Film ist Bild!
Bei allem, was man über die Wirkungen der Musik, die Bedeutung des
Drehbuchs, die Fähigkeiten der Regie und das Charisma der Schauspieler erzählt
– am Ende arbeitet alles dem Bild zu. Film schenkt einen Blick auf die Welt,
durch die Augen eines anderen.
Und selten wird die Welt so schön wie durch die Augen von Michael
Ballhaus.
Marcos Blick:
Wer von seiner Begegnung oder Zusammenarbeit mit Michael
Ballhaus erzählt, kommt immer wieder unweigerlich darauf zurück, welch ruhige,
sympathische und angenehme Persönlichkeit der Kameramann besitzt.
Auch mir war es, zu Beginn des neuen Jahrtausends, im Rahmen
eines kleinen Drehs vergönnt, Hollywoods „fliegendes Auge“ einmal kurz
persönlich kennenzulernen, so dass ich diese Geschichten nur bestätigen kann. Falls Ballhaus‘ freundliche Art, einen kleinen Produktionspraktikanten zu begrüßen
und seinen Studenten beim Dreh neckisch über die Schulter zu schauen, einen
Hinweis auf seine Persönlichkeit liefert, kann ich mit Fug und Recht behaupten,
dass Michael Ballhaus einer der angenehmsten Menschen ist, mit denen man beim
Film arbeiten kann.
Vielleicht ist das auch das Ergebnis seiner grenzenlose
Liebe zum Filmemachen!
Michael Ballhaus ist einer dieser Filmschaffenden, die das Glück
haben, keinen Tag im Leben arbeiten zu müssen. Dafür liebt er die Arbeit am Set
viel zu sehr. Das spürt man, wenn man ihn erzählen hört, von seinen Tagen
hinter der Kamera. Und noch wichtiger: Man sieht es jedem einzelnen seiner
Bilder an.
Der Berliner wird im Laufe seiner langen Karriere nicht nur einer
der erfolgreichsten Deutschen, die jemals in Hollywood arbeiten dürfen. Er ist
auch einer der besten Kameramänner der Welt. Seit einem halben Jahrhundert gibt
er sein Wissen, seine Erfahrung und seine Leidenschaft weiter und prägt damit
ganze Generationen junger Filmemacher.
Michael Ballhaus hat, das lässt sich ohne Übertreibung
feststellen, Geschichte geschrieben!
Unter Künstlern
In Berlin am 5. August 1935 geboren, verbringt Ballhaus
seine Kindheit im Süden und in künstlerischen Kreisen. Seine Eltern sind an
diversen kleinen Privattheatern und Künstlergruppen involviert. Sein erstes
Zuhause findet er in einer in einer alten Mühle, in der seine Eltern das
noch heute aktive „Fränkische Theater“ gründen. Ballhaus‘ Kindheit wird von
Künstlern, Intellektuellen und Kommunisten geprägt, was vermutlich seine liberalen, kunstzentrierten Ansichten bedeutend mitprägt.
1955 besucht er den legendären Max Ophüls, einen Freund der
Familie, bei dessen Dreharbeiten zu LOLA MONTEZ. Er ist begeistert von den Bildern,
die Kameramann Christian Matras kreiert und spielt mit dem Gedanken, ebenfalls
Kameramann zu werden.
Da das zu damaliger Zeit noch kein Beruf ist, den man lernen
kann, rät Matras dem jungen Mann, eine Ausbildung zum Fotografen zu machen –
schließlich sei die Kameraarbeit nichts anderes als bewegte Fotografie.
Nach seiner Ausbildung arbeitet Ballhaus beim SWF als Kamera-Assistent fürs Fernsehen.
Die Branche ist noch jung, Ballhaus talentiert, und bald arbeitet er als Chef-Kameramann
entscheidend bei den Bildgestaltungen mit.
Ende der Sechziger dreht er mit Dieter Hallervorden in der
Hauptrolle seinen ersten (nicht allzu guten) Kinofilm MEHRMALS TÄGLICH. Er bekommt das Angebot, in
Berlin zu lehren, obwohl er gerade Anfang Dreißig ist – Zeichen seines Talents
und der aufkommenden Bedeutung seines Berufs, der nun endlich auch direkt
erlernt werden kann.
