13.08.14

Die Caine war ihr Schicksal (USA 1954)

Im Jahr 1954 erscheint ein durchaus aufsehenerregender Film, der erst unter einigen Schwierigkeiten und nach einigen Widerständen der US-Navy entsteht. Weniger als zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und noch während des laufenden Koreakrieges wirkt er einfach zu kritisch.
Als DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL, oder auf englisch passender: THE CAINE MUTINY („Meuterei auf der Caine“), schließlich ins Kino kommt, wird der Film nicht nur ein riesiger Erfolg, sondern er begründet auch eine neues Sub-Genre: den bis heute überaus erfolgreichen Gerichtsverhandlungs-Film!
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Marcos Blick:

Jetzt auf DVD und Blu Ray
Der Film erzählt von Ensign Keith, der während des Zweiten Weltkriegs seinen ersten Dienst auf dem etwas heruntergekommenen Minensuchschiff U.S.S. Caine antritt. Zunächst verachtet er das lasche, undisziplinierte Leben, das der Kapitän, DeVriess, dort durchgehen lässt.
Bald aber wird der Kapitän abgelöst, von Lieutenant Commander Queeg (Humphrey Bogart in einer seltenen unsympathischen Rolle). Und bald herrscht ein anderer Wind an Bord. Queeg, ein ehrgeiziger Karriereoffizier, führt scharfe Regeln und strenge Strafen ein. Hinzu kommen seine ausgeprägte Paranoia und völlig überzogene Maßnahmen, etwa als er den Dieb einiger Erdbeeren an Bord dingfest machen will.
Mehr und mehr bringt er die Besatzung gegen sich auf, vor allem den Kommunikationsoffizier Keefe - etwa als Queek vor einem Gefecht flieht und zwei wehrlose Transportschiffe zurücklässt.
Die gegen den Kapitän gerichtete Stimmung explodiert, als Queeg während eines Hurricanes durch seinen irrationalen Stursinn das Leben der ganzen Mannschaft in Gefahr bringt. Angeheizt von Keefe und unterstützt von Keith, enthebt der Zweite Offizier Varyk den Kapitän nach den Regeln einer Geisteskrankheit von seinen Pflichten.

Die Meuterei landet vor einem Militärgericht, an dessen Ende niemand wirklich ungeschoren davonkommt, weder der Kapitän, noch die Offiziere, die an der Meuterei beteiligt waren.


Die Navy vor Gericht


DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL, eine Romanverfilmung nach der Vorlage von Herman Wouk, ist der erste Film überhaupt, der ein Militärgericht auf die Leinwand bringt. Noch dazu in politisch schwierigen Zeiten.
Die Navy verweigert zunächst jegliche Zusammenarbeit mit dem Filmteam, weil sie fürchtet, der Film könne ihrem Image schaden. Lotterleben an Bord, paranoide, feige Kommandeure und Befehlsverweigerungen sind nicht das Bild, das sie von sich in der Öffentlichkeit haben wollen. Vor allem missfällt ihnen das Wort „Meuterei“ im Titel. 
Die (dann aber sehr großzügige) Unterstützung der Navy erfolgt erst, nachdem Änderungen im Script vorgenommen werden und dem Film ein Prolog vorangestellt wird, dass die Handlung fiktiv sei, und niemals ein Kapitän, wie im Film geschildert, unter Berufung auf eine Geisteskrankheit seines Kommandos enthoben wurde. Da befindet sich der Film bereits seit 15 Monaten in der Vorbereitung.
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Als der Film am 28. Juli 1954 schließlich anläuft, ist der Koreakrieg bereits Geschichte. Der 2 Millionen Dollar teure Film (etwa halb so viel wie VOM WINDE VERWEHT) wird ein riesiger Erfolg. Mit fast 9 Millionen Dollar Einspielergebnis ist er der zweiterfolgreichste Film des Jahres (Nur WEIßE WEIHNACHTEN mit Bing Crosby und Danny Kaye spielt noch mehr ein). Dazu gibt es sieben Oscarnominierungen, darunter für den besten Film und Humphrey Bogarts dritte und letzte Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller.
Bogart, der die Rolle unbedingt spielen will, klagt darüber, dass die Columbia ihm deshalb weniger zahlt als üblich: "Das passiert immer nur mir, nie einem Gary Cooper, Cary Grant oder Clark Gable", beklagt er sich bei seiner Frau Lauren Bacall.
Der Film bleibt lange Jahre der Lieblingsfilm diverser Hollywoodstars – immerhin gelingt es ihm als erstem, die Schrecken des Krieges mit psychologischer Tiefe und der Spannung einer Gerichtsverhandlung zu kombinieren.

