Eine Rezension oder Filmkritik zu GONE GIRL ist schwierig –
gerade in Zeiten des Internets und des Spoileralarms.
Wir sind bemüht, eine möglichst spoilerfreie Besprechung
zu liefern, können und wollen allerdings keine Garantie geben. Deshalb an dieser
Stelle zunächst Folgendes:
Geht und schaut GONE GIRL!
Wer bereit ist,
sich auf den Film und das Rätsel der verschwundenen Amy Dunne einzulassen, wird
mit einem Thriller belohnt, der perfekt in den Herbst passt. Darstellerisch und
atmosphärisch einer der besten Mainstreamfilme des Jahres und in jedem Fall
sehenswert. Hierbei sei noch einmal angeraten, den am 2. Oktober anlaufenden Film
schnell zu schauen, bevor Freunde oder unvorsichtige Rezensionen mehr darüber
verraten als gut wäre.
Selbst Regisseur David Fincher
sagt: „Ich denke, der Film macht umso mehr Freude, je weniger man darüber weiß.
Die Leute lieben es, einen Film zu sehen, von dem sie nicht wissen, wohin er
sie führt."
Wir sagen nur: Je
unwissender die Zuschauer in den Film gehen, desto härter wird er sie von den
Füßen reißen.
Wer die Gefahr
kleinerer Andeutungen nicht scheut, oder bereits das Buch kennt, ist herzlich eingeladen, weiterzulesen!
© 2014 Twentieth Century Fox |
Marcos Blick:
David Fincher bleibt sich treu!
Der Regisseur ist schon jetzt, mit nichtmal einem Dutzend Filmen, eine Legende
in Hollywood. Seine Werke sind zum großen Teil Klassiker und häufig visuell
stilprägend. Mit SIEBEN prägt er das Thrillergenre und mit FIGHT CLUB erfindet
er das Actionkino neu.
Mit seinem zehnten Spielfilm GONE GIRL wagt sich der
Kinovisionär nun, zum zweiten Mal nach VERBLENDUNG, an einen aufwendigen und
komplexen psychologischen Thriller, um ihn fürs Kino aufzubereiten. Und
erschafft ein weiteres Meisterwerk.
Go Girl!
2012 schlägt Gillian Flynns dritter Roman „Gone Girl“ als
Sommerbestseller in den Buchhandlungen ein. Der Autorin aus Kansas City gelingt mit
ihrem Ehedrama ein Kunststück, das man nur selten beobachtet: Sie begeistert mit
einem Gegenwartsthriller die Leser, aber auch das Feuilleton.
Ihr Roman ist ein präzises Profil der Wirtschaftskrise, die
vor allem ihren eigenen Berufsstand trifft: Als Autor eine ordentlich bezahlte
Stelle zu finden, ist zurzeit kaum möglich.
Darüber hinaus zeichnet sie ein kaltes aber realistisches
Bild der Medienlandschaft und der Art, wie jene, die in die Fänge der
Journalisten geraten, zwischen ihrem privaten und ihrem öffentlichen Selbst
herumgeschleudert werden.
Vor allem aber seziert sie genüßlich und boshaft die
Mechanismen einer Ehe, von den zarten, romantischen Anfängen bis zur Realität
des Ehelebens, das von ganz anderen Faktoren bestimmt wird.
Gillian Flynn erzählt in ihrem Buch von einem Ehepaar: Nick
Dunne und seine Frau Amy Elliott-Dunne. Am Morgen ihres fünften Hochzeitstages
ist Amy spurlos verschwunden. Im Haus sind Anzeichen eines Kampfes zu finden.
Innerhalb kürzester Zeit gerät die Suche nach Amy, die dank einer Kinderbuchreihe eine gewisse Popularität
genießt, zur landesweiten Fernsehsensation.
Während die Suche beginnt, wird in Rückblenden die
Geschichte einer sieben Jahre währenden Beziehung geschildert. Allmählich zeigt
sich, dass in dieser Ehe längst nicht alles so glatt gelaufen ist wie es auf
den ersten Blick erscheint.
Je deutlicher und tiefer sich die Risse in der Fassade des
Ehelebens zeigen, desto stärker gerät Nick unter Druck ...
© 2014 Twentieth Century Fox |
Autoren als Autoren
Nun erscheint, nur zwei Jahre später, also die Kinoversion von
GONE GIRL.
Dabei ließ es sich die Autorin nicht nehmen, in enger
Zusammenarbeit mit dem Regisseur, das Drehbuch selbst zu verfassen.