Da Ballhaus mittlerweile eine Familie hat, und ihn die
Arbeit beim Fernsehen künstlerisch kaum fordert, nutzt er die vielen Anfragen,
an kleinen Low Budget Filmen mitzuwirken.
So gerät er in den Wirkungskreis eines schwierigen Genies und seines ersten festen Arbeitspartners: Rainer Werner Fassbinder!
Treue Beziehungen
Obwohl Ballhaus in seiner 50-jährigen Karriere gut 100 Filme bebildern wird, verbindet man ihn stets mit seinen Kollaborationen mit zwei gänzlich unterschiedlichen Regiegrößen. Oft wird sein Werk in eine „deutsche“ Phase an der Seite von Rainer Werner Fassbinder aufgeteilt, mit dem er in neun Jahren vierzehn Filme dreht, und in eine „amerikanische“ Phase, die vor allem durch seine Partnerschaft zu Martin Scorsese bestimmt wird, mit dem er sieben Mal zusammenarbeitet.
Diese über Jahre hinweg festen Partnerschaften zwischen
Regisseuren und Kameramännern sind häufig. Auch wenn der Regisseur am Ende das
Lob (oder die Schande) für das Gesamtwerk erhält, ist es das sensible
Zusammenspiel zwischen Regie und Kamera, das dem Film seinen Ton verleiht. Hat
ein Regisseur einen Kameramann gefunden, der seine Visionen in passende Bilder
kleidet, und ein Kameramann einen Regisseur, der ihm die nötige Freiheit
schenkt, entwickelt sich häufig ein gut funktionierendes Gleichgewicht, was es
meist zu einer Frage der Zeit werden lässt, bis beide erneut zusammenarbeiten.
So arbeitet Steven Spielberg seit SCHINDLERS LISTE vor 20
Jahren nur noch mit dem polnischen Kameramann Janusz Kaminski zusammen (dreizehn
gemeinsame Filme). Die Coen Brüder haben seit BARTON FINK aus dem Jahr 1991, bis auf einen, sämtliche
Filme von Roger Deakins bebildern lassen (elf Zusammenarbeiten). Und Christopher
Nolan ließ für jeden seiner bisher sieben Filme nur Wally Pfister hinter die
Kamera (der an INTERSTELLAR nicht beteiligt ist, da er mittlerweile mit
TRANSCENDENCE ins Regiefach gewechselt ist.)
Das Genie und der Kreisel
Und so wird Ballhaus der feste Kameramann von Rainer Werner
Fassbinder.
Dabei stellt der hyperaktive Kino-Derwisch Fassbinder einen auffälligen
Gegenpol zum besonnenen Ballhaus dar. Fassbinder ist hochgradig manipulativ,
ein Hippie der 68er Generation, der seine Mitarbeiter in einer
kommunenähnlichen Struktur um sich schart. Ein Künstler, der sich anbeten lässt
und jeden mit Nichtachtung und Liebesentzug straft, der sein (nicht
unerhebliches!) Ego verletzt.
Daneben steht Ballhaus, ein treuer Familienmensch, der seine
Kollegen achtet, der Kompetenz ebenso zu schätzen weiß wie Neugier und
Leidenschaft, und Fehler nicht als Versagen, sondern als Schritt des Lernens
begreift.
Vermutlich gibt es in der deutschen Filmgeschichte nur
wenige Paarungen, die so konträr veranlagt sind. Und dennoch gelingt ihnen eine
fast ununterbrochene Reihung filmischer Meisterwerke. Denn beide vereint die Liebe
zum Film und die Lust, emotional anzurühren.
