08.03.17

Kinokritik: Moonlight (USA 2016) – Entscheide, wer du sein willst

Drei Stationen eines ganz normalen Lebens – doch so zauberhaft erzählt, dass es einem fast wie ein Märchen erscheint.
Und das nicht von ungefähr. Denn MOONLIGHT berichtet aus einem Milieu, dessen Bewohner im Grunde keine Chancen erhalten; deren Leben vorherbestimmt sind – und erinnert uns gleichzeitig daran, dass wir selbst es in der Hand haben, wer oder was wir sein wollen. 
Warum das kleine, wunderbar unaufgeregte Drama tatsächlich einer der besten Filme des Jahres ist, und wieso er es dennoch so schwer haben wird, erklären wir euch in unserer Filmkritik.
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Marcos Blick:

Mittlerweile lässt sich festhalten, dass es MOONLIGHT gelungen ist, Oscargeschichte zu schreiben.
Ein wenig bedauerlich ist es, dass der Film vermutlich vor allem aufgrund der schon jetzt historischen Verwechslung in die Kinoannalen eingehen wird.
Dabei hat MOONLIGHT etwas viel Bedeutsameres geschafft: Als erster „schwarzer“ Film überhaupt konnte er den Preis für den Besten Film mit nach Hause nehmen.
Und verdammt seien unsere Zeiten, dass sich ein Film heutzutage dafür verteidigen muss, dass er diesen Preis erhält.
Aber gut: Auch wenn MOONLIGHT möglicherweise kein Klassiker des Kinos werden wird – dazu ist seine Thematik schlicht zu speziell –, so ist der Preis dennoch mehr als gerechtfertigt. Denn dass dieses ruhige, stille, bewegende Kleinod überhaupt so tief in den noch immer von „Weißen“ geprägten Mainstream eindringen konnte, zeugt bereits davon, was für einen außergewöhnlich sehenswerten Streifen wir hier vor uns haben.

Tryptichon vom Rand


Als wir Ende 2016 die Pressevorführung von MOONLIGHT zu sehen bekamen, wussten wir gelinde gesagt relativ wenig über den Film, mit Ausnahme der Tatsache, dass er schon seit Monaten bei diversen Preisverleihungen für Aufsehen gesorgt hatte.

Als schließlich der Abspann lief, mussten wir erst einmal blinzeln, um zu begreifen, was wir da eigentlich gerade gesehen hatten.
MOONLIGHT kommt derartig ruhig und unaufgeregt daher, erzählt seine bewegende Geschichte so besinnlich, dass man sie beinahe verpassen könnte, wenn man nicht aufpasst.
Dabei bedient sich MOONLIGHT eines äußerst smarten Kunstgriffs – denn im Endeffekt erzählt er uns drei Einzelgeschichten, drei kurze, abgeschlossene Episoden dreier Figuren, die am Ende zu einer Geschichte und einer Hauptfigur verschmelzen.
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MOONLIGHT erzählt in seinem ersten Drittel von dem 10-jährigen „Little“. Die Geschichte ähnelt in vielerlei Hinsicht einem Sozialdrama. Little ist ein Außenseiter, der im schwarzen Ghetto „Liberty City“ bei Miami lebt. Eines Tages wird der Drogendealer Juan auf den Jungen aufmerksam. Zwischen Little, der allein bei seiner droganabhängigen Mutter lebt, und dem überraschend einfühlsamen Juan entspinnt sich eine zarte Vater-Sohn-Beziehung, die Little nachhaltig prägt.

Die zweite Episode erzählt von Chiron – so der bürgerliche Name von „Little“, nachdem dieser seinen kindlichen Spitznamen abgelegt hat.
Chiron, mittlerweile 16, erlebt hier alle Schmerzen eines Coming-of-Age-Dramas. Während er weiterhin mit seiner immer stärker abbauenden Mutter und dem Leben im Ghetto zu kämpfen hat, spürt er, dass seine Freundschaft zum gleichaltrigen Kevin eine bedeutsame Wendung nimmt. Beide entdecken ihre Homosexualität – und die Probleme, die das in ihrem Lebensumfeld mit sich bringt.
In der dritten Episode, Chiron ist mittlerweile Anfang Dreißig und verkehrt unter dem Namen „Black“, gelingt es MOONLIGHT tatsächlich, sich seinen mit zarten und doch präzisen Strichen gezeichneten Figuren beinahe in einer Art nostalgischem Rückblick zu nähern.

