07.09.14

Die Macht der Nerds – Das Fantasy Filmfest und seine Klassiker

Das Fantasy Filmfest ist eines der erfolgreichsten Filmfestivals Deutschlands; und das mit Filmen, die eindeutig unter Genre- oder Spartenkino fallen. Für den allgemeinen Kinobesucher könnte es dadurch eher unbedeutend wirken. Tatsächlich aber hat das Fantasy Filmfest – und mit ihm andere fantastische Filmfestivals auf der ganzen Welt – eine enorme Macht und ist mitbestimmend für die Entwicklung ganzer Genres.
Zeit für einen Überblick über die Klassiker des Fantasy Filmfests.
Quelle: Blu Ray "Saw" © STUDIOCANAL
Weltweit finden jährlich gut und gerne 3.000 Filmfestivals statt.
Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte stehen vermutlich die jährlich stattfindenden Filmfestspiele von Venedig. Sie laufen seit 1932 und gelten als ältestes Filmfestival überhaupt.

Unheimliche Begegnung der dritten Form


Zu Beginn dienen Filmfestspiele als eine Art „Wettkampf“ unter künstlerischen Filmemachern, besonders in der internationalen Arena. Fast alle großen, internationalen Filmfestivals, von Venedig über Cannes bis nach Berlin, gehören noch heute dieser Kategorie an. Sie zeichnen künstlerisch oder gesellschaftlich bedeutende Filme in einer Art Wettstreit aus.
Erst später entwickelt sich eine zweite Form von Filmfestival, die vor allem der Präsentation dient. Hier wird unabhängig produzierten Filmen oder Kurzfilmen oder anderen Werken, die durchs große Studiosystem rutschen, eine Plattform geboten. Zu den berühmtesten gehören heute das Toronto Filmfestival und das Sundance Filmfestival.

Erst viel später formt sich die dritte Art von Festival, die beides mehr oder weniger kombiniert: Genre- oder Themenfestivals. Hier werden Animationsfilmen, LGBTQ-Filmen, Asiatischen oder Afrikanischen Produktionen, Film Noirs und anderen speziellen Themen ein Forum geboten. Als solches gleichen sie beinahe Publikumsmessen.
Eine der letzten Formen von Genrefestivals, die in den Achtzigern das Licht der Leinwand erblickt, sind fantastische Filmfestivals. Ihr Spektrum bedient eine der am leidenschaftlichsten verfolgten Sparten des Kinos: Horror, Science Fiction und alles, was sonst noch im übernatürlichen oder fantastischen Bereich angesiedelt ist.
Mit dem portugiesisischen Festival Fantasporto gründet sich 1982 eines der ersten fantastischen Filmfestivals.

The Dawn of an Era


Dass diese Form der Festivals erst so spät in der Kinogeschichte erscheint, hat einen simplen Grund: „Fantastische“ Filme sind vor den Achtzigern nahezu Mangelware und echte Exoten. Oft gelten sie als Schund oder Kinderfilm. Klassiker wie GODZLLA, 2001: ODYSEE IM WELTRAUM oder Monsterfilme wie TARANTULA und FORMICULA haben es selbst vor zeitgenössischem Publikum schwer. Selbst DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN wird automatisch als Nachmittagsfilm für Kinder programmiert. Diese Form von Filmkultur scheint kein Filmfestival zu rechtfertigen.
Einen Anfang macht immerhin der Filmhistoriker Donald A. Reed. Er ist der Ansicht, dass Fantasy, Science-Fiction und Horrorfilme nicht ausreichend gewürdigt werden und ruft 1972 den Saturn-Award ins Leben, mit dem noch heute besondere Leistungen in diesen Bereichen gewürdigt werden.
Auf dem ersten Fantasy Filmfest begeistert HELLRAISER, Clive Barkers bitterböser Höllentrip. "Pinhead" wird zu einer Ikone des Genres.
Quelle: Blu Ray "Hellraiser" © STUDIOCANAL
Erst die Erfolge von DER WEIßE HAI und STAR WARS bringen dem fantastischen Film die großen, übergreifenden Publikumserfolge und lösen einen wahren Boom aus. Spezialeffekte werden salonfähig und immer ausgefeilter. Mit weiteren Klassikern wie ALIEN, BLADE RUNNER, E.T. oder DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT etabliert sich das Genre als neues, festes Standbein in der Kinolandschaft. Fantastische Filme sind keine Randerscheinung mehr (obwohl sie häufig weiterhin nur ein Nischenpublikum ansprechen), sondern werden filmischer Alltag.
Und so entstehen in den Achtzigern endlich die ersten Filmfestivals, die sich auf fantastische Filme spezialisieren.