Das leidgeplagte Ehepaar in MARTHA. Für ihr erstes Treffen auf der Straße nutzt Ballhaus erstmals seine berühmte Kreisfahrt. Quelle: DVD "Martha", © STUDIOCANAL |
Die Arbeiten mit Fassbinder bieten Ballhaus die Möglichkeit,
seine Bildsprache zu perfektionieren. Nicht nur hat er mit Fassbinder einen
Regisseur an seiner Seite, der ihn – im Rahmen normaler künstlerischer
Differenzen – gewähren und ausprobieren lässt. Ballhaus profitiert vor allem
davon, dass Fassbinder keine „seichten“ Geschichten erzählen will! Fassbinders
Anspruch, maximal emotionale Filme mit minimalsten Mitteln zu erzählen, fordert
Ballhaus alles ab. Nicht nur mit einem immer wieder geringen Budget, sondern
auch filmisch und darstellerisch eher begrenzten Mitteln muss es ihm gelingen,
mit seinen Bildern die Emotionen zu transportieren, die Regisseur Fassbinder
vorschweben.
Ihm stehen keine millionenschweren Stars zur Verfügung
(obwohl Fassbinder immer wieder mit talentierten Schauspielern arbeitet und
selbst aus weniger talentierten Darstellern das Maximum herausholt), keine
weltberühmten Komponisten, kein Special Effects Team, das mit Nachbearbeitungen
und Color Grading mangelhafte Bilder aufpeppeln kann. Ihm fehlen sogar die
Möglichkeiten, einfach blind Material zu filmen, damit Fassbinder am Ende im
Schnitt den emotionalen Unterton komponieren kann.
Ballhaus stehen, vereinfacht ausgedrückt, nur seine Kamera
und ein Koffer mit Objektiven und Filtern zur Verfügung.
Diese reduzierte Arbeitsweise zwingt ihn, bereits im Voraus bis
ins Letzte auszuloten, wie er eine Szene drehen will, und wie er einer
Einstellung die Emotionen entlocken kann, die sie dem Zuschauer vermitteln soll.
So wird jede Szene, jede Einstellung zu einer Lektion, einem Experiment.
Natürlich ist auch Ballhaus weiterhin ein ausgebildeter
Kameramann und Fotograf, der weiß was er tut, und der um die Wirkungen
bestimmter Bilder weiß. Dennoch kann er mit Fassbinder, und in den Strömungen
des „Neuen Deutschen Kinos“, fernab von kontrollierenden Geldgebern, in einer
fast familiären Atmosphäre, wunderbar arbeiten und lernen.
Fassbinders emotionsgeladene Sujets, gepaart mit den
begrenzten Produktionsbedingungen, bieten ein ideales Testlabor, in dem
Ballhaus herausfinden kann, wie er mit kleinen Bildern große Gefühle wecken
kann.
Verstärkt wird dieser Lerneffekt noch durch Fassbinders unglaublichen Arbeitseifer. Der Regisseur dreht wie ein Berserker, einen Film nach dem anderen, teilweise fünf Stück pro Jahr. Die Produktionszeiten sind kurz, meist stehen nur wenige Drehtage zur Verfügung.
Ballhaus erhält also unglaublich schnelles Feedback zu
seinen Versuchen – Was funktioniert? Was läuft weniger gut als erwartet? – und kann seine
Bilder fast augenblicklich im nächsten Film perfektionieren oder weiter
ausbauen.
Kein Bild macht das deutlicher als das, welches Ballhaus für
MARTHA verwendet, und das später zu seinem Markenzeichen werden wird: Der „Ballhaus-Kreisel“.
Bei diesem legt er die Schienen kreisförmig aus und fährt
mit dem Dolly um die Darsteller herum, meist drehen diese sich mit oder gegen die Fahrtrichtung. Die Wirkung ist für gewöhnliche
immer dieselbe: Den Zuschauer erfasst ein Gefühl des Taumels, des Schwindels,
des „Den Boden unter den Füßen Verlierens“. Manchmal im wörtlichen Sinne,
manchmal im übertragenen.
Zwar wurde der Effekt schon vorher genutzt, Ballhaus macht
ihn allerdings populär, da er ihn gezielt für emotionale Übertragungen
ausreizt. Erstmals 1974 in Fassbinders MARTHA, einem Drama über einen sadistischen Ehemann, in dem er mit dem „Kreisel“ die emotionale Entrücktheit der ersten Begegnung unterstreicht. Eine derartige Bildkomposition hatte in dieser Form noch niemand
vorher gesehen.