Black hat sich, wie einst Juan, dem Leben angepasst und verkauft Drogen in Atlanta. Er findet seinen Frieden mit seiner Mutter, und sogar mit Kevin, der ihn überraschend kontaktiert und zu einem Gespräch einlädt. Für beide wird das Treffen zu einem wehmütigen Trip in die Jugend, der ihre ganze Gegenwart in Frage stellt.

Man muss es einfach sagen: MOONLIGHT ist einer der besten Filme des Jahres.
Die Figuren reißen einen mit, ihre Geschichte, so zart sie auch gezeichnet ist (der Film geht nicht einmal zwei Stunden), entwickelt eine Kraft und Intensität, die heutzutage selten geworden ist im Kino, das allzu oft auf Schauwerte und Effekte zielt.
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Was vor allem fasziniert, ist die glasklare Struktur, mit der MOONLIGHT arbeitet. Erzählt werden drei präzise ausgesuchte Stationen im Leben Chirons. Drei Stationen, in denen sein Leben eine bedeutsame neue Richtung nimmt. In denen er eine Erfahrung macht, die ihn prägt. Drei Mal gelingt es Chiron, Frieden mit sich und seinem Leben zu schließen. Und dreimal findet er diesen Frieden am Strand.

MOONLIGHT, und das zeichnet den Film so aus, ist dabei weder klischeehaft noch albern, nicht peinlich oder mahnend, weder melodramatisch noch verkopft. Er ist nicht zynisch oder überemotional. In nüchternen, beinahe dokumentarischen Bildern folgt er seinen „drei“ Protagonisten, ohne je viel zu kommentieren. Er lässt den Zuschauer seine eigenen Schlüsse ziehen, was dafür sorgt, dass der Film zu keiner Zeit anstrengend wird. Er fließt ruhig dahin, ohne je zu langweilen, und bietet trotz der gut 25 Jahre, die er erzählt, doch nur ein Schlaglicht auf eine Biografie, die offen lässt, wie alltäglich oder ungewöhnlich sie ist.

Schwarz und Weiß


Der vermutlich deutlichste Aspekt von MOONLIGHT entpuppt sich dabei zu gleichen Teilen als Problem wie auch als unerwarteter Vorteil: MOONLIGHT ist ein ganz und gar schwarzer Film. Ausnahmslos jede im Film auftretende Figur ist ein Afroamerikaner. Autor und Regisseur sind ebenfalls schwarz, und selbst die Thematik des Films ist losgelöst von jeder weißen Lebensrealität. Hier geht es um schwarze Amerikaner, die in schwarzen Vierteln leben und, gelinde gesagt, schwarze Probleme haben.
Auf der einen Seite schränkt das mit Sicherheit das Publikum ein, denn einem weißen Zuschauer, noch dazu einem aus gefestigten finanziellen Verhältnissen, mag diese Realität so fern sein, dass es ihm schwerfällt, mit den Figuren mitzufühlen. Wir müssen gestehen, dass wir selbst es so empfunden haben – so anrührend wir die Coming-of-Age Geschichte eines schwarzen Homosexuellen auch fanden, so weit war diese Geschichte von unserem eigenen Leben entfernt, dass wir die Empfindungen der Figuren nicht aus eigener Erfahrung heraus nachempfinden konnten. Was der Film an Gefühlen in uns geweckt hat, das hat er durch erzählerische Mittel in uns aufgerüttelt, nicht, weil er etwa irgendwelche persönlichen Erfahrungen in uns wachgerufen hätte.

Auf der anderen Seite bietet der Film damit vor allem einem weißen Publikum ungeahnte Möglichkeiten und unbekannte Einsichten in eine Kultur, die er vermutlich nicht kennt.
Natürlich gehören dazu auch einige Ansichten, die man als Klischee über Amerikas schwarze Ghettos verinnerlicht haben mag: Drogendealer, Junkies, vernachlässigte Kinder, Gewalt und Kriminalität.
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Doch MOONLIGHT blickt hinter diese Klischees. Der steretotyp gekleidete Drogendealer etwa, der sich als einfühlsamer Vaterersatz erweist und seine „Arbeit“ lediglich ausübt, weil er akzeptiert hat, dass das Leben ihm keine andere Chance lässt.
Beim Anblick des harten „Ghetto-Niggers“ mit Goldzähnen und Knarre im Handschuhfach mag die erste Assoziation nicht die sein, dass dahinter ein sensibler Homosexueller steckt, der als Kind vernachlässigt wurde und sich nach einer Mutter und gesellschaftlicher Akzeptanz sehnt.

