Warren Beatty dreht in 40 Jahren "nur" 23 Filme. Doch was für welche!
Vier Filme, die er selbst inszeniert, erhalten zusammen 7 Oscars bei 29 Nominierungen und Dutzende weitere Preise. Als Produzent und Drehbuchautor erhält er weitere sechs Oscars bei 24 Nominierungen plus Auszeichnungs-Kleinkram.
Über Jahrzehnte ist Beatty einer der einflussreichsten und berühmtesten Stars Hollywoods.
Dennoch hält sein Ruhm nicht an. Während andere Stars seiner Zeit, wie Robert Redford und Clint Eastwood, immer noch als Schauspieler, Regisseur oder Produzent aktiv sind und das Filmgeschäft voranbringen, ist Beatty völlig von der Bildfläche verschwunden und mittlerweile in Vergessenheit geraten. Zurecht? Wer ist der Mann, der Hollywood jahrzehntelang prägt?
Es gibt nicht viele moderne Künstler im Filmgeschäft, die wirklich als Universalgenie betitelt werden können. Orson Welles ist einer davon, Maximilian Schell, Peter Ustinov und eben Warren Beatty gehören mit Sicherheit dazu. Sie bereicherten die Filmkunst auf vielen Ebenen und tobten sich in allen Bereichen und auf allen Positionen aus, um stets Höchstleistungen zu erzielen und die Tradition der Filmkunst zu revolutionieren und zu modernisieren.
Orson Welles ist berühmt dafür, seinen Klassiker CITIZEN KANE nahezu im Alleingang realisiert zu haben: Als einer der Ersten ist er Regisseur, Autor, ausführender Produzent und Hauptdarsteller in einer Person. Und lange wird er einer der absoluten Oscarüberflieger sein: Welles bleibt Jahrzehntelang der einzige Filmemmacher, der für denselben Film als Autor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller oscarnominiert wird.
Bis heute gelingt dieses Glanzstück tatsächlich nur einem einzigen weiteren Filmemmacher: Warren Beatty. Dem allerdings zwei Mal - und zwar in Folge!
Früh übt sich
Warren Beatty (ausgesprochen "bey-tih") wird als Henry Warren Beaty am 30. März 1937 in Richmond geboren.
Er und seine mindestens ebenso populäre, drei Jahre ältere Schwester Shirley MacLaine stehen schon früh auf der Bühne, denn ihre Mutter ist Schauspiellehrerin. Scheinbar so gut, dass sie den Wunsch, Schauspieler zu werden, in beiden Kindern weckt und manifestiert. Besonders Shirley spielt bereits früh Theater. Ihr gelingt Mitte der 50er Jahre in Hitchcocks IMMER ÄRGER MIT HARRY der Durchbruch und sie zählt bis heute zu einer der besten und populärsten Schauspielerinnen ihrer Generation, die noch immer aktiv spielt.
Beatty absolviert zunächst die Highschool, an der er leidenschaftlich und sehr erfolgreich Football spielt. Anschließend beendet er sein Kunststudium, bevor er sich ganz der Schauspielerei widmet. Letzteres ist sicher dem Erfolg seiner Schwester zu verdanken, die in Beatty die Lust an seiner alten Passion wieder aufleben lässt.
Er wirkt mit gerade mal 20 Jahren in diversen Theaterproduktionen auf kleineren Bühnen mit und sammelt reichlich Erfahrung.
Quelle: Blu Ray "Bonnie und Clyde" © Warner Home Video |
In den 60er Jahren passiert es noch oft, dass erfolgreiche Theaterstars erste Schritte im Fernsehen wagen, und Beatty ist da keine Ausnahme. Seit dem Siegeszug des Fernsehens in den frühen 50er Jahren sind die Serien und Fernsehspiele Amerikas Starschmiede. Viele spätere Kinostars wie Montgomery Clift oder James Dean feiern hier erste große Erfolge und steigern so ihre Popularität.
