„Was wäre, wenn ...“ ist ein immer wieder beliebtes Spiel. Auf
Filme bezogen ließe sich diese Welt heute kaum noch vorstellen: Was wäre, wenn
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR nie gedreht worden wäre?
Der kleine Film eines eher für Sandalenfilme berühmten Regisseurs begründet
nicht nur den Weltruhm von Clint Eastwood und etabliert den Italowestern. Sein
Einfluss geht viel weiter. Leone erschafft den ersten Actionfilm überhaupt, und
mit ihm den ersten Actionhelden. Nahezu unser gesamtes Kino, von Thrillern über
Actionfilme bis zu Krimis, wäre vermutlich nicht denkbar, wenn FÜR EINE
HANDVOLL DOLLAR es nicht geboren hätte.
Es gibt ihn, diesen einen Filmfreak, der das Kino für immer
verändert!
Ein Mann, der fast nicht aus dem Kinosaal zu bekommen ist
und sämtliche Werke verschlingt und aufsaugt, die ihm dort geboten werden.
Allerdings lassen sie ihn oft auch unbefriedigt und schwer inspiriert zurück.
Als er sich entschließt, eigene Filme abseits der großen Studios zu drehen, gibt er
einen Scheiß auf geltende Konventionen. Mit geringem Budget huldigt er seinen
Lieblingen und dreht gänzlich eigenwillige Interpretationen der großen
Klassiker. Sein Geheimnis: Er ignoriert sämtliche Regeln, reichert seine Filme
mit frechen Dialogen und harten Kerlen an, und inszeniert orgiastische Arien
der Gewalt.
Am Ende hat er mit gerade einmal einer Handvoll Filme das
Kino grundlegend geprägt und zeitlose Klassiker geschaffen, die in ihrer
Genialität auf immer unerreichbar bleiben werden.
Wer nun an Quentin Tarantino denkt, liegt nicht falsch und
doch daneben. Denn was den Film-Connoisseur Tarantino heute auszeichnet und
populär macht, hat dreißig Jahre vor ihm bereits ein anderer Kino-Crack
praktiziert: Sergio Leone.
In Italien vor allem als Second Unit Regisseur gefragt (So dreht er das Wagenrennen aus BEN HUR), verändert Leone mit seinem dritten eigenen Spielfilm FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR das Verständnis für Heldenfiguren und Actionfilme so nachhaltig, dass das moderne Kino ohne dieses Werk nicht denkbar wäre.
Obwohl FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR nicht der erste Italowestern ist, ist er
doch der erste ikonische „Spaghetti-Western“. Was aber bedeutet der Begriff
überhaupt?
Schwarz weiß in den Sonnenuntergang
Es gibt in der Filmgeschichte kein Genre, das seine Zeit so beherrscht wie der Western in den Vierzigern und Fünfzigern! Um das zu
verdeutlichen, seien ein paar Zahlen erlaubt:
Zwischen 1940 und 1949 werden wenigstens 786 Western produziert!
Das sind pro Jahr etwa siebzig bis achtzig Western, die erscheinen.
Spitzenjahrgang wird 1950: Wenigstens 120 Western kommen in
diesem Jahr heraus und läuten eine weitere erfolgreiche Dekade ein, in der mindestens
665 Western erscheinen.
Hinzu kommen 90(!) Westernserien, die während der Fünfziger
laufen oder starten. (Als eine der letzten BONANZA, die auf den Tag fünf Jahre vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR ihre Erstausstrahlung genießt!)
Die schiere Masse allein sorgt dafür, dass sich sehr bald
eine Ritualisierung des Western-Genres ergibt.
So braucht jeder Western einen Schurken. Dieser wird durch
schwarze Kleidung symbolisiert, einen Drei-Tage-Bart, eine grimmige Miene und
stechende Augen. Der Bösewicht kommt in eine zuvor friedliebende Stadt und
bedroht den dortigen Alltag.
Ihm gegenüber steht der Held, oft der Sheriff der Stadt. Er
trägt helle Kleidung, ist rasiert und generell von sonnigem
Gemüt und edler Gesinnung. Sein alleiniges Ziel liegt darin, sein unschuldiges Dorf zu schützen, besonders die
Frauen, deren schönste und klügste er am Ende als Belohnung für sich gewinnen
kann.
Auch die Bildsprache ist stark ritualisiert. Etwa, dass
Pferde nur von der Seite und möglichst im Galopp gezeigt werden.
Der Western ist das Actionkino seiner Zeit.
