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12.09.14

Für eine Handvoll Dollar (IT 1964)

„Was wäre, wenn ...“ ist ein immer wieder beliebtes Spiel. Auf Filme bezogen ließe sich diese Welt heute kaum noch vorstellen: Was wäre, wenn FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR nie gedreht worden wäre?
Der kleine Film eines eher für Sandalenfilme berühmten Regisseurs begründet nicht nur den Weltruhm von Clint Eastwood und etabliert den Italowestern. Sein Einfluss geht viel weiter. Leone erschafft den ersten Actionfilm überhaupt, und mit ihm den ersten Actionhelden. Nahezu unser gesamtes Kino, von Thrillern über Actionfilme bis zu Krimis, wäre vermutlich nicht denkbar, wenn FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR es nicht geboren hätte.
© 2005 Universum Film GmbH - Alle Rechte vorbehalten.

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Marcos Blick:

Es gibt ihn, diesen einen Filmfreak, der das Kino für immer verändert!
Ein Mann, der fast nicht aus dem Kinosaal zu bekommen ist und sämtliche Werke verschlingt und aufsaugt, die ihm dort geboten werden. Allerdings lassen sie ihn oft auch unbefriedigt und schwer inspiriert zurück.
Als er sich entschließt, eigene Filme abseits der großen Studios zu drehen, gibt er einen Scheiß auf geltende Konventionen. Mit geringem Budget huldigt er seinen Lieblingen und dreht gänzlich eigenwillige Interpretationen der großen Klassiker. Sein Geheimnis: Er ignoriert sämtliche Regeln, reichert seine Filme mit frechen Dialogen und harten Kerlen an, und inszeniert orgiastische Arien der Gewalt.
Am Ende hat er mit gerade einmal einer Handvoll Filme das Kino grundlegend geprägt und zeitlose Klassiker geschaffen, die in ihrer Genialität auf immer unerreichbar bleiben werden.

Wer nun an Quentin Tarantino denkt, liegt nicht falsch und doch daneben. Denn was den Film-Connoisseur Tarantino heute auszeichnet und populär macht, hat dreißig Jahre vor ihm bereits ein anderer Kino-Crack praktiziert: Sergio Leone.

In Italien vor allem als Second Unit Regisseur gefragt (So dreht er das Wagenrennen aus BEN HUR), verändert Leone mit seinem dritten eigenen Spielfilm FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR das Verständnis für Heldenfiguren und Actionfilme so nachhaltig, dass das moderne Kino ohne dieses Werk nicht denkbar wäre.
Obwohl FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR nicht der erste Italowestern ist, ist er doch der erste ikonische „Spaghetti-Western“. Was aber bedeutet der Begriff überhaupt?

Schwarz weiß in den Sonnenuntergang


Es gibt in der Filmgeschichte kein Genre, das seine Zeit so beherrscht wie der Western in den Vierzigern und Fünfzigern! Um das zu verdeutlichen, seien ein paar Zahlen erlaubt:
Zwischen 1940 und 1949 werden wenigstens 786 Western produziert! Das sind pro Jahr etwa siebzig bis achtzig Western, die erscheinen.
Spitzenjahrgang wird 1950: Wenigstens 120 Western kommen in diesem Jahr heraus und läuten eine weitere erfolgreiche Dekade ein, in der mindestens 665 Western erscheinen.
Hinzu kommen 90(!) Westernserien, die während der Fünfziger laufen oder starten. (Als eine der letzten BONANZA, die auf den Tag fünf Jahre vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR ihre Erstausstrahlung genießt!)

