Siehst du, bevor er zu uns kam, hat es niemals geschneit.
Aber danach tat es das. Ich glaube, wenn er jetzt nicht da oben wäre, würde es
sicher nicht schneien ...
Manchmal siehst du mich noch im Schnee tanzen …
Das ist wohl eine der ikonischsten Szenen in Tim Burtons EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, der im amerikanischen Kino floppte, wo er am 6. Dezember 1990 anläuft, sich aber in den vergangenen 25 Jahren zu einem Klassiker und Geheimtipp mausert, den man an Weihnachten nicht mehr missen möchte.
Bei einem Budget von 20 Millionen Dollar spielt er bis 2012
das Vierfache wieder ein. Ein Spätzünder also!
Edward – ein unfertiger Gutmensch
Mit der Figur des Edward (Johnny Depp in einer seiner
schönsten Rollen) erschafft Tim Burton einen grundguten Charakter, wie es ihn
nur selten im Kino gibt.
Edward ist ein künstlicher Mensch, sein Schöpfer (wunderbar
verkörpert von Vincent Price, für den diese Rolle extra geschrieben wurde!)
verstirbt aber vor der Fertigstellung seines Wesens und so bleibt Edward allein
und mit Scheren statt Händen auf dem Schloss zurück.
Erst die unerschrockene Avon-Beraterin Peg (erfrischend gut:
Dianne Wiest) nimmt sich seiner an und schleppt ihn zu sich nach Hause in die
„reale“ Welt – eine kalifornische Vorstadt, in der Edward mit Fremdenhass und
der ersten großen Liebe konfrontiert wird. (Die Figur der Peg wird der Mutter
von Drehbuchautorin und Produzentin Caroline Thompson nachempfunden, die oft
Fremde und Arme mit Heim bringt, um sie zu verköstigen und aufzupeppeln).
Edward verliebt sich Hals über Kopf in Kim, die Tochter des
Hauses (plötzlich erblondet: Winona Ryder, die auf Anraten von Johnny Depp ihre
Rolle in DER PATE III quittierte, um die Figur der Kim zu spielen), doch von
Beginn an ist klar, dass diese Liebe keine Chance haben wird.
© Twentieth Century Fox
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Als Edward sich wieder in sein Schloss zurückzieht, um
seinem Tod zu entgehen, verändert er das Weihnachtsfest der Gemeinde
nachhaltig.
Denn seitdem schneit es Jahr für Jahr zu
Weihnachten – das Ergebnis von Edwards Liebe zu Kim, seinem Engel, den er
niemals wiedersehen wird.
Das stets moderne Thema vom „gefährlichen Fremden“
Edwards Charakter ist durch und durch friedfertig, gutmütig
und naiv, ein Wesenszug, der ihm bald zum Verhängnis wird, denn als sich „das
Fremde“ etwas zu schulden kommen lässt, zeigt sich das böse Gesicht der nach
Außen hin nur allzu guten Gesellschaft, die den gutmütigen und unschuldigen
Edward zu jagen beginnt.
Dieses Grundthema ist nicht neu in der Weltgeschichte und
wirkt bereits hervorragend in Klassikern wie DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME, DAS
PHANTOM DER OPER, FRANKENSTEIN, DIE SCHÖNE UND DAS BIEST oder KING KONG, von
deren Storylines sich Burton und Thompson beinflussen lassen.
Eine immer wieder als Topos bemühte Parabel, die auch in
EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN wunderbar wirkt.
Edward ist anders, skurril, mysteriös und interessant und
verzaubert damit eine gänzlich biedere und gleichgeschaltete Vorstadtidylle.
Erst, als er seinen eigenen Willen und ein Gewissen zeigt, die mit den Werten
der Vorstadt unvereinbar sind, wird er zur Persona non grata und zum Feinbild
und seine ehemaligen Freunde werden blind gegenüber dem tatsächlich „Bösen“ ,
das in ihrer Mitte lebt.
Aller Anfang ist schwer
Tim Burton entwickelt die Geschichte um Edward, den
künstlichen Menschen mit dem echten Herzen, bereits während seiner Jugend im
kalifornischen Vorort Burbank. Er malte ein Bild, das ihn zu dieser Geschichte
inspirierte.
