Die Martin Suter Verfilmung DER KOCH ist eine Geschichte
über Transformation – das Grundwesen des Kochens. Wie der Vorgang des Kochens die
Zutaten verändert, verändert sich hier eine gutherzige Hauptfigur, als sie mit
dem abgrundtief Bösen im Menschen konfrontiert wird.
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Marcos Blick:
Die Romane des Schweizer Erfolgsautors Martin Suter sind immer eine etwas zweischneidige Angelegenheit.
Die Romane des Schweizer Erfolgsautors Martin Suter sind immer eine etwas zweischneidige Angelegenheit.
Auf der einen Seite verfügt Suter über ein ausgesprochenes
Talent, realistische und glaubwürdige Figuren zu erschaffen. Menschen, die
direkt neben einem wohnen könnten. Die authentisch und interessant, und immer
wieder äußerst sympathisch sind.
Diesen zutiefst sympathischen Figuren lässt Suter immer
wieder aufregende Dinge geschehen, die Ausgangspunkt einer spannenden Handlung
sind. So erkrankt der vom Leben gebeutelte, um die Aufmerksamkeit seiner
reichen Ziehfamilie bettelnde Konny Lang in Suters Debütroman „Small World“ an
Alzheimer. Innerhalb kürzester Zeit wird der Leser Zeuge des glaubwürdigen
Verfalls eines sehr stolzen Mannes.
In „Die dunkle Seite des Mondes“ darf man den Anwalt Urs
Blank dabei verfolgen, wie sein Leben und seine Persönlichkeit zerfällt, als er
auf einem schlechten Drogentrip hängenbleibt. Und in „Lila, Lila“, einem der
besten deutschen Liebesromane überhaupt, folgt man dem herzensguten David,
dessen Liebe zur unerreichbaren Marie ihn als Plagiator in die Mühlen des
deutschen Buchbetriebs taumeln lässt.
All das sind kräftige und tolle Geschichten. Leider, möchte
man fast sagen, will Suter immer noch einen Schritt weitergehen. Er erweitert
seine starken, zwischenmenschlichen Geschichten immer noch um einen Krimi- oder
Thrillerplot. In „Small World“ ein dunkles Familiengeheimnis, in „Die dunkle
Seite des Mondes“ um einen Mord, und in „Lila, Lila“ um ein Erpressungsdrama.
Auch sein Anfang 2010 erschienener Roman „Der Koch“, dessen
Verfilmung nun ins Kino kommt, krankt ein wenig an diesem letzten Schritt
Suters.
Doch von Anfang an:
Im Schweizer Exil
DER KOCH erzählt von dem jungen, sensiblen und freundlichen
Tamilen Maravan. Maravan ist vor dem in Sri Lanka zwischen Tamilen und
Singhalesen tobenden Bürgerkrieg in die Schweiz geflohen, wo er als
Hilfsarbeiter in der Küche eines Nobelrestaurants arbeitet.
Maravan ist allerdings höchsttalentierter Koch. Seit seiner
frühesten Kindheit lernt er von seiner Großmutter die traditionellen
tamilischen Gerichte, den Umgang mit den Essenzen und Gewürzen und
welche Wirkungen diese auf den Körper haben können.
Maravan möchte als Koch selbstständig werden, findet aber
keinen Ausweg. Bis die lebensfrohe und gewiefte Kellnerin Andrea auf den jungen
Tamilen aufmerksam wird.
Maravan kocht für Andrea ein für seine aphrodisierende
Wirkung bkenntes Gericht seiner Großmutter – mit überraschendem Ergebnis!
Fortan werden die beiden Geschäftspartner. Sie bekochen
Paare mit Sexual- und Beziehungsschwierigkeiten. Doch während Maravan dem
Liebesleben fremder Paare auf die Sprünge hilft, gerät sein eigenes Leben mehr
und mehr in Schieflage – denn die Auswirkungen des Bürgerkriegs in der fernen Heimat
schlingen sich immer fester um ihn.
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Die Schilde des Tigers
Problematisch ist das erzählerisch vor allem deshalb, weil
der Film – wie schon das Buch – mit dieser Komponente völlig überladen wird. In
106 Minuten schafft es DER KOCH leider nicht, seine anrührende Einzelgeschichte
um die Bürgerkriegskomponente zu erweitern und seine Figuren deutlich genug zu zeichnen, um einen mitfühlen zu lassen. Dabei bietet der Krieg in Sri Lanka genügend Stoff für ein Dutzend Dramen!