Beatty spielt Ende der 50er in den Fernsehfilmen PLAYHOUSE 90, KRAFT TELEVISION THEATRE und STUDIO ONE mit, bevor er in der ersten Staffel der Serie THE MANY LOVES OF OBIE GILLIS eine wiederkehrende Rolle erhält.
Dem aktiven Armeedienst entgeht Beatty 1961 aufgrund körperlicher Mängel. Er leistet seinen Dienst inaktiv.
(Frauen-)Held der ersten Stunde
Im selben Jahr erscheint Beattys fulminantes Filmdebüt in Elia Kazans Drama FIEBER IM BLUT an der Seite von Natalie Wood, ein Teenager-Drama um ein junges Paar, dessen Liebe aufgrund der psychischen Erkrankung des Mädchens scheitert. Ein gelungenes Porträt zweier verzweifelter und doch umeinander kämpfender Jugendlicher. Wood wird zurecht oscarnominiert und Beatty erhält den Golden Globe als Bester Newcomer (diese Kategorie gibt es heute nicht mehr).
Während der Dreharbeiten kommt erstmals das in die Öffentlichkeit, was Warren Beatty den Rest seiner Karriere verfolgen soll: Die Affären mit seinen Filmpartnerinnen. Er und Wood starten eine achtjährige Affäre, während der sie noch mit Robert Wagner verheiratet ist. Beatty-Biograf Peter Biskind nennt in seinem Werk „How Warren Beatty seduced America“ eine präzise Zahl von Beattys Gespielinnen: 12.775! Ob es tatsächlich so viele sexuelle Vergnügungen sind, ist nicht belegt, und wohl auch nicht mehr nachvollziehbar. Doch der Beiname "Womanizer" bleibt, neben etlichen Eskapaden, immer fester Bestandteil des Künstlers Warren Beatty. Beatty pflegt und kultiviert sein promiskuitives Machoimage ab den späten 50er Jahren für fast vierzig Jahre wie kein zweiter Hollywoodstar.
Auf seinen Ruf angesprochen gibt Beatty nur einen der Klassiker zu Protokoll: „Immer wieder fragt man mich, warum ich keine meiner Liebschaften geheiratet habe. Nun, nur weil ich mal Lust auf einen Viertelliter Milch habe, kaufe ich doch nicht die ganze Kuh!“
Mit viel Blei ins New Hollywood
Nach seinem ersten Erfolg mit FIEBER IM BLUT bei Zuschauern und Kritikern folgen zunächst relativ unbedeutende Auftritte in Filmen wie DER RÖMISCHE FRÜHLING DER MRS. STONE, LILITH und MICKEY ONE. Dann aber holt Warren Beatty zu seinem ersten Allround-Paukenschlag aus!
David Newman und Robert Benton schreiben Mitte der 60er Jahre ein Skript über das Gangsterpärchen Bonnie Parker und Clyde Barrow im Stil der Nouvelle Vague, und senden das Buch niemand Geringeren als François Truffaut. Der aber hat sein Herz an seinem aktuellen Projekt hängen, der Verfilmung von Ray Bradburys FAHRENHEIT 451, worauf Bonnie und Clyde bei seinem Kollegen Jean-Luc Godard landen.
Doch auch dort bleiben sie nicht lange liegen, denn Godards Ideen und Vorstellungen für die Inszenierung passen nicht zu den Anforderungen des amerikanischen Studios.
Irgendwann landet es in den Händen von Warren Beatty, der sofort begeistert ist und es an Arthur Penn weiterreicht, mit dem er bereits in MICKEY ONE zusammengearbeitet und kurz zuvor eine unabhängige Produktionsfirma gegründet hat.
Wichtig ist es Beatty, Clydes Bisexualität aus dem Skript zu streichen, denn das will er unter keinen Umständen spielen. Stattdessen entschieden sie sich, ihn impotent werden zu lassen. Also wird die angedeute Menage á Trois zwischen dem Gangsterpärchen und C. W. Moss aus dem Originalskript verbannt.