Neuland Gerichtssaal


Und gerade Letzteres soll sich als visionär erweisen. Kriegsfilme, besonders glorifizierende, gibt es beinahe jede Woche. Gerichtsfilme sind hingegen nahezu unbekannt. Als Theater- und Fernsehstücke werden Gerichtsdramen gerade erst grob entdeckt. Reginald Roses verfasst 1954 sein Fernsehstück DIE ZWÖLF GESCHWORENEN und Herman Wouk adaptiert aus seinem Roman im selben Jahr das Bühnenstück "The Caine Mutiny Court Martial" (das unter der Regie von Charles Laughton 415 Mal mit Henry Fonda in der Rolle des Verteidigers aufgeführt, und 1988 von Robert Altman als Fernsehstück inszeniert wird).
Darüber hinaus gibt es ein paar Thriller, die Anwälte und unschuldig Verurteilte zum Thema haben, doch keiner von ihnen, vielleicht mit Ausnahme von RASHOMON im Jahr 1950, hielt sich länger als nötig im Gerichtssaal selbst auf. Dem Vergnügen einer Gerichtsverhandlung am nächsten kommt mit Sicherheit noch James Stewarts Filibuster-Rede aus MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON von 1939, die einem Schlussplädoyer durchaus ähnelt.

Die Autoren und Filmemacher Hollywoods lernen schnell, welches dramaturgische Potential in dieser doch eher trockenen Thematik schlummert.
Schuld und Unschuld, Anklage, Verteidigung, Reue und Rache, Überzeugung und Abscheu, große Reden und überraschende Wendungen, Menschlichkeit und Ohnmacht – in einen Gerichtssaal lässt sich nahezu alles hineinbringen, was das Zuschauerherz begehrt. Und Hollywood nutzt die Chance!
Nur drei Jahre später, 1957, bringt Stanley Kubrick mit WEGE ZUM RUHM erstmals Kirk Douglas in einem Gerichtsthriller zum ersten Weltkrieg auf die Leinwand. Im gleichen Jahr überrascht Billy Wilder seiner Zuschauer mit einer brillant aufspielenden Marlene Dietrich in ZEUGIN DER ANKLAGE und schafft Sidney Lumet den Klassiker über die Macht von Leben und Tod im Gerichtssaal: DIE ZWÖLF GESCHWORENEN (ebenfalls mit Henry Fonda).

1959 beschwört ANATOMIE EINES MORDES erstmals den Krimicharakter eines Gerichtsfilms herauf. Doch bald schon wird es politisch: In WER DEN WIND SÄT kämpft Spencer Tracy 1960 vor Gericht für die Evolutionslehre. Ein Jahr später erscheint mit DAS URTEIL VON NÜRNBERG der vermutlich größte und wichtigste Gerichtsfilm überhaupt. Und ein weiteres Jahr später kämpft Gregory Peck in WER DIE NACHTIGALL STÖRT für die Rechte der Schwarzen.
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
In weniger als zehn Jahren entsteht ein Genre, das nicht nur unglaublich populär und erfolgreich ist, sondern in schöner Regelmäßigkeit einen Klassiker nach dem nächsten vom Stapel lässt. Die großen Stars reißen sich um die Rollen der hehren und cleveren Anwälte, Produzenten grasen die Literatur und alte Zeitungen nach brauchbaren Vorlagen ab und die Autoren können sich darin überbieten, spannende Geschichten mit großen Dialogen und tiefsinnigen Charakteren zu erschaffen.
Selbst Franz Kafkas unvollendeter Roman DER PROZEß wird 1962 von Orson Welles mit Anthony Perkins verfilmt, obwohl die Geschichte nur schwer in Bilder zu fassen ist.