MOONLIGHT hat eine Art – diese unaufdringliche, aber eindringliche Art –, gerade seinem weißen Publikum immer wieder vor Augen zu führen, wie seine Vorurteile von der anderen Seite aus wirken.
Nein, das ist nicht die Absicht des Films. MOONLIGHT wurde nicht gedreht, um weißen Zuschauern zu zeigen, dass die Afroamerikaner auch nur Menschen sind, die mit denselben Ängsten und Sorgen zu kämpfen haben wie die Weißen. Es ist nur ein erstaunlicher Nebeneffekt der Tatsache, dass es hier ein schwarzer Film so tief ins weiße Kino geschafft hat, um von Weißen überhaupt wahrgenommen zu werden.

Es wäre schön, wenn MOONLIGHT dem schwarzen Kino die Tür ein Stück weiter öffnen würde. Wenn das Kino erkennen würde, dass gute Geschichten und anrührende Figuren nicht von ihrer Hautfarbe abhängen. Das Schwarze mehr sein können als Sklaven, Drogendealer oder Randfiguren, die einer klassischen, weißen Peer-Group zuarbeiten.
Ja, das wäre schön. Aber die Chancen dafür sind zu gering.


Die pure Schönheit des Mondlichts


Daneben hat MOONLIGHT aber noch eine überraschende Erkenntnis auf Lager: Der Homosexualität ist es vollkommen egal, ob sie schwarz oder weiß ist. Das eigentliche Drama in MOONLIGHT, die Erkenntnis der eigenen, von der Mehrheit nicht akzeptierten Sexualität, hätte in einem weißen Umfeld exakt genau so funktioniert.
Und das ist der wahre Wert von MOONLIGHT: Obwohl es ein ganz und gar schwarzer Film ist, der aus dem ganz und gar eigenständigen Leben von Afroamerikanern erzählt, und sich dabei nicht die Bohne um irgendeine weiße Alibi-Fokusgruppe schert, ist es am Ende ein Film über einen Jungen, der seine Homosexualität entdeckt. Und darin ist es wieder egal, wer den Film schaut, solange er nur in der Lage ist, mit einem unsicheren Mann mitzufühlen, der sich nicht traut, der zu sein, der er ist.

Am Ende ist es diese Vielschichtigkeit, die MOONLIGHT zu einem so sehenswerten Film macht: Ein Drama, das sich weigert, wirklich dramatisch zu sein, ein Film über Schwarze, der ein Film über Homosexuelle sein will, ein Film über Homosexualität, der weder ermahnt noch anklagt. Und all das verknüpft, nicht nur durch wunderbare Schauspielleistungen, sondern auch durch derartig feine und eloquente, präzise und erstaunliche Dialoge, dass man noch stundenlang zuhören könnte.
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Nein, MOONLIGHT ist kein Film für alle – man muss und sollte Interesse für das dargestellte Thema mitbringen. Zudem wird er dank seiner Thematik kein ungemein großes Publikum finden. Und von jenen, die ihn anschauen, wird eine erhebliche Anzahl vermutlich mit den Schultern zucken und die Entscheidung der Academy, dass sie hier den „Besten Film des Jahres“ gesehen haben sollen, schlicht darauf abwälzen, dass es eben um eine Minderheit in einer Minderheit geht, und die Wahl schlicht politisch korrekt sein sollte.

Doch damit verkennt man die pure und unverfälschte erzählerische Schönheit, die MOONLIGHT mitbringt, und die ihn über so viele andere Filme des letzten Jahres hinaushebt.


Biancas Blick:

Dass MOONLIGHT es überhaupt bis ins Kino geschafft hat, gleicht bereits einem kleinen Wunder. Denn es wird niemanden überraschen, dass kein Filmproduzent der Welt in Jubelschreie ausbricht und mit dem Scheckbuch wedelt, wenn man ihm mit dem Satz: „Ich habe da eine Idee für ein künstlerisches Dialogdrama über einen schwarzen, homosexuellen Drogendealer“, gegenübertritt.
Doch Chirons Geschichte hatte noch andere Hindernisse zu überwinden.

