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11.11.14

Porträt: Leonardo DiCaprio – des tosenden Rebellen erste Hälfte

Am 11. November 1974 erblickt in der Kinometropole Los Angeles ein Junge das Licht der Welt, der ein Vierteljahrhundert später anfangen wird, das Kinogeschäft entscheidend mitzuprägen.
Bis heute umranken den Jungen eine Vielzahl von Gerüchten und Anekdoten. Eine davon erzählt er selbst: Er habe noch im Mutterleib heftig zugetreten, während seine Mutter gerade ein Gemälde von Da Vinci betrachtete – und sie so zu seinem Vornamen inspiriert.
Wie viele der Geschichten, die sich über Leonardo DiCaprio anhäufen werden, ist der Wahrheitsgehalt dieser einen nur schwer zu bestimmen. Sicher ist nur: DiCaprio lässt lieber sein Werk für sich sprechen, als sich zu seinem Privatleben zu äußern.
Und es ist ein wechselhaftes Werk voller Entwicklungen, das der Mann hinlegt, der vor den Augen der Öffentlichkeit von einem hyperaktiven Kind zum schmächtigen, androgynen Jungen, und später zum gereiften Künstler und einem der einflussreichsten Männer Hollywoods heranwächst. 
Quelle: Blu Ray "Aviator" © STUDIOCANAL
Biancas Blick:

Leonardo DiCaprio ist ein zutiefst der Familie verbundener Mensch. Seine Wurzeln liegen in Europa, besonders in Deutschland, von wo seine Mutter bereits in den 50er Jahren nach Amerika emigriert. Seine Großmutter bleibt in Deutschland, wo DiCaprio sie auch dann noch regelmäßig besucht, als er bereits ein weltberühmter Star ist. Immer wieder lässt er sie auch in die Staaten einfliegen.
Sein Vater, ein Comiczeichner mit italienischer Abstammung, verlässt die Familie kurz nach DiCaprios Geburt. Seine Mutter muss fortan alleine für ihren Sohn sorgen.
So wächst Leonardo DiCaprio in Kalifornien auf, in einer Gegend, die ihn prägen wird. Von dem Glamour der späteren Jahre ist in DiCaprios kindlichem Kalifornien allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil: Es ist eine arme Gegend, in der DiCaprio in mehr als bescheidenen Verhältnissen aufwächst.

Am Anfang steht das Hibbeln


Es ist bereits früh zu beobachten, was für ein unruhiges Kind der kleine Leonardo ist. Er unterhält seine Umwelt mit Witzen und kleinen Darbietungen, er hibbelt und zappelt und treibt seine Umwelt nicht selten damit zur Weißglut. Er ist nur schwer ruhigzustellen.
Zu dieser Zeit entwickelt DiCaprio auch einige Zwangsstörungen: Kontroll- und Waschzwänge, die er später überwindet, mit denen er aber etwa beim Dreh zu AVIATOR wieder konfrontiert werden wird.

Eine weiteres Gerücht sagt, er habe nie Schauspielunterricht gehabt und erst als Teenager Lust am Schauspiel gewonnen, obwohl es einige Hinweise darauf gibt, dass DiCaprio bereits in der Grundschule an Schauspielworkshops teilnimmt. So soll er sich aktiv mit dem beschäftigen, was ihm am meisten Freude bringt: Faxen machen, Unterhaltung, Bewegung und Spiel.

In Kalifornien ist der Weg auf die Bühne nicht weit, und so wundert es nicht, dass er im Mekka des Entertainments bereits früh einem Agenten anvertraut wird, der ihm bald winzige Auftritte in Werbespots und Fernsehserien verschafft. (Beispielsweise als Darlenes Tischnachbar in ROSEANNE – nur eine Folge später hatte sein Busenkumpel Tobey Maguire dort einen Gastauftritt!)

