1967 erscheint mit DAS DSCHUNGELBUCH
einer der bemerkenswertesten Filme von Walt Disney. Nicht nur wird es
der letzte Film, den Disney vor seinem Tode persönlich
anleitet, sondern auch ein Film, der für ordentlich Zoff in der
Oscar-Academy sorgt und auch hinter den Kulissen mächtig Zündstoff
bietet – und von dem schließlich das Schicksal des ganzen Studios
abhängt.
Vor allem wird DAS DSCHUNGELBUCH ein
unsterblicher Klassiker, der ganzen Generationen deutscher Kinder
klar macht: Wenn alles hoffnungslos erscheint, dann probier's mal mit
Gemütlichkeit.
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1893 und 1894 veröffentlicht der
britische, in der indischen Kolonie geborene Autor und Journalist
Rudyard Kipling eine Reihe von Kurzgeschichten in einem Magazin. Es
sind Fabeln, die Kipling für seine Tochter verfasst, und mit deren
Hilfe er ihr einige moralische Weisheiten auf den Weg geben will.
Die Fabeln erzählen, häufig düster und in der bedrohlichen Welt des Dschungels angesiedelt, vom „Menschenjunges“ Mowgli, der als Findelkind von Wölfen aufgezogen wird und sich dem Anspruch des alten Tigers Shere-Khan widersetzen muss. Ihm zur Seite stehen ein Bär namens Baloo und ein schwarzer Panther namens Bagheera.
1894 werden die ersten dieser Geschichten (drei davon mit Mowgli, vier weitere ohne ihn) unter dem Titel „The Jungle Book“ erstmals herausgegeben.
Ein weiterer Band, mit acht weiteren Kurzgeschichten, erscheint 1895 unter dem Titel „The Second Jungle Book“.
Die Fabeln erzählen, häufig düster und in der bedrohlichen Welt des Dschungels angesiedelt, vom „Menschenjunges“ Mowgli, der als Findelkind von Wölfen aufgezogen wird und sich dem Anspruch des alten Tigers Shere-Khan widersetzen muss. Ihm zur Seite stehen ein Bär namens Baloo und ein schwarzer Panther namens Bagheera.
1894 werden die ersten dieser Geschichten (drei davon mit Mowgli, vier weitere ohne ihn) unter dem Titel „The Jungle Book“ erstmals herausgegeben.
Ein weiterer Band, mit acht weiteren Kurzgeschichten, erscheint 1895 unter dem Titel „The Second Jungle Book“.
Im gleichen Jahr verfasst Kipling übrigens auch einen Brief, in dem er zugibt, große Teile der Geschichten von anderswo übernommen zu haben, gesteht also ein Plagiat, wenngleich er sich auch nicht erinnern mag, wo genau er seine Inspirationen her hat.
Der Weg in den Dschungel
Kipling hätte sich wohl niemals
träumen lassen, dass aus seinen düsteren Fabeln über die Natur von
Mensch und Tier einmal ein kunterbuntes Feel-Good Musical für Kinder
werden würde, und einer der erfolgreichsten Filme der Welt.
Und tatsächlich ist der Weg dorthin
auch lang. Denn Disney ist nicht der erste, der sich an eine
Verfilmung der Geschichten traut.
1942 wagen sich die Zoltan Brüder als
erste Filmemacher an den Stoff.
Die Hauptrolle in DAS DSCHUNGELBUCH der
Zoltans spielt Sabu Dastagir, der kurz zuvor, 1940, im Meisterwerk
DER DIEB VON BAGDAD zum Star avanciert und in den folgenden Jahren
zum bekanntesten indischen Schauspieler der Welt heranwächst. DAS
DSCHUNGELBUCH wird ein enormer Erfolg an den Kinokassen, für vier
Oscars nominiert und verändert die Art, wie Soundtracks vermarktet
werden: Zuvor arrangierte man die Soundtracks stets um und nahm sie
neu auf, bevor sie auf Platte erschienen. DAS DSCHUNGELBUCH, der sich
an insgesamt fünf der Geschichten über Mowgli bedient, ist 1942 der
erste Film, der die Originalaufnahmen auf Platte presst und damit
einen überragenden Erfolg einfährt, so dass diese Gangart zukünftig
zum Standard wird.