Die schiere Masse allein sorgt dafür, dass sich sehr bald eine Ritualisierung des Western-Genres ergibt.
So braucht jeder Western einen Schurken. Dieser wird durch schwarze Kleidung symbolisiert, einen Drei-Tage-Bart, eine grimmige Miene und stechende Augen. Der Bösewicht kommt in eine zuvor friedliebende Stadt und bedroht den dortigen Alltag.
Ihm gegenüber steht der Held, oft der Sheriff der Stadt. Er trägt helle Kleidung, ist rasiert und generell von sonnigem Gemüt und edler Gesinnung. Sein alleiniges Ziel liegt darin, sein  unschuldiges Dorf zu schützen, besonders die Frauen, deren schönste und klügste er am Ende als Belohnung für sich gewinnen kann.
Auch die Bildsprache ist stark ritualisiert. Etwa, dass Pferde nur von der Seite und möglichst im Galopp gezeigt werden.

Der Western ist das Actionkino seiner Zeit. Polizeigeschichten sind damals noch eher betulich, der Film Noir eher düster und ruhig, Kriegsfilme noch überpathetisch. Allein im Wilden Westen lassen sich Schießereien und Verfolgungsjagden und der ewige Kampf von Gut gegen Böse unterhaltsam inszenieren.

Auch in Europa ist das Genre populär, besonders in Italien. Und einer seiner größten Fans ist ein junger Filmemacher, der mit den Cowboys aufwächst: Sergio Leone.
Allerdings erkennt Leone, wie die Amerikaner, dass der Western stagniert und in seiner starren Form zunehmend übertrieben und lächerlich wirkt. Statt ehrenhafter Heldentaten lacht das Publikum und beschäftigt sich eher mit der Frage, ob die alten Helden wie John Wayne noch auf ihre Pferde kommen.
Allerdings wittert er das Potential des Genres in Europa und träumt davon, es neu zu beleben, neu zu erfinden. Auf der Suche nach Ideen wird er im Dezember 1963 in einer unerwarteten Richtung fündig: bei einem japanischen Samurai-Film!

Akira Kurosawas Meisterwerk YOJIMBO – DER LEIBWÄCHTER beeindruckt den Italiener sehr. Die Geschichte eines allein auf seinen eigenen Vorteil bedachten Söldners, der die zwei rivalisierenden Banden eines kleinen Dorfes gegeneinander ausspielt, scheint ihm perfekt geeignet für seinen neuen, andersartigen Western.
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Und so dreht er ein Remake, das mit sämtlichen Regeln des Genres bricht!
Er lässt die üblichen flachen Charaktere zurück, bei denen der Held gut ist, weil er der Held ist, und der Bösewicht böse, weil er der Bösewicht ist. Stattdessen gibt er seinem Namenlosen Reiter eine simple aber völlig undenkbare Motivation: Geld!
Nie zuvor, nicht in über 1500 Filmen, ist jemals ein Western-Autor auf die Idee gekommen, Geld zur Motivation des Helden zu machen, sich mit den Schurken anzulegen! Helden hatten nur ein Motiv: Sie waren edel und gutherzig! Nie haben sie den Konflikt gesucht, sondern wurden in ihn hinein gezwungen. Leones Held aber startet den Ärger!

Leones Affront wird zum Markenzeichen des Genres: Der „Spaghetti-Western“ hebt sich vom amerikanischen Western genau in diesem Punkt ab. Während im US-Western der Held aus reiner Tugendhaftigkeit handelt, ist er im Italowestern auf der Suche nach Geld. In der Folge wird er fast ausschließlich von Kopfgeldjägern bevölkert.

Auch sonst reitet Leone durch unerforschtes Territorium. Die Anfangssequenz etwa, in der dem Helden ein toter Mexikaner entgegen geritten kommt (um die Gefährlichkeit des Dorfes aufzuzeigen in das Eastwood kommt), wäre in einem US-Western ebenso undenkbar gewesen, wie sein Nichteingreifen, als er Zeuge der Misshandlung eines kleinen Jungen und einer Frau wird.
Vielen amerikanischen Zuschauern scheint Clint Eastwoods Namenloser Reiter zu Beginn des Films der Bösewicht zu sein – und es dauert, bis sie erkennen, dass dem Film jeglicher gewohnter Held fehlt.