Fantastic! Allons-y!


1987 endlich startet auch in Deutschland das erste fantastische Filmfestival: Das Fantasy Filmfest. Fast dreißig Jahre später hat es sich zu Deutschlands mit Abstand größtem Genre-Festival gemausert und zu einem der größten und einflussreichsten Genre-Festivals der Welt.

Stefan Rainer, der das Festival heute noch leitet, organisiert mit zwei Freunden Filmvorführungen von Horrorfilmen in der Hamburger Markthalle, damals noch umrahmt von Live-Auftritten diverser Musikgruppen.
Zu Beginn widmet sich das Festival vor allem den härteren Horrorfilmen und spricht damit vornehmlich die „harten Jungs“ an. Erst als sich das Festival nach einigen Jahren auch kleineren Filmen und der Arthouse Ecke öffnet, wird das Publikum immer breiter.
Mittlerweile findet das Festival in mehreren Deutschen Städten statt und bedient eine fast unermessliche Bandbreite.
Wichtig ist dabei vor allem, dass die Filme „gut“ sind. Das bedeutet vor allem „ungewöhnlich“ oder wenigstens mit Eigensinn produziert. Billig runtergedrehte oder auf Nischenerfolg gepolte Reißbrett-Werke fallen dabei durch die Sichtungen. Nach eigenen Angaben sichtet das Team jährlich gut 1000 Filme, hinzu kommen diverse Einsendungen interessierter Produzenten.
Der Großteil der gezeigten Filme wird allerdings auf internationalen Filmmärkten zusammengesucht.

Erstaunlich ist, dass das Festival trotz seines Nischenthemas das wohl einzige ist, das bis heute ohne jegliche Förderung funktioniert. Für die Mitarbeiter ist die Arbeit am Festival ein Vollzeitjob – Ehrenamtliche Helfer oder Praktikanten bilden hier, anders als bei vielen anderen Festivals, keine stützende Säule.
DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE ist eher untypische Kost fürs Fantasy Filmfest. Aufgrund seiner fantasievollen Loslösung vom Mainstream (und weil er einer der bezauberndsten Filme aller Zeiten ist) wird er aber ins Programm genommen.
Quelle: Blu Ray "Die fabelhafte Welt der Amelie" © EuroVideo
Genau das wird dem Festival gelegentlich aber auch zum Vorwurf gemacht. So wird dem Festival 2014 vorgeworfen, sich als Werbeveranstaltung für Verleiher ausnutzen zu lassen: Indem die gezeigten Filme eng mit dem DVD-Start verknüpft würden, würde die Kino-Verwertung unterbunden. So endet der Vorwurf mit der Aussage, das Fantasy Filmfest mache das Kino kaputt.

Tatsächlich bietet das Festival häufig die einzige Chance für (gerade ausländische) Nischenfilme, überhaupt einmal auf der großen Leinwand zu laufen, und oft auch die einzige Chance für ein breiteres Publikum, wodurch eine Verwertung in Deutschland außerhalb des Importmarkts überhaupt erst möglich wird.

Das Wohlwollen vieler ...


Wieso aber besitzt ein Spartenfestival überhaupt die Macht, einen Film erfolgreicher zu machen, als er es vermutlich sonst geworden wäre?