In der Regel gelingt es selten, wenn der Autor eines Romans
das Drehbuch für die Verfilmung schreibt. Das liegt zum einen daran, dass ein
guter Romanautor nicht automatisch ein guter Drehbuchautor ist. Zum anderen
liegt es aber meist daran, dass der Autor einer Romanvorlage seine Geschichte
schwer zusammendampfen kann, denn für einen Film bleibt weit weniger Erzählzeit
als für einen Roman.
So erwähnt John Irving immer wieder, welche Anfeindungen er
dafür ertragen musste, dass er für seine Drehbuchadaption von GOTTES WERK UND
TEUFELS BEITRAG die im Roman bedeutende und populäre Figur der Melony
herausstrich. Dabei war es genau diese Kürzung (und viele weitere), die aus dem
reichhaltigen Roman einen verknappten aber spannenden und anrührenden Film
gemacht haben.
Auch Gillian Flynn kürzt für ihr Drehbuch von GONE GIRL die Story
zusammen. In den meisten Fällen gelingt ihr das elegant und gut. Tatsächlich
schafft sie es, ihre Geschichte sinnvoll zu verdichten und ihr so deutlich mehr
Tempo zu verleihen.
Allerdings, und das wirkt stellenweise bedauerlich, ist sie
dennoch bemüht, sämtliche Handlungsstränge und Themen wenigstens Ansatzweise im Film zu belassen. Sie dünnt
diese lediglich aus. Im Ergebnis, so wirkt es, schleppt der Film einige
Handlungsstränge und Szenen mit sich herum, die er nicht gebraucht hätte,
während auf der anderen Seite die ein oder andere Motivation sehr knapp und
damit nicht vollkommen befriedigend geschildert wird.
So scheint sich der Film gerade in der ersten Hälfte mit
eher unwichtigen Details aufzuhalten, während in der zweiten Hälfte, die
deutlich an Fahrt aufnimmt und einen in kürzester Zeit durch den Rest der
Laufzeit trägt, einige unterhaltsame Aspekte etwas schneller abgehandelt werden
als ich es mir gewünscht hätte.
Das ist am Ende aber tatsächlich der einzige Vorwurf den ich
dem Film machen kann und Jammern auf hohem Niveau.
Psycho Dave
GONE GIRL ist keiner dieser Nägelbeißer-Thriller, wie es
etwas PRISONERS im letzten Jahr noch war. GONE GIRL ist der langsame und düstere
Abstieg in die psychologisch schmutzigsten Winkel einer Ehe. Wie das Buch ist
der Film nichts für Junggesellinenabschiede oder andere kurz vor der Hochzeit
Stehende!
Und für einen Stoff wie diesen ist niemand geeigneter als David
Fincher.
© 2014 Twentieth Century Fox |
Diesem Stilmittel bleibt er auch in GONE GIRL treu, obwohl
der Film bei aller Fincherischen Farbgebung erstaunlich lebhaft und „bunt“
wirkt. Fincher scheint bemüht, die Düsternis der Geschichte diesmal rein über
die Schauspieler zu transportieren statt wie üblich (Und in keinem Film so
elegant wie im dauerverregneten SIEBEN) über die Außenwelt.
Dabei sind Finchers Filme fast durchgehend vom selben Hintergrund besetzt: Der zerrissenen Psyche ihrer Figuren!
Dabei sind Finchers Filme fast durchgehend vom selben Hintergrund besetzt: Der zerrissenen Psyche ihrer Figuren!
Wie kaum ein anderer Regisseur bleibt Fincher diesem einen
Thema durch alle Genres hinweg treu.
Bereits in seinem Debütfilm ALIEN 3 hievt er das Franchise
aus der Horror- und Actionsparte der Vorgänger heraus und entwickelt aus dem
Kampf gegen ein unbesiegbares Monster ein packendes tiefenpsychologisches
Duell: Indem er das Monster auf eine Horde menschlicher Monster, übermännlicher
Mörder, Soziopathen und Vergewaltiger, loslässt, zwingt er diese in einen
Konflikt, den sie gar nicht wollen. ALIEN 3 erzählt nicht von dem Kampf gegen
ein Alien, es erzählt von dem Kampf der Gefängnisinsassen, die jeden Tag gegen
ihre Triebe ankämpfen und diesen nun, im Versuch zu überleben, nachgeben
müssen.
Auch in SIEBEN und vor allem in FIGHT CLUB geht es um die
psychologische Dimension des Bösen, der Aggression, der negativen Emotionen und
Weltanschauungen. Vermutlich ist DER SELTSAME FALL DES BENAJMIN BUTTON auch
deshalb Finchers schwächster Film, weil er als einziger aus dieser Reihe
ausbricht. Als einziger erzählt dieser vor allem von einer äußeren
Zerrissenheit, nicht von der inneren.