© Twentieth Century Fox
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Burton ist damals noch ein unbekannter Regisseur, dem mit
BEETLEJUICE aber ein erstes kleines Highlight gelingt.
Der junge Filmemacher ist schrill und quietschbunt und
schafft es wie kein Zweiter, ungewöhnliche und abgedrehte Figuren zu
erschaffen. Etwas damals komplett Neues, das verwundert und gleichermaßen
fasziniert.
Mit BATMAN gelingt ihm, durchaus unerwartet, einer der
größten Blockbuster der Hollywoodgeschichte, der ihn augenblicklich in die
erste Riege der Hollywoodregisseure katapultiert. Das ermöglicht ihm endlich
die Umsetzung seines Edward-Themas.
Noch vor dem Erfolg von BATMAN springen ausgerechnet die
Warner Bros. ab, wahrscheinlich trauen sie Burton und dem Projekt keinen Erfolg
zu. Als der Erfolg von BATMAN unübersehbar wird, schlägt 20th Century Fox zu
und das Projekt nimmt endlich Formen an.
Zwar kann man sich heutzutage keinen besseren Schauspieler
als Johnny Depp als Edward vorstellen, aber tatsächlich ist der damalige
Jungstar weder zweite noch dritte Wahl.
Erst müssen Tom Cruise (der auf einem Happy End besteht),
Tom Hanks (der lieber FEGEFEUER DER EITELKEITEN dreht), Robert Downey, Jr.,
William Hurt und Jim Carrey absagen, bevor der Weg für Depp frei wird. (Und
Gerüchten zufolge wird sogar Michael Jackson eine Weile für die Rolle in
Betracht gezogen).
Burton hasst Depps Figur in 21 JUMP STREET, spürt aber
während des Castings, dass Depp aus den Fängen seines „Teenie-Idol-Image“
ausbrechen will. Als Depp das Drehbuch liest, ist es für ihn wie „eine Art
Wiedergeburt“. Er orientierte sich in seiner Vorbereitung an Charlie Chaplin
und seiner Darstellung früher Stummfilme, um seine wortkarge Figur zu zeichnen,
ohne auf Dialog zurückzugreifen.
Und wir als Filmfans atmen noch heute erleichtert auf, als
Burton schließlich zusagt! Denn etwas Besseres als Depp hätte dem Film nicht
widerfahren können. Die ungelenke Körperlichkeit, die Depp Edward angedeihen
lässt wirkt berührend und liebenswert. Sie wirkt clownesk und beschreibt den
Charakter Edwards vielleicht besser, als es Worte jemals vermocht hätten.
© Twentieth Century Fox
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Depp wird für seine Darstellung des Edward vollkommen zu Recht
mit dem Golden Globe 1991 bedacht.
Der Monster-Macher
Für das Make-Up und die Scherenhände ist kein Geringerer als
Stan Winston verantwortlich.
Winston, der sich zuvor als Monster-Macher in DAS DING AUS
EINER ANDEREN WELT, THE PREDATOR, THE TERMINATOR und ALIENS einen Namen gemacht
hat, kreiert nun ein Anti-Monster.
Ein Coup! Und ein sehr gelungener, denn Edwards Scherenhände
wirken tatsächlich gruselig und bedrohlich, besonders, wenn Edward böse und
verzweifelt agiert.
Und was soll man sagen? Auch für EDWARD MIT DEN
SCHERENHÄNDEN wird Stan Winston für einen Oscar nominiert!
Johnny Depp verbringt täglich gut zwei Stunden in der Maske,
für damalige Verhältnisse ein ungewöhnlich langes und aufwendiges Unterfangen.
Wie ungewöhnlich und grandios Edwards Look ist, sieht man auch daran, dass es
heute etliche Youtube-Videos gibt, in denen man Tipps und Tutorials findet, um
sich Edwards ikonischen Look anzueignen. Neben dem Make up gehört dazu auch
Edwards Kostüm, das sich für Depp als ziemlich unangenehm erweist: Als Depp in
einer Szene vor der Menschenmeute fliehen muss, erleidet er einen
Zusammenbruch. (Er ist dehydriert, denn der Dreh findet im Juni statt, es ist
heiß und die Lederkluft lässt keinerlei Luftzirkulation zu.)