We just need another Hero


Leone erschafft einen völlig neuartigen Heldentypus: Den Design-Helden!
Waren Westernhelden bisher eher moralische Vorbild-Schablonen ohne großen Eigencharakter, gibt Leone seinem Helden klare Konturen: Eastwoods Figur ist die personifizierte Lässigkeit!
Unschlagbar in seinen Fähigkeiten, physisch zäh und kaum zerstörbar (wie die Folterszene zeigt), elegant gekleidet, mit Bart, Zigarillo, tiefsitzendem Hut, zusammengekniffenen Augen, wortkarg, mystisch, ehrfurchtgebietend.
Klassische Westernhelden sehen sich äußerlich stets ähnlich, damit man sie als Helden erkennt, und symbolisieren lediglich den ritterlichen Kodex innerhalb der Geschichte.
Leone aber konzipiert eine konkrete Figur, mit ganz eigenen Moralvorstellungen.

Und kreiert so den ersten Actionhelden der Filmgeschichte!
Vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR wollten Kinder und Jugendliche Sheriff werden, weil der Sheriff generell der Held war, der die Frau bekam. Sie wollten ein Held sein. Nun aber wollten sie dieser Held sein! Sich so kleiden, so bewegen, so reden und sich aufführen wie exakt diese Figur!

Damit begründet FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR genau den Filmhelden, der fortan das Actiongenre beherrschen soll: Ob Dirty Harry, John McClane, Han Solo, Indiana Jones, Bruce Lee, Rambo, Jean-Claude van Damme, Neo oder selbst Lara Croft: Jeder wiedererkennbare, individuell markierte Actionheld steht in direkter Nachfolge zu Eastwoods Namenlosem Reiter. Leone hat aus der symbolisierten Figur eines Helden den individuellen Helden erschaffen.
Dazu gehörte auch die deutlich egozentrischere Ausrichtung: Der Namenlose Reiter ist nicht „gut“ in dem Sinne, dass er Unrecht bekämpft, weil man als Guter nunmal Unrecht bekämpft.
Der Reiter mischt sich nur dann ein, wenn er selbst einen Vorteil davon hat. Ihm ist das Leben und Leiden der Dorfbewohner größtenteils egal. Er will nur sein Geld!

Neue Regeln braucht das Land


Leones Werk stellt alles auf den Kopf. So symbolisiert das klassische Westerndorf einen moralisch heilen und schutzlosen Raum. Zu Beginn des Films erscheint ein Bösewicht, der den Ort verderben oder zerstören will. Ihm stellt sich der Held entgegen, um eben diesen heilen, gottestreuen Ort zu schützen.
In FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR hingegen ist das Dorfleben bereits bis ins Mark verdorben und korrumpiert, als der Namenlose Reiter eintrifft. Die zwei rivalisierenden Banden unterdrücken die Bevölkerung bis aufs Blut.

Clint Eastwood ist aber nicht der Held, der die Unschuldigen schützen und das Böse vertreiben will. Er will lediglich mitmischen. Zwar befreit er im Verlauf seines Rachefeldzugs das Dorf tatsächlich, wodurch er als „gute Identifikationsfigur“ doch wieder etwas taugt. Der große Unterschied ist aber bedeutsam! Die Befreiung des Dorfes ist nicht das Ziel seiner Motivation, sondern eine Randerscheinung seines eigentlichen Motivs: Rache und Egoismus! Leones Western stellt also nur Motivation des Helden auf den Kopf, nicht zwangsläufig das Ergebnis seiner Taten.
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Tatsächlich straft der Film die sonst stets so edlen Motive typischer Westernhelden sogar ab! Als Eastwoods Reiter ein einziges Mal tatsächlich ehrenvoll handelt und die gefangene Frau und ihre  Familie befreit, wird er nicht, wie in amerikanischen Filmen, dafür belohnt und darf als strahlender Held in den Sonnenuntergang reiten. Stattdessen wird er in einer für Leone klassischen Folterszene beinahe totgeprügelt, schwer verunstaltet, und muss den Rest des Films hässlich und rachsüchtig durch den Film toben.
Die pure, rohe Gewalt des Films, noch dazu als Folge einer ehrenvollen Tat, ist vollkommen neuartig.

