20.04.17

Porträt: Helmut Käutner – Auf der Suche nach dem Guten im Menschen

„So ist das Werk Helmut Käutners von Diskontinuität geprägt. Er wechselte die Genres wie manche ihre Kleider wechseln, und er konnte es natürlich nie allen recht machen. So gibt es denn von Helmut Käutner am Ende elf Melodramen, zehn Komödien, sechs Zeitfilme, fünf Literaturverfilmungen, zwei Satiren und ein Biopic (LUDWIG II.). Aber gibt es einen Stil, der diese Genres verbindet? Das ist unter Filmhistorikern strittig.“
- Auszug aus der Rede im Zeughauskino zum 100. Geburtstag Helmut Käutners
Quelle: DVD "Derrick Collector's Box Vol. 1", Folge 6: "Nur Aufregungen für Rohn" © Universal
Eine Version dieses Porträts findet sich auch in Ausgabe 18 von „35 Millimeter“, dem Retro-Filmmagazin.

Biancas Blick:

Helmut Käutner ist einer der wichtigsten und bedeutendsten Regisseure des deutschen Nachkriegskinos. Er bedient in seinen Werken nicht nur ein Genre, sondern beweist mit Dramen, Komödien, kritischen Nachkriegsfilmen und vor allem differenzierten Milieustudien, dass er einer der vielseitigsten deutschen Künstler nach dem Krieg ist.
Seinen Werken haftet eine starke Signatur an. Das „Menschsein“ als letzte Hoffnung thront über dem Großteil seiner Filme und macht ihn zum Gesellschaftskritiker, -beleuchter und –optimisten gleichermaßen. Er sucht in vielen seiner Filme nach „dem guten Kern“ im Menschen, vor allem in Zeiten des Umbruchs, in denen Grausamkeiten alltäglich sind.
So schafft er mit DIE LETZTE BRÜCKE, GROßE FREIHEIT NR. 7, DES TEUFELS GENERAL oder DER HAUPTMANN VON KÖPENICK zwischen 1944 und 1956 bis heute relevante Werke und liefert darüber hinaus wichtige Zeitdokumente.
Käutner erlangt besonders durch seine anspruchsvollen Literaturverfilmungen – vorzugsweise nach Vorlagen von Carl Zuckmayer – internationales Ansehen und wird zu einem der bedeutendsten Sprachrohre eines Landes, das die Gräuel des Krieges langsam aufzuarbeiten versucht.

Frühe Karriere und erste Stolpersteine


Käutner wird 1908 in Düsseldorf geboren. Bemerkenswert ist, dass er bereits zu Schulzeiten Kritiken für das Feuilleton schreibt und ab dem 20. Lebensjahr selber als Schauspieler und Kabarettist unterwegs, der Kunst also von Kindesbeinen an zugewandt ist. Und das äußerst erfolgreich. „Die vier Nachrichter“ – seine Kabarettgruppe – tourt durch ganz Deutschland und versammelt eine große Fangemeinde hinter sich. Sie wird der Grundstein sein, auf dem Käutner einige Jahre später sein enorm vielfältiges Spektrum an Drehbüchern und Filmen aufbauen wird. 1935 aber wird die Truppe von den Nazi als zu subversiv eingestuft und verboten.

Nach Jahren der Selbstfindung – Käutner studiert parallel etliche Fächer, darunter Philosophie, Germanistik, Psychologie, Kunstgeschichte, Reklame, Graphik und Theaterwissenschaften – findet er allmählich zu seiner eigentlichen Berufung.
Bereits mit 28 Jahren arbeitet er als Regisseur und Schauspieler am Leipziger Schauspielhaus. Zwei Jahre später beginnt er Drehbücher zu schreiben und erregt damit erste Aufmerksamkeit.
Quelle: "Die Rote" © Realfilm GmbH & Co. KG (Bisher keine Hemvideoauswertung)
Mit 31 Jahren gibt er seinen Einstand als Filmregisseur mit der heiter-flockigen Komödie KITTY UND DIE WELTKONFERENZ, und wird prompt mit den Einschränkungen durch die deutsche Filmzensur konfrontiert. Der im Film agierende englische Wirtschaftsminister ist für den Geschmack des damaligen Reichsministers Ribbentrop zu positiv gezeichnet ist, so dass der Film kurzerhand vom Reichsministerium verboten wird.
Käutner gerät das erste Mal mit der NS-Regierung aneinander, die von nun an starken Druck auf ihn ausübt.