Und dann kommt Elfman
Heute sagt Tim Burton über EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN,
dass er zwar nicht sein Lieblingsfilm sei, aber mit Abstand sein Film mit dem
schönsten Score.
Und den kreiert kein Geringerer als Danny Elfman.
© Twentieth Century Fox
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Auch Elfman, der den Soundtrack mit einem 79-Mann starken
Orchester einspielt, bezeichnet den Edward-Score als seinen persönlichen
Liebling. 1992 erhält er für diesen Soundtrack eine Grammy-Nominierung – der
höchste Preis, den man als Musiker im amerikanischen Business erhalten kann.
Neben Johnny Depp hat Tim Burton mit Danny Elfman eine
weitere immer wiederkehrende Größe an seiner Seite, zu dritt drehen sie etliche
Filme. Winona Ryder, die Burton in BEETLEJUICE entdeckt hat, wird alsbald von
Helena Bonham Carter abgelöst, die die folgenden Burton-Heroinen verkörpern
wird – und die er schließlich auch heiratet.
Elfmans Soundtrack gehört bis heute zu den schönsten der
Filmwelt und trägt – wie auch Svobodas Soundtrack für DREI HASELNÜSSE FÜR
ASCHENBRÖDEL – zum großen langlebigen Erfolg des Films bei.
Der verhinderte Mega-Erfolg
Nach ersten Test-Screenings plant Joe Roth, Präsident der
Twentieth Century Fox und offensichtlich noch auf der Suche nach einem Megahit
wie BATMAN, zunächst eine großangelegte Werbekampagne im Stile von „Ein
Blockbuster der Größe von E.T.“, doch schließlich entscheidet er sich
stattdessen für einen äußerst zurückhaltenden Kinostart und eine gänzlich
unscheinbare Werbestrategie. Trotz der fehlenden Unterstützung großer
Werbeslogans schafft es EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, sich über die Jahre
hinweg als profitabler Erfolg zu erweisen.
Johnny Depp und Winona Ryder, die in jenen Jahren
tatsächlich ein Paar sind, avancieren nicht zuletzt dank EDWARD MIT DEN
SCHERENHÄNDEN zu Teenie-Idolen der frühen 90er und helfen dem Film dabei, einer
der schönsten und nachhaltigsten Weihnachtsfilme der Neuzeit zu werden.
Rückblickend mag man sich kaum fragen, was für ein
weltweiter Erfolg EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN hätte werden können, hätte man
ihm eine große Werbekampagne spendiert.
Aber möglicherweise ist der Film als Indie-Perle ja doch
besser aufgehoben.
© Twentieth Century Fox
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Der Weihnachtszauber
Das wundersame an EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN ist, dass er
ein so erfrischend unscheinbarer Weihnachtsfilm ist. Anders als viele andere
Filme, die das Thema „Weihnachten“ so laut herausschreien, dass man beinahe
taub wird, vermittelt EDRWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN seine weihnachtliche
Message ganz subtil und unscheinbar.
Augenscheinlich handelt es sich bei dem Film vor allem um
ein Märchen, nach dazu ein etwas schräges in typischer Burton-Manier. Er spielt
im sonnigen Kalifornien und wirkt in seiner Aussage eher wie eine etwas
Gothic-lastige Version von Frau Holle. Aber eben weil es hier um Feiertage geht
(der Film spielt an Weihnachten), um Familie, um ein friedliches Miteinander
und um die christlich-weihnachtlichen Werte der Nächstenliebe, der Aufnahme
einsamer, hilfsbedürftiger Seelen und weil den ganzen Film dieser zarte
Schleier von Magie und „Engel gibt es wirklich“ durchweht, passt er mindestens
ebenso hervorragend in die Weihnachtszeit wie all die anderen
Weihnachtsklassiker, die es auf dem Markt gibt.
© Twentieth Century Fox
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