Und natürlich ist auch das Fernsehen bald dabei, den Gerichtssaal als neuen Spielort zu entdecken: 1957 bereits geht Raymond Burr als PERRY MASON auf Sendung und wird 271 Folgen lang im Gerichtssaal stehen (vermutlich öfter als jeder echte Anwalt!).


Die Wahrheit bleibt unerträglich


Allerdings: Militärprozesse werden sehr schnell wieder unpopulär. Zu sehr sind die Sechziger und Siebziger von den Erschütterungen des Kalten Krieges, der Kennedy-Ära und des Vietnamkriegs beherrscht, als dass die Studios es wagen würden, ihre Soldaten vor Gericht zu bringen.
FÜR KÖNIG UND VATERLAND ist ein 1964 erscheinender Gerichtskrimi aus dem Ersten Weltkrieg – mehr trauen sich selbst die Briten in dieser Zeit nicht. Und 1980 wagen es die Australier, mit DER FALL DES LIEUTENANT MORANT einen Fall des Zweiten Boer Krieges von 1899-1902 in Südafrika zu thematisieren. Doch US-Militär vor Gericht? Das wagt niemand. Nach DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL haben zunächst nur noch WEGE ZUM RUHM 1957 und STADT OHNE MITLEID 1961, beide mit Kirk Douglas, noch einmal amerikanische Soldaten vor Gericht gestellt!
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Als jedoch, erstmals seit einunddreißig Jahren, wieder amerikanische Soldaten vor Gericht stehen, geschieht es mit einem Donnerknall!
1992 zanken sich unter der Regie von Rob Reiner in EINE FRAGE DER EHRE Tom Cruise und Jack Nicholson so hochklassisch durch den Gerichtssaal, dass der Film nicht nur Einzug in den Sprachgebrauch findet („Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!“), sondern auch vier Oscarnominierungen erhält. Der Film wird darüber hinaus das einzige Drama, das sich beim Einspielergebnis mit den Sommerblockbustern und Komödien des Jahres (Spitzenreiter wird ALADDIN!) messen kann.
Dennoch bringt Hollywood seither nur noch einen weiteren Militärgerichtsfilm heraus: In RULES – SEKUNDEN DER ENTSCHEIDUNG muss im Jahr 2000 vor Gericht ein Angriff auf Zivilisten im Jemen aufgeklärt werden.
Zwar gibt es weitere Filme, in denen es darum geht, militärische Fehlleistungen zu untersuchen, etwa MUT ZUR WAHRHEIT oder ZIVILPROZEß, doch spielen diese nicht vor Gericht.

Auch militärische Meutereien bleiben so selten, dass sie schnell aufgezählt sind: Nach DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL ist nur noch der U-Boot Thriller CRIMSON TIDE so mutig, in Krisenzeiten einen Kommandeur seines Kommandos zu entheben.

Gerichtsfilme dienen immer wieder als spannende Hintergründe für Thriller (AUS MANGEL AN BEWEISEN, ANGEKLAGT, ZWIELICHT), für Politthemen (JFK, IM NAMEN DES VATERS) oder Komödien (MEIN VETTER WINNIE, NATÜRLICH BLOND).
Daneben helfen sie aber immer wieder auch, ernste und unpopuläre Themen zu verpacken. So etwa 1993, als PHILADELPHIA die Diskriminierung Aidskranker verhandelt. 1995, als MURDER IN THE FIRST einen  realen Misshandlungsfall in Alcatraz publik macht. Und 1996, als SLEEPERS sich mit dem sexuellen Missbrauch in Jugendgefängnissen beschäftigt.


Die Neunziger. Das Gericht. Der Hype.