Aus dem Leben gegriffen


Die Geschichte, mit der MOONLIGHT auftritt, weist in ihren Grundzügen starke Parallelen zu den realen Leben der beiden Hauptverantwortlichen auf, Regisseur Barry Jenkins und Autor Tarell Alvin McCraney. Beide teilen dasselbe Schicksal: Sie wachsen in Liberty City bei Miami unweit voneinander auf. Sie besuchen, auch wenn Sie sich nie begegnen, dieselben Schulen. Beide haben Mütter, die mit Drogenabhängigkeit zu kämpfen haben und an AIDS erkranken. McCraneys Mutter stirbt an dieser Krankheit. Zudem ist McCraney schwul. Die Grundprämisse des Films nimmt also deutliche Anleihen an McCraneys Leben. 
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Jenkins, der mit seinem Debüt MEDICINE FOR MELANCHOLY einen kleinen Achtungserfolg aufweisen konnte, ist auf der Suche nach einem neuen Stoff, als ihm von einem Künstlerkollektiv das noch unveröffentlichte Theaterstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ zugeschickt wird. Jenkins ist angesichts der Parallelen zu seinem eigenen Leben fasziniert. Schnell erkennt er das erzählerische Potenzial der Geschichte, nimmt Kontakt zu McCraney auf, und erhält die Erlaubnis, aus dem Stoff ein Filmprojekt zu entwickeln
.



Aus Plan A mach Plan B


Doch Jenkins und McCraney sind zu kleine Lichter in Hollywood, um ein Projekt wie MOONLIGHT auf die Beine stellen zu können. Jenkins hat jedoch Glück: 2013 moderiert er gemeinsam mit Regisseur Steve McQueen eine Fragerunde zu dessen Oscargewinner 12 YEARS A SLAVE, und lernt hinter den Kulissen dessen Produzent Brad Pitt kennen. Pitt ist begeistert von Jenkins und dem Theaterstück, das er verfilmen möchte. Mit seinem Namen und seiner Produktionsfirma Plan B unterstützt er das winzige Projekt. Und zwar erfolgreich.
Dass Brad Pitt bei der Auswahl der von seiner Firma produzierten Stoffe ein gutes Händchen hat, beweisen die von Plan B finanzierten Filme 12 YEARS A SLAVE, SELMA, THE BIG SHORT und nun MOONLIGHT, die in drei aufeinanderfolgenden Jahren stets Oscarnominierungen als Bester Film eingeheimst haben. MOONLIGHT konnte der Firma nun nach 12 YEARS A SLAVE bereits den zweiten Preis sichern. Und dieses Mal unangefochten zu Recht.

Innerhalb seiner Produktionsfirma hat Brad Pitt einen guten Ruf. So erzählt Jeremy Kleiner, einer der Co-Präsidenten der Firma Plan B: „Brad Pitt hat eine Kultur geprägt: Zu beobachten und versuchen zu verstehen, was ein Künstler tut und was er sagen will. Manchmal ist es offensichtlich, manchmal am Rande bemerkbar. Wenn du von etwas inspiriert bist, wenn es dich packt, wenn du über etwas liest, das dich dazu bringt, neugierig zu sein, folge der Neugier und schaue, wohin dich das bringt. Diese Philosophie hat uns zu einigen sehr interessanten Menschen und ihren Filmen geführt. Brad ist ein sehr unterstützender, intellektuell neugieriger und leidenschaftlicher Partner. Wir sind sehr, sehr glücklich, ihn im Team zu haben.“ 
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Und seine Kollegin Dede Gardner fügt hinzu: „Er erinnert uns die ganze Zeit an die Filme, die wir schon ermöglicht haben, und er glaubt, dass wir Geschichten erzählen sollten, die wir fühlen, und wie unbefriedigt wir sterben würden, wenn wir sie nicht erzählten. Unsere Arbeit ist ein Privileg.“ Passion trifft auf Talent und Motivation – der Weg zur Finanzierung ist geebnet.