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1967, kurz bevor Disneys Version
erscheint, entsteht in der UDSSR ebenfalls eine Zeichentrickversion
der Geschichte. Hier werden zwischen 1967 und 1971 fünf
zwanzigminütige Kurzfilme produziert, die man 1973 zu einem
Spielfilm zusammenschneidet. Bemerkenswert an dieser Version ist vor
allem, dass Bagheera eine Pantherdame ist, vermutlich, da bereits die
russische Übersetzung der Bücher diese Transformation
enthält.
Die Geschichten sind deutlich dichter
an Kiplings Büchern angelehnt als Disneys parallel erscheinende
Version, wodurch die Filme spürbar abenteuerlicher und heroischer
wirken.
Ein bisschen leichter, ein bisschen netter
Dass Disneys Studio eine so entdüsterte
Feel-Good-Variante herausbringt, war allerdings nicht immer so
geplant.
Nachdem die Produktion von DIE HEXE UND
DER ZAUBERER im Jahre 1963 abgeschlossen ist, schlägt Bill Peet,
Geschichtenschreiber in Disneys Animationsstudio, dem Chef vor, dass
sie die populären Tierrollen ihrer letzten Filme ausweiten und in
einem eigenen Film verarbeiten sollten. Er schlägt Kiplings
Geschichtensammlung als Grundlage vor. Disney sagt zu.
Allerdings muss Peet, der zuvor an 101
DALMATINER und DIE HEXE UND DER ZAUBERER noch ohne große Aufsicht
vom Boss arbeiten durfte, enorme Einschnitte seiner kreativen
Freiheit hinnehmen, denn gerade DIE HEXE UND DER ZAUBERER hat sich als veritabler Flop erwiesen. Nun will sich Disney wieder stärker
persönlich in sein neues Werk einbringen. Weggenossen schildern
später, er habe sich komplett im Dschungel verloren und habe nur
noch für diesen Film gelebt.
Peet erstellt ein Treatment, das sich
an den düsteren und dramatischen Ton der Vorlage hält und kreiert
mit seinen Autoren und seinem Komponisten eine Grundgeschichte (und
erste Songentwürfe), die zwei Originalfiguren einführt: Ein
Menschenmädchen, um Mowgli einen Grund zu geben, den Dschungel zu
verlassen, und King Louie, den Anführer der Affen, der Mowgli
entführt und ihm das Geheimnis des Feuers entlocken will.
Disney ist das alles jedoch zu düster.
Er verlangt von Peet, dass dieser den Film familienfreundlicher und
fröhlicher gestalten soll. Peet weigert sich. Es kommt zu einem
bösen Streit, an dessen Ende Peet 1964 die Walt Disney Studios
verlässt.
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Also übergibt Disney das Projekt Larry
Clemmons. Der Legende nach drückt er ihm Kiplings Buch in die Hand
und meint: „Das erste, was Sie damit tun sollen, ist, es nicht zu
lesen.“
Disney ist von Anfang an aktiv bei
allen Story-Meetings dabei und legt den Ton des Films fest. Er will
die Geschichte so simpel wie möglich halten und sich stattdessen
voll und ganz auf die Figuren konzentrieren. Sie sollen dem Publikum
ans Herz gehen, die Zuschauer sollen Spaß mit ihnen haben, wie mit
alten Freunden. Er werkelt bis zuletzt an den Gags mit, an
emotionalen Szenen, an kleinen visuellen Füllern und Spielereien,
die den Film zauberhaft machen sollen.
Premiere hinterm Mikrofon
Schließlich überlegt man sogar, wie
man die Sprecher des Films am besten zur Geltung kommen lassen könne.
Dafür kommt Disney die Idee, etwas
gänzlich Neues auszuprobieren: Anders als in seinen bisherigen
Filmen beschließt er, bereits bekannte Persönlichkeiten aus dem
Showgeschäft als Stimmen für seine Figuren zu gewinnen.
Einer dieser Stars, der im Team von
Disney große Verwunderung auslöst, ist der seinerzeit bereits gut
sechzigjährige Phil Harris.