Und doch hat DiCaprio noch einen steinigen Weg vor sich. Der hyperaktive Junge, der scheinbar weder die Konzentration noch den Respekt mitbringt, um in dem Business zu bestehen, ist kein gern gesehener Gast in den Fernsehstudios. Zu hibbelig. Zu laut. Zu viel von allem, was man dort eigentlich nicht braucht oder will.
Immer wieder bescheinigt man ihm, für den Beruf des Schauspielers nicht geeignet zu sein.
Tatsächlich hat er zunächst Pech einige Male Pech mit seinen Rollen. So spricht er 1983 mit neun Jahren bereits für eine Rolle in dem Drama THE OUTSIDERS vor, bekommt die Rolle aber nicht.
Eine erste wiederkehrende Rolle findet er in der kurzlebigen Fernsehserie EINE WAHNSINNSFAMILIE.
Ein weiteres Gerücht besagt, DiCaprio habe zu dieser Zeit im Musicvideo zu Madonnas „Open your Heart“ mitgespielt. Der Junge in dem Video ist allerdings das britische Model Felix Howard. Dennoch hält sich das Gerücht bis heute hartnäckig.
DiCaprio in einer für ihn typischen frühen Rolle als Querulant und Künstler in TOTAL ECLIPSE.
Quelle: DVD "Total Eclipse" © Concorde Video
Einen kleinen Durchbruch im Fernsehen feiert er 1991. Die ehemals erfolgreiche Sitcom UNSER LAUTES HEIM ist in massive Schräglage geraten. Die Autoren bekommen weder Quoten noch Handlungen in den Griff, treiben die 20-jährige Tracey Gold in die Magersucht (Sie wird der erste Fernsehstar, der sich zu seiner Anorexie bekennt) und der kurz zuvor in eine christliche Sekte eingetretene Star Kirk Cameron terrorisiert mit seinem Glauben das ganze Set und Studio.
Unter solch katastrophalen Bedingungen wird selbst der unruhige DiCaprio zur Hoffnung der Produzenten. Seine Figur des Luke Bower soll die Serie wieder attraktiv für das Teenager-Publikum machen.
DiCaprio ist zu dieser Zeit bereits 17 Jahre alt, wirkt aber wie 12. Ein weiteres Merkmal, das ihn die längste Zeit seiner Karriere auszeichnet: Er wirkt immer deutlich jünger als er ist; wie ein lang gezogenes Kind versprüht er in seinen frühen Rollen Lebendigkeit und Agilität. Er scheint stets in einer Welt zwischen jungem Mann und Teenager zu schweben.

Aber auch DiCaprio kann UNSER LAUTES HEIM nicht retten. Nach einer Staffel für ihn wird die Sitcom abgesetzt.
Allmählich flackert er jedoch auf dem Radar der Castingleute auf und darf seine ersten beiden Kinorollen spielen. Ein kleiner Auftritt 1991 in CRITTERS 3 und 1992 in dem Drew Barrymore Vehikel POISON IVY.
Es soll seine letzte kleine Rolle bleiben! Ein Jahr später erhält DiCaprio seine erste Hauptrolle – die Initialzündung für seinen Aufstieg.

Robert de Niro hat den Durchblick


Nach diversen Sitcomauftritten, Soap Operas, einem Horrorfilm und einem kleinen Thriller spricht DiCaprio, mittlerweile 19!, für das Drama THIS BOY’S LIFE vor.
Es geht um einen von seinem Stiefvater unterdrückten Jungen. Den Vater spielt kein Geringerer als Robert De Niro. Ein weiteres Gerücht besagt, er habe bei der Vorstellung des Filmcasts gefragt „Robert De Niro? Wer ist das denn?“

DiCaprio selbst erzählt später, er hätte sehr gut gewusst, wer De Niro ist, und versucht, den großen Star für sich einzunehmen. Dazu overacted er im finalen Casting eine dramatische Szene so sehr, dass De Niro und der Rest der Anwesenden Sets in Gelächter ausbrechen.
Doch De Niro ist von dem Talent des jungen Mannes überzeugt. Mit dem Hinweis, es etwas ruhiger anzugehen, verschafft er ihm die Rolle. Einer von DiCaprios Hauptkonkurrenten ist sein Freund Tobey Maguire. Mit ihm soll DiCaprio sich noch einige Castingwettbewerbe liefern, etwa um die Titelrolle in SPIDER-MAN. Maguire geht zwar leer aus, doch sein Kumpel DiCaprio bringt ihn dennoch in dem Film unter, der zu Maguires erstem Kinoauftritt wird.
Schon in seiner ersten Hauptrolle misst DiCaprio sich erfolgreich mit den Superstars: Neben Ellen Barkin und Robert De Niro behauptet er sich in dem Drama THIS BOY'S LIFE.
Quelle: Blu Ray "This Boy's Life" © KSM Gmbh
De Niro ist von DiCaprio so begeistert, dass er ihn um jeden Preis fördern will. Er meldet DiCaprio in Schauspielkursen an und agiert selbst als Mentor. Doch auf derartigen Unterricht hat DiCaprio wenig Lust. 
Dennoch wird De Niro für DiCaprios spätere Karriere maßgeblich. Drei Jahre später stehen beide erneut gemeinsam für MARVINS TÖCHTER vor der Kamera. Kurz darauf wird De Niro seinen alten Freund Martin Scorsese darauf hinweisen, dass er zu alt für dessen Filme werde, und ihm „diesen Jungen“ ans Herz legen, mit dem er ein paar Mal zusammengearbeitet hat.
Doch davon ist DiCaprios Karriere 1993 noch weit entfernt.