Kurz nach Ausbruch des Krieges läutetKäutner 1940 mit KLEIDER MACHEN LEUTE seinen Werdegang als Meister von Literaturverfilmungen ein. Hertha Feiler und Heinz Rühmann spielen in der romantischen Inszenierung des gleichnamigen Romans von Gottfried Keller die Hauptrollen. Mit diesem vordergründig unkomplizierten Stoff umgeht Käutner die Zensur, deren wachsamer Blick in jener Zeit potenziell auf jeder Produktion liegt. 
Späteren Vorwürfen, er hätte mit dem Film der Propaganda gedient, indem er die Bevölkerung von den wahren Vorgängen des Krieges abgelenkt habe, stehen mehrere Argumente entgegen. 1940 ist das NS-Regime derart ungefährdet, dass solche Verschleierungs- oder Durchhaltefilme noch nicht benötigt werden. Auch die These, er hätte sich mit diesem Sujet metaphorisch über den Uniformfetischismus jener Zeit, sowie über politische Emporkömmlinge des Nationalsozialismus lustig gemacht, können bis heute nicht bestätigt werden. Die Prämisse, dass ausschließlich mittels der Kleider und nicht der Taten Leute zu beruflichen Ehren gelangen und allerorten blindes Vertrauen einheimsen, wird er 16 Jahre später mit DER HAUPTMANN VON KÖPENICK in deutlich verschärfter und kritischerer Form wieder aufnehmen. 
Der Film KLEIDER MACHEN LEUTE ist überaus erfolgreich, was sicherlich auch am beliebten Ehepaar Feiler/Rühmann liegt, und erhält durchweg positive Besprechungen. Er etabliert Käutner als fähigen und erfolgreichen Regisseur. 

Mit dem Film AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA liefert Käutner ein Jahr später, ob gewollt oder nicht, dann doch noch einen Propagandafilm ab.  Der Film – oder vielmehr die Hauptprotagonistin Franziska – verkörpert die Opfer einer Frau, die ihr eigenes Glück hinter die Bedürfnisse des Krieges zurückstellt. Der Film bedient und fördert also eindeutig die deutsche Mentalität der Kriegspriorität jener Jahre.
Helmut Käutner
Fotonutzung mit freundlicher Genehmigung des Deutsches Filminsitut - DFI e.V. Wir danken für die Unterstützung.

Bei seinem Erscheinen gefeiert, wird er nach 1945 verboten und erst 1951 in einer gekürzten Version wieder zugelassen. Mit ROMANZE IN MOLL provoziert Käutner das Regime 1943 abermals, da er in dem Drama eine Frau skizziert, die für die Liebe ihres Mannes ein Doppelleben führt und somit als „ehe- und sittenstörend“ eingestuft wird. 
So sehr es Käutner auch versucht, es gelingt ihm nicht, gänzlich unter dem Radar der Nationalsozialisten zu bleiben. 
Auch mit seinem nächsten Werk, heute einer seiner größten Klassiker, eckt er in der Sittengesellschaft an.