Deutlich wird in diesem Zusammenhang, welchen Einfluss und Stand sich Beatty in den letzten Jahren aufgebaut hat, um solch tiefgreifende Veränderungen vorzunehmen und vornehmen zu lassen. Dass ein Schauspieler auch produziert und somit maßgeblich an der Finanzierung und künstlerischen Gestaltung des Films Anteil nimmt, ist in jenen Jahren in Amerika sehr ungewöhnlich, ebnet allerdings Künstlern wie Clint Eastwood und Robert Redford den Weg.
BONNIE UND CLYDE wird Beattys erstes Projekt als Produzent, er angelt sich Warner Bros. als unterstützendes Studio, wirkt allerdings auch beratend (und tonangebend) am Drehbuch mit.
Das Gangsterdrama wird nur mühsam ein Erfolg an der Kinokasse. Ein zunächst nur kleiner Kinostart bringt weder gute Kritiken, noch Zuschauerzahlen. Erst als Beatty sich für eine Wiederaufführung mit deutlich gesteigerter Werbekampagne einsetzt, finden sich endlich jede Menge Zuschauer und selbst einige der ehemals negativen Kritiken werden revidiert.
Am Ende spielt der Film das 300fache seiner Kosten ein und verändert Hollywood: Gemeinsam mit DIE REIFEPRÜFUNG startet BONNIE UND CLYDE den revolutionären Stil des "New Hollywoods" – einer deutlichen Abkehr des Filmemachens der „Goldenen Ära“ der 50er Jahre und vorher: ungeschönt, realitätsorientiert, an Originalschauplätzen gedreht und mit lebensnahen Dialogen ausgestattet, setzt sich diese Form des Filmemachens in den nächsten 10 Jahren immer mehr durch, untermauert durch Filme wie EASY RIDER, M*A*S*H oder TAXI DRIVER neue Sehgewohnheiten.
Regie-Stars wie George Lucas, Steven Spielberg, Ridley Scott, Brian de Palma, John Cassavetes oder Martin Scorsese kreieren ihr Spielfeld in diesem neuen Klima, das Warren Beatty und Regisseur Arthur Penn mit BONNIE UND CLYDE geschaffen haben, aber auch Schauspieler wie Al Pacino, Robert DeNiro, Paul Newman, Meryl Streep oder Jack Nicholson können erst durch diese neue Art von Filmen zu Stars werden.
Revolutionär, wenn auch nicht unumstritten, ist auch die deutliche Gewaltdarstellung des Gangsterstreifens. Auch sie wird jedoch wegweisend sein, und später mit DER PATE wieder aufgegriffen werden.
Beattys Durchsetzungsvermögen, dieses Gangsterepos neu und anders zu drehen, hat sich durchgesetzt und Filmgeschichte geschrieben.
Heute gilt BONNIE UND CLYDE als einer der wichtigsten Filme der Hollywoodgeschichte, hat Kultstatus, wird vom American Film Institut auf Platz 27 in der Liste „100 Years – 100 Movies“ geführt und inspiriert in den 90er Jahren, als das Hollywoodkino eine weitere Wandlung erlebt, Meisterwerke wie THELMA & LOUISE und NATURAL BORN KILLERS.
BONNIE UND CLYDE wird für zehn Oscars nominiert (Neben allen Hauptkategorien wird auch Warren Beatty als Bester Hauptdarsteller bedacht), erntet allerdings „nur“ die Oscars für die Beste weibliche Nebenrolle (Estelles Parsons einziger Oscar!) und die Beste Kamera.
Der Regisseur erwacht
Warren Beatty ist am Gipfel angekommen und gilt in den folgenden 25 Jahren als einer der führenden Hollywood-Persönlichkeiten, arbeitet weiter als Produzent, Schauspieler, Drehbuchautor und entdeckt eine neue Leidenschaft: Das Regieführen!
