „Die Vögel” (Universal Pictures)
Er gibt sich mit der Fertigstellung von MARNIE keinerlei Mühe mehr. Er lässt Hintergründe, Kulissen  und Schnitte diletantisch wirken, die Dialoge klingen uninspiriert und laufen anscheinend ins Leere. Er gibt den Film künstlerisch auf. Spricht von Hedren nur noch als „das Mädchen“, ohne ihren Namen auszusprechen, lässt während der Postproduktion Nachrichten an sie durch einen Assistenten übermitteln.

Nie hat Hedren in den folgenden Jahren negativ über Hitchcock gesprochen, ihm nie Vorwürfe gemacht.
Sie gibt sich dankbar für alles, was er für sie getan hat und verschweigt ihre Qualen und Enttäuschungen.

2009 gibt sie dem bekannten Biographen Donald Spoto ein Interview, aus dem der Pay TV Sender HBO schließlich 2012 den Film THE GIRL entwickelt. Dieser erzählt von Hitchcocks dunklen Obsessionen Hedren gegenüber. Hedren hält den Film für unterhaltsam, weist aber darauf hin, dass er sich sehr auf die eine Seite konzentriert, und den warmen, humorvollen, hilfreichen Regisseur, der ihr so geholfen hat, ausklammert. Einem Menschen, der dem Kino unglaublich viel gegeben hat.

Nach DIE VÖGEL schafft es Hitchcock nicht mehr, an seine Erfolge anzuknüpfen. Mit MARNIE verliert er große Teile seines Publikums, die mit dem Film nichts anfangen können. Es ist, als sei seine Schaffenskraft, seine Inspiration, seine Kreativität mit dem Zerfall des idealisierten Frauenbilds ebenfalls zerbrochen.

Was bleibt, ist mit DIE VÖGEL ein letztes Meisterwerk voll bahnbrechender Technik, feinsinnigen Dialogen und verbildlichten psychologischen Themen wie Angst vor dem Verlassenwerden oder Einsamkeit.

Ein Bonbon zum Schluss


Hitchcock selbst hatte übrigens eine ausgeprägte Vogelphobie!
Er legte während der Dreharbeiten Wert darauf, mit den echten Vögeln nicht in Berührung zu kommen. Es war, aus diesem Blickwinkel, auch für Hitchcock ein alles andere als einfacher Dreh.


Marcos Blick:

DIE VÖGEL ist einer jener Filme, die ich modernen Filmemachern immer wieder gerne mit auf den Weg geben möchte. Er beweist, wie weit Hitchcock seiner Zeit voraus war. Soweit, dass wir es immer noch nicht geschafft haben, ihn zur Gänze einzuholen.

Effektkino vor dem Effektkino


Mit DIE VÖGEL bringt Hitchcock den ersten Effekt-Film überhaupt in die Kinos. Einen Film also, den er fast vollständig mit dem Spektakel vermarktet, den der Film verspricht.

Natürlich gibt es auch den Hitchcock typischen 5-Minuten Trailer, in dem er mit dem ihm eigenen Humor über Vögel doziert und schwadroniert (Eine Trailermethode, die er schon für PSYCHO erfolgreich anwendet), doch der Großteil des Filmmarketings und der gezeigten Trailer versprechen Vögel, die Menschen angreifen. Effektkino also. Dramatische, abenteuerliche Spezialeffekte sind es, die die Menschen schließlich ins Kino locken sollen, um Bilder zu sehen, die sie womöglich nie zuvor gesehen haben.

Und das 1963! Fünf Jahre for Kubricks 2001: ODYSSEE IM WELTRAUM und 12 Jahre vor DER WEIßE HAI. Zu einer Zeit, als Spezialeffekte noch dazu da waren, Geld zu sparen oder Science-Fiction Welten zu beleben. Noch nie wurden sie als Schauspektakel für einen Film benutzt, der etwas so Alltägliches wie Vögel zum Thema hat.