Und Leone bringt ein weiteres, zuvor unbekanntes Element in den Western ein!
Zwar gibt es auch in Amerika humorvolle Western. Diese sind aber stets von luftiger Beschwingtheit und oft heiterer Musik geprägt. „Zynismus“ als humoristisches Stilmittel im Western kennt man in dessen Heimatland nicht! Als Eastwoods Figur auf seinem Weg zu den Bösewichtern, die sein Maultier erschreckt haben (Schon das ein Affront! Helden reiten auf stolzen Pferden ein, nicht auf Maultieren!) beim Tischler lapidar drei Särge bestellt, wird das durchaus als humorvolle Ankündigung seiner überragenden Fähigkeiten wahrgenommen. Als er auf dem Rückweg allerdings verbessert: „Mein Fehler. Es sind vier Särge“, wird das vielerorts als Zeichen aufgenommen, dass es sich hier um den Bösewicht handelt. Helden machen sich nicht über die Männer lustig, die sie bei der Verteidigung der Unschuldigen erschießen müssen.
Mit Eastwood betritt der Anti-Held die Bühne!
Vor allem aber ist der ambivalente Held geboren – und soll fortan das Kino erobern.
Zwar gibt es eine ähnliche Figur bereits im Film Noir. Dort aber handelt es sich meist um einen „Sünder“ auf dem Weg zur „Erlösung“ oder zur „Buße“. Die Helden des Film Noir sind von starken religiösen Buße-Themen aufgeladen.
Die ambivalenten Helden, die nach Leone auf der Leinwand erscheinen, sind frei von Sünde und Erlösung. Tummeln sie sich zunächst noch vornehmlich im Italo-Western, finden sie bald ihren Weg in Amerikas Großstädte – und in den Polizeithriller! moralisch schimmernde Heldenfiguren wie „Popeye“ Doyle in FRENCH CONNECTION, Steve McQueen in BULLIT, Charles Bronson in EIN MANN SIEHT ROT oder DEATH WISH und vor allem natürlich Clint Eastwoods Ikone DIRTY HARRY werden allesamt durch Leones Namenlosen Reiter ermöglicht.

Auge in Auge mit Kanonen


Doch neben den erzählerischen und charakterlichen Unterschieden bringt Leone auch künstlerische Neuerungen in den Western ein. Und nicht nur, indem er es wagt, Pferde von hinten, also mit dickem Hintern zu filmen.
Schon der Vorspann von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR macht deutlich, dass es hier keinen gewohnten und betulichen Western geben wird.
Denn davon haben die Zuschauer 1964 genug. Das Genre liegt in seinen letzten Zügen. Gerade einmal sieben US-Western erscheinen 1963. In Italien gehen die Menschen etwa zwei Mal die Woche ins Kino, quatschen im Film, und leben auch mit Zwangspausen, wenn der Vorführer einmal einen Cappuchino trinken gegangen ist. Aufmerksamkeit erregen in Western nur noch Schüsse. Die hanebüchenen Figuren in ihren albernen Geschichten erregen vor allem Gelächter.

Die Rotoscope-Technik von Leones Intro mit der schmissigen Intromusik „We can fight“ und visuell stark an die topaktuelle JAMES BOND Reihe angelehnt, macht augenblicklich deutlich, dass hier ein topmoderner, und vollkommen anderer Western auf das Publikum zurollt. Und tatsächlich: Über Eastwoods Namenlosen Reiter lacht niemand!