Doch bevor er sein Regiedebüt feiern kann, produziert er zunächst noch einen ebenfalls äußerst populären Streifen, in dem er auch wieder die Hauptrolle spielt und das Drehbuch schreibt: SHAMPOO.
Der Film, der sich, ummantelt von einer etwas unausgereiften Liebesgeschichte, mit den weitreichenden politischen Aspekten des Jahres 1968 beschäftigt, kann weder beim Publikum noch bei der Kritik groß punkten. Zu oberflächlich wirkt der Zynismus, zu glatt die politische Ebene.
Immerhin wird Beatty für einen Oscar für das Beste Originadrehbuch nominiert, Lee Grant nimmt die Trophäe als Beste Nebendarstellerin mit nach Hause.
Drei Jahre später endlich, 1978, gibt Beatty sein Regiedebüt mit der Fantasy-Komödie DER HIMMEL SOLL WARTEN. Es ist bereits die zweite Verfilmung eines Theaterstücks (die erste war URLAUB VOM HIMMEL von 1941) und eine Art Body-Switch-Komödie, beheimatet im Football-Milieu.
Wieder spielt Beatty an der Seite von Julie Christie und Jack Warden. Mit Christie hegt er, natürlich, eine Liebesaffäre.
Der Film wird von der Kritik gut aufgenommen und ist ein rentabler, aber kein überragender Erfolg.
Dafür gelingt Beatty erstmals das, was nach 1941 keinem anderen Filmemmacher neben Orson Welles gelungen ist: Er räumt bestmöglich in der Award Season ab - zumindest Nominierungen!
Zunächst erhält er einen Golden Globe für sein Spiel, der Film wird in der Sparte Comedy/Musical prämiert.
Bei den Oscars dafür geht der Film auf breiter Front ins Rennen. Wieder ist ein Beatty-Film neun Mal oscarnominiert, Warren Beatty selbst wird als Regisseur, Autor, Produzent und, wieedr einmal, als Bester Hauptdarsteller vier Mal bedacht. Der Film gewinnt allerdings nur in der Kategorie Bestes Bühnenbild.
1979 gewinnt Beatty für sein Drehbuch den Writers Guild Award – eine Adelung für jeden Drehbuchautor!
Her mit dem Oscar, aber dalli!
Aber Beatty ist auf dem Zenit seiner Karriere, und wird das Kunststück schon mit seinem nächsten Film wiederholen. Und diesmal, nach bereits sieben Nominierungen als Regisseur, Schauspieler, Produzent und Drehbuchautor, kann Beatty die Trophäe 1981 endlich als Regisseur für sein semi-dokumentarisches Drama REDS mitnehmen.
Beatty spielt in REDS den Journalisten John Reed, der sich während und nach dem Ersten Weltkrieg für sozialistische Parteistrukturen in den USA einsetzt. Er erlebt die bolschewistische Revolution in St. Petersburg mit und verfasst daraufhin sein Buch „Zehn Tage, die die Welt veränderten“, um die sozialistischen Ideen auch in den USA zu verbreiten.
Der Film ist immer wieder durchzogen von Statements noch lebender Zeitzeugen, was den Streifen realistischer und greifbarer erscheinen lässt.
Neben Warren Beatty spielen sein guter Freund Jack Nicholson sowie Diane Keaton mit, mit der er, wer kommt drauf?, eine Affäre hat.
Die Kritiker bejubeln das Werk und auch die Zuschauer zeigen sich angetan, trotz des schweren Stoffes. REDS gilt bis heute als Beattys bedeutendster Film.
Insgesamt geht der Film 1979 mit 12(!) Oscarnominierungen ins Rennen und nimmt drei Trophäen entgegen.