Was, der ist gar nicht behindert?


Während THIS BOY’S LIFE noch ein Achtungserfolg ist, der DiCaprio für De Niro interessant macht, wird seine zweite große Rolle im selben Jahr zu seinem Durchbruch - und verschafft ihm seine erste Oscarnominierung. In GILBERT GRAPE – IRGENDWO IN IOWA spielt er an der Seite von Johnny Depp den behinderten Jungen Arnie. Er verkörpert die Rolle so realistisch, dass viele Zuschauer (darunter wir!) glauben, der Schauspieler sei tatsächlich behindert. Die Rolle ist so herzerwärmend geschrieben und von DiCaprio so gefühlvoll gespielt, dass er gestandene Namen wie Juliette Lewis und Johnny Depp in den Schatten stellt! Nahezu jeder Rezensent lobt vor allem DiCaprios Performance. Im Oscarrennen muss er sich am Ende Tommy Lee Jones in AUF DER FLUCHT geschlagen geben.
Eine der anrührendsten Rollen DiCaprios: Der junge Arnie in GILBERT GRAPE. Er selbst sagt über die Rolle, die ihm den Durchbruch verschafft: "Ich habe in meinem Leben noch nicht soviel Spaß gehabt!"
Quelle: DVD "Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa" © Concorde Video
Doch der Grundstein für eine Weltkarriere ist gelegt: DiCaprios Leistung in GILBERT GRAPE beeindruckt Baz Luhrmann so sehr, dass er ihm zwei Jahre später die Hauptrolle in ROMEO UND JULIA anbietet.
Seit dem Dreh mit Johnny Depp verbindet die beiden Schauspieler eine gute Freundschaft. DiCaprio bekundet in jener Zeit oft, dass er von Depps Spiel stark eingenommen wurde und der Star ihn nicht unbeeinflusst ließ.

Gebrochene Figuren


1995, mit seinem ersten Ruhm in der Tasche, steigt DiCaprio die Erfolgsleiter einige weitere Sprossen empor. Eine Weile konzentriert er sich auf künstlerische Rollen, in denen er sein ganzes Talent, und auch sein unruhiges Wesen, ausspielen kann.
Er übernimmt die Rolle des französischen Dichters Arthur Rimbaud in dem von Agnieszka Holland inszenierten Drama TOTAL ECLIPSE. DiCaprio füllt seine Rolle mit unglaublicher Präsenz und spielt mit David Thewlis erneut einen bereits etablierten Star an die Wand. In dem Drama spielt er den 16-jährigen Arthur Rimbaud , der mit seinem unkonventionellen Stil die Dichtung, und mit seiner homosexuellen Affäre auch das Leben des Dichters Paul Verlaine in neue Bahnen lenkt. Eine Rolle, die dem stürmischen DiCaprio sehr entgegen kommt.
Noch im selben Jahr übernimmt er die ähnliche Rolle des drogenabhängigen Dichters Jim Carroll in THE BASKETBALL DIARIES (Deutsch: JIM CARROLL – IN DEN STRAßEN VON NEW YORK) und fügt seiner Bandbreite eine neue Facette hinzu. Die Dynamik, die er in die Rolle legt, ist beeindruckend. Ein düsteres Drama, bei dem nur das etwas gewollt versöhnliche Ende stört. Ihm zur Seite steht Mark Wahlberg, der gerade seine Filmkarriere beginnt.
Mitte der 90er ist DiCaprio die Hauptadresse, wenn es um kaputte Figuren und komplexe Charaktere geht. Niemand haucht den feinsinnigen Junkies und vom Leben gebeutelten Außenseitern besseres Leben ein als er.
Quelle: Blu Ray "Jim Carroll - In den Straßen von New York" © Koch Media GmbH
Innerhalb weniger Jahre hat der unbekannte Emporkömmling DiCaprio die Schauspielwelt aufgemischt und eine Reihe hochwertiger Dramen und einige der komplexesten Figuren seiner Zeit mit glaubhaftem Leben gefüllt. Mittlerweile sind die meisten Hollywood-Kollegen und viele Filmfans auf den hibbeligen, eifrigen und stürmischen Schauspieler aufmerksam geworden, der jede noch so schwere Figur anscheinend einfach so runterspielt.
Allerdings spielt sich DiCaprios Ruhm noch vollständig im Independent-Bereich ab. Außerhalb cineastischer Kreise und der Liebhaber kleinerer Dramen ist DiCaprio noch immer eine unbekannte Größe. Doch das soll sich bald mit einigen Kassenschlagern ändern.