Die aber kann Fincher am besten und am packendsten inszenieren.
Die aber kann Fincher am besten und am packendsten inszenieren.
Das gelingt ihm vor allem durch seine beinahe unübertroffene
Schauspielerführung. Jeder von Finchers Stars liefert bei ihm eine seiner
besten Leistungen ab. Wenn Jodie Foster in PANIC ROOM zerrissen ist, ob sie den
Eindringlingen trauen oder sie mit ihren geringen Mitteln bekämpfen soll, ist
das ebenso subtil inszeniert wie es Fincher gelingt, in THE SOCIAL NETWORK aus
einem beinahe regungslos agierenden Jesse Eisenberg soviele Emotionen
herauszuholen, dass er einem am Ende des Films tatsächlich leid tut.
Und man braucht fast nichts mehr sagen über die subtile, von
vielen Konflikten beladene Beziehung der Lisbeth Salander zu Mikael Blomkvist
in VERBLENDUNG, die Fincher darstellt, ohne sie ein einziges Mal anzusprechen.
Ben Affleck erzählt, dass die Arbeit mit Fincher deutlich
anders sei. Statt, wie üblich, 2/3 des Drehtags im Trailer zu hocken und ein
Drittel vor der Kamera zu stehen, würden die Schauspieler fast durchgängig
gefordert. Fincher konzentriere sich völlig auf die Figuren und die Geschichte
und erarbeite mit den Schauspielern jede Szene bis ins Detail.
Das sei besonders in GONE GIRL bedeutsam gewesen, da eben
nicht die ausufernden inneren Monologe der Romanvorlage zur Verfügung gestanden
hätten. Die Motivationen und Verzweiflungen der Figuren hätten sich aus dem
Spiel ergeben müssen.
Es liegt alles im Spiel
Dabei brillieren in GONE GIRL besonders die kleineren Figuren. So sind die Rollen von Tyler Perry und Neil Patrick Harris im Gegensatz
zum Roman deutlich gekürzt. Dennoch gelingt es beiden Darstellern (wer Neil
Patrick Harris vor allem als Komiker und aus HOW I MET YOUR MOTHER kennt, wird
sich erst daran gewöhnen müssen, ihn in einer dramatischen Rolle zu sehen) perfekt, aus ihrer
kurzen Screentime das Optimum herauszuholen. Beide Figuren werden mit prägnanten
Strichen deutlich gezeichnet und bleiben im Gedächtnis. Besonders Neil Patrick
Harris erreicht hier mit subtilsten Mitteln ein Höchstmaß an Wirkung.
Aber auch Carrie Coon, die hier ihr Leinwanddebüt gibt und
vor allem aus der Fernsehserie THE LEFTOVERS bekannt ist, macht Freude und
Lust, mehr von ihr zu sehen. Auch sie holt aus einer erstaunlich kleinen Rolle
als Nicks Schwester „Go“ besonders zum Ende hin viel heraus.
Ihr größtes Problem im Film bleibt die Kostümabteilung,
deren vorrangiges Ziel es gewesen zu sein scheint, sie so dermaßen wie Janeane
Garofalo aussehen zu lassen, dass man sich unweigerlich fragt, ob das Original
nur keine Zeit hatte, die Rolle zu spielen.
Selbst Ben Affleck, der mit Sicherheit als Regisseur
deutlich talentierter ist denn als Schauspieler, liefert eine hervorragende Performance
ab. Das liegt zu großen Teilen auch an der Rolle. Der unbeholfene, hölzerne
Nick Dunne, der Mühe hat, in den Medien sympathisch rüberzukommen, passt
perfekt zum Schauspieler Ben Affleck: Auch Affleck hat, als Schauspieler, immer
wieder Mühe, Sympathien zu wecken, wirkt steif und unbeholfen.
Wenn ich sage, dass Affleck als Nick Dunne eine der besten schauspielerischen
Leistungen seiner Karriere abliefert, dann liegt das auch daran, dass die Figur
Nick Dunne durch fast alles personifiziert wird, was den Schauspieler Affleck
auszeichnet.
Trotzdem, oder gerade deshalb, macht es Freude, ihm
zuzuschauen.