Ballhaus und Fassbinder sind von der Wirkung gleichermaßen
begeistert. Im Film CHINESISCHES ROULETTE reizen sie ihn daher bis zum Äußersten
aus. Die Kamera scheint sich den ganzen Film hindurch nur noch zu drehen und zu
kreiseln.
Einer von Ballhaus' edelsten Kamerakreisen: Michelle Pfeiffer lasziv auf dem Piano in DIE FABELHAFTEN BAKER BOYS. Zu Ballhaus' großem Unmut zerschneidet die Cutterin die 360° Drehung später allerdings und bricht sie vorzeitig ab. Quelle: DVD "Die Fabelhaften Baker Boys", © EuroVideo |
Und noch etwas trägt zu Ballhaus‘ enormem Lerneffekt der
Siebziger bei!
Es ist eine Binsenweisheit, dass man selbst am meisten
lernt, wenn man anderen etwas erklärt. Dementsprechend ist es wenig
überaschend, dass Ballhaus enorm von seiner Berliner Lehrtätigkeit profitiert.
Denn seine Studenten (darunter Wolfgang Petersen) lassen sich nicht sagen, wie
man eine Szene abzufilmen hat, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Sie
hinterfragen ihren Dozenten, womit sie ihn motivieren, sich selbst zu
hinterfragen.
Michael Ballhaus ist nicht der Typ, der nichts dazulernen
will. Seine Vergangenheit in Künstlerkreisen hat ihn offen werden lassen für
andere Ideen und Einflüsse. Das zeichnet ihn nicht nur beruflich aus, sondern
auch menschlich. Und vor allem ist er nicht der Mensch, der seinen Weg für den
richtigen hält! Ballhaus liebt es, dass seine Studenten ihn hinterfragen. Er
erklärt immerzu, dass seine Art ein
Weg ist, den Film zu fotografieren. Und ein Weg, der für ihn funktioniert.
Dabei fordert er seine Studenten immer dazu heraus, einen besseren Weg zu
finden, oder wenigstens einen, der für sie gut funktioniert. Kurz gesagt: Seine
Studenten sollen, wie er selbst, auf der Basis ihres Grundwissens ein
individuelles Fachwissen aufbauen.
Der Wilde mit dem spritzenden Hirn
Als Ballhaus‘ Zusammenarbeit mit Fassbinder endet, ist er
bereit für Amerika. Obwohl er dort nur zufällig landet. Einer der jungen,
wilden Independent-Regisseure des New Hollywood ist auf ihn aufmerksam
geworden: Martin Scorsese, der einen Kameramann für DIE ZEIT NACH MITTERNACHT
sucht. Ballhaus hat sich unter dem auch in Amerika geschätzten Fassbinder einen
Namen als effektiver und kostengünstiger Kameramann gemacht. Genau das, wonach
Scorsese sucht, der selbst nach Erfolgen wie WIE EIN WILDER STIER und TAXI
DRIVER noch immer um jeden Cent kämpfen muss.
Zwischen Ballhaus und Scorsese, die insgesamt sieben
Mal zusammenarbeiten, bildet sich eine tiefe Freundschaft und fruchtbare
Kollegialität. Besonders in Scorseses Billardfilm DIE FARBE DES GELDES passt Ballhaus' dynamischer Kamerastil (natürlich erneut mit Kreisel) perfekt zu dem, was Scorsese erzählen will. Doch wie bei Fassbinder ist die Zusammenarbeit für Ballhaus
nicht unproblematisch.
Während es bei Fassbinder die Machtspielchen, die
Befindlichkeiten und die engen Verknüpfungen innerhalb des Filmteams waren, die
Ballhaus Mühe machten, sind es unter Scorsese vor allem die Themen seiner
Filme. Filme wie GOODFELLAS drehen sich hauptsächlich um Gewalt. Der um Harmonie
und Ruhe bemühte Ballhaus tut sich schwer damit, nach einem Drehtag, bei dem es
darum ging, möglichst effektvoll ein aus dem Schädel spritzendes Gehirn zu
fotografieren, zu Hause anzukommen. (Später wird er immer froh sein, fürs Scorseses düsteren Großstadtfilm BRINGING OUT THE DEAD nicht verfügbar gewesen zu sein.)