Beatty erobert die Unterwelt
1990 läutet sich allmählich Beattys künstlerischer Herbst ein, den er im selben Metier verbringt wie seinen Frühling – mit zwei Werken, die sich auf unterschiedliche Weise mit der amerikanischen Unterwelt befassen.
Der erste Film ist DICK TRACY, bei dem Beatty wieder Regie führt, die Hauptrolle spielt und produziert.
Herausragend wird das Werk, indem Beatty und seine Designer dem Original-Comic der 30er Jahre Tribut zollen: Sie nutzen lediglich die in den originalen Zeitungs-Strips verwendeten sieben Farben, die auch im Film nur in einer einzigen Schattierung vorkommen, und indem der Film auf sämtliche Kamerafahrten und Schwenks verzichtet, und wie der Comicstrip nur in festen Bildern erzählt wird.
Das Werk startet im Fahrwasser von BATMAN mit einem Megacast, dem neben Al Pacino und Dustin Hoffman auch Madonna angehört - wer rät, mit wem davon Beatty eine Affäre begann?
Es geht wieder einmal um die 30er Jahre, um das Gute und Böse, um Dick Tracy, der seinen Erzfeind Big Boy Caprice hinter Gittern bringen will, sowie um Liebe zur Sängerin Breathless Mahoney, die Tracys Liebe zu Tess Trueheart(!) mächtig ins Wanken bringt.
Wie fünfzehn Jahre später SIN CITY wird DICK TRACY 1990 als bis dato beste Comic-Verfilmung gefeiert und in den höchsten Tönen gelobt.
Auch wenn der Film, zumindest in Fragen des Unterhaltungswerts, von Kritik und Publikum gemischt aufgenommen wird, punktet er wieder in der Award-Season und wird nach 8 Oscar-Nominierungen mit drei Statuen bedacht, für das Szenenbild, das Make-Up und den Besten Filmsong.
Beatty steht noch immer ganz oben.
Ein Jahr später folgt Beattys letzter Triumph mit dem Gangsterdrama BUGSY an der Seite von Annette Bening. Ihr gelingt, was fast niemand mehr für möglich gehalten hätte, sie zähmt den bekennend Sexsüchtigen und schafft es, Beatty vor den Traualtar zu führen - noch heute sind die beiden verheiratet.
BUGSY erzählt die Geschichte eines der größten Gangster Amerikas: Benjamin "Bugsy" Siegel.
Regie führt diesmal Barry Levinson, Beatty produziert, die Musik schreibt Morricone. Es ist eines der letzten großen Gangsterepen, die mit dem Erfolg von DER PATE entstanden sind, nur Scorsese wird mit CASINO das Genre fünf Jahre später noch ein letztes Mal befeuern.
Kritiker loben das Werk wegen seiner bemühten Faktentreue.
BUGSY geht 1992 mit zehn Nominierungen ins Oscarrennen und gilt als großer Favorit. Doch die Konkurrenz ist stärker: DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER und ausgerechnet THELMA & LOUISE laufen dem Gangsterfilm den Rang ab, so dass das Werk „nur“ zwei Oscars erhält: für das Beste Szenenbild und das Beste Kostüm.
Abstiegs-Supastar
Anfang der 90er Jahre verändert sich Hollywood erneut: neue junge Gesichter wie Brad Pitt erobern die Leinwand, frische, wilde Regisseure wie Quentin Tarantino machen brachial auf sich aufmerksam und verändern, wie Beatty und seine Kollegen selbst zwanzig Jahre zuvor, die Art, moderne Filme zu drehen.
Es wird immer wichtiger, den Zeitgeist in Filme mit einfließen zu lassen, aktuelle Stoffe, aktuelle Entwicklungen, oft medien- und gesellschaftskritisch aufbereitet, setzen sich durch.