Risiko zahlt sich aus


Jenkins und den Produzenten gelingt es, ein Budget von 1,5 Millionen Dollar zusammenzusammeln (später kommen noch etwa 3,3 Millionen Dollar für die Werbung hinzu). Das ist zwar mehr, als Jenkins erwartet hat, lässt ihm aber dennoch wenig Spielraum und zwingt ihn, den Drehplan auf 25 Tage zu begrenzen.
Man beschließt, den Film an Originalschauplätzen in Liberty City zu drehen, was die Crewmitglieder etwas mulmig werden lässt, so dass eine Polizeieskorte angeheuert wird. Spätestens jedoch, als bekannt wird, dass Jenkins aus der Gegend kommt, und dort noch immer Verwandte hat, wird die Crew mit offenen Armen empfangen.
Naomi Harris will die Rolle der cracksüchtigen Mutter zunächst gar nicht annehmen, weil sie niemals stereotype schwarze Frauen spielen wollte. Sie sagt zu, als sie das Script liest und erfährt, wie Jenkins' und McCraneys Mütter in der Realität nun einmal waren. Später schwärmt sie über die Arbeit in Liberty City: „Es war das erste Mal, dass jemand in ihre Gegend kam und die Nachbarschaft auf der Leinwand zeigen wollte, und da Barry Jenkins dort aufgewachsen war, gab es dieses Gefühl von Stolz und den Wunsch, ihn zu unterstützen. Man konnte diese Liebe der Menschen spüren, die ich niemals zuvor an irgendeinem Set gespürt habe, nirgendwo auf der Welt, und es war so seltsam, dass das an einem Ort geschah, von dem die Leute das genaue Gegenteil erwartet hatten.“
In MOONLIGHT sehen die Menschen endlich ein Werk, das versucht, ihre Lebensumstände authentisch und ohne moralische Bewertung aufzuzeigen.

Für Naomie Harris erweist sich der Mut zu MOONLIGHT als lohnende Entscheidung: Nachdem sie erst einmal überzeugt ist, will sie die Rolle der drogenabhängigen Mutter unbedingt spielen und setzt alles in Bewegung, um es trotz ihres bereits prallgefüllten Terminplans zu ermöglichen. Harris ist während des Drehs auf PR-Tour für ihren Film JAMES BOND 007: SPECTRE, und hat als Britin tatsächlich mit Visa-Problemen zu kämpfen. Hinzu kommt, dass sie die einzige Schauspielerin ist, die in allen drei Akten des Films auftritt.
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Zur Vorbereitung schickt Jenkins Naomie Harris in Rehabilitationskliniken und stellt Kontakte zu ehemaligen Drogenabhängigen her, um sie bestmöglich auf die Rolle vorzubereiten. Schließlich gelingt es ihr, drei Tage freizuschaufeln, in denen sie ihren gesamten Part ohne Proben abdreht – in nicht-chronologischer Reihenfolge.

Der Lohn für die Mühen und den Mut ist Harris' Würdigung bei allen großen Preisverleihungen. Auch wenn sie nicht gewinnt, erhält sie ihre ersten Nominierungen bei den SAG-Awards, den BAFTAs, eine Golden Globe und schließlich eine Oscarnominierung.

Ein weiterer Clou gelingt Jenkins, als er beschließt, dass keine der wiederkehrenden Figuren sich während des Drehs begegnen. Weder die drei Schauspieler von Chiron, noch die der Figur des Kevin. So kann jeder Schauspieler unabhängig seine Figur herausarbeiten und seine eigenen Schwerpunkte, geführt vom Regisseur, festlegen. Wie im Film agieren somit drei unabhängige Individuen, die erst zum Ende hin zu einer sich schlüssig entwickelnden Figur verschmelzen.

Als großer Star des Films erweist sich jedoch Mahershala Ali. Jenkins wehrt sich zunächst gegen den Vorschlag, da er Ali dank seiner Rolle des Remy Danton in HOUSE OF CARDS für zu berühmt hält. Ali jedoch, der selbst in ähnlichen Verhältnissen an der Westküste aufgewachsen ist, erkennt das Potential, das in der Rolle des Juan steckt, und will sie unbedingt spielen. „Juan ist jemand, den ich kannte. Ich wuchs mit einem Juan auf. Der Typ war der sauberste Mann den ich kannte. Er lebte bescheiden. Er hatte einen guten Job, aber im Geheimen hatte er dieses Drogengeschäft. Ich habe diesen Kerl geliebt, und immer zu ihm aufgeschaut, ihn immer respektiert, aber das hat er mir verheimlicht. Ich hatte keine Ahnung, aber er war schon seit Jahren Drogendealer gewesen.“
Auch Jenkins ist schnell überzeugt, dass Ali perfekt für die Rolle ist. „Wir brauchten jemanden, der das gesamte Spektrum abdeckt. Der in der einen Sekunde sanft und zart, und in der nächsten gefährlich und bedrohlich wirken konnte.“ Alis Figur des einfühlsamen Ersatzvaters, der weiß, dass man als Schwarzer kaum Chancen im Leben erhält, und der gleichzeitig zum Überleben wie ein Raubtier von den Schwächen der Anderen lebt, ist tatsächlich die eindrucksvollste in MOONLIGHT, und Ali füllt seinen am Ende recht kurzen Auftritt mit so viel Leben und Gefühl, dass der Preisregen völlig berechtigt ist, an dessen Schlusspunkt der hochverdiente Oscar steht.
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Eine kleine Anekdote sei uns an dieser Stelle gestattet: Die Szene, in der Juan Little das Schwimmen beibringt, ist real, denn Alex R. Hibbert, der Darsteller des Little, kann zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht schwimmen. Bis in die letzte Pore also zeichnet sich MOONLIGHT durch seine Authentizität in selbst solch kleinen Szenen als außergewöhnlich aus.