Das Geheimnis liegt eben in dem Wörtchen „Sparte“.

Die meisten auf dem Fantasy Filmfest gezeigten Filme sind Spartenwerke, die vermutlich kaum einen Verleih finden würden, einfach weil das Publikum für sie zu klein ist. Das gilt besonders für Filme mit exotischen Sprachen, bei denen die Synchronisierung noch ein wenig aufwändiger und teurer wäre.
Viele dieser Filme erscheinen, wenn überhaupt, nur auf Video/DVD, bzw. neuerdings vielleicht noch als Stream. Einen breiten Aufwand sind sie oft nicht wert und ein Erfolg kaum einzuschätzen.
Genau an diesem Punkt setzen fantastische Filmfestivals an: Sie bieten selbst kleinsten Nischenfilmen ein zwar begrenztes, dafür aber leidenschaftliches Publikum! Denn wer auf ein Spartenfestival wie das Fantasy Filmfest geht, gehört auch zur Kernzielgruppe der dort gezeigten Filme.
So bietet sich eine ideale, „individualisierte“ Werbung: Ein paar limitierte Screenings mitten im Herzen der potentiellen Fans sind kostengünstig und können enorme Wirkungen erzielen.

Natürlich entwickelt sich bei einer Masse von knapp siebzig Filmen auch auf einem fantastischen Filmfestival ein Durchschnitt heraus – manche Filme fallen sogar beim Publikum durch. Wenn allerdings ein Film hier überzeugt, ist das meist ein Zeichen dafür, dass eine echte Perle in ihm schlummert!
Filme, die ein – in der Regel – so wählerisches und erfahrenes Fachpublikum überzeugen wie man es auf dem Fantasy Filmfest und ähnlichen Veranstaltungen findet, tun das meist dadurch, dass sie eben besonders gut sind. So ist ein erfolgreiches Screening auf einem fantastischen Filmfestival ein Gütesiegel in den Augen genau der Fans, die diese Art von Filmen mögen.
BILL & TED'S VERRÜCKTE REISE DURCH DIE ZEIT ist eine jener Genreperlen, die ohne das (damals noch recht kleine) Fantasy Filmfest weit weniger Aufmerksamkeit erhalten hätten. Die luftig leichte Zeitreisegroteske mit Anleihen an DOCTOR WHO kann dabei bis heute begeistern.
Quelle: DVD "Billd & Ted's verrückte Reise durch die Zeit" © STUDIOCANAL
Damit geraten viele, gerade exotische Filme in den Fokus der Fangruppe, erfahren eine größere Verbreitung und, wenn sie qualitativ halten, was sie versprechen, eben auch jenen Erfolg, der sie schlussendlich zu Klassikern macht.

The Chosen Ones


Anhand einer kleinen Auswahl wollen wir einige Klassiker des fantastischen Films vorstellen, die nicht zuletzt dank des Fantasy Filmfests ein breiteres Publikum gefunden haben um zum Klassiker zu werden – immer in dem Wissen, dass einige davon vielleicht sonst hierzulande noch immer unbekannt wären.

HELLRAISER (USA 1987)

Gleich während der ersten, damals noch sehr kleinen Veranstaltung in Hamburg, lief einer der populärsten und berühmtesten Horrorfilme seiner Zeit. Clive Barkers HELLRAISER – DAS TOR ZUR HÖLLE erschuf mit „Pinhead“ eines der ikonischsten Monster des Horrorfilms. Das Werk stellte Clive Barkers Spielfilmdebüt als Regisseur dar. Zwar hielt er sich in dem Fach nicht lange und konnte den sensationellen Erfolg nicht wiederholen, ist aber als Autor für Film (etwa CANDYMAN) und auch für Romane und Anthologien berühmt und geachtet.
Wie viele erfolgreiche Horrorfilme seiner Zeit zog HELLRAISER eine Unschar an Fortsetzungen nach sich. Vier Filme liefen noch im Kino, die nachfolgenden fünf kamen direkt auf Video heraus. Insgesamt ist HELLRAISER von allen Horrorserien der Siebziger und Achtziger allerdings die finanzielle erfolgloseste. Wenig überraschend dürfte sein, dass seit einiger Zeit Pläne für ein Reboot im Raum stehen.