Der geborene Frauenschwarm, oder?


Ebenfalls 1995 besetzt Sam Raimi auf Drängen von Sharon Stone den jungen Star in seinem Neo-Western SCHNELLER ALS DER TOD (Der auch Russel Crowes Aufstieg einläutet). Eine populäre Szene des Films zeigt, wie Stone DiCaprio nach einem Duell begeistert küsst. Der Kuss steht nicht im Drehbuch und DiCaprio ist im Film sichtlich irritiert ob der Abweichung.
Ja, er hat etwas, das reifere Frauen anzuziehen scheint, denn neben Stone gibt es auch Gerüchte um ein Techtelmechtel mit Demi Moore. Es ist der Beginn einer weniger angenehmen Partnerschaft zwischen DiCaprio und den Gazetten, die seinerzeit beginnen, sich für das Privat- und Liebesleben des aufstrebenden Stars zu interessieren.
Mitte der 90er betont er in Interviews oft, wie sehr er Mark Wahlberg beneiden würde, denn der bekäme all die schönen Frauen, die Models, er selbst hingegen gehe stets leer aus.
Das zumindest hat sich heute, zwanzig Jahre später, offenbar geändert. Wie die Gazetten wissen lassen, ist Wahlberg gesetzter Familienvater und DiCaprio angelt sich ein Topmodel nach dem nächsten, ohne sich fest zu binden. Nachgeholte Sturm-und-Drang-Zeit? Wer weiß.

Für Luhrmanns ROMEO UND JULIA ernten die Hauptdarsteller Claire Danes und DiCaprio den Silbernen Bären der Berlinale 1996. DiCaprio ist immer noch unruhig. Obwohl der gesamte Cast sich über DiCaprios wildes Gebaren am Set beklagt, bewundern die Kollegen die scheinbare Leichtigkeit, mit der er seine Figur mit Leben füllt. In den Pausen denkt er nicht an Vorbereitung; er schwimmt lieber im Pool und treibt Schabernack mit seinen Kollegen, ob die das nun wollen oder nicht.
Auch das sind Gerüchte. Seine Vorarbeit zu GILBERT GRAPE beweist, dass auch DiCaprio sich durchaus vorbereitet. Aber sie passen ins Bild, das DiCaprio in jenen Tagen von sich zeichnet.

1995 darf er auch mit der Schauspielerin zusammen spielen, die er für die beste ihrer Zunft hält: Meryl Streep. In MARVINS TÖCHTER finden sich beiden in einer schwer gestörten Mutter-Sohn Beziehung.
Meryl Streep erzählt, sie habe deutlich gespürt, das DiCaprio Diane Keaton mehr möge, aber das liege wohl nur an der positiveren Rolle, die diese in dem Drama einnimmt. Weiterhin spielt Robert De Niro, der „Entdecker“ DiCaprios, eine kleine Rolle. Der Film ist klein und dabei umso berührender. Keaton erhält zu Recht eine Oscarnominierung.
Ob sich das Verhältnis zu Streep wieder normalisiert hat, ist unklar. Als Gerücht behaupten wir einmal: Vermutlich!