Harris ist, als er an Bord kommt, ein
nahezu in Vergessenheit geratener Megastar. Seit den Zwanzigern ist
der Musiker und Sänger in diversen Bands im Radio zu hören, und
startet in den Dreißigern voll durch: Als Bandleader und Komiker
wird Harris in, mit und durch unzählige Radioshows im ganzen Land
bekannt und populär. Seine Mischung aus lockerer Comedy und
grandiosem Swing und Jazz begeistert die Zuhörer im ganzen Land. Das
Ende der Radioära und das Aufkommen des Fernsehens bekommt ihm
jedoch nicht besonders, so dass er zwar noch immer Beschäftigung
findet, aber allmählich in Vergessenheit gerät.
Disney lernt Harris auf einer Party
kennen und findet ihn dank seiner sonoren, brummigen Tonlage ideal als Sprecher für eine kleine, eher
unbedeutende Rolle in seinem Script, die des Bären Balu.
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Die Mitarbeiter, die Harris noch als
fröhlichen Musik-Comedian kennen, können kaum glauben, dass dieser
plötzlich in einem Film nach Rudyard Kipling auftreten soll (nach
heutigen Maßstäben vermutlich so verwunderlich wie ein Stefan Raab,
der in einer Thomas-Mann-Verfilmung aufläuft), und tatsächlich
erweist sich die Besetzung als folgenschwer.
Harris beginnt, seine Zeilen
einzusprechen, ist aber unzufrieden. Zu steif und zu schwach findet
er den knappen Text, den Balu erhalten hat. Er schlägt Disney etwas
anderes vor, wirft das Script weg, und beginnt, mit der ihm eigenen
flappsigen Art drauflos zu improvisieren. Das Team ist begeistert und
lacht sich bei den Sprüchen des Altstars kaputt.
Disney knickt ein. Er stellt die
gesamte Geschichte um und erweitert Balus Rolle massiv. Außerdem
passen seine Autoren Balus Dialoge an Harris' einmalige Art an, doch
auch später sind viele der Textzeilen des flappsigen Bären
improvisiert.
Übrigens: Als kleiner Elefantenjunge
ist im englischen Original Clint Howard zu hören, der kleine Bruder
von Ron Howard und wie sein Bruder ein vielbeschäftigter Kinderstar
jener Zeit. Noch heute ist Clint Howard einer der beschäftigsten
Schauspieler Hollywoods, wenn auch meist in kleinen Rollen. Und
selbst wer seinen Namen nicht kennt – sein Gesicht ist derartig
markant, dass es für gewöhnlich zumindest auffällt.
Visuelle Tricks und Kniffe
Die Zeichner beschließen, die
wachsende Starpower hinter dem Mikrofon auch auf die Leinwand zu
übertragen, und gestalten alle Figuren so, dass sie ihren Sprechern
optisch ähneln. Besonders auffällig ist das bei George Sanders,
einem populären, britischen Schauspieler, der als Shir Khan mit
süffisant böser Miene Jagd auf Mogli machen darf.
Als unerwartet schwierig erweist sich
die Schlange Kaa. Nicht nur, weil die Zeichner Probleme damit haben,
eine Figur zu gestalten, die keine Extremitäten besitzt. Man
verpasst der Schlange große Augen, um ihre Emotionen deutlicher
erkennbar zu machen, und entwickelt kreative Lösungen, mit denen
sie ihren Körper als Handersatz verwenden kann.
Allerdings verlangt Disney eine Änderung zur Vorlage. Denn in Kiplings Geschichten ist Kaa einer seiner treuesten Verbündeten und Helfer. Disney jedoch erklärt, dass es unmöglich sei, dass irgendjemand im Publikum glauben könne, eine Schlange könne ein positiver Charakter sein, so dass er aus ihr einen weiteren Schurken machen lässt – wohl verständlich für einen derart überzeugten Christen.
Allerdings verlangt Disney eine Änderung zur Vorlage. Denn in Kiplings Geschichten ist Kaa einer seiner treuesten Verbündeten und Helfer. Disney jedoch erklärt, dass es unmöglich sei, dass irgendjemand im Publikum glauben könne, eine Schlange könne ein positiver Charakter sein, so dass er aus ihr einen weiteren Schurken machen lässt – wohl verständlich für einen derart überzeugten Christen.