Seit ihrem rasanten Aufstieg Mitte der Fünfziger und Anfang der Sechziger, sind Gerichtsfilme niemals wieder völlig verschwunden, und doch sind sie zu keiner Zeit so populär wie in den Neunzigern. Das verdankten sie vor allem einem Mann: John Grisham!
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Es ist verwunderlich, dass kein Anwalt vor ihm auf die Idee kam, juristische Thriller zu schreiben. Im Buch, anders als im Film, können die Feinheiten des (amerikanischen!) Rechtssystems viel besser ausgeleuchtet werden. Wie spannend selbst trockene Themen wie die Juryauswahl oder Pro-Bono Arbeit geschildert werden können, beweist Grisham mit einer Leichtigkeit, die niemand neben ihm erreichen soll.
Nicht nur werden ihm seine Bücher aus der Hand gerissen, sie werden nahezu durchgehend verfilmt: 1993 kommen mit DIE JURY und DIE AKTE gleich zwei Grisham-Verfilmungen in die Kinos. 1994 folgt DER KLIENT,  1996 kommen DIE KAMMER und DIE JURY und 1997 DER REGENMACHER, bevor es etwas ruhiger wird. Erst 2003 kommt mit DAS URTEIL noch einmal ein Grisham-Gerichtsthriller ins Kino, bevor der Hype (endlich?) abebbt.
Gerichtsfilme sind allerdings bis heute populär, obwohl sie, so scheint es, zur Gewohnheit geworden sind. Die Zeiten, in denen Gerichtsfilme wie WER DIE NACHTIGALL STÖRT, JFK, EINE FRAGE DER EHRE oder PHILADELPHIA soziale Debatten auslösen konnten, scheinen vorbei. Zumindest bis zum nächsten Tabu, das es in den Gerichtssaal schafft. Bis dahin bleiben sie packende, manchmal politisierende Unterhaltung, etwa in MICHAEL CLAYTON.

Die Erben der Caine


DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL zieht also eine lange Spur von Gerichtsfilmen und -serien nach sich (auch MATLOCK, ALLY MCBEAL und BOSTON LEGAL seien noch einmal erwähnt), die bis heute packend und dramatisch menschliche Tiefen und politische Schwerpunkte behandeln können. Dass in den letzten 60 Jahren tatsächlich nur eine Handvoll Gerichtsfilme mit einem US-Militärgericht produziert wurden, zeigt vor allem, wie eng Hollywood und das US-Militär miteinander verstrickt sind. Vermutlich ist es nicht verwunderlich, dass Hollywood nach dem 11. September, in einer Dekade durchgehender Kriege in einem Dutzend Länder, und während das Land zunehmender Kritik ausgesetzt ist, seine „Helden“ nicht vor Gericht zerren will.

Doch das macht es nur umso beeindruckender, was DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL nur neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und während des laufenden Koreakrieges vollbringt. Und auch, dass sich die Navy, trotz aller Zugeständnisse, darauf einlässt.
Natürlich fehlt der “Meuterei auf der Caine“ die große politische Sprengkraft. Es ist eine Geschichte über Menschen, nicht über die Navy, den Krieg oder Soldaten (Wie es zum Beispiel CRIMSON TIDE ist). Womöglich wäre so ein Film heutzutage nicht mehr möglich – ein US-Militärfilm ohne Militärkritik würde zahnlos und eitel wirken, wie man es etwa TOP GUN noch immer vorwirft. Dennoch bleibt es abzuwarten, wann wieder einmal ein Filmemacher das US Militär vor Gericht stellt.
© 1954, renewed 1982 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved.
Abschließend sei erwähnt, dass THE CAINE MUTINY noch in anderer Hinsicht die Filmwelt entscheidend prägt! So steht im Sommer 1954 der britische Schauspieler und Bogart Fan Maurice Micklewhite in einer Telefonzelle am Londoner Leicester Square. Er hat ein wenig Theater gespielt und versucht, aufgrund seines etwas umständlichen Namens, unter dem Pseudonym Michael Scott Fuß zu fassen. Sein Agent erzählt ihm, dass es in London bereits einen Michael Scott gäbe, und er einen anderen Künstlernamen bräuchte. Auf der Suche nach einer Inspiration fällt sein Blick auf das naheliegende Odeon Kino, in dem gerade THE CAINE MUTINY läuft. Spontan nennt er sich Michael Caine.
Dreißig Jahre später scherzt Michael Caine: „Hätte ein Baum im Weg gestanden, hätte ich womöglich ‚Michael Mutiny‘ geheißen. Oder, hätte ich in die andere Richtung geguckt, am Ende sogar ‚Michael Hundertundein Dalmatiner‘.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihr seid unserer Meinung? Ihr seht was anders? Wir freuen uns über eure Ansichten, über Lob und Kritik! Aber bitte seid nett zu uns. Und zueinander!