BILL & TED’S VERRÜCKTE REISE DURCH DIE ZEIT (USA 1989)

BILL & TED’S EXCELLENT ADVENTURE, wie der Spaß im Original heißt, ist nicht nur das Vehikel, das Keanu Reeves zum Durchbruch verhilft, sondern wäre in Deutschland vermutlich auch sehr untergegangen. Die Komödie ist, selbst für die späten Achtziger, so schräg, albern und überzogen, dass ein Erfolg in Deutschland schwer werden muss. Hinzu kommen unzählige englische Wortwitze, die historische Details mit (damals) moderner Rock- und Metalmusik in Verbindung bringen und nicht übersetzt werden können.
Die Frage, ob und inwieweit das Fantasy Filmfest hier einen hebenden Einfluss darauf hatte, dass der Film zum Klassiker unter Fans wurde, ist schwer zu sagen. Der Film ist schräg genug, und selbst die Synchro idiomatisch genug, dass er einfach auffällt.

RING (JP 1998)

Deutlich klarer liegt der Fall beim japanischen Horrorschocker RING. Japanische Filme sind seinerzeit selbst innerhalb des fantastischen Nischenpublikums nur den Eingeweihtesten vertraut. Außerhalb der Inselkette sind deren Legenden und Mythen, die in den Film eingewoben werden, völlig unbekannt. Der Film ist zwar in Japan ein großer Erfolg und der bis dahin finanziell erfolgreichste Gruselfilm aller Zeiten, dennoch wäre er wohl ein lokales Phänomen geblieben, wenn er nicht mithilfe der fantastischen Filmfestivals um die Welt getragen worden wäre.
Auch auf dem Fantasy Filmfest ist er eines der Highlights des Jahres. Wer auch immer den Film sieht, weiß, dass er hier etwas vollkommen Neuartiges, noch dazu sensationell Gutes vor sich hat. Wie bei wenigen anderen Filmen sorgt der exzellente Ruf, den RING sich auf dem Fantasy Filmfest erwirbt dafür, dass er einem breiten Publikum bekannt wird. Sein Einfluss auf die nachfolgenden Horrorfilme ist kaum zu überschätzen.
SAW ist wohl einer der besten Genrebeiträge der Neunziger. Der böse Bruder von SIEBEN wird zunächst als B-Movie für den Videomarkt produziert, begeistert aber Genre-Fans weltweit und kann selbst auf "konventionellen" Festivals punkten.
Quelle: Blu Ray "Saw" © STUDIOCANAL
CUBE (CA 1997)

Auch CUBE ist einer dieser kleinen, in diesem Falle kanadischen Filme, die ohne die fantastische Festivalkultur wohl niemals einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden wäre.
Auch hier gelingt es dem Film, die Festivalzuschauer zu begeistern. Die ungewöhnliche, wenn auch nicht durchgängig packende Story und das kreativ durchdachte Setting reizen das Publikum und verschaffen dem Film schnell einen Ruf als sehenswerter kleiner Independentfilm.

DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE (FR 2001)

Vermutlich wäre Jean-Pierre Jeunets lange gereifter Märchenfilm auch ohne jegliche Festivalbeteiligung zu dem Klassiker geworden, der er ist. Jeunet konnte schließlich bereits auf eine große Fangemeinde zurückgreifen (gewachsen aus seinem Fantasy Filmfest-Hit DELICATESSEN!) und war spätestens mit ALIEN 4 (Ja, es gibt ihn leider wirklich) als Regisseur im Mainstream angekommen.
Dennoch ist der Film eine nette Ergänzung, weil er beweist, dass es, entgegen einiger Kritiker, nicht nur blutspritzende Slashermovies oder verquere Psychotrips das Publikum des Fantasy Filmfests begeistern und überzeugen können, sondern dass der Schwerpunkt des Festivals auf ungewöhnlichen, unterhaltsamen Filmen abseits des Mainstreams liegt.
Amélies Erfolg auf den Festivals hebt ihn zumindest aus der Ecke des reinen Liebes- und Märchenfilms und akkreditiert ihn als kreativen, sehenswerten Fantasy-Film, womit er sein Publikum deutlich erweitern kann.