Eine weitere Schlappe muss Disney bei
einem ganz besonderen Coup hinnehmen, der ihm vorschwebt. Die vier
Geier, mit denen Mogli sich anfreundet, sollen von den Beatles
gesprochen werden, die seinerzeit auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs
stehen - die „Beatlemania“ donnert mit Volldampf um die Welt. Und
die Jungs sagen tatsächlich zu!
Man beginnt, einen Song zu schreiben, der zum Stil der Beatles passt, die Zeichner gestalten die Tiere so, dass eine äußerliche Ähnlichkeit erkennbar ist. Alles ist vorbereitet, als die Nachricht kommt: Die vier Superstars aus Manchester steigen aus.
Man beginnt, einen Song zu schreiben, der zum Stil der Beatles passt, die Zeichner gestalten die Tiere so, dass eine äußerliche Ähnlichkeit erkennbar ist. Alles ist vorbereitet, als die Nachricht kommt: Die vier Superstars aus Manchester steigen aus.
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Zum einen gibt es Terminschwierigkeiten
mit einer Tour, zum anderen hat John Lennon, der in dieser Zeit den
Ton in der Band angibt, keine Lust, in einem Zeichentrickfilm
aufzutreten. (Nur ein Jahr nach DAS DSCHUNGELBUCH erscheint
ironischerweise der Beatles-Animationsfilm YELLOW SUBMARINE.)
Disney muss in den sauren Apfel beißen.
Er lässt die Nummer ein wenig umschreiben, behält das Aussehen der
Geier jedoch bei, und organisiert auch Sprecher, die den Vögeln
einen breiten Manchester-Akzent verpassen.
Affenkönige und schwarze Legenden
Als Politikum mit Ansage erweist sich
eine der von Disney erschaffenen Figuren: King Louie, der Orang-Utan
und König der Affen, wird extra für den Film erfunden, weil Disney
die im Buch vorkommende Entführung durch die Affen aufpeppen will.
Schnell entscheidet man, dass der Film an dieser Stelle eine beherzte
Swing-Nummer bieten soll, und den Machern fällt auch sofort das
perfekte Vorbild ein: Louis Armstrong, der Jazz- und Soul-Trompeter,
den die Macher anhimmeln. So kommt die Figur auch zu ihrem Namen:
King Louie.
Doch als die Zeichner vorschlagen,
Louie auch optisch an Louis Armstrong anzulehnen, stellt Disney sich
quer. Er erkennt die Zeichen der Zeit – immerhin befindet man sich
Mitte der Sechziger, die Bürgerrechtsbewegung nimmt rapide Fahrt
auf, und er weiß, welchen Aufschrei er provozieren würde, wenn er
ausgerechnet für seine Affenfigur einen Schwarzen als Vorbild nehmen würde.
Stattdessen wendet man sich also an den
aus New Orleans stammenden, lateinamerikanischen Swingmusiker Louis
Prima, ein weiterer absoluter Megastar seiner Zeit und Komponist
einer der noch heute bekanntesten und populärsten Swing-Nummern überhaupt: Sing,
Sing, Sing (with a Swing)! Prima ist sofort Feuer und Flamme für
die Rolle und entwickelt immer wieder selbst Gags und Ideen für
seine Figur. Er schlägt Disney sogar vor, Louie am Ende sterben zu
lassen, da er eine herausragende Sterbeszene spielen könne.
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Trotzdem wird der Charakter zum Politikum!
Louie ist die einzige Figur, die weder in einem elaborierten Britisch
spricht, wie etwa Baghira oder vor allem Shir Khan, noch in einem sauberen Amerikanisch wie
viele andere Figuren, sondern einen verschliffenen Straßenslang anschlägt, der üblicherweise den Schwarzen zugeordnet wird. Auch wird
bekannt, dass Louis Armstrong als Vorbild gedient haben soll. Trotz
aller Umsicht wird King Louie, als der Kinostart näher rückt, als
rassistische Diffamierung der Schwarzen gewertet und führt noch vor
Kinostart zu heftigen Protesten der Bürgerrechtsbewegung.
Not und Erfolg
Doch bevor DAS DSCHUNGELBUCH in die
Kinos kommen kann, erschüttert eine ganz andere, und die vermutlich
größtmögliche Katastrophe die Walt Disney Studios und droht, alles
zunichte zu machen: Am 15. Dezember 1966, zehn Tage nach seinem 65.