Auch die manchmal chaotischen finanziellen Bedingungen sind nicht immer leicht zu ertragen. Scorsese braucht oft viele Monate oder Jahre, um das Geld für seine Filme zusammen zu bekommen. Manchmal, etwa bei DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI, wird der Film noch kurz vor Drehbeginn wieder um einige Jahre verschoben. Das ist nicht immer gravierend, und dennoch nervenaufreibend.
So berichtet Ballhaus, Scorsese habe mit ihm auf jeden Fall
CASINO machen wollen. Und auch wenn es nur wieder ein brutales Gangsterwerk
ist, ist auch Ballhaus dem Projekt zugetan. Doch die Dreharbeiten verschieben
und verschieben sich. Ballhaus hält sich fast ein halbes Jahr frei, bevor er
sich gezwungen sieht, der Produktion ein Ultimatum zu stellen. Er setzt einen
Termin an, bis zu dem er warten will, bevor er ein neues Projekt beginnt.
Als CASINO auch am Stichtag kein grünes Licht erhält, sagt
Ballhaus seinem früheren Studenten Wolfgang Petersen zu, dessen OUTBREAK zu
fotografieren. Einen Tag später meldet sich Scorseses Produzentin mit der
Nachricht, das Budget für CASINO sei nun freigegeben. Doch Ballhaus, ein Mann
seines Wortes, bleibt bei seiner Zusage für Petersen.
Am Ende, sagt er, war das bedauerlich, aber womöglich ganz
gut. Immerhin hätte er monatelang in Las Vegas drehen müssen, einem Ort, den er
für gewöhnlich so schnell wie möglich wieder verlässt.
Mehr Mensch als Star
Doch auch über Scorsese hinaus ist Ballhaus ein in Hollywood
beliebter und begehrter Kameramann.
Beinahe jeder Regisseur, der einmal mit Ballhaus gedreht
hat, will das noch einmal tun. Er gilt nicht nur als einer der besten
Kameramänner überhaupt, sondern obendrein immer noch als effizient, kostengünstig
und sehr angenehmer Kollege.
Das lockt besonders künstlerisch ambitionierte Regisseure
wie Mike Nichols an, der mit Ballhaus DIE WAFFEN DER FRAUEN und MIT ALLER MACHT
dreht, oder Regisseure, die mit geringem Budget emotionale Filme drehen wie
Robert Redford, der mit Ballhaus QUIZ SHOW und DIE LEGENDE VON BAGGER VANCE realisiert. (Eine bereits geplante Zusammenarbeit für DER PFERDEFLÜSTERER scheitert
wieder an einer Verschiebung des Drehstarts.)
Ballhaus ist, gemessen an anderen Hollywood Stars, die
seinen Erfolg und Einfluss teilen, durchaus ungewöhnlich gewöhnlich. Ein ausgesprochen
höflicher, bescheidener, freundlicher und hilfsbereiter Mensch und Kollege, der sich dem Rummel entzieht. Kaum
jemand verliert je ein schlechtes Wort über ihn. Und im Gegenzug hört man auch von
Ballhaus nichts Schlechtes.
Wer so viele Hollywoodfilme dreht und mit sovielen Stars
zusammenarbeitet wie er, wird zwangsläufig auch einmal mit negativen Geschichten
konfrontiert. Und natürlich erlebt auch Michael Ballhaus einige weniger
erfreuliche Anekdoten. Etwa, dass er selbst und das ganze Set von Joe Pesci,
der nachweislich Freunde bei der Mafia hat, eingeschüchtert ist. Dass Meryl
Streeps Maskenbildner ihm das Leben schwermacht, indem er ihm vorzuschreiben
versucht, wie er den auf die Vierzig zugehenden Star abzulichten hat. Dass ein
John Travolta Mühe macht, weil er sich nicht einmal drei Zeilen Text merken kann,
und selbst bei weit aufgnommenen Tracking Shots jemand mit einem Textmonitor neben
ihm herlaufen muss. Oder dass ein genervter Richard Dreyfuss das ganze Team mit
seinen Vertragsklauseln terrorisiert.