Im Mondlicht sehen alle schwarzen Jungen blau aus


Tarrell Alvin McCraney verfasst das MOONLIGHT zugrundeliegende Theaterstück „In Moonlight Black Boys Look Blue“ als Aufnahmearbeit für die Dramaschule in Yale. (An der er mittlerweile unterichtet.)
Bis heute wurde das Stück weder veröffentlicht noch jemals aufgeführt, und McCraney zufolge ist das auch gar nicht seine Absicht. „Es ist gar nicht wirklich als Theaterstück geschrieben und würde so auch gar nicht funktionieren. Ich wusste immer, dass das Stück als Film besser funktioniert, und was Barry erschaffen hat, ist einfach wunderbar.“ Dennoch ist McCraney stolz auf sein Werk, mit dem er vor allem seine eigenen Erfahrungen verarbeiten wollte, wie er als jugendlicher Homosexueller in Liberty City nach seiner Identität gesucht hat.
„Es ist ein Film übers Schwulsein, aber auch einer übers Schwarzsein, und es wäre schade, wenn die Menschen es nur als das eine oder als das andere wahrnehmen würden. Im Augenblick konzentriere ich mich ganz auf diesen Film. Ich hoffe, dass er ein möglichst breites Publikum findet, das ist eine einmalige Chance, eine solche Geschichte vor so vielen Menschen zu erzählen.“

Am Ende gewinnen McCraney und Jenkins beide den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch. Das ist kein Wunder, denn die Gemeinschaftsarbeit der beiden ist eine der gefühlvollsten des Jahres.
Das gilt besonders für den Dialog, der den Filmtitel aufgreift, und wie alle bedeutsamen Momente in Chirons Leben am Strand spielt:

Juan: „Ich bin schon ewig hier. Ich komme aus Kuba. Viele Schwarze kommen aus Kuba. Heute siehst du es ihnen kaum noch an. Ich war ein kleiner Wilder. So wie du heute einer bist. Herumrennend, ohne Schuhe, während der Mond scheint. Einmal rannte ich an dieser alten … dieser alten Lady vorbei. Rannte und heulte dabei wie ein Wolf. Ich war ein Idiot, Junge. Aber diese alte Dame stoppte mich und sagte: 'Lauf und fang das Licht des Mondes. Im Mondlicht sehen alle schwarzen Jungen blau aus. Und du bist blau (blue). So werde ich dich nennen: Blue'.“
Little: „Also ist dein Name 'Blue'“?

Juan: „Nein! Irgendwann musst du selbst entscheiden, wer du sein willst. Niemand anderes kann diese Entscheidung für dich treffen.“
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So wird das Mondlicht zum Synonym der Selbstfindung und zum Thema des Films.

Entscheide, wer du sein willst. Weder deine Hautfarbe (noch deine Sexualität) bestimmen, wer du bist.
Und doch zeigt Chirons Leben, dass es oft die Prägung von außen ist, die uns zu dem macht, der wir am Ende sind. Es sind die Menschen, die uns begegnen, Gefühle und Erwartungen in uns wecken, die uns enttäuschen und verletzen, die uns ihren Namen geben.
Es ist Juan, der Little prägt, und aus ihm Chiron macht. Und es ist Kevin, der später aus Chiron den Mann werden lässt, der mit all der nach außen gekehrten Härte und im Innersten gefühlten Sensibilität durchs Leben geht: „Black“.