Warren Beatty, einst der Vorreiter des jungen, frischen Kinos, der die etablierten Filmemacher auf ihre Plätze verwies, wirkt tatsächlich altmodisch. Seine Filme erzählen von einer längst vergessenen Zeit: Den 20er und 30er Jahren. Sie kritisieren ein Amerika, das es so schon lange nicht mehr gibt. Er verpasst es, auf den neuen Zug aufzuspringen und sich der Zeit anzupassen.
Die Bildlichkeit ist faszinierend: Dass gerade ein kerniges Alpha-Männchen wie Warren Beatty, der einst mit riesigem Ego und einem unumstößlichen Männerbild nun so sehr in die Jahre gekommen ist, dass er den neuen, hungrigen Egos und Männlichkeitsidealen nicht mehr gewachsen ist. Es findet eine klare Ablösung an der Rudelspitze Hollywoods statt.
1994 spielt und produziert er das Drama PERFECT LOVE AFFAIR. An seiner Seite spielen Annette Bening und die große Katherine Hepburn. Es ist die Neuverfilmung des 50er Dramas DIE GROßE LIEBE MEINES LEBENS und dreht sich um die Neufindung zweier auf einer Insel Gestrandeter.
Und zum allerersten Mal geschieht etwas, das Beatty nicht gut verkraftet: er wird, durch seine Mitwirkung am Drehbuch, für eine Goldene Himbeere nominiert (Schlechteste Neuverfilmung/Billigster Abklatsch).
Dabei ist Beatty clever genug, sein Problem zu erkennen, und er versucht tatsächlich, sich der neuen Zeit anzupassen - auf seine Art.
Sein für lange Zeit letztes Allround-Werk ist 1998 die Politsatire BULWORTH. Hier sitzt Beatty erneut auf allen Schlüsselpositionen: Er spielt die Hauptrolle, übernimmt die Regie, schreibt das Drehbuch und wirkt als Produzent einer Satire auf den Wahlkampf: Der alternde Senator Bulworth sieht keine Chancen auf eine Wiederwahl, und nutzt seine letzten Tage daher, mit dem politischen System Amerikas und der immer rechter verorteten demokratischen Partei aufzuräumen. Inklusive einem Abstieg in die sozialen Brennpunkte von L.A.
Ein letztes Mal wird Beattys Drehbuch für einen Oscar nominiert, der Film wird für einen Goldenen Löwen nominiert.
BULWORTH wird Beattys letzter großdiskutierter Film, der neben einem Achtungserfolg vor allem sehr zwiespältig aufgefasst wird: Die Kritiker sind größtenteils wohlwollend, und das Publikum zufrieden, dennoch findet der Film kaum Zuschauer und floppt an den Kassen. Vermutlich sind die Diskrepanzen zwischen staubiger Politik und frischem HipHop einfach zu groß. Dem jungen Publikum sind die politischen Ansichten zu veraltet, die Kritik an Amerika zu gewollt, den politisch Interessierten hingegen sind die HipHop Albernheiten einfach zu peinlich. Das ist schade, denn der Film entwickelt tatsächlich einen tollen Humor und zeigt ein letztes Mal, dass Beatty sich selbst eben auch nicht immer völlig ernst nimmt, und die Kritik, die der Film äußert, ist heute, zwanzig Jahre später, vermutlich aktueller als seinerzeit!
Aber: Der Soundtrack des Films wird einer der erfolgreichsten des Jahres! Hier findet sich, obwohl erneut Morricone komponiert, fast alles, was 1998 im Soul, RnB und HipHop-Bereich Rang und Namen hat. Der Titelsong "Ghetto Supastar" wird ein weltweiter Nummer 1 Hit, besonders in Deutschland. Ebenso erfolgreich wird das Musikvideo, in dem Warren Beatty ebenfalls auftritt!
So schafft Beatty es dann doch noch, beim jungen Publikum zu Punkten, wenn auch nicht in dem gewünschten Bereich.
Der finanzielle Misserfolg lässt sich jedoch nicht schönreden. Beatty ist als Produzent und Regisseur einfach in keiner Position mehr, das Publikum zu begeistern.