Ausschlaggebend für die Wirkung des Films ist die italienische Tradition, Filme ohne Ton aufzuzeichnen, und sämtliche Dialoge und Toneffekte anschließend im Studio einzuspielen. Das führt zum einen zu der etwas sonderlichen Situation, dass der internationale Cast (Deutsche, Österreicher, Italiener, Spanier, Amerikaner) die Dialoge stets in der Muttersprache des Schauspielers spricht. Zum anderen sorgt es auch dafür, dass Leone im Tonstudio minutiös jedes einzelne Geräusch in den Film setzt, um die ultimative Wirkung zu erzielen: Jeder Schritt, jedes Knirschen, jede Windböe, jedes Spannen eines Hahns, alles wurde exakt dort platziert, wo es zu hören ist.
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Das führt auch zu einer der sensationellsten Neuerungen des Actionfilms: Klingen die Pistolenschüsse in klassischen Western wie Pistolenschüsse, überzeichnet Leone diesen Aspekt völlig. Bei ihm klingen die Schüsse eher wie Kanonenschüsse. Das entspricht seiner Einstellung, den Helden und sämtliche Action in seinen Filmen überlebensgroß zu zeichnen. Hier agieren keine Westernhelden, sondern Superhelden auf allen Seiten! (Noch etwas, das auch Quentin Tarantino später auszeichnen wird.)

Auch visuell kreiert Leone in diesem Film einen neuen Topos: Die Großaufnahme.
Großaufnahmen verfolgen in klassischen Western, sogar in klassischen Filmen, stets einen eher praktischen Zweck: Sie zeigen, wie Figuren auf eine Situation reagieren, in der sie sich befinden. Sie werden lediglich kurz eingeblendet, um eine Reaktion zu zeigen, bevor wieder das ganze Geschehen eingeblendet wird.
Nicht so bei Leone!
Leone stilisiert die Großaufnahme zum Selbstzweck. Das wird vor allem deshalb so wirkungsvoll, weil Leone ein Faible für Darsteller mit markanten Gesichtern hat. Der Fan klassischer Kunst leuchtet die Gesichter fast schon Rennaisance-artig aus und präsentiert mit ihnen Gemälde. Porträts.

Stets findet man bei Leone Gesichter, die Geschichten erzählen, die mit Narben und Falten und mit Leben übersät sind. Nicht nur sind sie damit gänzlich anders als die stets glattgeleckten, strahlenden Figuren des US-Westerns, sie definieren auch Leones Erzählstil und -rhythmus.
Leones Western sind ruhige, gemächliche Filme, deren lange Einstellungen jedoch immer wieder erzählende Kunst sind. Egal, ob er Landschaften oder Gesichter porträtiert, sie sind immer zutiefst interessant, ungewöhnlich, rätselhaft, lebendig und voller Geschichten. Sekundenlang starrt man auf Gesichter, die auf etwas außerhalb des Bildes schauen, und das allein wirkt außerordentlich fesselnd.

Obwohl er diese Technik in seinen Filmen vor FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR kein einziges Mal anwendet, entwickelt er hier ein unerreichtes Gespür dafür, mit Musik und perfekt aufeinander abgestimmten Großaufnahmen enorme Spannung zu erzeugen. Er erschafft den „Leonschen Showdown“. Denn „Schießereien“ bestehen in seinen Filmen nicht aus wildem Herumgeballere und hektischer Deckungssuche. In Leones Western bestehen sie aus diesen intensiven, bald schon genretypischen Blickduellen. In Leones Welt lösen die Männer ihre Machokonflikte zunächst mit Blicken und Mimiken, bevor die Waffen sprechen.
Meist dauern diese Sequenzen zwei bis vier Minuten, bauen mehr und mehr Spannung auf – und entladen diese explosiv in einer „Schießerei“, die wenige Sekunden dauern. (In SPIEL MIR DAS LIED  VOM TOD dauert der finale Spannungsaufbau zum Duell inklusive einer Rückblende zehn Minuten, bevor sich die Spannung in einem einzigen Schuss entlädt!)