Geburtstag, stirbt Studiopatriarch Walt Disney, der seit dem Ersten
Weltkrieg starker Raucher war, an den Folgen seines Lungenkrebses.
Für die Walt Disney Animation Studios
ist der Tod ihres Gründers der alles entscheidende Schicksalsschlag.
DAS DSCHUNGELBUCH ist zwar durchgeplant, aber noch nicht fertig. Die
letzten beiden Filme waren keine nennenswerte Erfolge, und keiner der
Manager oder Zeichner weiß, wie es nun weitergehen soll. Finanziell
steht das Studio auf wackeligen Beinen, und es stellt sich schnell
heraus, dass das gesamte Schicksal des Studios und der Angestellten
mit einem Mal von dem Erfolg oder Misserfolg abhängt, den DAS
DSCHUNGELBUCH hat. Scheitert der Film, wird das mittlerweile als
Traditionshaus etablierte Studio seine Pforten schließen müssen.
Die Anspannung und Unsicherheit ist also enorm hoch, als
der Film am 18. Oktober 1967 seine Premiere in Amerika feiert.
Und was für ein Erfolg der Film wird.
Disneys Konzept, einen heiteren,
seichten Gute-Laune-Film für die ganze Familie zu konzipieren, geht
voll auf. Kinder und Erwachsene sind gleichermaßen beschwingt und
begeistert von der kunterbunten Dschungelparty, und die Songs
entwickeln schnell Ohrwurmcharakter.
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DAS DSCHUNGELBUCH wird für knapp vier
Millionen produziert und beendet das Jahr trotz seines späten Starts
als vierterfolgreichster Film des Jahres. Mehr als dreiundsiebzig
Millionen Dollar spielt die Dschungelrasselbande bis Jahresende ein.
Nach einigen Wiederaufführungen hat der Film allein in den USA
inzwischen mehr als 140 Millionen eingespielt, weltweit kratzen die
Einspielergebnisse an den 500 Millionen.
Der Erfolg sorgt für ein weiteres Politikum, diesmal allerdings branchenintern.
Oscarstreit, Ironie und sprechende Tiere
Der Erfolg sorgt für ein weiteres Politikum, diesmal allerdings branchenintern.
1967 wird Gregory
Peck zum Präsidenten der Academy
for Motion Pictures Arts and Sciences gewählt, jenem elitären
Club, der alljährlich die Oscars vergibt. Und der Mann hat einige
Veränderungen im Sinn. Eine davon sieht vor, dass er erreichen will,
dass Animationsfilme stärker als filmische Kunst betrachtet werden.
Er beginnt eine Kampagne, die dafür sorgen soll, dass ein
Animationsfilm bei den Oscars nicht nur für die Kategorie Bester
Film nominiert wird, sondern den Preis auch gewinnt, und DAS
DSCHUNGELBUCH kommt ihm für diese Kampagne gerade recht.
Doch so sehr Peck sich auch einsetzt,
er kann die Academy nicht überzeugen. Erst 1990 wird mit DIE SCHÖNE
UND DAS BIEST, ebenfalls aus dem Hause Disney, ein Animationsfilm in
der Kategorie Bester Film nominiert. Bis heute wird erst zwei
weiteren Animationsfilmen diese Ehre zuteil: TOY STORY 3 und OBEN,
beide von Pixar, die allerdings erst in die Nominiertenliste
rutschten, als diese auf bis zu zehn Filme erweitert wird.
Peck gibt seinen Kampf für mehr
Würdigung von Animationsfilmen in der Academy übrigens nicht auf,
und auch nicht seine anderen Versuche, etwas zu verändern. 1970
wirft er entnervt das Handtuch und tritt als Präsident der Academy
zurück, da ihm keinerlei Erfolg beschienen ist.
Die Oscarverleihung gerät für DAS
DSCHUNGELBUCH ohnehin zu einer Show der Sonderbarkeiten. Denn:
Gemeinsam mit Bill Peet arbeitet zu Beginn der Vorbereitungen an DAS
DSCHUNGELBUCH auch der Komponist Terry Gilkyson an ersten Songs. Doch
Disney ist nicht nur Peets Storyentwurf zu düster, auch die frühen
Kompositionen von Gilkyson entsprechen nicht seinen Vorstellungen.
Disney zieht also nicht nur Peet von dem Projekt ab, sondern auch
Gilkyson.