Polizeigeschichten sind damals noch eher betulich, der Film Noir eher düster
und ruhig, Kriegsfilme noch überpathetisch. Allein im Wilden Westen lassen sich Schießereien und
Verfolgungsjagden und der ewige Kampf von Gut gegen Böse unterhaltsam inszenieren.
Auch in Europa ist das Genre populär, besonders in Italien.
Und einer seiner größten Fans ist ein junger Filmemacher, der mit den Cowboys aufwächst: Sergio Leone.
Allerdings erkennt Leone, wie die Amerikaner, dass der
Western stagniert und in seiner starren Form zunehmend übertrieben und lächerlich
wirkt. Statt ehrenhafter Heldentaten lacht das Publikum und beschäftigt sich eher
mit der Frage, ob die alten Helden wie John Wayne noch auf ihre Pferde kommen.
Allerdings wittert er das Potential des Genres in Europa und
träumt davon, es neu zu beleben, neu zu erfinden. Auf der Suche nach Ideen wird er im Dezember
1963 in einer unerwarteten Richtung fündig: bei einem japanischen Samurai-Film!
Akira Kurosawas Meisterwerk YOJIMBO – DER LEIBWÄCHTER beeindruckt
den Italiener sehr. Die Geschichte eines allein auf seinen eigenen
Vorteil bedachten Söldners, der die zwei rivalisierenden Banden eines kleinen
Dorfes gegeneinander ausspielt, scheint ihm perfekt geeignet für seinen neuen, andersartigen Western.
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Er lässt die üblichen flachen Charaktere zurück, bei denen
der Held gut ist, weil er der Held ist, und der Bösewicht böse, weil er der Bösewicht
ist. Stattdessen gibt er seinem Namenlosen Reiter eine simple aber völlig
undenkbare Motivation: Geld!
Nie zuvor, nicht in über 1500 Filmen, ist jemals ein Western-Autor
auf die Idee gekommen, Geld zur Motivation des Helden zu machen, sich mit den Schurken anzulegen! Helden hatten nur ein Motiv: Sie waren edel und
gutherzig! Nie haben sie den Konflikt gesucht, sondern wurden in ihn hinein gezwungen. Leones Held aber startet den Ärger!
Leones Affront wird zum Markenzeichen des Genres: Der „Spaghetti-Western“ hebt sich vom amerikanischen Western genau in diesem Punkt ab. Während im US-Western der Held aus reiner Tugendhaftigkeit handelt, ist er im Italowestern auf der Suche nach Geld. In der Folge wird er fast ausschließlich von Kopfgeldjägern bevölkert.
Auch sonst reitet Leone durch unerforschtes Territorium. Die Anfangssequenz etwa, in der dem Helden ein toter Mexikaner entgegen geritten kommt (um die Gefährlichkeit des Dorfes aufzuzeigen in das Eastwood kommt), wäre in einem US-Western ebenso undenkbar gewesen, wie sein
Nichteingreifen, als er Zeuge der Misshandlung eines kleinen Jungen und einer
Frau wird.
Vielen amerikanischen Zuschauern scheint Clint Eastwoods Namenloser
Reiter zu Beginn des Films der Bösewicht zu sein – und es dauert, bis sie
erkennen, dass dem Film jeglicher gewohnter Held fehlt.
We just need another Hero
Leone erschafft einen völlig neuartigen Heldentypus: Den
Design-Helden!
Waren Westernhelden bisher eher moralische Vorbild-Schablonen ohne
großen Eigencharakter, gibt Leone seinem Helden klare Konturen: Eastwoods Figur
ist die personifizierte Lässigkeit!
Unschlagbar in seinen Fähigkeiten, physisch zäh und kaum
zerstörbar (wie die Folterszene zeigt), elegant gekleidet, mit Bart, Zigarillo,
tiefsitzendem Hut, zusammengekniffenen Augen, wortkarg, mystisch,
ehrfurchtgebietend.
Klassische Westernhelden sehen sich äußerlich stets ähnlich, damit man sie als Helden erkennt, und symbolisieren lediglich den ritterlichen Kodex innerhalb der Geschichte.
Leone aber konzipiert eine konkrete Figur, mit ganz eigenen
Moralvorstellungen.
Und kreiert so den ersten Actionhelden der
Filmgeschichte!
Vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR wollten Kinder und Jugendliche
Sheriff werden, weil der Sheriff generell der Held war, der die Frau bekam. Sie wollten ein Held sein. Nun aber wollten sie dieser Held sein! Sich so kleiden, so
bewegen, so reden und sich aufführen wie exakt diese Figur!