© 2014 Twentieth Century Fox |
Ich selbst bin schon lange ein Fan der extrem wandelbaren
Britin, die ihr Leinwanddebüt 2002 als Bond-Girl Miranda Frost in STIRB AN
EINEM ANDEREN TAG absolviert. Seither hat sie ein buntes Œuvre zusammengesammelt, in dem Dramen wie
STOLZ UND VORURTEIL, Genrefilme wie DOOM – DER FILM, Blockbuster wie ZORN DER
TITANEN oder JACK REACHER, Independentperlen wie A LONG WAY DOWN und WE WANT
SEX und Komödien wie JOHNNY ENGLISH und THE WORLD’S END wie selbstverständlich
nebeneinanderstehen. Das allein zeigt, wie vielseitig Pike ist, und in GONE
GIRL darf sie schauspielerisch aus den Vollen schöpfen!
Tatsächlich wird sie zum Highlight jeder Szene, in der sie auftritt, bis man das Gefühl hat, dass es ihr quasi im Alleingang gelungen ist, dem Film die nachhaltige Wirkung zu verleihen, die bereits das Buch auszeichnet, und dass sie, irgendwie, den Film zu großen Teilen gestemmt hat, obwohl gerade Ben Affleck deutlich mehr Spielzeit erhält.
Tatsächlich wird sie zum Highlight jeder Szene, in der sie auftritt, bis man das Gefühl hat, dass es ihr quasi im Alleingang gelungen ist, dem Film die nachhaltige Wirkung zu verleihen, die bereits das Buch auszeichnet, und dass sie, irgendwie, den Film zu großen Teilen gestemmt hat, obwohl gerade Ben Affleck deutlich mehr Spielzeit erhält.
Rosamund Pike
gestaltet mit subtilem, fein nuanciertem Spiel den Wandel einer frisch verliebten
Ehefrau zur Hälfte einer schwer in Schieflage geratenen Beziehung, und eine Amy
Dunne, die definitiv in Erinnerung bleiben wird. Ihre Arbeit mag nicht
unbedingt oscarreif sein, doch würde ich mich wundern, wenn für ihre
Darstellung der Amy Dunne nicht wenigstens einige Nominierungen und
Schauspielpreise abfallen würden. Sie spielt die schwerste Rolle des Films mit spürbarer
Freude und erschreckender Leichtigkeit.
In jedem Fall hat
sie sich mit diesem Film endgültig für die erste Hollywoodliga empfohlen, und
wir hoffen, dass das zukünftig genutzt wird!
Was denn nun?
Was also ist GONE
GIRL nun für ein Film?
Zunächst einmal: Jeglicher
Hype, jegliche Erwartung besonders der Buchkenner wird erfüllt! In gewisser
Weise ist der Film tatsächlich besser als das Buch. Ihm fehlt die
psychologische Tiefe, die der Roman durch die Masse an inneren Monologen
erreicht. Dafür ersetzt er diese durch feinste Nuancen in Spiel, Mimik, in
Bildgestaltung und dem grandiosen Soundtrack, den zum dritten Mal in einem Fincher Film Trent Reznor
von den Nine Inch Nails komponiert hat.
Flynns Drehbuch
kürzt die Handlung aufs Wesentliche zusammen, auch wenn es sich hier und da vielleicht
ein bisschen falsch fokussiert. Kenner der Vorlage, die Sorge haben, dass der Film den
Wendungen der Vorlage nicht gerecht werden könnte, seien beruhigt: Sie wirken beinahe
stärker als im Roman. Vor allem das Ende gerät im Kino noch einen deutlichen
Zacken schärfer und spitzer.
Der Film lullt einen mit einem etwas behäbigen Anfang ein, entlässt einen dafür allerdings mit einem Wirbelsturm, dem es ohne viel Aufwand gelingt, in den Sitz zu fesseln und erinnert im Finale an die zynischen, eiskalten Thriller der frühen Achtziger von Brian de Palma. Zu keiner Zeit fühlt sich GONE GIRL an wie 140 Minuten.
© 2014 Twentieth Century Fox |
Der Film lullt einen mit einem etwas behäbigen Anfang ein, entlässt einen dafür allerdings mit einem Wirbelsturm, dem es ohne viel Aufwand gelingt, in den Sitz zu fesseln und erinnert im Finale an die zynischen, eiskalten Thriller der frühen Achtziger von Brian de Palma. Zu keiner Zeit fühlt sich GONE GIRL an wie 140 Minuten.
Fincher und Flynn
kredenzen einen bitterbösen Thriller, der einen nicht kalt lässt und gerade
dann seine Zähne zeigt, wenn man es am wenigsten erwartet.
GONE GIRL läuft ab dem 2. Oktober 2014 in den deutschen Kinos.
GONE GIRL läuft ab dem 2. Oktober 2014 in den deutschen Kinos.
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