An des Ruhmes Anfang sinkt ein Schiff


Bevor James Cameron 1989 seinen Actionthriller THE ABYSS ins Kino bringt, recherchiert er monatelang über die Unterwasserwelt. Dabei stößt er auch auf die Geschichte des berühmtesten Schiffunglücks der Welt: Die Titanic.
Noch freut er sich! Doch TITANIC wird für DiCaprio zum Schicksalsfilm. Er macht ihn weltberühmt, dank des Ruhms und der Überpräsenz aber auch zum Objekt bis heute anhaltender Antipathien. Auch das Image des Schönlings und Frauenschwarms haftet ihm plötzlich an und ist ihm zutiefst zuwider. Seine langjährige Arbeit als gefeierter, dramatischer Schauspieler ist mit einem Streich wie weggeblasen.
Quelle: Blu Ray "Titanic" © Twentieth Century Fox
Er plant augenblicklich einen Film über die Katastrophe, der sich aber immer wieder verschiebt.
1997 hat Cameron bereits einige privat finanzierte Expeditionen zum Wrack durchgeführt und beeindruckende Funde sichergestellt. Er schießt spektakuläre Aufnahmen des damals seit über 80 Jahren am Meeresboden liegenden Wracks. Und er hat endlich mit der Produktion von TITANIC begonnen.
DiCaprio und Kate Winslet sind dabei nicht einmal erste Wahl. Heute ist der Film mit dem Paar Matthew McConaughey und Gwyneth Paltrow kaum noch vorstellbar, und wir sind ganz froh, dass die beiden nicht „Jack“ und „Rose“ geworden sind.
TITANIC ist sicherlich nicht DiCaprios bester Film, aber sein bis dato größter und der, der seine Karriere am nachhaltigsten beeinflusst. Der Film bricht alle Rekorde, löst einen der größten Kinohypes aller Zeiten aus und und steht zehn Jahre an der Spitze der rentabelsten Filme aller Zeiten. Jetzt kennt wirklich jeder Leonardo DiCaprio - monatelang ist er aus keiner Zeitschrift und dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken. 1998 ist er der populärste und bekannteste Star Hollywoods.
Mit ROMEO UND JULIA und TITANIC ist DiCaprio am Zenit seiner Karriere angekommen.

Als nur zweieinhalb Monate später DER MANN MIT DER EISERNEN MASKE in den amerikanischen Kinos anläuft, schafft DiCaprio etwas, das nur selten einem Schauspieler gelingt: Er platziert zwei Filme, in denen er als Hauptdarsteller mitwirkt, auf den ersten beiden Positionen der Kinocharts.
Ebenfalls 1998 erscheint noch Woody Allens CELEBRITY, ein kleiner Schwarzweiß-Streifen, in denen Stars wie DiCaprio, Charlize Theron oder Winona Ryder auftreten und mehr oder weniger sich selbst spielen: Stars und ihre Macken.

Im Fahrwasser von TITANIC taucht auch ein anderer Film auf, den niemand sehen will: DON'S PLUM wurde 1995 und 1996 von jungen Filmstudenten als Übungsfilm gedreht. Das minderwertige Filmchen wurde von DiCaprio und Tobey Maguire unterstützt, die darin kleinere Rollen improvisieren und sollte nun plötzlich veröffentlicht werden. DiCaprio und Maguire verhindern gerichtlich, dass der Film in den USA oder Kanada kommerziell genutzt werden darf, wodurch er erst im August 2001 seine Premiere in Berlin feiert.

Ein Traumstrand – idyllischer Trug


Der TITANIC-Ruhm wirft DiCaprio (und alle anderen Beteiligten) vollkommen aus der Bahn. Und schlimmer noch, der Film bestimmt, welche Angebote der sonst so auf kleine, dramatische Rollen abonnierte Schauspieler erhält: Den Frauenschwarm.
DiCaprio zieht sich zwei Jahre völlig aus dem Showbiz zurück, feiert, lebt und lässt es ordentlich krachen. „Leo, the Party Animal“ titeln die englischsprachigen Gazetten.

2000 kehrt er mit dem vermutlich umstrittendsten Projekt seiner Karriere zurück: THE BEACH nach dem Bestseller von Alex Garland, verfilmt vom als eher radikalen Filmemacher bekannten Danny Boyle. Umstritten vor allem, weil für den Film vorgeblich enorme Eingriffe in ein Naturschutzgebiet vorgenommen werden. Aber auch sonst ändert sich mit dem Film einiges.