Damit begründet FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR genau den
Filmhelden, der fortan das Actiongenre beherrschen soll: Ob Dirty Harry, John
McClane, Han Solo, Indiana Jones, Bruce Lee, Rambo, Jean-Claude van Damme, Neo oder
selbst Lara Croft: Jeder wiedererkennbare, individuell markierte Actionheld
steht in direkter Nachfolge zu Eastwoods Namenlosem Reiter. Leone hat aus der symbolisierten
Figur eines Helden den individuellen Helden erschaffen.
Dazu gehörte auch die deutlich egozentrischere Ausrichtung:
Der Namenlose Reiter ist nicht „gut“ in dem Sinne, dass er Unrecht bekämpft,
weil man als Guter nunmal Unrecht bekämpft.
Der Reiter mischt sich nur dann ein, wenn er selbst einen
Vorteil davon hat. Ihm ist das Leben und Leiden der Dorfbewohner größtenteils
egal. Er will nur sein Geld!
Leones Werk stellt alles auf den Kopf. So symbolisiert das klassische Westerndorf einen moralisch heilen und schutzlosen Raum. Zu Beginn des Films erscheint ein Bösewicht, der den Ort verderben oder zerstören will. Ihm stellt sich der Held entgegen, um eben diesen heilen, gottestreuen Ort zu schützen.
Neue Regeln braucht das Land
Leones Werk stellt alles auf den Kopf. So symbolisiert das klassische Westerndorf einen moralisch heilen und schutzlosen Raum. Zu Beginn des Films erscheint ein Bösewicht, der den Ort verderben oder zerstören will. Ihm stellt sich der Held entgegen, um eben diesen heilen, gottestreuen Ort zu schützen.
In FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR hingegen ist das Dorfleben bereits
bis ins Mark verdorben und korrumpiert, als der Namenlose Reiter eintrifft. Die
zwei rivalisierenden Banden unterdrücken die Bevölkerung bis aufs Blut.
Clint Eastwood ist aber nicht der Held, der die Unschuldigen
schützen und das Böse vertreiben will. Er will lediglich mitmischen. Zwar
befreit er im Verlauf seines Rachefeldzugs das Dorf tatsächlich, wodurch er als
„gute Identifikationsfigur“ doch wieder etwas taugt. Der große Unterschied ist aber bedeutsam! Die Befreiung des Dorfes ist nicht das Ziel seiner Motivation, sondern eine Randerscheinung seines eigentlichen Motivs: Rache und Egoismus! Leones Western
stellt also nur Motivation des Helden auf den Kopf, nicht zwangsläufig das Ergebnis
seiner Taten.
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Die pure, rohe Gewalt des Films, noch dazu als Folge einer
ehrenvollen Tat, ist vollkommen neuartig.
Und Leone bringt ein weiteres, zuvor unbekanntes Element in
den Western ein!
Zwar gibt es auch in Amerika humorvolle Western. Diese sind
aber stets von luftiger Beschwingtheit und oft heiterer Musik geprägt.
„Zynismus“ als humoristisches Stilmittel im Western kennt man in dessen
Heimatland nicht! Als Eastwoods Figur auf seinem Weg zu den Bösewichtern, die
sein Maultier erschreckt haben (Schon das ein Affront! Helden reiten auf
stolzen Pferden ein, nicht auf Maultieren!) beim Tischler lapidar drei Särge
bestellt, wird das durchaus als humorvolle Ankündigung seiner überragenden
Fähigkeiten wahrgenommen. Als er auf dem Rückweg allerdings verbessert: „Mein
Fehler. Es sind vier Särge“, wird das vielerorts als Zeichen aufgenommen, dass es
sich hier um den Bösewicht handelt. Helden machen sich nicht über die Männer
lustig, die sie bei der Verteidigung der Unschuldigen erschießen müssen.
Mit Eastwood betritt der Anti-Held die Bühne!
Vor allem aber ist der ambivalente Held geboren – und soll
fortan das Kino erobern.
Zwar gibt es eine ähnliche Figur bereits im Film Noir. Dort
aber handelt es sich meist um einen „Sünder“ auf dem Weg zur „Erlösung“ oder zur
„Buße“. Die Helden des Film Noir sind von starken religiösen Buße-Themen
aufgeladen.