Und was Hitchcock alles auffährt! DIE VÖGEL ist das 60er Jahre Pendant zu Camerons TERMINATOR 2. Hitchcock nutzt alles, was die zeitgenössische Tricktechnick hergibt. Er legt Bilder übereinander, arbeitet mit mechanischen Vögeln, Matte-Painting und einem Natriumdampf-Verfahren, das eine frühe, chemische Version der modernen Bluescreentechnik darstellt. Sein langjähriger Komponist Bernard Herrmann wird zwar engagiert, schreibt aber keine einzige Note. Stattdessen beauftragt Hitchcock ihn, Geräusche zu entwickeln, die den Film gruseliger machen. Mithilfe von Geräuschmaschinen kreiert Herrmann das Flügelschlagen oder das "Gurren" der Vögel vor deren Angriffen.
Kurz: Hitchcock nutzt das größte Budget, das er jemals erhält (3,3 Mio. Dollar) ausgiebig. Am Ende bekommt der Film nur für die Effekte eine Oscarnominierung, verliert jedoch gegen CLEOPATRA.

Diesen effektlastigen Eindruck hält der Film bis heute. Wer etwas über DIE VÖGEL hört, denkt zuerst: Das ist der Film, in dem Vögel wahllos Menschen angreifen! Wie macht er das? Und noch heute reicht das immer wieder aus, neugierig auf den Film zu machen. Wer sich zum ersten Mal an die Vögel setzt, wartet vor allem auf eins: Den Angriff der Vögel.

Gelockt und befriedigt


Das ist 1963 auch Hitchcock bereits bewusst. Er weiß: Die Leute wollen seine Vögel sehen! Sie wollen das Spektakel sehen, dessentwegen sie ins Kino gekommen sind!
Also tut Hitchcock erneut etwas Sensationelles, noch nie Dagewesenes: Er ordnet die Entwicklung seines Films den Erwartungen des Publikums unter!
Ein wenig tut er das bereits seit einiger Zeit! Seit die Zuschauer wissen, dass er stets einen Cameo-Auftritt in seinen Filmen hat, legt er diesen möglichst in den ersten Akt. "Die Leute konzentrieren sich sonst nur darauf, mich zu erkennen und folgen nicht dem Film", klagt er.

Auch mit den Vögeln folgt er dieser Erkenntnis: "Die Leute wollen die Vögel sehen. Sie werden sich nicht auf den Film konzentrieren, bevor sie nicht die Vögel gesehen haben."
Und so gibt Hitchcock den Zuschauern, was sie wollen. Er baut die Vögel in den Vorspann und das erste Bild ein. Im Vorspann sieht man bedrohlich durchs Bild flatternde Vogelschemen. Anschließend sieht man die Hauptfigur Melanie über eine Straße laufen. Sie dreht sich um und schaut zum Himmel, an dem sich hunderte Vögel tummeln.
Schon mit dieser ersten Szene, der zweiten Einstellung, befriedigt er die Neugier und Erwartung der Zuschauer und zeigt die bedrohlichen Tiere, die über der kleinen Stadt schweben. (Darüber hinaus frühstückt er auch gleich seinen Cameo-Auftritt ab: In der dritten Einstellung führt er seine Hunde durchs Bild.)
Er macht sich keine Illusionen darüber, in diesem Film nach klassischem Muster eine Bedrohung oder Handlung aufbauen zu können. Die Leute wissen, was sie erwartet: Vögelangriffe auf Menschen.

Erst nach der Befriedigung dieser Neugier widmet er sich der Charaktervorstellung, kommt aber immer noch zügig zu der Geburtstagsparty, auf der er den ersten echten Angriff inszeniert.

In einer Zeit, in der es das Genre noch gar nicht gab, wusste Hitchcock also bereits, wie man einen Effektfilm vermarktet und den Anfang dafür aufbauen muss. Wie man die Erwartung der Zuschauer schnell befriedigt, um ihnen dann die Handlung zu präsentieren.