SAW (USA 2004)

Deutlich mehr in Richtung dessen, was die breite Bevölkerung sich unter dem Fantasy Filmfest vorstellt, geht der Überraschungshit SAW. Die sadistisch-brutale Rätseljagd um den verspielten „Jigsaw“ ging als kleines Independent-Werk an den Start. Regisseur James Wan liefert damit seinen ersten Spielfilm ab und dreht gerade mal achtzehn Tage an dem Film, der ursprünglich direkt für den Videomarkt produziert werden soll.
Die düstere Stimmung und clevere, wendungsreiche Story begeistert allerdings auf den Testscreenings so sehr, dass dem Film eine kleine Kinoverwertung gegönnt wird.
Der Rest ist Geschichte: SAW räumt auf sämtlichen Filmfestspielen vollkommen ab (selbst auf dem Sundance!) und wird einer der Publikumslieblinge des Jahres. Der 1,2 Millionen Dollar teure Film erscheint in der Halloweennacht 2004 und hat bis zum Jahresende weltweit über 100 Millionen Dollar eingespielt – einer der profitabelsten Horrorfilme aller Zeiten.
Leider können die mittlerweile sechs(!) Fortsetzungen weder die Klasse noch die Finesse des Originals halten. Aus dem cleveren, an SIEBEN erinnernden Plot wird eine „Torture-Porn“ Reihe, die mehr und mehr darauf ausgelegt ist, schlicht mit möglichst gräßlichen (Selbst-)Verstümmelungen zu „unterhalten“.

FINAL DESTINATION (USA 2000)

Ein ähnliches Schicksal ereilt auch die Fortsetzungen von FINAL DESTINATION.  Der clever perfide Horrorfilm der AKTE-X Autoren Glen Morgan und James Wong (der auch die Regie übernahm) lief zwar als Vollproduktion, ist mit seinem Budget von 23 Millionen Dollar aber immer noch recht günstig.
Der Film wird auch deshalb so beliebt, weil er eine Liebeserklärung an das Horrorgenre und seine Fans ist. Den ganzen Film hindurch sind Hinweise versteckt. So sind etwa alle Figuren nach Größen des Horrorfilms der Zwanziger und Dreißiger benannt. Auch sonst kann das Publikum viele versteckte Hinweise und Anspielungen in dem Film entdecken.
Die Grundidee (die ursprünglich einer AKTE-X Folge dienen sollte) ist frisch und originell und begeistert allein dadurch die Festivalbesucher.
THE BLAIR WITCH PROJECT macht aus Stöckchenhaufen Gold! Der mit günstigsten, aber ultrakreativen Mitteln gedrehte Film wird zum Massenphänomen und kann selbst ohne Monster (dafür mit Stöckchenhaufen) gruseln.
Quelle: Blu Ray "The Blair Witch Project" © STUDIOCANAL
Wie bei der SAW-Reihe, wenden sich die (vier) Fortsetzungen bald von der cleveren Grundstory ab, und beschränken ihre Kreativität darauf, möglichst perfide, blutige und effektlastige Todesarten für ihre Protagonisten zu finden.