Die ambivalenten Helden, die nach Leone auf der Leinwand
erscheinen, sind frei von Sünde und Erlösung. Tummeln sie sich zunächst noch vornehmlich
im Italo-Western, finden sie bald ihren Weg in Amerikas Großstädte – und in den
Polizeithriller! moralisch schimmernde Heldenfiguren wie „Popeye“ Doyle in FRENCH CONNECTION, Steve McQueen
in BULLIT, Charles Bronson in EIN MANN SIEHT ROT oder DEATH WISH und vor allem natürlich
Clint Eastwoods Ikone DIRTY HARRY werden allesamt durch Leones Namenlosen Reiter
ermöglicht.
Auge in Auge mit Kanonen
Doch neben den erzählerischen und charakterlichen Unterschieden
bringt Leone auch künstlerische Neuerungen in den Western ein. Und nicht nur,
indem er es wagt, Pferde von hinten, also mit dickem Hintern zu filmen.
Schon der Vorspann von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR macht
deutlich, dass es hier keinen gewohnten und betulichen Western geben wird.
Denn davon haben die Zuschauer 1964 genug. Das Genre liegt
in seinen letzten Zügen. Gerade einmal sieben US-Western erscheinen 1963. In Italien
gehen die Menschen etwa zwei Mal die Woche ins Kino, quatschen im Film, und
leben auch mit Zwangspausen, wenn der Vorführer einmal einen Cappuchino trinken
gegangen ist. Aufmerksamkeit erregen in Western nur noch Schüsse. Die
hanebüchenen Figuren in ihren albernen Geschichten erregen vor allem Gelächter.
Die Rotoscope-Technik von Leones Intro mit der schmissigen Intromusik „We can fight“ und visuell stark an die topaktuelle JAMES BOND Reihe angelehnt, macht augenblicklich deutlich, dass hier ein topmoderner, und vollkommen anderer Western auf das Publikum zurollt. Und tatsächlich: Über Eastwoods Namenlosen Reiter lacht niemand!
Ausschlaggebend für die Wirkung des Films ist die
italienische Tradition, Filme ohne Ton aufzuzeichnen, und sämtliche Dialoge und
Toneffekte anschließend im Studio einzuspielen. Das führt zum einen zu der
etwas sonderlichen Situation, dass der internationale Cast (Deutsche,
Österreicher, Italiener, Spanier, Amerikaner) die Dialoge stets in der
Muttersprache des Schauspielers spricht. Zum anderen sorgt es auch dafür, dass
Leone im Tonstudio minutiös jedes einzelne Geräusch in den Film setzt, um die
ultimative Wirkung zu erzielen: Jeder Schritt, jedes Knirschen, jede Windböe, jedes Spannen eines Hahns, alles wurde exakt dort platziert, wo es zu hören ist.
Das führt auch zu einer der sensationellsten Neuerungen des
Actionfilms: Klingen die Pistolenschüsse in klassischen Western wie Pistolenschüsse,
überzeichnet Leone diesen Aspekt völlig. Bei ihm klingen die Schüsse eher wie Kanonenschüsse.
Das entspricht seiner Einstellung, den Helden und sämtliche Action in seinen
Filmen überlebensgroß zu zeichnen. Hier agieren keine Westernhelden, sondern
Superhelden auf allen Seiten! (Noch etwas, das auch Quentin Tarantino später auszeichnen wird.)
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Auch visuell kreiert Leone in diesem Film einen neuen Topos:
Die Großaufnahme.
Großaufnahmen verfolgen in klassischen Western, sogar in
klassischen Filmen, stets einen eher praktischen Zweck: Sie zeigen, wie Figuren
auf eine Situation reagieren, in der sie sich befinden. Sie werden lediglich
kurz eingeblendet, um eine Reaktion zu zeigen, bevor wieder das ganze Geschehen
eingeblendet wird.
Nicht so bei Leone!
Leone stilisiert die Großaufnahme zum Selbstzweck. Das wird
vor allem deshalb so wirkungsvoll, weil Leone ein Faible für Darsteller mit
markanten Gesichtern hat. Der Fan klassischer Kunst leuchtet die Gesichter fast
schon Rennaisance-artig aus und präsentiert mit ihnen Gemälde. Porträts.
Stets findet man bei Leone Gesichter, die Geschichten erzählen, die mit Narben und Falten und mit Leben übersät sind. Nicht nur sind sie damit gänzlich anders als die stets glattgeleckten, strahlenden Figuren des US-Westerns, sie definieren auch Leones Erzählstil und -rhythmus.