Auf zu Ruhmesehren


1944 wird Hans Albers mit Käutners GROßE FREIHEIT NR. 7 zur Legende der Seefahrerromantik. Die Drehbedingungen sind ernst. Deutschland kann den Anstrengungen der Front gegen die Alliierten kaum noch standhalten, und die Zivilbevölkerung wird immer öfter zum Ziel großflächiger alliierter Luftangriffe, so dass Käutner mit seinem Team die Nacht oft im Luftschutzkeller verbringen muss, während am Tage draußen gedreht wird. Auch wenn die Produktion von den Nazis noch großzügig subventioniert wird, wird auch dieser Film, der von Seeleuten in und um St. Pauli handelt, nach seiner Fertigstellung verboten. Da die Seemänner meistens betrunken, rauchend und in unehelichen Verhältnissen dargestellt werden und die Milieustudie formal sehr nüchtern, unromantisiert und zum Teil voller Resignation ist, fehlt der Reichskulturkammer unter Joseph Goebbels die positive Zeichnung deutscher Frauen und Seefahrer. Außerdem wird Käutner, der schon mit KITTY UND DIE WELTKONFERENZ negativ aufgefallen ist, regimekritisches Gedankengut unterstellt. 
Die Uraufführung findet daher in Prag und nicht in Berlin statt – das damals übliche Prozedere von als kritisch eingestufter Werke. Erst die Alliierten geben den Film nach Kriegsende frei, und so gelangt er 1945 zu seinen bis heute andauernden Ruhmesehren. „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ und „La Paloma“ werden zu Gassenhauern jener Jahre, die auch heute noch ein Großteil der Deutschen kennt, und die immer noch Seefahrerromantik versprühen.
Quelle: DVD "Der Hauptmann von Köpenick" © STUDIOCANAL
Versuchte Käutner während des Krieges noch, möglichst unauffällige und unkritische Filme zu realisieren, um weiterhin als Regisseur tätig sein zu können, scheint nun, nach Beseitigung der Gefahr, sein lange unterdrücktes politisches Gewissen zu erwachen.
Mit UNTER DEN BRÜCKEN, der noch in den letzten beiden Kriegsjahren entsteht, schafft er ein poetisches Werk, das bis heute durch seine Ruhe und Klarheit beeindruckt. Oberflächlich gesehen ist es eine Liebesgeschichte – eine Frau muss sich zwischen zwei Kahnlotsen entscheiden –, doch Themen wie Freiheit, Lebenssinn, Selbstverwirklichung, Treue und Ehrlichkeit durchziehen das Werk ebenso markant. Zwar gelangt der Film noch während des Krieges in die Zensurbehörde, doch verschiebt sich der Kinostart um fünf Jahre, da nach Kriegsende kein Kino seinen Spielbetrieb aufrecht erhalten kann, und viele Produktionen zunächst erneut geprüft werden müssen, bevor sie von den Alliierten freigegeben werden.

1971 erklärt Käutner, dass er all diese eher in der Subtilität kritischen Filme in voller Absicht gedreht habe, das heißt, dass er mit aller Deutlichkeit die Zuschauer zum Zuhören bewegen wollte – ohne den moralischen Zeigefinger zu benutzen. Wärme sei wichtig, um die Zuschauer zu begeistern und zu sensibilisieren, nicht Härte.

Filmexperimente und Mannigfaltigkeit


Nach dem Krieg stellen sich viele Filmemacher der Verantwortung, die der Zweite Weltkrieg ihnen übertragen hat, so auch Käutner: „Die meisten deutschen Filmschaffenden sind sich darüber klar, dass es nicht möglich oder gar erstrebenswert ist, an den geschehenen Dingen und ihren Folgen vorbeizulügen. Sie sind der Meinung, dass man die Traumfabriken endgültig demontieren muss.“
Bei der Produktion von FILM OHNE TITEL, der sich 1946 auf humoristische und metaphorische Art die Frage stellt, ob schon über den Zweiten Weltkrieg gelacht werden darf, fungiert Käutner dazu passend als ausführender Produzent.

Mit IN JENEN TAGEN wagt sich Käutner 1947 auf neues Terrain und liefert ein spannendes Filmexperiment ab, mit dem er seine Stellung als einer der bedeutendsten Regisseure des kritischen Nachkriegsdeutschlands etabliert: Er kreiert einen Episodenfilm, in dem ein Auto, das stetig die Besitzer wechselt, in sieben Episoden die Zeit zwischen 1933 und 1945 exemplarisch aufzeigt. Der Film beleuchtet schlaglichtartig das Leben von Wehrmachtssoldaten, Juden, Künstlern und Adeligen. Da die Produktion 1946 beginnt und weder Ateliers noch Filmmaterial zur Verfügung stehen, dreht Käutner ausschließlich unter freiem Himmel und mit geliehenem Equipment. Anders als andere „Trümmerfilme“, wie zum Beispiel DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, thematisiert IN JENEN TAGEN die Opfer, nicht die Täter. Keine der gezeigten Figuren agiert wissentlich für das Regime. Vielmehr versuchen sie, in dem System zu überleben, ihm zu entfliehen oder aber anderen zur Flucht zu verhelfen. Damit hat das Werk einen deutlich optimistischeren Grundton als die meisten anderen Nachkriegsfilme. In Locarno wird IN JENEN TAGEN als erster deutscher Film prämiert.
Die Grundidee des seine Besitzer wechselnden Autos nimmt Anthony Asquith 1964 mit dem Episodenfilm DER GELBE ROLLS ROYCE erneut auf.