THE BLAIR WITCH PROJECT (USA 1999) 

Zusammen mit RING krempelt THE BLAIR WITCH PROJECT innerhalb eines Jahres das Horrorgenre vollkommen um.
Auch wenn der Natur-Schocker umstritten dafür ist, das Monster zwar dauernd anzudeuten, aber kein einziges Mal zu zeigen, gewinnt er die Herzen der Zuschauer mit einem simplen Kniff: Die Macher behaupten, die im Film genutzten Filmaufnahmen („Footage“) im Wald gefunden zu haben. Das Genre des „Found Footage“ Films ist geboren.
Einige einfachere Geister glauben sogar heute noch, dass die gesehenen Szenen sich wirklich so zugetragen haben, was auch durch eine Webseite (im damals noch recht jungen Internet) gestützt wird, mit der die Macher ihren Film bewerben. So wird, ganz nebenbei, auch noch das virale Marketing geboren. Denn statt einer klassischen Werbekampagne nutzen die Macher ihre Webseite, von der aus die Massen die Informationen bereitwillig an Freunde und Bekannte weitergeben.
Das Ergebnis ist nicht nur erfrischend neu und kreativ, sondern ein finanzieller Triumph sondergleichen: Mit knapp 30.000 Dollar Produktionskosten in acht Tagen Drehzeit und dank des viralen Marketings so gut wie nicht existenter Werbekosten, spielt der Film mehr als 250 Millionen Dollar ein!

DER BLUTIGE PFAD GOTTES (USA 1999)

THE BOONDOCK SAINTS, wie der Film im Original heißt, ist einer der besten Werke im Fahrwasser von PULP FICTION, und sorgt auf dem Fantasy Filmfest für einiges Aufsehen.
Er bietet eines der besseren Beispiele für einen Low Budget Film, dem jegliches Werbeetat fehlt, der dieses aber auch nicht brauchte. Die rabenschwarze Selbstjustizballade begeistert eben genau die Zuschauer auf den Festivals, die er begeistern will. Schnell ist der Film in aller Munde, und wird der Tipp weitergereicht, diesen in seiner Mischung aus rotziger Gewalt, unchronologischer Erzählweise und verquerer Moral einzigartigen Streifen unbedingt anzuschauen.
Vermutlich kann man jedoch auch Willem Dafoes Rolle mitverantwortlich machen. Mit seinem Paul Smecker liefert er die wohl beeindruckendste Performance neben seinem genial widerlichen Boby Peru in WILD AT HEART ab.
Kenner finden in Sean Patrick Flanery außerdem den jungen Indiana Jones wieder. Beinahe bedauerlich: Norman Reedus ist seinerzeit noch vollkommen unbekannt, soll aber spätestens elf Jahre später dank THE WALKING DEAD jedem Fan fantastischer Stoffe ein Begriff werden.
Wie kaum ein anderer Film verbindet FINAL DESTINATION Grusel, Kreativität und leichte Unterhaltung zu einem der Publikumslieblinge des Jahres. Das Werk gewinnt der Hartnäckigkeit des Todes eine ganz neue Seite ab und bietet Horrorfans jede Menge Easter Eggs.
Quelle: Blu Ray "Final Destination" © STUDIOCANAL
Bis heute hält sich der Film als Geheimtipp, zementiert nicht zuletzt vom Mythos seines Regisseurs Troy Duffy, der den kleinen Erfolg seines Streifens nur schlecht verkraftete, was in der Doku OVERNIGHT packend festgehalten wird.

SCREAM (USA 1997)