Die Story des Romans wird fürs Kino um eine Liebesgeschichte erweitert und verliert die Bissigkeit der Vorlage.
DiCaprio profitiert noch immer von seinem TITANIC-Ruhm. Er hat nun Mitspracherechte, wirkt an der Filmgestaltung mit, erwirkt Drehbuchänderungen und neue Handlungsstränge.
Auch körperlich steht mit THE BEACH ein neuer DiCaprio auf der Leinwand. Der immer etwas schmächtige, feminine, dürre Junge wirkt plötzlich muskulös und wesentlich runder im Gesicht.
Der neue Leo. Anfang des neuen Jahrtausends beginnt der Schauspieler, sichtlich Muskelmasse zuzulegen. Aus dem stets schmächtigen Jungen wird ein auch körperlich reifer wirkender Mann. Damit einher gehen deutlich erwachsenere Rollen des bisher auf Jünglinge und Teenager festgelegten Schauspielers.
Quelle: Blu Ray "Departed - Unter Feinden" © Warner Home Video
Der oft für seine schwächliche Figur verspottete Star hat für die vielen Oberkörperaufnahmen in THE BEACH begonnen zu trainieren (und, so sagen die Gerüchte, dies auch medikamentös mit Anabolika unterstützt).
Für THE BEACH erhält DiCaprio die erste (und bisher einzige) Nominierung für eine Goldene Himbeere als schlechtester Darsteller. Nicht unbedingt zu Recht, zeigt er doch auch in THE BEACH eine gewohnt intensive Leistung. Vermutungen (und Gerüchte) legen nahe, dass DiCaprio noch immer zu überpräsent in den Medien war, oder dass man sich zuviel von dem Folgefilm des TITANIC-Stars erwartet hatte. Tatsächlich wird es noch einige Jahre dauern, bis er sich völlig aus dem Einzugbereich von TITANIC gelöst hat.

Eine Muse steigt empor


Zu dieser Loslösung gehört auch der Richtungswandel in DiCaprios Rollenwahl. DiCaprio, sonst eher in Teenagerrollen und als sensibler Künstler auf der Leinwand zu sehen, sucht sich härtere, männlichere und reifere Rollen. Die erste davon landet er in GANGS OF NEW YORK. Damit beginnt im Jahr 2000 auch eine der kreativsten und langanhaltendsten Symbiosen in der Geschichte des Films: Martin Scorsese nimmt DeNiros Ratschlag an, und arbeitet erstmals mit DiCaprio zusammen. Vier weitere Projekte folgen bis heute.
Dabei startet die Zusammenarbeit mit einem eher durchwachsenen Ergebnis. GANGS OF NEW YORK fällt trotz großer Ambitionen bei vielen Kritikern und Zuschauern durch. Zwar wird der Streifen, der im New York der 1850er seinen Anfang nimmt, für nicht weniger als 10 Oscars nominiert, geht aber komplett leer aus.
Es folgen die Meisterwerke THE AVIATOR und THE DEPARTED, SHUTTER ISLAND und THE WOLF OF WALL STREET.
Für THE AVIATOR und THE WOLF OF WALL STREET wird DiCaprio zwei Mal als bester Hauptdarsteller für den Oscar nominiert. Insgesamt fünf Nominierungen weist DiCaprio mittlerweile auf, doch es ist gut möglich, dass er die Statue so schnell nicht erhalten wird. Denn:

Wer den Oscar einmal schmäht ...