Im Abseits und Rückkehr zu alten Werten


In den folgenden sieben Jahren dreht Käutner äußerst unerfolgreiche Filme und gerät als Kassengift immer weiter ins Abseits. Obwohl er Märchen wie DER APFEL IST AB, heitere Lustspiele wie KÖNIGSKINDER oder Krimidramen wie WEIßE SCHATTEN inszeniert, also sehr vielfältig auftritt und eine große Bandbreite abdeckt, kann keines der Werke Zuschauer und Kritiker nachhaltig überzeugen.
Quelle: DVD "Große Freiheit Nr. 7" © Universum Film GmbH
Erst mit DIE LETZTE BRÜCKE kehrt Käutner neun Jahre nach Kriegsende in erfolgreiche Filmgewässer zurück und inszeniert einen der bekanntesten kriegskritischen Klassiker der Filmgeschichte. Den ersten kompromisslosen Antikriegsfilm nach 1945 mit eindeutig pazifistischem Anspruch. 
Gedreht in Jugoslawien, handelt der Film von zwei feindlichen Gruppen im Zweiten Weltkrieg – Deutsche und den Jugoslawen, die sich erbitterte Gefechte an einer noch nicht okkupierten Brücke liefern. Als im jugoslawischen Lager eine Epidemie ausbricht, entscheidet sich die junge deutsche Ärztin Helga, die notwendigen Medikamente über die Brücke zur feindlichen Linie zu bringen, um den Menschen ein Überleben zu sichern. Als von allen Seiten das Feuer eröffnet wird, wird Helga tödlich getroffen. 

Maria Schell, die Helga spielt, sagt später über den Film: „Von Anfang an war unsere Arbeit von dem gemeinsamen Willen geprägt, einen Film zu schaffen, der einen Ausweg zeigt aus dem Grauen aller Kriege. Der mit dem Sinnbild der letzten Brücke der Menschlichkeit Feinden den Weg weist, einander die Hände zu reichen.“ 
Der Film macht Bernhard Wicki und Maria Schell zu Stars und wird in Cannes 1954 mit zwei Preisen bedacht. Er ist einer der bis heute international geachtetsten Filme über die Diskrepanz zwischen Krieg, Gehorsam, Menschlichkeit und Verantwortung. 
Nach dem etwas kitschig geratenen Historiendrama LUDWIG II., das am ehesten dank Klaus Kinskis brillanter Leistung als psychisch labiler Prinz Otto im Gedächtnis bleibt, wendet sich Käutner letztmalig dem Thema Schuld und Verantwortung im Zweiten Weltkrieg zu.
Quelle: DVD "Des Teufels General" © STUDIOCANAL

Mit DES TEUFELS GENERAL von 1956, seiner zweiten Zuckmayer-Verfilmung (der den Roman im Exil zwischen 1943 und 1945 verfasst), setzt Käutner Curd Jürgens als General Harras ein filmisches Denkmal. So versucht Harras durch Verschweigen von Konstruktionsfehlern an Flugzeugen der deutschen Luftwaffe, selbige durch Abstürze zu schwächen. Als er verhaftet, gefoltert und zum Verrat seiner Komplizen gezwungen wird, wählt Harras statt der Flucht den Freitod und schützt somit seine Mitwisser. 
Mit der Wahl des Filmthemas bezieht Käutner einmal mehr Stellung. Blindem Gehorsam setzt er (bzw. Zuckmayer) menschliche Verantwortung und dadurch mögliche Absolution entgegen. Zwar gelingt es ihm nicht, die Schärfe der Vorlage zu treffen, dennoch umgeht Käutner eine allzu starke Verwässerung. Der Film wird in Berlin und Venedig ausgezeichnet und erhält das Filmband in Silber.

Käutner – ein „Männerregisseur“?