Wie zwei Jahre später RING und THE BLAIR WITCH PROJECT, bringt SCREAM wenigstens ein bisschen frischen Wind ins Horrorgenre.
Auch SCREAM gewinnt einige Saturn Awards und sorgt unter Horrorfans, besonders auf dem Fantasy Filmfest, für Aufsehen.
Ungewöhnlich ist in diesem Falle vor allem das Drehbuch von Kevin Williamson, dem es Ende der Neunziger gelingt, einigen Formaten (etwa der Teenie-Soap) neue Impulse zu geben. Bei SCREAM liegt der Geniestreich darin, dass es endlich ein Horrorfilm über Horrorfilmfans ist! Statt ahnunsgloser Opfer werden hier jugendliche Horrorfilmfans das Opfer eines gnadenlosen Slashers.
Williamsons Drehbuch spielt so gekonnt mit den Regeln und Klischees des Genres, dass jedem Fan das Herz aufgeht. Gleichzeitig aber gelingt es ihm, einen wirklich gruseligen Slasherfilm zu schreiben.
Das Ganze reichert er mit einer unerwarteten Schlusswendung an und der Szene, auf die jeder Horrorfilmfan gewartet hat: Endlich wartet das „Opfer“ nicht darauf, dass das „Monster“ wieder aufspringt sondern geht vorher schon auf Nummer sicher!
Das beste Gimmick ist allerdings, dass für den beinahe parodistischen Meta-Horrorfilm auch noch Wes Craven als Regisseur gewonnen werden kann. Ausgerechnet der Altmeister, der in den Siebzigern und Achtzigern fast im Alleingang das Slashergenre begründet hat, liefert nun einen topmodernen, ironischen Beitrag zu „seinem“ Genre. Die Fans sind begeistert!
Erst 2012 können Drew Goddard und Joss Whedon (der in vielerlei Hinsicht einem modernen Kevin Williamson gleicht) mit THE CABIN IN THE WOODS einen ähnlichen Meta-Genre-Schocker landen.
Hab keinen Sex und sage niemals "Ich komme gleich wieder!" SCREAM geht der Frage nach, ob man als Experte für Horrorfilme einen Horrorfilm überleben kann. Mit kreativen Wendungen und Charakteren, die dem Publikum entsprechen, begeistert er die Fans.
Quelle: Blu Ray "Scream - Schrei" © STUDIOCANAL
SO FINSTER DIE NACHT (SE 2008)

Das schwedische Vampir-Drama SO FINSTER DIE NACHT wäre vermutlich ebenfalls nie auf dem großen Radar der Zuschauer erschienen, wenn es nicht auf mehr oder weniger sämtlichen fantastischen Filmfestivals irgendwelche Preise gewonnen hätte.
Deutschen Zuschauern mag er wie eine etwas grobere Version von „Der kleine Vampir“ erscheinen. Tatsächlich entwickelt sich die ungewöhnliche Mischung aus Außenseiterdrama, Jugendfreundschaft, und Pädophilie-Rache-Geschichte auf sämtlichen Festivals zum Publikumsliebling.

Die Macht der Nerds


Schaut man sich diese (wirklich nur auszugshafte) Reihe von Genre-Klassikern an, offenbart sich schnell, welchen Nutzen das Fantasy Filmfest (und andere fantastische Festivals) hat: Jeder klassische Streifen zeichnet sich durch Kreativität, Neuartigkeit und Spritzigkeit aus.
Darin liegt die Macht des Fantasy Filmfests und seiner internationalen Geschwister. Deren Besucher, die Fans von Horror-, Science-Fiction und Fantasyfilmen, sind eine ambivalente Schar. Auf der einen Seite lieben sie ihr Genre, ihre Filme, und wenden mit Vergnügen die Zeit dafür auf. Auf der anderen Seite suchen und gieren sie stets nach dem Neuen, dem Unverbrauchten. Fantastische Filmfestivals erfüllen genau diese Funktion: Sie sammeln potentielle Kandidaten für kreative Genre-Filme, solche, die neue Impulse setzen. Die Filme, denen das gelingt, werden von den Besuchern entsprechend gewürdigt.
Aufmerksamkeit, Mundpropaganda und den Status des „Geheimtipps“ erhalten die Filme, die diesen Hunger nach Neuartigkeit befriedigen. Und sie sind es auch, die zum Klassiker avancieren.

Den Machern kreativer Fantasystreifen kann also nichts Besseres geschehen, als auf einem fantastischen Filmfestival zu laufen. Eine passendere und zielgenauere Werbung (noch dazu eine sehr günstige) kann ein guter Fantasyfilm im Idealfall gar nicht kriegen.

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