MOONLIGHT ist ein kleines, stilles Meisterwerk. Und rekordwürdig. Mit einem Budget von 1,5 Millionen Dollar ist MOONLIGHT der zweit-preiswerteste Film nach ROCKY (mit einem Budget von 1,1 Millionen Dollar), der den Oscar als Bester Film abräumt. Es ist der erste schwarze Film, und der erste mit einer LGBTQ-Thematik, der diesen Preis erhält. Bisher konnte der Film in den USA knapp über 25 Millionen Dollar einspielen – und ist damit trotz seiner Randthemen überaus erfolgreich.
Dede Gardner ist nun die erste Produzentin, die bereits das zweite Mal den Oscar für den Besten Film entgegennahm (nach 12 YEARS A SLAVE). Und Mahershala Ali, der als junger Mann zum Islam konvertiert, ist der erste Muslim, der je mit einem Schauspieloscar ausgezeichnet wird.

Doch es sind nicht die Preise und Rekorde, die MOONLIGHT zu einem so außergewöhnlichen Film machen. Man sollte ihn nicht anschauen, weil er von irgendeiner Academy zum „Besten Film“ gekürt wurde. Man sollte ihn anschauen, weil er ein wunderschönes, stilles und überraschend positives Drama ist. Weil er Figuren mit Herz zeichnet, eine Geschichte mit Seele erzählt, und weil er uns daran erinnert, dass es in unserer Hand liegt, wer oder was wir sein wollen.
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2 Kommentare:

  1. Puuh! Nochmals Glück gehabt, dass ich nicht Lala Land (2016) betexten muss, denn the Oscar goes to … ! War ja klar, dass der das wird: schwarzer Homosexueller in sozialem Brennpunktviertel lebt den Tellerwäschermythos hoch. Fehlt eigentlich nur noch: Brille, Glatze, untersetzt ... – wie viele Minderheiten kann man in einer Person vereinen, um das in der Academy ganz nach vorne zu ficken? Und doch kam es ganz anders: Ein toller Film. Ein würdiger Preisträger. Auch wenn ein Poloshirt eines Elfjährigen niemals den ganzen Tag über so weiß bleibt, aber vermutlich gehört auch das zur symbolischen Überfrachtung, die der Film erfährt. Aufgebaut wie ein Triptychon mythologisiert er so aufs Derbste rum, dass ich die Lust verliere, darüber zu berichten. Grieche ich Plaque. Der Oscar als bester Nebendarsteller für Remy Danton geht voll in Ordnung, denn er taucht auch wirklich nur ein Drittel des Films über auf, was aber schade ist. Kevin Spacey wird stolz darauf sein, weiterhin mit ihm arbeiten zu dürfen in House of Cards. Wenn diese Produktion ihn weiterhin bezahlen kann. Als Drogendealer läuft er nicht mit einem Kreuz wie eine venizianische Hafenprostituierte herum, die zu ihrer aktiven Zeit Hausbesuche gemacht hat. Muskulös, aber nicht übertrainiert: gefällt. Der Soundtrack ist exquisit mit Boris Gardiner, Aretha Franklin und weiteren neben dem dezent eingesetzten (zuweilen atonalen) Original Score. Mit Passagen, die eine Videoclipästhetik umspielt wie zu besten Zeiten von Massive Attack mit ihrem Superstar Tricky. Ich war absolut gerührt, als das "Chef's Special" im Diner für die Liebe seines Lebens zubereitet wird. Die Verfilmung von Alicia Keys Song You Don't Know My Name. Pipi-in-die-Augen-Moment. Und dabei lässt er sich Zeeeeiiiiit. Eine Fussmassage für die Seele. Keine 4 point of views auf einmal von Ermittler, Killer, Opfer und Publikum. Kino der Gefühle. Ohne Pathos. Aufgeräumt und aufwühlend zugleich. Der Stoff ist für das Kino gemacht. Ich weiß, warum das zugrunde liegende Theaterstück niemals uraufgeführt wurde. Barbara Lewis mit Hello Stranger fegt dich hinweg. Wie Verdi in Mad Max - Fury Road. Keine überflüssigen Passagen auf 2 Stunden Spielzeit; nicht eine Szene, die ich mir lieber als szenische Lesung gewünscht hätte. Ein behutsamer Film über Menschen, die die Kurve gerade so noch kriegen, weil sie mit der Geraden schon ziemlich herausgefordert sind.

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