.... hat wohl verschissen auf Lebenszeit, so munkeln zumindest die Gerüchte!
Die erzählen davon, dass DiCaprio es sich 1998 mit der Academy endgültig verscherzt habe. Als vom Regisseur über die Darsteller, die Schneider, Techniker, Caterer, Parklotsen und Hundesitter gefühlt wirklich jeder Beteiligte an TITANIC für einen Oscar vorgeschlagen wird, ist DiCaprio der einzige, der nicht einmal eine Nominierung erhält. Darauf angesprochen heißt es, DiCaprio habe sich eher kritisch über die Academy geäußert und den Preis mit einem „Wer braucht den schon?“ abgewatscht.
Für BLOOD DIAMOND trainiert DiCaprio sich einen glaubhaften südafrikanischen Akzent an. Seine Darstellung des rauen Söldners mit dem Herz am rechten Fleck bringt ihm erneut eine Oscarnominierung ein.
Quelle: Blu Ray "Blood Diamond" © Warner Home Video
Seither schien ein Oscarfluch auf ihm zu liegen. Denn trotz seiner weiteren Nominierungen (Für THE AVIATOR, BLOOD DIAMOND und THE WOLF OF WALL STREET auch noch als Produzent) ging er lange Zeit leer aus.
Dieses Schicksal teilte er mit „seinem“ Regisseur Scorsese, der auch erst 26 Jahre nach seiner ersten Nominierung (damals für WIE EIN WILDER STIER) den Regie-Oscar für THE DEPARTED entgegennehmen durfte.
2016 wird der Bann gebrochen. Seine fünfte Nominierung als Schauspieler - für die Darstellung des Hugh Glass in Alejando G. Inarritus THE REVENANT - bringt ihm den lang ersehnten (und unserer Ansicht nach längst überfälligen) Preis ein!
© Twentieth Century Fox

Gereift und genial


Leonardo DiCaprios Karriere nimmt weiter Fahrt auf, und mit zunehmendem Alter verbreitert er sich.
2004 gründet er das Produktionsstudio „Appian Way Productions“ (Benannt nach der Via Appia, der einst wichtigsten Straße im alten Rom.)
Sein erster produzierter Film ist DAS ATTENTAT AUF RICHARD NIXON mit Sean Penn und Naomi Watts. Kurz darauf produziert er bereits THE AVIATOR und wird im Folgenden mit SHUTTER ISLAND und THE WOLF OF WALL STREET zu einem von Scorseses wichtigsten Geldgebern. (Bis heute muss Scorsese um jeden Cent kämpfen, den er für seine Filme zusammenkratzen kann.)
Auch als Produzent sucht DiCaprio die Herausforderung und die Abwechslung. Er produziert Gruselfilme wie ORPHAN – DAS WAISENKIND, Neo-Horror wie RED RIDING HOOD, George Clooney Politfilme wie THE IDES OF MARCH aber auch Thriller wie RUNNER, RUNNER und das betuliche Drama AUGE UM AUGE. Aktuell produziert er Ben Afflecks neue Regiearbeit, das Prohibitionsdrama LIVE BY NIGHT und einen Film über die Entstehungsgeschichte der beliebten Comicstrips „Calvin & Hobbes“.
Immer wieder bietet er auch für vielversprechende Stoffe. So ist er stark an den Filmrechten zu WORLD WAR Z interessiert, muss sich aber Brad Pitt geschlagen geben, der die Rechte ebenfalls will.
Und natürlich produziert DiCaprio auch Umweltdokumentationen wie 11TH HOUR – 5 VOR 12.
Auch als Produzent, etwa von SHUTTER ISLAND, beweist DiCaprio jede Menge Talent und Gespür. 2014 wird er auch hier erstmals für einen Oscar nominiert, mit THE WOLF OF WALL STREET.
Quelle: Blu Ray "Shutter Island" © Concorde Video
Spätestens seit Mitte der 2000er ist DiCaprio als Umwelt- und Menschenrechtsaktivist äußerst engagiert!
Am stärksten setzt er sich für Aktionen gegen den Klimawandel ein, bewirbt alternative Energiequellen, und ist seit September 2014 UN Friedensbotschafter für den Klimawandel. Inzwischen ist er ein ernstgenommener und gern gesehener Redner auf den internationalen Klimakonferenzen. 2016 stellt er seine Dokumentation BEFORE THE FLOOD auf vielen Onlinekanälen zur Verfügung, in der er den Auswirkungen der globalen Erderwärmung auf den Grund geht. Daneben spendet er großzügig für Hilfsprojekte und Katastrophenopfer in aller Welt, engagiert sich für den Schutz der Tiger, hat in seiner Heimatgemeinde ein Computerzentrum erbaut und unterstützt Organisationen zur Gleichstellung Homosexueller.