Stets findet man bei Leone Gesichter, die Geschichten erzählen, die mit Narben und Falten und mit Leben übersät sind. Nicht nur sind sie damit gänzlich anders als die stets glattgeleckten, strahlenden Figuren des US-Westerns, sie definieren auch Leones Erzählstil und -rhythmus.
Leones Western sind ruhige, gemächliche Filme, deren lange
Einstellungen jedoch immer wieder erzählende Kunst sind. Egal, ob er Landschaften
oder Gesichter porträtiert, sie sind immer zutiefst interessant, ungewöhnlich, rätselhaft,
lebendig und voller Geschichten. Sekundenlang starrt man auf Gesichter, die auf
etwas außerhalb des Bildes schauen, und das allein wirkt außerordentlich fesselnd.
Obwohl er diese Technik in seinen Filmen vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR kein einziges Mal anwendet, entwickelt er hier ein unerreichtes Gespür
dafür, mit Musik und perfekt aufeinander abgestimmten Großaufnahmen enorme Spannung
zu erzeugen. Er erschafft den „Leonschen Showdown“. Denn „Schießereien“
bestehen in seinen Filmen nicht aus wildem Herumgeballere und hektischer Deckungssuche. In Leones
Western bestehen sie aus diesen intensiven, bald schon genretypischen
Blickduellen. In Leones Welt lösen die Männer ihre Machokonflikte zunächst mit Blicken
und Mimiken, bevor die Waffen sprechen.
Meist dauern diese Sequenzen zwei bis vier Minuten, bauen
mehr und mehr Spannung auf – und entladen diese explosiv in einer „Schießerei“,
die wenige Sekunden dauern. (In SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD dauert der finale Spannungsaufbau zum
Duell inklusive einer Rückblende zehn Minuten, bevor sich die Spannung in einem
einzigen Schuss entlädt!)
Diese Technik, dieser schier endlose Spannungsaufbau hin zu einer
extrem kurzen Schießerei, die Dehnung und Stauchung der Zeit, wird nicht nur
Leones Markenzeichen, sondern auch stilprägend für spätere Actionregisseure.
Etwa Sam Peckinpah, der die Gewalt verlangsamt, indem er das Eintreten der
Kugeln in Zeitlupe darstellt, oder John Woo, der die Schüsse selbst in Zeitlupe
darstellt.
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Hinterm Sonnenuntergang
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR macht Sergio Leone zum Star und
Vorreiter eines neuen Genres. Tatsächlich dauert es nicht lange, und der Markt
wird von europäischen „Spaghetti-Western“ ebenso überschwemmt, wie zuvor von
klassischen Western. Bald zeigt sich, dass auch hier die Masse eher
unterdurchschnittlich gut ist. Allein DJANGO mit Franco Nero kann noch stärker
begeistern.
Leones Film wird, besonders in Italien, ein Riesenerfolg und
führt zu zwei Fortsetzungen, von denen THE GOOD, THE BAD AND THE UGLY zu
einem der besten Filme aller Zeiten aufsteigt.
Anschließend will sich der Geschichtsfan auf dem
amerikanischen Markt als Regisseur etablieren. Doch seine Pläne für eine Gangsterballade
finden keine Geldgeber. So startet er nach seiner Dollar-Trilogie die Amerika-Trilogie.
Deren erster Teil ONCE UPON A TIME IN THE WEST (Auf Deutsch SPIEL MIR DAS LIED
VOM TOD) wird zu seinem Meisterwerk. Erst 1984 kann er mit ES WAR EINMAL IN
AMERIKA endlich seinen geliebten Gangsterfilm drehen. Es wird sein letzter Film
bleiben.
Das Genre, das er einst begründete, der Italowestern, sinkt
noch in den Siebzigern in die Bedeutunglosigkeit hinab. Erfolgreich werden vor
allem Parodien auf das Genre, wie VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA oder DIE RECHTE
UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS und alle anderen Western, die Bud Spencer und
Terrence Hill berühmt machen.
Schon 1973 legt Leone als Produzent, und zumindest in der
Eröffnungssequenz als Regisseur, Hand an ein Meisterwerk, das einen Abgesang
auf den Italowestern zelebriert. In MEIN NAME IST NOBODY darf Leones Superstar
Henry Fonda dem Emporkömmling Terrence Hill den Staffelstab überreichen – und dabei
die Mechaniken des Spaghetti-Westerns herrlich aufs Korn nehmen.