Die Streitigkeiten in Sri Lanka entbrennen 1983. Sri Lanka,
das zu 75 Prozent von Singhalesen bewohnt wird, beherbergt eine Minderheit von
18 Prozent Tamilen. (Der Rest der Bevölkerung sind vornehmlich Muslime.) Der Konflikt
zwischen den buddhistischen Singhalesen und den zumeist hinduistischen Tamilen
sitzt tief und währt seit Generationen. Vor allem, weil die Tamilen seit Jahrzehnten kaum
politisches Mitspracherecht haben und ihre Religion und Bildungschancen immer
wieder unterdrückt werden.
Immer stärker wird daher der Wunsch eines eigenen
Tamilenstaates im Norden und Osten des Inselstaates Sri Lanka.
Ein Attentat auf eine Singhalesische Kaserne im Juli 1983
entzündet die Feindseligkeiten. In den folgenden Ermordungen und Vertreibungen
von Tamilen steigt die militante Gruppe der „Tamil Tigers“ genannten
Gruppierung „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) zur größten Macht des tamilischen Widerstandes auf. Die Tamil Tigers leisten sich
einen 26 Jahre währenden Befreiungskrieg mit der Singhalesischen Armee.
Wie in jedem Bürgerkrieg leidet vor allem die
Zivilbevölkerung unter den Zuständen.
Insgesamt 100.000 Menschen sterben bis zum Ende des Krieges
2009. Beinahe die Hälfte davon in den letzten Monaten. Als die LTTE immer
weiter zurückgedrängt wird, beginnen sie, tamilische Zivilisten als Schutzschilde zu
missbrauchen. Sie „rekrutieren“ Selbstmordattentäter und Kindersoldaten,
ermorden kritische Tamile und vertreiben Tausende Menschen aus ihren Heimen.
Mehr als 250.000 Zivilisten werden eingekesselt, als es zu den letzten
Kampfhandlungen kommt, in denen die LTTE schließlich zerschlagen wird.
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Gute Erfahrung in molekularem Gewand
Abseits der politischen Komponente bleibt DER KOCH aber eine
sehenswerte und vor allem sehr sinnliche Filmerfahrung!
Schon der Roman besticht vor allem durch seine detaillierte
und extrem appetitanregende Präsentation der von Maravan zubereiteten Gerichte. Ohne
zu übertreiben: Derart ausführliche Passagen über Essen findet man sonst
für gewöhnlich nur in Fantasyliteratur wie „Ein Lied von Eis und Feuer“.
Einen besonderen Kniff gibt Suter seiner Geschichte, indem
er Maravan nicht einfach nur kochen lässt, sondern mit allen Methoden der
schönen neuen Kochwelt aufwartet: der Molekularküche!
Der Begriff „Molekularküche“ ist äußerst unscharf und nicht
genau definiert. Im Wesentlichen geht es darum, die eher „traditionelle“
Zubereitung von Gerichten zu erweitern und zu variieren, um die Erfahrung des Essens
zu intensivieren.
Dazu gehört die Kombination unterschiedlicher Texturen,
Zustände und Aromen, aber auch das Spiel mit Vertrautem in neuem Gewand.
Populäre Beispiele sind etwa Melonensaft, der zu Kaviarkugeln geformt wird,
Eismasse, die warm in den Mund kommt und beim Abkühlen schmilzt oder Bonbons
aus Olivenöl. So sollen vertraute Dinge neu erfahrbar werden und
Althergebrachtes wieder bewusst erlebt werden.
Anders als eine „Methode“ ist die Molekularküche viel eher
eine Absicht!
Man soll das Essen wieder bewusst genießen. Molekularküche
will alle Sinne ansprechen – in bisher unbekannter Form. Wer eine Mandel-Safran-Mousse
genießt, mag begeistert sein. Wer sie zuvor in flüssigem Stickstoff zu einem
außen harten und innen weichen Bällchen gefriert, genießt sie anders – bewusster.