So vielseitig und wählerisch wie als Produzent wird er schließlich auch als Schauspieler. Er sucht sich erwachsene Rollen (obwohl er immer noch jung wirkt, holt auch ihn das Alter langsam ein), spielt Söldner, Polizisten, Diebe und klassische Rollen wie THE GREAT GATSBY.
2013 ist er endgültig als Top-Star zurück. Ein Jahr nach seinem Auftritt in INCEPTION spielt er als Sklavenhalter Calvin Candy in Quentin Tarantinos DJANGO UNCHAINED erstmals einen Bösewicht. Kurz darauf trifft er als Gatsby erneut auf Baz Luhrmann und sorgt schließlich vor allem als WOLF OF WALL STREET für Aufsehen – und verhilft Martin Scorsese zu dessen finanziell erfolgreichstem Film. Ein Jahr später sorgt er im Survival-Drama THE REVENANT für Furore und heimst allein für diese Rolle 26 der einflussreichsten Filmpreise ein.


Ruhiger Einfluss


Hier und dort liest oder hört man, der Junge aus TITANIC sei erwachsen geworden und spiele endlich „seriöse“ Rollen. Er beweise, dass er ja tatsächlich schauspielern könne.
Das fasst DiCaprios Schauspielkarriere gut zusammen: Der gefeierte Schauspieler, der mit Anfang zwanzig die schwersten Außenseiter spielte, als wären sie ein Hobby, und mit TITANIC zum Star wurde, musste sich nach dem Ruhm erst neu beweisen. Das tat er mit der Ruhe und Besonnenheit, die ihm in jungen Jahren immer fehlte.
Heute wirkt DiCaprio nicht nur reifer, sondern vor allem ruhiger.
Einen letzten kleinen Einblick in „alte Zeiten“ bietet ein Film, der beinahe zu einer TITANIC-Reunion verkommt. Gut zehn Jahre nach TITANIC heuert Kate Winslet, mit der ihn seit dem Cameron-Dreh eine enge Freundschaft verbindet und die ihn für einen der besten Schauspieler seiner Generation hält, für die Buchverfilmung ZEITEN DES AUFRUHRS an, die ihr Mann Sam Mendes inszeniert.
Eine kleine Rückkehr in alte Zeiten. DiCaprio nicht nur wieder mit "seiner" Kate Winslet vereint, sondern auch wieder in einer Rolle, die typisch für seine ersten Jahre ist: Der tragische Charakter, der am Leben zerbricht.
Quelle: Blu Ray "Zeiten des Aufruhrs" © Paramount Home Entertainment
DiCaprio und Winslet spielen ein Ehepaar, das all seine Träume vergessen zu haben scheint, die Sicherheit dem Wagnis vorzieht und sich dadurch verliert. Ein von der Kritik hochgelobtes Werk, nominiert für drei Golden Globes. Mit von der Partie ist auch Kathy Bates, die beiden schon in TITANIC ihren Segen gab.

Mittlerweile führt das Forbes Magazine DiCaprio als einen der einflussreichsten Männer im Filmgeschäft.
Der hibbelige Junge, der für den Beruf nicht geeignet schien, hat sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren mit einzigartigem Talent und unzähmbarer Leidenschaft an die Spitze Hollywoods gearbeitet. Die Zahl seiner Misserfolge ist gering, in jedem seiner Filme liefert er eine nahezu unglaubliche Leistung ab, die ihm den Respekt der Kollegen, Produzenten und Regisseure abnötigt.
Aus dem jugendlich-stürmischen Charakterdarsteller ist ein reifer Schauspieler geworden. Der Nachwuchsstar, der einst auf die Ratschläge und das Gewicht eines Robert De Niro angewiesen war, besitzt mittlerweile selbst ein Gewicht und eine Leinwandpräsenz, die seinen ehemaligen Mentor beinahe übertreffen.
Der talentierte Kalifornier ist mit aktuell gerade einmal 40 Jahren bereits eine der bedeutendsten Figuren hinter Hollywoods Kulissen, in den Menschenrechtsbewegungen dieser Welt und vor allem auf der Leinwand. Ein Tausendsassa, wie es ihn nur selten gibt, der etwas bewegt und verändert, der sich selbst immer wieder neuen Herausforderungen stellt und sie meistert.
Es ist garantiert kein Gerücht, festzustellen, dass ein Ausnahmetalent wie Leonardo DiCaprio noch viel bewegen wird im Filmgeschäft – vor und hinter der Kamera.
Quelle: DVD "J. Edgar" © Warner Home Video

2 Kommentare:

  1. Ein beeindruckendes Portrait von einem großartigen Schauspieler!

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  2. Vielen Dank! Wir halten ihn ja auch für einen ganz Großen!

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