Das zieht sich bis heute durchs Effektkino. Wer einen Monsterfilm oder einen Effektfilm schaut, weiß, was ihn erwartet. Und meist bietet die erste Sequenz einen ersten kurzen Ausblick auf das kommende Spektakel.
Aber immer noch gibt es Filmemacher, die, bewusst oder unbewusst, mit diesem simplen Kniff brechen. Es ist immer schwer, einem Film eine Stunde zuzuschauen, wenn man nur auf das Monster wartet, das der Trailer versprochen hat.

Vor allem aber ist Hitchcock etwas gelungen, was kaum noch jemandem gelingt: Das Publikum mit effektüberladenen Trailern, mit "Moneyshots" (Erstaunlich, dass es dafür mittlerweile einen Namen gibt), mit dem Versprechen auf Spektakel in den Kinosaal zu locken, und ihnen nicht nur dieses Spektakel zu liefern, sondern auch noch eine tiefgehende, psychologische Charaktergeschichte.
Wer ein Argument sucht, weshalb Hitchcock als Genie betrachtet wird, mag an Punkten beginnen wie diesem! Dass er, als das Kino noch nicht einmal voll entwickelt war, Mechanismen beherrschte, die es noch nicht einmal gab, während das heute aktuelle Kino jeden Tag mit diesen Mechanismen spielt, ohne sie richtig zu beherrschen.

Aus Arch Stanton's Grab


The Good:
Obwohl der Film mittlerweile über 50 Jahre alt ist, und ein Klassiker, bleibt er ein Einzelstück. Die Effekte wirken aus heutiger Sicht etwas verstaubt, funktionieren aber noch, und der Film generell scheint ein wenig düster. Dennoch wurde noch kein Remake gedreht. Zwar sind Remakes von Hitchcock-Filmen selten, doch wie PSYCHO und EIN PERFEKTER MORD, LIFEPOD oder DAS FENSTER ZUM HOF zeigen, sind Hitchcock-Remakes durchaus möglich. Bisher konnte jedoch keines auch nur annähernd die Klasse des Originals erreichen, egal wie alt dieses ist.

Außerdem hat die erst 14-jährige Veronica Cartwright in DIE VÖGEL ihren ersten Kinoauftritt. Es soll noch ein bisschen dauern, doch fünfzehn Jahre später spielt sie in DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN und in ALIEN in nur einem Jahr zwei ihrer bekanntesten Rollen und avanciert zum Star, der bis in die späten Neunziger immer wieder besonders in Science-Fiction und Fantasy-Stoffen gecastet wird.

The Bad:
Anders traf es den Hauptdarsteller in DIE VÖGEL. Zusammen mit DIE ZEITMASCHINE bleibt DIE VÖGEL Rod Taylors einziger großer Hit. Der Australier dreht zwar weiter Filme, darunter SPION IN SPITZENHÖSCHEN, und macht Fernsehen - er spielt sogar in Tarantinos INGLORIOUS BASTERDS mit -, dennoch ist und bleibt er für seine beiden Rollen von 1960 und 1963 bekannt. Zwischenzeitlich zieht er sich immer wieder aus dem Schauspielgeschäft zurück und kann keine großen Hits oder Rollen mehr ergattern.

The Ugly:
Völlig ohne Nachfahren bleibt auch DIE VÖGEL natürlich nicht.
1994 wird eine Fortsetzung gedreht (DIE VÖGEL 2 - DIE RÜCKKEHR), in der neben Chelsea Fields auch Tippi Hedren einen Kurzauftritt hat - allerdings in einer anderen Rolle. Regisseur Rick Rosenthal schämt sich offenbar ausreichend, zumindest zieht er sich auf das beliebte Hollywood-Pseudonym Alan Smithee zurück, um seine Beteiligung zu verdecken und seine Missbilligung des Films zu bekunden.
2009 schließlich kündigt niemand geringeres als Michael Bay ein Remake von DIE VÖGEL an, mit Naomi Watts und George Clooney in den Hauptrollen. Bisher hält sich der Film tapfer im Produktionslimbo!

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