Stattdessen holt er die Sherman Brothers, Robert und Richard, als Komponisten und Texter ins Boot, die er regelmäßig an den Story-Meetings teilnehmen lässt. Die erfahrenen Musical-Komponisten steuern am Ende fünf Songs zu dem Film bei.
Stattdessen holt er die Sherman Brothers, Robert und Richard, als Komponisten und Texter ins Boot, die er regelmäßig an den Story-Meetings teilnehmen lässt. Die erfahrenen Musical-Komponisten steuern am Ende fünf Songs zu dem Film bei.
Allerdings bestehen sie gegen Disneys
Proteste darauf, zumindest einen von Gilkysons Songs zu übernehmen,
den sie für dermaßen gut halten, dass sie auf keinen Fall darauf
verzichten wollen. Schließlich gibt Disney nach, und so schafft es
am Ende wenigstens eine von Gilkysons Kompositionen in den Film: „The
Bare Necessities“, oder auf Deutsch: „Probier's
mal mit Gemütlichkeit“. Und ausgerechnet dieser Song bringt
dem Film dann auch seine einzige Oscarnominierung für den Besten
Filmsong ein.
Und als wäre das nicht bereits schräg
genug, zeigt sich das Leben am Abend der Oscarverleihung von seiner
besonders ironischen Seite. „The Bare Necessities“ gewinnt den
Oscar nicht. Stattdessen geht der Preis für den Besten Filmsong
ausgerechnet an den Titelsong von DR. DOOLITTLE, mit dem Titel: „Talk
To The Animals“. Sprechende Tiere waren also 1967 echtes Musicalgold. Aus heutiger Sicht allerdings eine weitere Fehlentscheidung der Academy.
Dennoch werden nahezu alle Songs aus
DAS DSCHUNGELBUCH echte Hits. Mit „Walk
like you, talk like you“ entsteht eine echte
Ohrwurm-Swingnummer. Phil Harris und Louis Prima, beides
Vollblutmusiker, verstehen sich bei den Aufnahmen zum Song
hervorragend und beginnen im Überschwang ein spontanes Scat-Duell,
das schließlich auch im Film zu finden ist.
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„Trust
in Me“, der Song, mit dem Kaa den kleinen Mogli verzaubert, ist
hingegen ein Recycling-Stück. Ursprünglich wird es von den Sherman
Brothers unter dem Titel „Land
of Sand“ für MARY POPPINS geschrieben, doch
die geplante Sequenz wird aus dem Film gestrichen, und so können die
Brüder ihn in DAS DSCHUNGELBUCH doch noch verwenden.
Fabelhaftes Erfolgsmusical
Der sensationelle Erfolg von DAS
DSCHUNGELBUCH ist nur schwer zu erklären. Mit Sicherheit liegt es an
Disneys Anspruch, einen seichten und einfachen Gute-Laune-Film zu
gestalten, und auch die hohe Qualität der Songs tut ihr übriges
bei.
Was oft vergessen wird ist, dass der
Film trotz seines geringen Tiefgangs aber tatsächlich auch jede
Menge moralischer Leitgedanken bereithält, wie es sich für eine
Fabel gehört, und wie auch Kipling sie, wenn auch düsterer, in
seinen Geschichten verwob.
Denn natürlich geht es auch in Disneys
DSCHUNGELBUCH um die Frage, wie Menschen und Tiere miteinander leben
können. Der Grundkonflikt besteht auch hier darin, dass Shir Khan in
Mogli eine potentielle Bedrohung sieht – eine Bedrohung, die er aus
dem Weg räumen will, solange es noch möglich ist, denn wenn Mogli
erst einmal erwachsen ist, wird er zum Feind der Tiere werden, so wie
alle Menschen.
Man muss nicht erst auf die aktuell
europaweit lodernde Flüchtlingsdebatte schauen um zu erkennen, wie
zeitlos diese Frage ist: Wie geht man mit einer potentiellen oder
gefühlten Bedrohung um, wenn diese noch gar nicht bedrohlich ist?