Diese Technik, dieser schier endlose Spannungsaufbau hin zu einer extrem kurzen Schießerei, die Dehnung und Stauchung der Zeit, wird nicht nur Leones Markenzeichen, sondern auch stilprägend für spätere Actionregisseure. Etwa Sam Peckinpah, der die Gewalt verlangsamt, indem er das Eintreten der Kugeln in Zeitlupe darstellt, oder John Woo, der die Schüsse selbst in Zeitlupe darstellt.
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Was sich auf dem Papier dröge anhören mag, gewinnt im Film eine Wucht und Intensität, die nach Leone kein Regisseur oder Cutter mehr erreichen kann. Obwohl für Leones Verhältnisse noch sehr einfach gehalten, beweist bereits das Finale aus FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR diese Fähigkeit eindrucksvoll!

Hinterm Sonnenuntergang


FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR macht Sergio Leone zum Star und Vorreiter eines neuen Genres. Tatsächlich dauert es nicht lange, und der Markt wird von europäischen „Spaghetti-Western“ ebenso überschwemmt, wie zuvor von klassischen Western. Bald zeigt sich, dass auch hier die Masse eher unterdurchschnittlich gut ist. Allein DJANGO mit Franco Nero kann noch stärker begeistern.
Leones Film wird, besonders in Italien, ein Riesenerfolg und führt zu zwei Fortsetzungen, von denen THE GOOD, THE BAD AND THE UGLY zu einem der besten Filme aller Zeiten aufsteigt.

Anschließend will sich der Geschichtsfan auf dem amerikanischen Markt als Regisseur etablieren. Doch seine Pläne für eine Gangsterballade finden keine Geldgeber. So startet er nach seiner Dollar-Trilogie die Amerika-Trilogie. Deren erster Teil ONCE UPON A TIME IN THE WEST (Auf Deutsch SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD) wird zu seinem Meisterwerk. Erst 1984 kann er mit ES WAR EINMAL IN AMERIKA endlich seinen geliebten Gangsterfilm drehen. Es wird sein letzter Film bleiben.

Das Genre, das er einst begründete, der Italowestern, sinkt noch in den Siebzigern in die Bedeutunglosigkeit hinab. Erfolgreich werden vor allem Parodien auf das Genre, wie VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA oder DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS und alle anderen Western, die Bud Spencer und Terrence Hill berühmt machen.
Schon 1973 legt Leone als Produzent, und zumindest in der Eröffnungssequenz als Regisseur, Hand an ein Meisterwerk, das einen Abgesang auf den Italowestern zelebriert. In MEIN NAME IST NOBODY darf Leones Superstar Henry Fonda dem Emporkömmling Terrence Hill den Staffelstab überreichen – und dabei die Mechaniken des Spaghetti-Westerns herrlich aufs Korn nehmen.

Mit dem Ende des Italowesterns allerdings findet das Genre auch seinen endgültigen Ruhestand. Seit den späten Siebzigern sind (vor allem gute!) Western äußerst rar in der Prärie versteckt und erscheinen meist im Abstand vieler Jahre.

Aus Arch Stanton’s Grab


The Good:
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR ist ein absolutes Low-Budget Projekt, selbst für italienische Verhältnisse. Knapp 200.000 Dollar stehen Leone zur Verfügung, davon gerade einmal 15.000 für seinen Star. Er würde gerne Henry Fonda oder James Coburn als Helden besetzen (Beide werden später noch Hauptrollen unter ihm haben), doch Fondas Agent leitet das miserabel übersetzte Skript gar nicht erst weiter und Coburn ist viel zu teuer.
Ein Freund weist ihn auf die Fernsehserie RAWHIDE hin und auf den jungen Schauspieler Clint Eastwood. Der sieht auf Fotos der Serie eher unpassend aus, doch Leone malt ihm ein paar Bartstoppeln und eine Zigarre im Mundwinkel an, und beschließt, es zu versuchen.
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Auch für Eastwood ist die Zusage ein Abenteuer. In Spanien das italiensiche Remake eines japanischen Films zu drehen ist nicht gerade der Traum des aufstrebenden Kaliforniers. Doch sein Vertrag für RAWHIDE verbietet ihm ohnehin, Filme in Amerika zu drehen, so kommt eine europäische Produktion als Nebenverdienst gerade recht.
Dennoch ist das Budget so niedrig, dass Eastwood seine RAWHIDE-Requisiten wie die Pistole, den Gurt und sein blaues Hemd selbst mitbringt. Nur den ikonischen Poncho bekommt er (aus dramaturgischen Gründen) gestellt.