Im Nachhinein wird Käutner oft unterstellt, er sei ein „Männerregisseur“ gewesen, das heißt, er habe männlichen Schauspielern zu Starruhm verholfen und am liebsten mit ihnen gedreht, sie am besten in Szene gesetzt, die Frauen ihnen nur als „Beiwerk“ zur Seite gestellt.
Heinz Rühmann, Hans Albers, Carl Raddatz und Gustav Knuth, Curd Jürgens, O. W. Fischer, Klaus Kinski, Hardy Krüger, Horst Buchholz, Bernhard Wicki und Gustaf Gründgens standen für Käutner vor der Kamera, und sie alle waren bei ihm oft besonders intensiv, ohne dass er sie wie ein Dompteur zu Höchstleistungen anspornen musste. Doch schaut man sich im Gegenzug die Damen in seinen Filmen an, muss man postulieren, dass auch sie wunderbar in Szene gesetzt wurden und schauspielerisch gut geführt wurden: Marianne Hoppe, Hilde Krahl, Ilse Werner, Hannelore Schroth, Maria Schell, Ruth Leuwerik, Marianne Koch, Liselotte Pulver, Romy Schneider, Ingmar Zeisberg und Sonja Ziemann finden sich etwa in Käutners Filmen.
Quelle: VHS "Die letzte Brücke" © STUDIOCANAL
Obwohl Käutner zum Teil ein modernes Frauenbild kreiert, sind seine Frauenfiguren zumeist den Männern untertan. Das ist jedoch, so viel muss man festhalten, häufig auch den literarischen Vorlagen und dem nicht selten der Kriegsrealität entsprechenden Sujet geschuldet. Diesbezüglich war Käutner kein Revolutionär sondern fügte sich gesellschaftlichen Dogmen, literarischen Vorlagen und bildete die Zeit ab, in der er lebte.

Abgesang, Fernsehen und Käutners Theater


Die große kriegskritische Zeit Käutners findet ihr Ende. Er bleibt noch immer ein gesellschaftskritischer Regisseur, aber es scheint, als habe er nach 1956, wie auch der Rest der noch jungen Republik, das Thema „Zweiter Weltkrieg“ für sich abgeschlossen. Mit DER HAUPTMANN VON KÖPENICK, der sogar für den Oscar als Bester Nicht-Englischsprachiger Film nominiert wird, MONPTI mit Romy Schneider, DER SCHINDERHANNES, seinen Hollywood-Ausflügen ZU JUNG und EIN FREMDER IN MEINEN ARMEN sowie DER REST IST SCHWEIGEN bleibt er ein genauer Beobachter, Analyst, Milieuskizzierer und Hinterfrager. Manchmal auch gegen Widerstand. So traut etwa niemand dem eher heiteren Heinz Rühmann die Bewältigung der doch recht schweren Rolle des HAUPTMANN VON KÖPENICK zu, bis Käutner ein Machtwort spricht: „Mit Rühmann oder gar nicht!“ Und Käutner beweist sein Gespür. Mit dem Drama beweist Rühmann, dass er auch die leisen und ernsten Töne trifft.

Erst in den 60er Jahren werden Käutners Themen seichter und unkritischer. 1962 wird er für SCHWARZER KIES auf den Oberhausener Kurzfilmtagen (umstrittenerweise) von der Jury der Jungen deutschen Filmkritik mit dem Preis „für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs“ ausgezeichnet. 
Der Film erregt großen Ärger, die FSK gibt den Film erst ab 18 frei und der Zentralrat der Juden wirft dem Film antisemitische Tendenzen vor, da unter anderem ein Bordellbesitzer als „Saujud“ beschimpft wird.
Quelle: DVD "Bildnis einer Unbekannten" © Euro Video

Käutner erreicht mit seinen Filmen das junge, vom Krieg verschonte Publikum und seine ebenfalls jungen Kollegen nicht mehr und löst Kontroversen aus, die von ihm in dieser Art nicht beabsichtigt sind. 
Obwohl er mit dem Film „alle deutschen Tabus zu durchstoßen“ versucht und das „hart und direkt, mit erotischen und brutalen Realitäten“, verfehlt er sein Ziel, einen filmisch relevanten Diskurs zu führen, komplett.