Die Ruhe nach dem Sturm
Mit STADT, LAND, KUSS besiegelt er seinen Untergang auch als Schauspieler, denn nicht nur der Film ist albern und uninspiriert, auch Beattys Darstellung wirkt bemüht. Trotz weiterer talentierter Darsteller wie Goldie Hawn, Jenna Elfman, Diane Keaton und Nastassja Kinski kann der Film in keiner Weise zünden und Beatty erhält zum zweiten Mal eine Nominierung für eine Goldene Himbeere, diesmal für seine Co-Regie.
Nach diesem Desaster zieht der erfolgsverwöhnte Macho sich zurück und hält seiner Frau, Annette Bening, den Rücken frei. Diese tritt noch immer erfolgreich als Schauspielerin auf, wird für ihre Rollen in AMERICAN BEAUTY 2000, BEING JULIA 2005 und THE KIDS ARE ALL RIGHT 2010 oscarnominiert.
So radikal wie Warren Beatty ist nur Greta Garbo nach ihrem Flop TWO FACED WOMAN abgetreten und nie zurückgekehrt.
Warren Beatty mag ein Macho sein, ein Womanizer und Sexsüchtiger, ein Relikt längst vergangener Zeiten, unformbar und steif in seinen Ansichten und seinem Tun. Doch vor allem ist er einer der prägendsten und innovativsten Künstler der Endsechziger, der dem Autorenfilm und dem „New Hollywood“ den Weg ebnete. Der über seine Arbeit als Regisseur einst sagte: „Es ist wichtig, dass du deine Schauspieler denken lässt, das Projekt sei eine Demokratie. Doch in Wahrheit ist das Spielen unter mir eine faschistische Diktatur!“
Und vielleicht ist die Ära Warren Beatty noch nicht ganz zuende, denn ein lange geliebtes Projekt wird endlich Realität:
Schon in den 70er Jahren will Beatty das Leben einer weiteren Legende der 20er und 30er verfilmen: Milliardär, Filmemacher und Exzentriker Howard Hughes ist immer guter Filmstoff, wie Leonardo DiCaprio und Martin Scorsese schon in THE AVIATOR zeigen.
Beattys Howard Hughes Projekt allerdings verzögert sich immer wieder und immer weiter. Ende der 80er Jahre verläuft sich eine anlaufende Produktion, so dass Beatty stattdessen DICK TRACY dreht, ein weiterer Versuch 1995 versandet ebenfalls und endet in BULWORTH.
Nun aber hat er es geschafft. Der Film REGELN SPIELEN KEINE ROLLE lief im November 2016 in den USA an (nachdem die Dreharbeiten bereits Ende 2014 beendet wurden), und soll Anfang April 2017 in die deutschen Kinos kommen.
Warren Beatty hat einen hochklassigen Cast für seine Liebesgeschichte des alternden Milliardärs mit einer jungen Schauspielerin. Erneut spielt der Film "früher" - diesmal in den späten 50ern, der Zeit also, in der Beattys Siegeszug begann.
Wieder, und vielleicht ein letztes Mal, ist Warren Beatty der Hauptverantwortliche: Regie, Produktion, Drehbuch und Hauptrolle liegen alle in seiner Hand. Es ist seine erste Regiearbeit seit siebzehn Jahren und sein erster Auftritt als Schauspieler seit vierzehn.
Man kann nur hoffen, dass dem Mann, der einst Hollywood revolutionierte, noch einmal ein Comeback gelingt, ein weiterer Glanzstein einer einzigartigen Karriere, und dass der Film mehr wird, als ein Rückblick auf alte, bessere Tage aus einer Zeit, in der die Kunst immer schnelllebiger wird und ihre Stars allzu schnell in Vergessenheit geraten.
Quelle: Blu Ray "Reds" © Paramount Home Entertainment |
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