27.06.24

Kinokritk: A Quiet Place: Tag Eins (USA 2024) – In der Fremde liegt die Kraft

Es muss wieder geflüstert werden! Die garstigen Aliens mit dem Supergehör, das schärfer ist als das der neugierigen Nachbarn, sind zurück, und diesmal jagen sie nicht mehr in abgelegenen Maisfeldern, sondern in den Straßenschluchten New Yorks.

© Paramount Pictures Germany

Marcos Blick:

2018 brachte Regisseur John Krasinski mit A QUIET PLACE ein ganz neues Genre ins Kino: Den „Pscht!“-Film. Denn während der Streifen den größten Teil seiner 90 Minuten in fast völliger Stille über die Leinwand flimmerte, hörte man überall im Saal das Pscht!, wenn wieder jemand redete, knirschend sein Popcorn kaute oder in seiner Chipstüte knischpelte.

So viel vorweg: Auch A QUIET PLACE: TAG EINS, das offiziell als Spin-Off fungiert und außer der Welt und einer Nebenfigur aus Teil 2 auch keine Verbindungen zu den Hauptfilmen mitbringt, ist nur bedingt für Popcorn und Chipstüten geeignet. Ansonsten ist es schon erstaunlich, was der dritte Film des Franchises aus dem inzwischen mehr als vertrauten Konzept „Pscht! Mach keinen Laut, sonst wirst du zerfetzt“ noch herausholen kann. Allerdings gelingt ihm das vor allem dadurch, dass es das Setting ändert, denn am Konzept der Aliens wird nicht gerüttelt.

Wir begleiten Samira, die ihre letzten Tage recht zornig in einem Hospiz vor den Toren New Yorks verbringt, bei einem Ausflug nach Manhattan, wo ihr vom Pfleger ein Besuch in ihrer Lieblingspizzeria versprochen wird. Vorher allerdings fallen die schon bekannten Aliens vom Himmel und verbreiten Chaos, Zerstörung und Tod. Als Samira klar wird, dass sie nicht so einfach von der Insel kommt, macht sie sich auf den Weg zur Pizzeria in Harlem. Unterwegs trifft sie Eric, der ebenfalls gestrandet ist, und sie (oder sich) nicht alleine lassen will …

© Paramount Pictures Germany

Es ist erstaunlich, wie viel TAG EINS alleine damit herausholt, dass er die Grundparameter ändert: Statt sich mit zwei oder drei Aliens auf dem flachen Land auseinandersetzen zu müssen, bekommen es die Protagonisten mit Hunderten zu tun, mit denen sie sich im Asphalt Dschungel ein durchaus spannendes Katz-und-Maus-Spiel liefern. Die Details hat man schon in den ersten beiden Teilen des Franchises gesehen, und TAG EINS bringt hier auch nichts grundlegend Neues ein, aber das Prinzip bewährt sich, und so ist der dritte Film fast der spannendste.
Ebenfalls neu ist, dass hier keine eng verwobene Familie im Fokus steht, sondern eine todkranke Frau, die im Grunde nichts mehr zu verlieren hat, und unterwegs einen vollkommen Fremden aufgabelt. Und gerade darin glänzt TAG EINS, denn mit dieser Ebene betritt er dann wenigstens ein bisschen Neuland. Und dank dem hervorragend ruhigen Spiel von Lupita Nyong'o und Joseph Quinn (der schon in der vierten Staffel von STRANGER THINGS einen sympathischen Angsthasen spielte) schließt man die beiden recht schnell ins Herz und nimmt ihnen ihre wachsenden Bande glaubhaft ab, was am Ende auch der Grund dafür ist, dass man sich in den spannenden Szenen aufrichtig um beide sorgt, wodurch die Spannung überhaupt erst aufkommt.