Käutner erklärt später einigermaßen selbstkritisch zu einem anderen ähnlich kritisch beurteilten Film, nämlich DIE ROTE: „[Dieser Film] ist vom Schauspielerischen, von der Machart und vom Sujet her besonders reizvoll und scheint mir auch gelungen. Ich habe nur ein paar riesige Fehler gemacht, die mir das große Publikum weggejagt haben. Einer der Fehler war, dass ich eine der besten deutschen Schauspielerinnen für diese Rolle genommen habe, die bereits so abgestempelt war, dass das Publikum sie in dieser Figur nicht sehen wollte. Ruth Leuwerik war von vornherein verloren für diesen Stoff. Obwohl sie – ich habe den Film wiederholt gesehen zwischendurch – eine ideale Interpretin war. Wenn man sie überhaupt nicht gekannt hätte, hätte damit eine Karriere begonnen. Aber sie, die die untadelige Dame der deutschen Gesellschaft für viele Jahre gewesen ist, die innig liebende Mutter, sie war hier eine moderne, gebrochene Figur, eine Sekretärin, die mit zwei Männern lebte und einem dritten anheim fiel in Venedig – das war etwas, was die Leute von ihr nicht wissen wollten. Ich wollte das nicht einsehen und bockig, wie ich oft in solchen Dingen gewesen bin, wollte ich mich den anderen nicht beugen. Ich habe mich durchgesetzt und damit den Film leider aufs Spiel gesetzt.“ Die Kritik unterstellt ihm, ihm fehle die Brillanz der früheren Werke. Ja, er will noch immer seiner Zeit voraus sein, die Realität ablichten, kritisch und augenzwinkernd zugleich, um sanft wachzurütteln und aufzuzeigen – doch er schafft es nicht mehr. Ist sein Publikum zu behaftet an alten Werten oder womöglich doch weiter voraus, als er meint?
Mit der Neuverfilmung des Klassikers DIE FEUERZANGENBOWLE verabschiedet er sich 1970 desillusioniert von der Filmbühne.
Quelle: DVD "Kleider machen Leute" © Koch Media GmbH
Doch bleibt Käutners umfassende Arbeit ohnehin nicht auf die Kinoleinwand beschränkt.
Schon Mitte der 40er Jahre hat er angefangen, seine Arbeitsweise auf Hörspiele zu übertragen und inszeniert etwa „Der Hauptmann von Köpenick“ (das erste deutsche Hörspiel nach dem Krieg, das Käutner darüber hinaus in einem Stück und in einem eher notdürftig eingerichteten Studio aufzeichnet) oder „unsere kleine Stadt“ für das deutsche Radio. (Die Aufzeichnungen sind noch auf CD erhältlich.) Auch als Sprecher ist er immer wieder in Hörspielen zu hören.

Vor allem aber wechselt er nach seinem Abschied vom Kino zum Fernsehen, wo er die letzten zehn Jahre seines Lebens nicht nur als Regisseur, sondern auch als Schauspieler aktiv bleibt. (So spielt er etwa in dem Fernsehfilm KARL MAY den berühmten Autor.)
Hier ist er immer wieder in den immer populärer werdenden Krimireihen wie DER KOMMISSAR, TATORT und DERRICK zu finden, die das deutsche Fernsehen teilweise bis heute nachhaltig prägen.

Bis zu seinem Tod inszeniert Käutner aber auch immer wieder an deutschen Theaterbühnen.
Zu der vielzitierten „Theaterkrise“ äußert er sich 1971 in einem Radiointerview Friedrich Luft gegenüber. Seiner Meinung nach muss es das Ziel des Theaters sein, neben dem „alten“ Publikum ein „neues“, „modernes“ hinzuzugewinnen. Theater kann und darf nicht revolutionieren, indem es ausschließlich alte Zöpfe abschneidet. Weiter sagt er, dass Theater, ebenso wenig wie Film, Dinge der Gesellschaft bewegen oder verändern kann. Beides sind Medien, die nur anregen können, Dinge und Gedanken zu verändern. 
Eine Mitschuld an der „Theaterkrise“ schreibt Käutner den Kritikern zu, die oftmals Themen auf der Theaterbühne von vornherein ablehnen, anstatt diese erst mal neutral zu betrachten und somit Stücke zum Scheitern verurteilen. Dezentralisierung macht Käutner dafür verantwortlich, dass er zu Beginn der 70er Jahre keine „Theaterstars“ mehr gibt. Statt mehrere Jahre an einer Bühne zu reifen, werden sie viel zu schnell an andere Bühnen oder zum Fernsehen geholt und verlieren sich in Trivialität.
Theater habe bis heute alle modernen Medien überlebt, so dass Käutner keine Gefahr für das Theater sieht. Die Medien werden sich weiter annähern, insbesondere das Fernsehen und das Theater, sich aber nie neutralisieren.

Seine letzten Lebensjahre verbringt er in der Toskana, wo er am 20. April 1980 mit 72 Jahren verstirbt.
„Ich will die absolute Reinheit der Kunst“, sagt Käutner 1947 einmal. Eine Prämisse, die sein Werk bestimmt.

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