Mit dem Ende des Italowesterns allerdings findet das Genre
auch seinen endgültigen Ruhestand. Seit den späten Siebzigern sind (vor allem
gute!) Western äußerst rar in der Prärie versteckt und erscheinen meist im Abstand vieler Jahre.
Aus Arch Stanton’s Grab
The
Good:
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR ist ein absolutes Low-Budget Projekt,
selbst für italienische Verhältnisse. Knapp 200.000 Dollar stehen Leone zur
Verfügung, davon gerade einmal 15.000 für seinen Star. Er würde gerne Henry
Fonda oder James Coburn als Helden besetzen (Beide werden später noch Hauptrollen
unter ihm haben), doch Fondas Agent leitet das miserabel übersetzte Skript gar
nicht erst weiter und Coburn ist viel zu teuer.
Ein Freund weist ihn auf die Fernsehserie RAWHIDE hin und auf den jungen Schauspieler Clint Eastwood. Der sieht auf
Fotos der Serie eher unpassend aus, doch Leone malt ihm ein paar Bartstoppeln
und eine Zigarre im Mundwinkel an, und beschließt, es zu versuchen.
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Dennoch ist das Budget so niedrig, dass Eastwood seine
RAWHIDE-Requisiten wie die Pistole, den Gurt und sein blaues Hemd selbst
mitbringt. Nur den ikonischen Poncho bekommt er (aus dramaturgischen Gründen)
gestellt.
The Bad:
Der Erfolg von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR braucht Zeit! In
Italien hat der Film am 12. September 1964 Premiere und erscheint über die
nächsten zwei Jahre hinweg Stück für Stück in der Welt.
In seinem Heimatland ist der Film ein sofortiger Hit, was
Leone ermöglicht, 1965 und 1966 zwei Fortsetzungen zu drehen.
Erst im Januar 1967 erscheint der Film in den USA – und wird
von der Kritik zerrissen. Er wird als geplant sadistisch, unrealistisch,
unglaubwürdig und überzogen dargestellt. Einige Kritiker sehen ihn als
gezielten Affront gegen das Western-Genre. In jedem Fall werden
„Spaghetti-Western“ von der gesammelten Kritik als billiger Abklatsch des
eigenen, einst so erfolgreichen Cowboy-Films betrachtet und damit abfällig
belächelt.
Zu Eastwoods Glück sind beide Fortsetzungen bereits
abgedreht. So erscheint die gesamte „Dollar-Trilogie“ im Jahre 1967 in seinem Heimatland. Der
finanzielle Erfolg ist moderat, doch Eatswood gewinnt viele Fans, die das Genie
der Filme früh erkennen, und kann auf dieser Präsenz seine bis heute andauernde
Weltkarriere aufbauen. (Mehr dazu in unserem Porträt: Die
zwei Karrieren des Clint Eastwood)
Die meisten Kritiker, die Leones Western-Debüt seinerzeit verrissen
haben und später noch die Gelegenheit dazu finden, revidieren ihre Meinung
Jahre später und bescheinigen dem Film, einem totgerittenen(!) Genre neue
Impulse gegeben und das Actionkino in seiner heutigen Form aus der Taufe
gehoben zu haben.
The Ugly:
Leone hat Zeitlebens Probleme damit, gute oder sinnvolle
Figuren für Frauen zu schreiben. Am ehesten gelingt im das noch in ES WAR
EINMAL IN AMERIKA. Er hält nichts von der üblichen „Western-Braut“. Denn im
klassischen Western lebt stets eine edle Lehrerin oder ähnliches im Dorf, die
der Held am Ende für sich gewinnen kann, nur weil er der Held ist.
Viel Besseres fällt Leone allerdings auch nicht ein, so dass
seine Frauenfiguren stets vom Typ „Heilige“ oder „Hure“ sind. Entweder gleichen
sie einer vollkommen reinen Jungfrau Maria, oder sie sind böse und
durchtrieben. In FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR geht der ungeschickte Macho Leone sogar
soweit, dass der „Held“ Eastwood die madonnenhafte Marianne Koch für einen
kleinen Gag per Faustschlag ohnmächtig boxt. (Ein weiteres Novum für
Westernfilme!)
Leone, ein großer Geschichtsfan, orientiert sich stark an
dem, was er recherchiert. Da er auf alten Bildern aus amerikanischen Pionierstädten Frauen nur
als Huren oder Bardamen findet, gibt er ihnen auch nur solche Rollen in seinen
Filmen.
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