A New Place


Als A QUIET PLACE 2018 in die Kinos kam, sorgte er nicht nur mit seiner packenden Geschichte für Aufsehen, sondern auch mit seinem frischen Konzept. Der ganze Kinosaal hielt instinktiv den Atem an, wenn sich eines der Aliens knarrend und mit gespitzten Ohren an einem seiner potenziellen Opfer vorbei schlich.
Teil 2 der Reihe konnte das Konzept minimal erweitern, lieferte aber ansonsten dieselben Spannungsmomente wie der erste Teil, was sich schon ein wenig gebraucht anfühlte.
In TAG EINS nun droht das Ganze tatsächlich zu kippen, und man kommt nicht umhin, das, was im ersten Teil noch knisternde Spannung versprach, als „leicht ausgelutscht“ zu empfinden. Wie erwähnt gelingt es dem Film, aufgrund der gelungenen Figurenkonstellation und einiger visueller Kniffe, erneut große Spannung aufzubauen, aber „frisch“ fühlt sich das nicht mehr an.

Daneben hat TAG EINS noch mit einer anderen Franchise-Krankheit zu kämpfen. In den ersten Teilen finden die Zuschauer oft gemeinsam mit den Charakteren Dinge über die Aliens heraus. Zum Beispiel, dass diese komplett blind sind, dass man sich in der Umgebung natürlicher Geräusche (wie einem Wasserfall) etwas mehr Lärm leisten kann, dass die Aliens nicht schwimmen können etc.
Es wäre wenig interessant, dabei zuzuschauen, wie die Figuren das alles erneut herausfinden. Das sorgt jedoch dafür, dass die Charaktere in TAG EINS von Anfang an alles Wissenswerte über die Aliens bereits wissen, und zwar weniger als 24 Stunden nach deren Eintreffen.

© Paramount Pictures Germany

Dadurch wirkt das Worldbuilding im ersten Teil extrem widersprüchlich. Wer sich erinnert: In A QUIET PLACE gibt es einen informative Kamerschwenk über eine Reihe von Zeitungsausschnitten, in denen die Bevölkerung erfährt, dass die Aliens durch Geräusche angezogen werden. In der Welt von TAG EINS sind solche Zeitungsberichte nicht nur obsolet, denn die Menschen finden das innerhalb der ersten 3 Minuten heraus, sondern auch unglaubwürdig, denn wer hätte besagte Zeitungen drucken und lesen sollen? Was in Teil 1 als schleichende Eroberung eines unbekannten Gegners angedeutet wird, erweist sich in TAG EINS als schlagartige, hyperagressive Auslöschung der ganzen Menschheit (oder zumindest New Yorks).

Man verstehe mich nicht falsch: Ich kreide das dem Franchise nicht an! In A QUIET PLACE waren derartige Informationsvermittlungen zum World Building dringend notwendig, und es hätte wohl niemand damit gerechnet, dass ein dermaßen erfolgreiches Franchise daraus erwächst. Solche Widersprüche sind erwartbar und typisch für solche Fälle. Dennoch kann es einem aufmerksamen Publikum seltsam erscheinen.


Fazit


A QUIET PLACE: 
TAG EINS sitzt ein bisschen zwischen den Stühlen. Der Film fügt dem Franchise nichts Neues hinzu (es gibt eine Szene, die ich nicht ganz verstanden habe, obwohl ich mir sicher bin, dass sie eine neue Information über die Aliens enthält - welche genau, kann ich aber nicht sagen), und man kann nicht abstreiten, dass sich erste Ermüdungserscheinungen breit machen. Dennoch schafft der Film es, durch den Wechsel von Setting und Personal eine unglaubliche Spannung aufzubauen, und ich halte ihn tatsächlich für den spannendsten der drei Filme.
Hinzu kommt, dass es einfach eine Freude ist, Nyong'o, Quinn und auch Alex Wolff (dem ich von Herzen mal eine große, prägnante Rolle wünsche, in der er zeigen kann, was er drauf hat) beim Spielen zuzuschauen.
Fans der Reihe kann ich den Kinobesuch damit uneingeschränkt empfehlen. Als Einstieg ins Franchise eignet der Teil sich nur bedingt, da er doch so einiges an Vorwissen voraussetzt und manche Dinge nie richtig erklärt.

Dennoch bleibt abzuwarten, was der noch zu erwartende dritte Teil der Hauptreihe, der für 2025 angekündigt ist, sich einfallen lässt, um uns noch einmal mit einem inzwischen dreifach bewährten Konzept den Puls hochzutreiben. Vorher erscheint jedoch noch das Videospiel „A Quiet Place – The Road Ahead“, das den Gamern hoffentlich den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. Und bis dahin im Kinosaal nicht vergessen: Pscht!

© Paramount Pictures Germany

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