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Die Methoden der Molekularküche sind häufig direkt aus dem
(lebensmittel-)chemischen Fachbereich entnommen: Gelierer, Verdampfer, flüssige
Gase, Vakuumgaren und (in der Regel natürliche) Zusatzstoffe.
Weitläufig bekannt wird die Molekularküche um den
Jahrtausendwechsel durch das Restaurant El Bulli des spanischen Kochs Ferran
Adriá
Für sein Buch sucht Suter die Hilfe des deutschen
Molekularkochs Heiko Antoniewicz, der die traditionellen tamilischen Gerichte,
die Suter heraussucht, molekular aufbereitet.
So kreiert Antoniewicz eine (mit dem Rotationsverdampfer
hergestellte) Curry-Zimt-Kokosöl Essenz, die er auf Weizenbrotfladen mit
Kichererbsenmus und fritierten Curryblättern servieren lässt. Eine unglaublich
intensive Aromenmischung, die saftiges Brot mit weichem Mus und knusprigen
Curryblättern kombiniert. (Ich durfte es im Rahmen der Filmpräsentation selbst
testen – köstlich!)
Auch für den Film DER KOCH steht Antoniewicz beratend zur
Seite.
Der Film verwendet die Originalrezepte des Romans (die im
Buch im Anhang angeführt sind), wenngleich, wie Antoniewicz zugibt, hier und da
ein paar Änderungen vorgenommen werden, um die Optik zu verbessern.
Das Ergebnis sind schmackhaft (und manchmal etwas verspielt)
aussehende Gerichte, die Appetit machen. Und neugierig, wie man einen
knallgelben Aromaschaum herstellt oder Spargelgelee in Penisform ...
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Internationale Schweiz
Neben dem Essen überzeugen vor allem die Darsteller des
Films. Die Hauptrolle des Maravan spielt der Engländer Hamza Jeetooa, der über
indische Wurzeln verfügt. Für den Film musste er sich die tamilische Sprache erst mühsam aneignen. Seinem sensiblen, in den Konflikt
geratenden Maravan zuzuschauen bringt einfach Spaß und bleibt neben dem Essen
das Highlight des Films. Dabei kommt ihm zugute, dass die Chemie zu Jessica
Schwarz stimmt, die seine Partnerin Andrea mit derselben Verve spielt, wie ihre
Buchfigur sie ausstrahlt.
Die Nebenrollen wirken ein wenig klischeehaft – dass der
Waffenhändler ein schmieriger, älterer und überbeleibter Rassist sein muss, wirkt
in Zeiten, in denen Filme wie LORD OF WAR deutlich smartere Waffenhändler
zeichnen, irgendwie altbacken und deutsch.
Wer nun übrigens befürchtet, mit Schwyzerdütsch und Untertiteln
leben zu müssen, sei beruhigt: Alle Figuren sprechen Hochdeutsch und wurden zur
Not (etwa Hauptdarsteller Hamza Jeetooa) synchronisiert. Am Set wurde mehrsprachig gearbeitet.
Wer von DER KOCH eine tiefgehende Abhandlung über den
Bügerkrieg in Sri Lanka erwartet, oder ein informatives Stück Politthriller,
wird enttäuscht werden. Dafür bleibt die Thematik (trotz zweiwöchigen Drehs an
indischen Originalschauplätzen) einfach zu sehr an der Oberfläche und die Figuren nicht gut genug gezeichnet. (Tragische Nebenstory: Einer der englischen Schauspieler hat pakistanische Familie - und durfte daher nicht in Indien einreisen. Seine Szenen mussten daheim vor dem Greenscreen nachgedreht werden.)
Auch für wildes deutsches Genrekino wie ihn zuletzt STEREO
oder WHO AM I ins Kino gebracht haben ist der Film zu traditionell. DER KOCH
ist ein unterhaltsames Stück Erzählkino über einen faszinierenden Helden in
einer schwierigen Lage und eine überaus sinnliche Erfahrung, die gut in den
Herbst passt – man bekommt automatisch Lust auf die gekochten Gerichte. Hier und da kann man sie beinahe riechen. Darüber hinaus ist man erstaunt, mit
welchen Mitteln man Nahrung umwandeln kann. Und fragt sich: Wie zum Henker
haben sie den kanariengelben Schaum gemacht?
Guten Appetit!
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