Doch es sind nette Anekdoten darüber, dass auch das Filmset
nur ein Arbeitsplatz ist, an dem unterschiedliche Persönlichkeiten
zusammenkommen. Er äußert sich jedoch niemals despektierlich oder in einer abwertenden
Art und Weise. Niemals versucht er, jemandem zu schaden oder nachzutreten.
Für Ballhaus scheint das Filmemachen eine Leidenschaft, aber
eben auch „nur“ ein Job! Dazu passt, dass er sein gesamtes Berufsleben von seiner
Familie umgeben ist. Seine Frau Helga, die er 1960 heiratet, ist fester
Bestandteil der Filmfamilie um Fassbinder, wo sie als Szenenbildnerin mitwirkt.
Später in Amerika hält sie die auf zwei Länder verteilte Familie zusammen. Sein
Sohn Florian wird ebenfalls Kameramann und arbeitet häufig für seinen Vater als Second
Unit Kameramann. Ballhaus bescheinigt seinem Sohn, seinen Stil fast bis in die
letzte Faser aufgegriffen und verinnerlicht zu haben. Florian Ballhaus‘ Bilder
haben mit denen seines Vaters tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeit. Das
zeigt, wie früh der Sohn begann, mit seinem Vater zu arbeiten.
Mittlerweile hat Florian Ballhaus sich aus dem Schatten
seines Vaters gelöst und ist selbst erfolgreicher Kameramann, der hochklassige
Hollywoodfilme fotografiert.
Alles dem Film, den Rest dem Nachwuchs
Der visuelle Stil der Neunziger wird von einigen wenigen
Kameramännern wie Jan de Bont, Dante Spinotti, Barry Sonnenfeld, Roger Deakins,
Janusz Kaminski oder John Toll bestimmt. Doch keiner von ihnen ist so auffällig
und einflussreich wie Michael Ballhaus.
Er arbeitet fast ausschließlich mit Topstars zusammen: Mike Nichols,
James L. Brooks, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Barry Levinson, Robert Redford oder
Wolfgang Petersen als Regisseure etwa. Und Robert DeNiro, Dustin Hoffman, Kevin
Spacey, Daniel Day Lewis, Donald Sutherland, Michelle Pfeiffer, Meryl Streep, WinonaRyder, Gary Oldman, Michael Caine, Brad Pitt oder Will Smith als Schauspieler.
Dennoch ist und bleibt er der „kleine“ Kameramann des Neuen
Deutschen Kinos. Ihm geht es darum, Geschichten zu erzählen, mit seinen Bildern
Emotionen zu wecken. Das Studiosystem, das einen Film nur finanziert, wenn ein
Star gecastet wird, dessen Marktwert einen bestimmten Gewinn verspricht, ist
ihm suspekt und eher hinderlich für seine Arbeit.
Mit DIE FABELHAFTEN BAKER BOYS, BRAM STOKER‘S DRACULA und
ZEIT DER UNSCHULD dreht er drei der visuell eindringlichsten Filme der frühen
Neunziger, deren Ruhm vor allem ihren Bildern entspringt. Seine Steadicam-Aufnahme
aus GOODFELLAS wird nicht nur in DIE SIMPSONS parodiert (immer ein
popkultureller Ritterschlag!) sondern gilt noch heute als bekannteste Steadicamaufnahme
der Welt (Steadicam-Operator war Larry McConkey).
Ballhaus‘ Markenzeichen ist die „Dynamische Kamera“:
Ballhaus liebt es, nicht nur statische Bilder zu zeigen, sondern sie mit
Fahrten, Schwenks und Zooms aufzuwerten. Dabei gelingt es ihm nahezu immer
wieder, die perfekte Fahrt, das perfekte Licht für die Emotionen zu finden, die
der Film schaffen will. Sei das die überbordende Genuss-Orgie in ZEIT DER
UNSCHULD, die stilvolle Eleganz in DIE FABELHAFTEN BAKER BOYS oder die düsteren,
unbequemen Vergewaltigungen in den Kellern in SLEEPERS.
Doch trotz der Erfolge und des Ruhms, und obwohl Ballhaus ganz
oben an der Hollywoodspitze mitarbeitet und die Neunziger filmisch enorm
beinflusst, bleibt er ruhig, still und bescheiden.