Daneben findet sich, bis heute oft
unbemerkt, aber auch ein faszinierender Diskurs über
Erziehungstechniken in dem Film. Moglis engste Vertraute im Dschungel, neben den
Wölfen, sind Baghira und Balu, und beide vertreten gänzlich
unterschiedliche Ansätze. Während Baghira die autoritäre,
regelkonforme Erziehung propagiert, spiegelt Balu die antiautoritäre
„mach, wonach dir ist, wenn dir danach ist“-Einstellung wider,
ein Lebensstil, der ab Mitte der Sechziger in den USA dank der Beat
Generation und der aufkommenden Hippieära immer größere Verbreitung
findet. Nicht umsonst erscheint der Film in Deutschland ausgerechnet
1968, dem Jahr, nach dem bis heute der antiautoritäre, regelfeindliche Lebensstil
einer ganzen Generation benannt ist.
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Der Film positionierte seinen Helden
Mogli und seine Probleme also exakt in dem sozialen Kreuzfeuer, das
seinerzeit in der westlichen Gesellschaft tobt: Regeltreu wie Baghira oder nach
Lust und Laune wie Balu – wie sollte man leben?
Dass in diesem
Spannungsfeld ein nahezu propagandistischer Song wie „Probier's mal
mit Gemütlichkeit“ auf fruchtbaren Boden fällt, verwundert also
nicht, und neben vor allem den Kindern, denen eine solche Einstellung
immer gelegen kommt, finden seinerzeit wohl auch viele Erwachsene Balus Art, an
die Dinge heranzugehen bewunderns- und nachahmenswert.
Im deutschen Dschungel
DAS DSCHUNGELBUCH wird ein weltweiter
Erfolg, allerdings ist er kaum irgendwo derartig erfolgreich wie in
Deutschland, wo der Film am 13. Dezember 1968 startet und auf Anhieb
ein Klassiker wird. Und mehr als das. Auch in Deutschland wird DAS
DSCHUNGELBUCH mehrfach neu aufgeführt. (Eine gängige Praxis von
Walt Disney, der seine Filme zyklisch immer wieder ins Kino bringt
und sich testamentarisch sogar dagegen ausspricht, dass seine Filme
je anders als im Kino gezeigt werden sollen.)
Insgesamt spielt der Film hierzulande
geschätzte 108 Millionen Dollar ein und liegt damit auf Platz drei
der erfolgreichsten Filme in Deutschland. Nur AVATAR und TITANIC sind
in Deutschland erfolgreicher.
Und doch bleibt DAS DSCHUNGELBUCH der
erfolgreichste Film, der je in Deutschland lief. Präzisen
Schätzungen zufolge hat der Film während seiner gut fünf
Veröffentlichungen über 27 Millionen Besucher in die Kinos gelockt!
Mit weitem Abstand mehr als jeder andere Film, der je in deutschen
Kinos lief. Auf Platz zwei liegt aktuell TITANIC, der inklusive
Wiederaufführung in 3D immerhin 18,8 Millionen Zuschauer in die
deutschen Kinos zog.
Aus dem Dschungel ...
Fast überall auf der Welt liegt der
Film noch heute auf den vorderen Plätzen, sowohl was den Erfolg als
auch die Popularität betrifft. Auch fünfzig Jahre nach Erscheinen
sind die Lieder besonders in Deutschland so gut wie jedem bekannt,
insbesondere der Gassenhauer „Probier's mal mit Gemütlichkeit“.
Der deutsche Text dazu stammt, wie bei so vielen Disneyfilmen, von
Heinrich Riethmüller, der seine Arbeit für Disney mit der
Übersetzung der Texte von MARY POPPINS begann.
Witzigerweise spielt ausgerechnet
Louis Armstrong später eine Version von „The
Bare Necessities“ für sein Album „Disney Songs the Satchmo
Way“ ein.
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Für Phil Harris erweist sich die
Popularität von Balu als echtes Comeback. In Folge hat er wieder
vermehrte Fernsehauftritte und wird als Sprecher für Animationsfilme
immer begehrter. Vor allem als Bär ist er immer wieder zu hören, so
auch erneut bei Disney, wo er in ROBIN HOOD Little John spricht –
ein Bär, der Balus Zwillingsbruder sein könnte. Tatsächlich ist
Wolfgang Reithermann, Regisseur beider Filme (und etlicher anderer
Disney-Klassiker) berühmt und berüchtigt dafür, mithilfe des
Rotoscope-Verfahrens immer wieder alte Animationen für seine Filme
zu recyclen, wodurch Little John einfach von Balu abgezeichnet
wurde. ROBIN HOOD enthält
sogar eine Tanzszene, in der Little John Balus Bewegungen exakt
imitiert.