The Bad:
Der Erfolg von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR braucht Zeit! In Italien hat der Film am 12. September 1964 Premiere und erscheint über die nächsten zwei Jahre hinweg Stück für Stück in der Welt.
In seinem Heimatland ist der Film ein sofortiger Hit, was Leone ermöglicht, 1965 und 1966 zwei Fortsetzungen zu drehen.
Erst im Januar 1967 erscheint der Film in den USA – und wird von der Kritik zerrissen. Er wird als geplant sadistisch, unrealistisch, unglaubwürdig und überzogen dargestellt. Einige Kritiker sehen ihn als gezielten Affront gegen das Western-Genre. In jedem Fall werden „Spaghetti-Western“ von der gesammelten Kritik als billiger Abklatsch des eigenen, einst so erfolgreichen Cowboy-Films betrachtet und damit abfällig belächelt.

Zu Eastwoods Glück sind beide Fortsetzungen bereits abgedreht. So erscheint die gesamte „Dollar-Trilogie“ im Jahre 1967 in seinem Heimatland. Der finanzielle Erfolg ist moderat, doch Eatswood gewinnt viele Fans, die das Genie der Filme früh erkennen, und kann auf dieser Präsenz seine bis heute andauernde Weltkarriere aufbauen. (Mehr dazu in unserem Porträt: Die zwei Karrieren des Clint Eastwood)
Die meisten Kritiker, die Leones Western-Debüt seinerzeit verrissen haben und später noch die Gelegenheit dazu finden, revidieren ihre Meinung Jahre später und bescheinigen dem Film, einem totgerittenen(!) Genre neue Impulse gegeben und das Actionkino in seiner heutigen Form aus der Taufe gehoben zu haben.

The Ugly:
Leone hat Zeitlebens Probleme damit, gute oder sinnvolle Figuren für Frauen zu schreiben. Am ehesten gelingt im das noch in ES WAR EINMAL IN AMERIKA. Er hält nichts von der üblichen „Western-Braut“. Denn im klassischen Western lebt stets eine edle Lehrerin oder ähnliches im Dorf, die der Held am Ende für sich gewinnen kann, nur weil er der Held ist.

Viel Besseres fällt Leone allerdings auch nicht ein, so dass seine Frauenfiguren stets vom Typ „Heilige“ oder „Hure“ sind. Entweder gleichen sie einer vollkommen reinen Jungfrau Maria, oder sie sind böse und durchtrieben. In FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR geht der ungeschickte Macho Leone sogar soweit, dass der „Held“ Eastwood die madonnenhafte Marianne Koch für einen kleinen Gag per Faustschlag ohnmächtig boxt. (Ein weiteres Novum für Westernfilme!)

Leone, ein großer Geschichtsfan, orientiert sich stark an dem, was er recherchiert. Da er auf alten Bildern aus amerikanischen Pionierstädten Frauen nur als Huren oder Bardamen findet, gibt er ihnen auch nur solche Rollen in seinen Filmen.

Selbst in SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD muss er zunächst überzeugt werden, die Geschichte um eine weibliche Figur herum zu stricken, und macht am Ende aus ihr eine ehemalige Hure, die nun christentreu arme Eisenbahnarbeiter versorgt.
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