Und nutzt seine Möglichkeiten für den Nachwuchs. Wenigstens
ein Mal, während er mit Robert Reford, Matt Damon und Will Smith an DIE LEGENDE
VON BAGGER VANCE arbeitet, lädt er deutsche Filmstudenten ein, ihn am Set zu
besuchen. So erkennen diese, dass in den USA zwar alles organisierter und
spezialisierter abläuft, die Filmemacher dort aber auch nur mit Wasser kochen.
Vielleicht gibt das Michael Ballhaus‘ Leistung und
Bescheidenheit am besten wieder. Ballhaus verfügt neben seinem Talent und
seiner Leidenschaft vor allem über einen gigantischen Erfahrungsschatz, wenn es
darum geht, Filme zu drehen. Zwar hat er einen künstlerischen Anspruch, den er
umzusetzen versucht, doch am Ende, das weiß er, machen er und alle anderen am
Set „nur“ einen Film – gleichgültig ob mit wenig Budget in wenigen Tagen unter
Fassbinder, oder ob mit gigantischen Stars und mehreren Millionen in Hollywood.
Das Ergebnis ist ein Film, der anrühren soll, der Emotionen wecken soll.
Ballhaus‘ Aufgabe besteht darin, die Bilder, das Licht zu finden, womit er das erreicht, und er zieht
keinen Unterschied zwischen dem Wie und Womit. Er macht die Bilder, die mit den
notwendigen Mitteln die beste emotionale Wirkung erzielen. Nicht mehr, vor
allem aber nicht weniger.
Seine Bilder sind ein Geschenk an die Zuschauer, geschaffen
aus einem erfahrenen Blickwinkel, mit einem Auge, das das Wesentliche sucht.
Das sollte jedem Kameramann gegeben sein, und dennoch nimmt Ballhaus eine
Ausnahmstellung unter den Kameramännern der letzten 40 Jahre ein.
Ein lichtloser Abspann
Um so dramatischer ist denn auch sein eigenes Schicksal, dass
ihn am Ende seine Augen verlassen. Als er feststellt, dass seine Sicht schlechter
wird, setzt er sich 2007 zur Ruhe. Für THE DEPARTED arbeitet er 2006 ein letztes Mal
mit Scorsese zusammen. Gemeinsam erschaffen sie noch einmal ein Meisterwerk.
Er selbst kriegt zwar auch hier keinen Oscar, wird aber endlich Zeuge, wie sein guter Freund "Marty" Scorsese die lange überfällige Trophäe erhält.
Doch Ballhaus‘ Krankheit ist nicht aufzuhalten. Das Glaukom („Grüner Star“) nimmt ihm nicht nur, was ihm am wichtigsten ist, sondern auch, was er am meisten zu geben hatte: Seine Sicht auf die Welt.
Doch Ballhaus‘ Krankheit ist nicht aufzuhalten. Das Glaukom („Grüner Star“) nimmt ihm nicht nur, was ihm am wichtigsten ist, sondern auch, was er am meisten zu geben hatte: Seine Sicht auf die Welt.
Durch seine schleichende Erblindung ist er nicht mehr in der
Lage, sich selbst und uns mit neuen Bildern zu begeistern. Doch sein Werk
bleibt bestehen.
Am 11. April 2017 stirbt Ballhaus mit 81 Jahren in Berlin.
Am 11. April 2017 stirbt Ballhaus mit 81 Jahren in Berlin.
Michael Ballhaus, einer der erfolgreichsten Deutschen, die
je in Hollywood gearbeitet haben, hat das internationale Kino visuell geprägt wie kaum ein
anderer. Niemand anderes konnte so schöne und gleichzeitig so wirkungsvolle,
effektive Bilder zaubern. Denn bei aller Dynamik, ging es ihm immer auch um
Präzision. Das macht seine Bilder so wuchtig, so erinnerungswürdig!
Danke, Michael Ballhaus, für die Bilder! Und danke für die
Erinnerung daran, dass Film, am Ende, vor allem die Bilder sind, mit denen er erzählt!
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