… in den Dschungel
Die Begeisterung für Rudyard Kiplings Grundgeschichte sowie Disneys heitere Interpretation ist und bleibt bis heute
ungebrochen. Das zeigt sich auch daran, dass immer wieder neue
Variationen entstehen.
Disney selbst bleibt dem DSCHUNGELBUCH
immer wieder treu. Als der Konzern sich in den Neunzigern breiter
aufstellt, spendiert man dem populären Balu mit KÄPT'N
BALU eine eigene Fernsehserie, in der auch andere Figuren aus dem
Dschungel immer wieder auftauchen.
Kurz darauf entwickelt man auch die
Serie DIE
DSCHUNGELBUCH-KIDS, bei der die tierischen Stars des Films als
Kinder spannende Abenteuer erleben. Passenderweise steuert Stefan
Raab mit seiner Version von „Probier's mal mit Gemütlichkeit“
den Titelsong zur deutschen Version bei.
1994 produziert Disney seine erste
Realversion des Buches, auch wenn DAS DSCHUNGELBUCH von 1994 nur
wenig Erfolg beschert ist. Die Story weicht massiv von sämtlichen
Vorlagen ab, so dass etliche Kritiker dem Film bescheinigen, zwar spannend
zu sein, aber auch ein echter Etikettenschwindel. Der Film ist eines der
Frühwerke von Stephen Sommers, der fünf Jahre später mit DIE MUMIE
seinen größten Triumph feiern sollte.
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2003 produziert Disney eine offizielle
Fortsetzung, DAS DSCHUNGELBUCH 2 ist eine der wenigen Fortsetzungen
von Disney, die (in diesem Falle gegen ursprüngliche Pläne) sogar
ins Kino kommen. Doch trotz Starbesetzung, etwa Haley Joel Osment
als Mogli oder John
Goodman als Balu, fehlt dem Film jegliche
Magie des Vorgängers, und der Erfolg bleibt moderat.
Mitte der 2010er wird der Stoff noch
einmal brandaktuell. Disney ist mittlerweile dem Trend erlegen, seine
alten Zeichentrickklassiker als Realfilme neu aufzulegen und macht
auch vor DAS DSCHUNGELBUCH nicht halt. Unter der Regie von Jon
Favreau erscheint im April 2016 die „Real“filmversion des
Stoffes, bei der die Tiere durch CGI-Effekte ersetzt werden. Der Film
kombiniert einige der populärsten Songs und die heiteren Szenen des
Originals mit einer etwas düsteren Abenteuerstimmung, bei der Mogli
sich noch stärker und direkter gegen seinen Widersacher Shir Khan
behaupten muss. Die Realfilmversion startet derart erfolgreich, dass
schon kurze Zeit später die vermutlich unvermeidliche Fortsetzung
angekündigt wird.
Im Oktober 2018 soll eine weitere
Realverfilmung von DAS DSCHUNGELBUCH erscheinen. Die von Warner Bros.
produzierte Fassung stellt das Regiedebüt von Andy Serkis dar, dem
Großmeister des Motion-Capture-Schauspiels, in dem sämtliche Tiere
auf diese Art verkörpert sein sollen. Auch diese Version ist mit
absoluten Topstars wie Benedict Cumberbatch, Christian Bale oder Cate Blanchett bestückt und soll sich, anders als die
Disney-Variante, deutlich näher am düsteren Ton von Kiplings
Büchern halten.
Fest steht: Rudyard Kipling und Walt
Disney erschufen mit ihren Meisterwerken zeitlose Klassiker, die bis
heute etwas in uns bewegen, die uns fesseln, begeistern, mitreißen
und verzaubern und unsterbliche Charaktere lebendig werden lassen.
Man darf gespannt bleiben, wann und wie oft uns Kiplings unermüdliche
Dschungelhelden noch in ihre Welt entführen werden. Sicher scheint,
dass ein Besuch bei Mogli und seinen Freunden (und Feinden) immer
eine Reise wert ist. Gemütlicher kann der Dschungel nicht mehr
werden.
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